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2022 | Buch

Assistierter Suizid

Hintergründe, Spannungsfelder und Entwicklungen

herausgegeben von: Angelika Feichtner, Ulrich Körtner, Rudolf Likar, Herbert Watzke, Dietmar Weixler

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Die Legalisierung der Beihilfe zum Suizid bringt tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen mit sich. Das bisherige Selbstverständnis von Medizin und Pflege wird in Frage gestellt und es wird eine neue Auseinandersetzung mit dem Leid am Lebensende erfordern.

Das Buch bietet einen Überblick über die ethischen Aspekte und die internationalen Entwicklungen der Suizidassistenz sowie über die Spannungsfelder, die sich durch die Legalisierung der Beihilfe zum Suizid aus der Sicht von Palliative Care ergeben. Die Entwicklungen in anderen Ländern, in denen Suizidassistenz schon länger legal ist, geben Anlass zur Sorge. Es wird entscheidend sein, wie gut es gelingt, Rahmenbedingungen festzulegen, die gewährleisten, dass der Entschluss für einen assistierten Suizid frei von Druck getroffen wird. Das Buch richtet sich an alle Berufsgruppen, die Patienten am Lebensende behandeln oder betreuen und schwierige Entscheidungen treffen müssen, sowie an ethischen Themen Interessierte.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Assistierter Suizid: Allgemeine Darstellung, Grundlagen, Motive

Frontmatter
Kapitel 1. Der Wunsch zu sterben
Zusammenfassung
Bei schwerer Erkrankung, bei Pflegebedürftigkeit und intensiven Leiderfahrungen sind Sterbewünsche der Patienten und Patientinnen keineswegs selten, selbst bei bester Palliativversorgung. Auch Suizidgedanken sind in palliativen Situationen nicht ungewöhnlich, und sie stellen vor allem in terminalen Erkrankungsstadien häufig eine Form der Entlastung oder eine Art Ventil dar. Der Wunsch zu sterben ist eine Reaktion auf das erlebte Leid im Zusammenhang mit einer lebensbegrenzenden Erkrankung, und die Beschleunigung des Sterbeprozesses kann als einziger Ausweg erscheinen. Der Sterbewunsch ist ein komplexes subjektives und soziales Phänomen, das sich ändert in der Zeit und in der Interaktion, nur selten ist er anhaltend. Die meisten Sterbewünsche sind unbeständig und fluktuierend, abhängig von der Intensität der Leiderfahrung. Sterbewünsche können in unterschiedlicher Intensität auftreten, es kann ein eher allgemein formulierter Wunsch zu sterben sein, wie z. B. „Hoffentlich hat das bald ein Ende.“ Der Sterbewunsch kann aber auch mit expliziten Bestrebungen verbunden sein, den eigenen Sterbeprozess zu beschleunigen, z. B. durch Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen oder durch freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit mit dem Ziel, das Sterben zu forcieren.
Angelika Feichtner
Kapitel 2. Das Sterbeverfügungsgesetz: Der Ministerialentwurf
Zusammenfassung
Gegenstand dieses Kapitels ist der am 23.10.2021 präsentierte und zur Begutachtung ausgesandte Ministerialentwurf für ein „Bundesgesetz über die Errichtung von Sterbeverfügungen (Sterbeverfügungsgesetz –StVfG)“. Die Begutachtungsfrist endete am 13.11.2021, war also extrem knapp bemessen. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass eine solide inhaltliche und umfassende Auseinandersetzung mit den verschiedensten am Thema beteiligten Organisationen der Zivilgesellschaft und den Vertretern der betroffenen Institutionen nicht vorgesehen war, dass vielmehr der Entwurf als Kompromiss der Regierungsparteien in der vorliegenden Form als Regierungsvorlage beschlossen und so in den Nationalrat eingebracht werden soll. Auch bei der formellen Gesetzwerdung im Parlament sind keinen größeren Änderungen zu erwarten. Selbstverständlich ist der Inhalt dieses Entwurfs noch kein verbindliches Gesetz, es können bis zur endgültigen Beschlussfassung im Parlament durchaus noch Änderungen oder Ergänzungen dazukommen, wenngleich wirklich relevante Neuerungen aus heutiger Sicht (4.11.2021) wenig wahrscheinlich sind.
Karl Weber
Kapitel 3. Willensfreiheit und Entscheidungsfähigkeit
Zusammenfassung
Im Kapitel „Willensfreiheit und Entscheidungsfähigkeit“ erläutern die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin Elisabeth Höpperger, MSc und der Palliativmediziner Dr. Dietmar Weixler, MSc die beiden zentralen Begriffe im Prozess der Entscheidungsfindung, Willensfreiheit und Entscheidungsfähigkeit, in ihrer rechtlichen, sozialen, ethischen, psychologischen und philosophischen Dimension. Beschrieben werden auch die Grenzen klinischer und objektiver Feststellung der Selbstbestimmungsfähigkeit und des freien Willens sowie der Entscheidungskapazität beim Wunsch nach Beihilfe zum Suizid.
Dietmar Weixler, Elisabeth Höpperger
Kapitel 4. Menschenwürde
Zusammenfassung
Die Diskussion darüber, was menschenwürdiges Sterben bedeutet, wird nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in der Öffentlichkeit bis in den Bereich der Gesetzgebung hinein intensiv geführt. Das gute und würdevolle Sterben ist nicht nur eine Frage der individuellen Lebensführung und des medizinischen Alltags, sondern auch ein Politikum. Strittig ist nicht allein die Terminologie, mit der verschiedene Arten des Tuns, des Lassens und Unterlassens am Lebensende bezeichnet werden – wobei die Beschreibungskategorien immer auch schon moralische und rechtliche Werturteile enthalten. Strittig sind auch Sinn und Bedeutung von Autonomie und Menschenwürde sowie das Begründungsverhältnis von Menschenwürde und Menschenrechten.
Ulrich H. J. Körtner, Rudolf Likar
Kapitel 5. Psychosoziale Ursachen des Suizids
Zusammenfassung
In Österreich sterben pro Jahr etwa dreimal so viele Menschen durch Suizid wie im Straßenverkehr. Neben demografischen, genetischen und lerntheoretischen Gründen gibt es eine Reihe von psychosozialen Ursachen für suizidales Verhalten. Hoffnungslosigkeit, soziale Isolation und Einsamkeit, Impulsivität und geringe Problemlösefertigkeiten gelten dabei als wissenschaftlich gut fundierte Risikofaktoren. Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von protektiven Faktoren. Sowohl Risiko- und Schutzfaktoren als auch die oftmals verwendeten Begriffe von Autonomie und Selbstbestimmung werden im Hinblick auf ihre Relevanz für den assistierten Suizid diskutiert.
Viktoria Wentseis
Kapitel 6. Alterssuizid und seine Grundlagen
Zusammenfassung
Suizidale Äußerungen älterer und hochbetagter Menschen sind oftmals Aufrufe und Hilferufe mit dem Wunsch nach einem Gespräch, dem Wunsch, Zeit zu haben und auch, sich um einen zu kümmern. Sich selbst das Leben nehmen zu wollen ist meist Ausdruck einer tiefen inneren Verzweiflung, die mehrere Gründe haben kann. Der Suizid ist ein Phänomen der Kranken, der Einsamen, der Alten und vor allem der Männer. Psychische Erkrankungen, vor allem Depressionen, sind anerkannte Risikofaktoren für suizidales Verhalten. Das Aufbauen einer vertrauensvollen Beziehung und das Ansprechen möglicher vorhandener Suizidgedanken, Suizidfantasien und Suizidplanungen sind die ersten Schritte für eine erfolgreiche Behandlung.
Christian Jagsch
Kapitel 7. Assistierter Suizid unter spirituellen Aspekten
Zusammenfassung
Der Wunsch nach assistiertem Suizid rührt an existenzielle und spirituelle Fragen des menschlichen Seins. Menschen, die für sich diese Entscheidung treffen, brauchen seelsorgliche Unterstützung. Ebenso müssen auch ihre An- und Zugehörigen in diesem Prozess und danach begleitet werden. Seelsorge bezieht sich hier im Sinne der Spiritual Care auf verschiedenste Berufsgruppen und ist unabhängig von einer konfessionellen Zugehörigkeit. Einerseits in einer Offenheit Zugewandtheit und Respekt zu zeigen und andererseits Zeit und Raum für die Nöte der suizidwilligen Personen zur Verfügung zu stellen sind die zentralen Anliegen für das Gelingen einer solchen Sorge-Begleitung.
Karin Jacobs
Kapitel 8. Grundlegende Konzepte in der psychologischen Betreuung in Hinblick auf assistierten Suizid
Zusammenfassung
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit grundlegenden psychologischen Theorien und praxisorientierten Konzepten der palliativpsychologischen Betreuung unter besonderer Beachtung des Themas assistierter Suizid. Dargestellte Implikationen wie die Verinnerlichung einer beziehungsfördernden und würdeerhaltenden Arbeitshaltung, der Differenzierung Depression/Demoralisierung und Sterbewunsch/Sterbewillen sind essenziell für eine vollumfassende, interdisziplinäre Betreuung. In der Diskussion des Assistierten Suizids muss aus psychologischer Sicht die Menschlichkeit und Würde als Entscheidungsgrundlage bewahrt werden. Dafür braucht es eine aufmerksame Begleitung von Patienten und deren Angehörigen.
Victoria Mühlegger, Helene Wimmer

Assistierter Suizid aus verschiedenen Perspektiven

Frontmatter
Kapitel 9. Vom Unbehagen an der Moderne zu manifesten Krankheitssymptomen der modernen Gesellschaft
Zusammenfassung
Die Frage nach Legitimität und Akzeptanz des assistierten Suizids ist letztlich unbeantwortbar. Einfache dogmatische Positionen sind unangemessen. Die gegenwärtige Rechtsprechung – skeptische Neutralität bei Fragen nach dem Guten, Orientierung an der Freiheit der Einzelnen – ist in sich schlüssig und nachvollziehbar, damit auch die Aufhebung des Verbots. Und auf ganz individueller Ebene kann niemand sich ein Urteil anmaßen. Aber: Sind wir auch als Gesellschaft klug, praktisch weise genug, um den assistierten Suizid zu erlauben? Verfügen moderne Gesellschaftsmitglieder und die „mentale Infrastruktur“ der Gegenwartsgesellschaft über ausreichend Urteilskraft, um den assistierten Suizid erlauben zu können? Diese Frage kann man im Lichte des „Unbehagens an der Moderne“ nur mit Nein beantworten. Der assistierte Suizid mag formaljuristisch schlüssig und auf individueller Ebene verständlich und legitim sein, als Gesellschaft sind wir, bei Weitem, nicht klug genug und reif dafür. Die rechtliche Legitimierung und kulturelle Akzeptanz des assistierten Suizids tragen dazu bei, nicht nur wesentliche Fragen des Gesundheits- und Sozialsystems, sondern der Gesellschaft insgesamt zu überspringen und die spezifischen Gefährdungen moderner Gesellschaften zu verschärfen, anstatt sie auszubalancieren.
Patrick Schuchter
Kapitel 10. Beihilfe zur Selbsttötung aus ärztlicher Sicht
Zusammenfassung
Wir stecken in einer Zwickmühle. Da gibt es auch bei Ärzten nach dem Verständnis der Selbstbestimmung eifrige Befürworter der „Sterbehilfe“, andererseits Gegner aus ethischen Gründen. Es beginnt mit einer unklaren Definition: Hilfe beim Sterben oder Hilfe zum Sterben. Bereits der Ausdruck Euthanasie (guter Tod) ist schönredend. Auch der Begriff assistierter Suizid klingt erhabener als Beihilfe zur Selbsttötung. In der öffentlichen Diskussion wird zu wenig unterschieden.
Gebhard Mathis
Kapitel 11. Selbstbestimmtes Sterben ohne selbstbestimmtes Leben?
Überlegungen zur Diskussion über assistierten Suizid im Licht der UN-Behindertenrechtskonvention am Beispiel Österreichs
Zusammenfassung
Ausgehend von der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird anhand des Begriffs der Inklusion dargelegt, was es für Selbstbestimmung in allen Phasen des Lebens für alle Menschen in Österreich noch braucht. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Lebens mit Beeinträchtigung in Österreich, welche Ausgrenzung und Armut fördern, werden benannt. Diese tragen dazu bei, dass ein Leben mit Beeinträchtigungen für viele Menschen schwer vorstellbar ist. Was notwendig wäre, damit Leben bis an dessen Ende und in Phasen, die dessen Ende sein könnten, selbstbestimmt erlebt werden kann, wird dargelegt. Ausgehend von Forderungen der Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen wird klargestellt, warum eine Diskussion über assistierten Suizid niemals die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Lebens mit Beeinträchtigungen außer Acht lassen darf und welche nachvollziehbaren Sorgen Menschen mit Behinderungen in der Folge beschäftigen.
Eringard Kaufmann
Kapitel 12. Die zweite Seite der Medaille – affektive Resonanzen professionell Betreuender in Bezug auf assistierten Suizid
Zusammenfassung
Ein assistierter Suizid hat emotionale Einflüsse auf professionell Helfende. Das zugrunde liegende Dilemma ist häufig das Spannungsfeld zwischen dem Respekt der Autonomie des Betreuten und den persönlichen, sozialen, moralischen, gesellschaftlichen und professionellen Verantwortlichkeiten. Die Auswirkungen auf das Erleben der Assistierenden gehen von einem zufriedenstellenden Gefühl über eine möglichst neutrale Haltung bis hin zu starken emotionalen Belastungen mit vielschichtigen Unsicherheiten. Es braucht interprofessionelle Teams als fachliche und soziale Ressource sowie formellen Support für im beruflichen Kontext Unterstützende, wahrgenommen als Teil der organisationalen Verantwortung.
Angelina Falkner
Kapitel 13. Entscheid des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes vom 11.12.2020 zum assistierten Suizid – Perspektive der Geriatrie und Gerontologie
Zusammenfassung
Der Verfassungsgerichtshof (VfGh) hat mit seiner am 11.12.2020 verkündeten Entscheidung festgestellt, dass der im § 78 Abs. 2 des Strafgesetzbuches beschriebene Tatbestand der Hilfeleistung beim Selbstmord. verfassungswidrig und daher aufzuheben ist. Bisher galt der § 78 Abs. 2: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis 5 Jahren zu bestrafen.“ Nach dem Entscheid des VfGH wird der Passus „oder ihm dazu Hilfe leistet“ künftig wegfallen. Diese Änderung trat mit Ablauf des 31. Dezember 2021 automatisch in Kraft.
Thomas Frühwald
Kapitel 14. Suizidberatung heißt Lebensberatung – Eine Standortbestimmung zum assistierten Suizid für die Soziale Arbeit
Zusammenfassung
Soziale Arbeit hat sich mit dem Thema des assistierten Suizids kaum auseinandergesetzt, galt es doch bislang in allen Tätigkeitsbereichen der Sozialen Arbeit jegliche Form des Suizids zu verhindern. In der Palliativ- und Hospizarbeit ist es oberste Prämisse, das Leid von schwerstkranken und sterbenden Menschen mit all den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu lindern bzw. erträglicher zu machen. Leid zeigt sich in unterschiedlichen Gesichtern, ist mit vielfältigen Geschichten verbunden und ist immer höchst subjektiv, individuell und doch beeinflusst von vielen Faktoren. Soziale Arbeit hat ein umfassendes Verständnis von Leid, welches nicht auf der individuellen Ebene verhaftet bleibt, sondern auch die umgebenden Sozialstrukturen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen miteinbezieht.
Bettina Pußwald, Angelina Falkner, Werner Gruber
Kapitel 15. Implikationen des assistierten Suizids für die professionelle Pflege
Zusammenfassung
Professionell Pflegende sind in der Praxis maßgeblich von den Veränderungen der aktuellen Rechtslage zum assistierten Suizid in Deutschland und Österreich betroffen. Im Beitrag wird auf Basis internationaler Erfahrungen Einblick in das Erleben von Pflegenden und die Folgen daraus für die Berufsgruppe einerseits und die Praxis andererseits gegeben. Ausgehend davon müssen sich Angehörige der Pflegeberufe stärker als bisher in den Diskurs zum assistierten Suizid einbringen. Im Hinblick auf die Praxis sind dabei auch Fragen nach dem beruflichen Selbstverständnis der Pflege einzubeziehen, das angesichts der gesellschaftspolitischen Entwicklungen zunehmend unter Druck gerät.
Sabine Pleschberger, Christian Petzold
Kapitel 16. Die Rolle der niederländischen Pflegepersonen bei assistiertem Suizid
Zusammenfassung
Die Rolle und Bedeutung der Pflege im Prozess des assistierten Suizids wird häufig nicht wahrgenommen, so auch in den Niederlanden. Die Pflege ist gar nicht in die Gesetzgebung involviert und dort auch nicht berücksichtigt. Es gibt zwar Richtlinien, die interdisziplinär schon vor dem Gesetz entwickelt wurden, letztendlich bleibt eine gewisse Rechtsunsicherheit für involvierte Pflegepersonen bestehen. Schon vor einigen Jahren wurde die Rolle der Pflegepersonen untersucht, und die Ergebnisse dieser Studie werden in diesem Beitrag vorgestellt. Dabei zeigt sich, dass es Unterschiede zwischen den verschiedenen Settings wie Krankenhaus, Pflegeheim und Hauskrankenpflege gibt. Im gesamten Prozess des assistierten Suizids sind Pflegepersonen tätig, sei es als erste Ansprechperson für den Wunsch nach assistiertem Suizid, durch Beteiligung an der Entscheidungsfindung, durch Unterstützung, Kontrolle und Übernahme der ärztlichen Tätigkeiten während des assistierten Suizids und in der Nachbetreuung. Dabei entstehen auch Konflikte. Vor allem aber zeigt die Studie die hohe emotionale Belastung der Pflegepersonen. Pflegepersonen benötigen daher hohe fachliche und ethische Kompetenzen sowie psychologische Unterstützung, wenn sie sich bereit erklären, im Prozess des assistierten Suizids mitzuwirken.
Sabine Ruppert
Kapitel 17. Sterbewunsch bei Demenz
Zusammenfassung
Das Alter ist der wichtigste Risikofaktor für die Entwicklung einer Demenz. Da immer mehr Menschen ein höheres Lebensalter erreichen, nimmt auch die Anzahl der an Demenz erkrankten Personen zu. Weltweit sind aktuell mehr als 47 Mio. Menschen von Demenz betroffen. Gleichzeitig möchten immer mehr Menschen ihr Sterben mitgestalten. Autonomie am Lebensende wird von vielen als Voraussetzung für ein „gutes“ Sterben betrachtet. Demgegenüber steht der durch eine Demenzerkrankung verursachte Verlust der geistigen Fähigkeiten und der Möglichkeiten, das Leben selbständig zu führen und zu gestalten. In diesem Zusammenhang wird sogar vom „doppelten Tod“ bei Demenz gesprochen. Nach dieser Vorstellung verursacht eine Demenz vor dem biologischen Tod bereits einen „Tod der Selbständigkeit“, der lebenslang praktizierten Verhaltensweisen und Vorlieben, der sozialen Kontakte und Fähigkeiten usw., kurzum also all dessen, was eine Person als Person ausmache. Demzufolge wird eine Demenzdiagnose von vielen Menschen als besondere Bedrohung der Möglichkeit für ein selbstbestimmtes, gutes Sterben empfunden. Daraus kann der Wunsch entstehen, den biologischen Tod zu beschleunigen, um dem befürchteten Verlust der Autonomie und der Persönlichkeit zuvorzukommen und dem Angewiesensein auf Hilfe durch andere Personen zu entgehen.
Florian Riese
Kapitel 18. Das ärztlich assistierte Sterben von Personen in Haft. Ethische Überlegungen vor dem Hintergrund erster Erfahrungen in Belgien und der Schweiz
Zusammenfassung
Während der letzten Jahre haben einige Länder wie die Niederlande, Belgien, Kanada oder auch einzelne US-amerikanische und australische Teilstaaten das ärztlich assistierte Sterben gesetzlich neu geregelt und dabei den ärztlich assistierten Suizid und teilweise auch die ärztliche Tötung auf Verlangen unter gewissen Umständen erlaubt. Bislang weitgehend offen geblieben ist dabei die Frage, wie mit Gesuchen um ärztlich assistiertes Sterben bei Personen in Haft angemessen umzugehen ist. Angesichts des steigenden Alters von Menschen im Strafvollzug und der bedeutender werdenden Verwahrung im Anschluss an eine verbüßte Haftstrafe dürfte das Sterben in Haft – und damit auch die Realität des ärztlich assistierten Sterbens – in den kommenden Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Claudia Bozzaro, Markus Zimmermann
Kapitel 19. Suizidbeihilfe – die Sicht der Suizidprävention
Zusammenfassung
In der Suizidprävention verstehen wir den Suizidwunsch, also den Wunsch das eigene Leben, die eigene Existenz vorzeitig zu beenden, als Ausdruck innerer seelischer Not. Er entspricht der Verzweiflung, die entsteht, wenn ein Mensch mit äußeren Belastungen, schwer erträglichen Gefühlen, erlebten Bedrohungen u. a. m. konfrontiert ist und keine ausreichende Alternative zu dieser Situation sehen kann. Das Erleben des Nichtaushalten-Könnens, von Ausweglosigkeit, Ohnmacht und Hilflosigkeit sind charakteristisch dafür.
Thomas Kapitany
Kapitel 20. Assistierter Suizid aus Sicht der Patientenanwaltschaft
Zusammenfassung
Spätestens seit dem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts und dem damals noch ausständigen Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofes (VfGH) zur Aufhebung jener Bestimmung des Strafgesetzbuches (StGB), welche jedwede Hilfeleistung zum Selbstmord verbot, stellt sich die Gretchenfrage an die Patientenvertretungen: Wie hältst du's mit dem assistierten Suizid?
Michael Prunbauer
Kapitel 21. Der assistierte Suizid und Human Rights
Zusammenfassung
Das Recht auf Leben gehört zum Standardrepertoire menschenrechtlicher Garantien. Stellvertretend für zahlreiche Quellen sind Art. 6 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte (UN-Pakt II) und Art. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu nennen, der wie die gesamte Konvention in Österreich Verfassungsrang genießt. Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben, heißt es in Art. 6 UN-Pakt II. Dieses Recht ist gesetzlich zu schützen. Diese Garantien verbürgt auch Art. 2 EMRK. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ist zudem Art. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) zu nennen, der sich nahtlos in diese Garantien einreiht. Schlicht wird in Art. 2 GRC normiert: „Jede Person hat das Recht auf Leben.“ Die staatliche Verpflichtung, das Recht auf Leben zu schützen, führt zur generellen Frage, wie weit dieser Schutz reichen muss. Zugespitzt auf unser Thema ist zu fragen: Darf der Staat mit seiner Schutzpflicht so weit gehen, dass er den Suizid verbietet? Dass Sterbewilligen also verboten wird, sich selbst das Leben zu nehmen? Weiterführend ist zu fragen, ob Sterbewillige Hilfe in Anspruch nehmen dürfen, wenn sie den Entschluss gefasst haben, sich das Leben zu nehmen.
Reinhard Klaushofer
Kapitel 22. „Das Leiden muss ein Ende haben!“ Existenzielles Leiden und der Wunsch nach einem raschen Tod – ein belastendes Spannungsfeld für Palliativpatienten, Angehörige und Betreuungspersonen
Zusammenfassung
Existenzielles Leid, das Leiden am Erleben einer Schicksalshaftigkeit ohne Sinn, ohne Hoffnung, kann in tiefe existenzielle Verzweiflung übergehen. Dies betrifft etwa ein Drittel aller Patienten mit einer todbringenden Erkrankung und führt zu einer schweren Belastung der Betroffenen und von deren Angehörigen. Im Rahmen der Trias der existenziellen Verzweiflung treten medikamentös kaum behandelbare körperliche Symptome und psychische Belastungen sowie der Todeswunsch parallel und in unterschiedlicher Ausprägung auf, wobei einer dieser Aspekte überwiegen kann. Die Entstehung des Todeswunsches beruht auf der unmittelbaren Konfrontation mit dem eigenen existenziellen Leiden, auf dem direkten Erleben einer abgrundtiefen Verzweiflung und der daraus resultierenden bodenlosen Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Somit ist von zentraler Bedeutung, um die komplexen Hintergründe von existenziellem Leiden genau Bescheid zu wissen. Nur dann kann die Entwicklung eines Todeswunsches verstanden werden, was die Grundvoraussetzung für eine hilfreiche Begleitung dieser Menschen darstellt.
Christoph Gabl
Kapitel 23. Gesellschaftliche Aspekte der Selbstbestimmung beim assistierten Suizid
Zusammenfassung
Der historische Siegeszug der Naturwissenschaften und des Renaissance-Humanismus führte zur kulturellen Durchsetzung eines Selbstverständnisses des modernen Menschen, welches sich vorrangig am Ideal der Selbstbestimmung und Selbsterschaffung orientiert. Gemäß diesem kann der Mensch sein Leben autonom nach eigenen, selbstgesetzten Maßstäben gestalten – und muss dies in der Folge auch leisten. Welche Hoffnung bleibt dem sich als Herr seiner selbst verstehenden modernen Subjekt im Angesicht des unvermeidlich eintretenden Lebensendes? Jede Institutionalisierung der Beihilfe zum assistierten Suizid kommt nicht umhin, auf überindividuell formalisierten Entscheidungen über Wert oder Unwert von menschlichem Leben zu beruhen. Es ist daher immer ein expliziter gesellschaftlicher Konsens nötig, der einer individuellen, auf das eigene Leben bezogenen Wertung entgegenstehen kann. Selbstbestimmung am Lebensende bleibt unter institutionell-kollektivierten Bedingungen oft eine praxisferne Idealvorstellung.
Willibald J. Stronegger
Kapitel 24. Suizid, Fehlschlag und die Rolle der Retter – rechtliche und ethische Aspekte
Zusammenfassung
Im Dezember 2020 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass ab 2022 eine Suizidbeihilfe straflos ermöglicht werden muss. Im Rettungs- und Notarztdienst, wo Einsätze mit Suizidalität eher selten vorkommen, wurde bislang der Standpunkt einer allumfassenden Suizidabwendungspflicht vertreten. Es spricht jedoch vieles dafür, dass Sanitäter und Notärzte bei Einsätzen im Rahmen von Suizidalität auch in Zukunft der Fürsorge den Vorrang einräumen und die Patienten an einen sicheren Ort bringen. Im Beitrag werden rechtliche und ethische Aspekte angeführt.
Michael Halmich
Kapitel 25. Sedierung als eine Alternative zur Selbsttötung?
Anmerkungen aus klinisch-ethischer Perspektive
Zusammenfassung
Ob überhaupt und, falls ja, in welcher Hinsicht es sinnvoll ist, Sedierung als eine „Alternative“ zu assistierter Selbsttötung zu bezeichnen, soll in diesem Beitrag thematisiert werden. Zunächst sollen die beiden Handlungen mit Blick auf ihre Häufigkeit beschrieben werden. In einem zweiten Schritt werden ausgewählte ethische Argumente in Bezug auf assistierte Selbsttötung und Sedierung zusammengefasst. Im Mittelpunkt des dritten Abschnitts stehen medizinische und ethische Überlegungen zur möglichen Indikation für die (ärztlich) assistierte Selbsttötung bzw. die Sedierung in der letzten Lebensphase. Auf der Grundlage der vorangehenden Überlegungen soll im abschließenden Teil dann ein kurzes (Zwischen-)Fazit zur Rede von Sedierung als Alternative zu assistierter Selbsttötung stehen.
Jan Schildmann, Alexander Kremling
Kapitel 26. Palliative Care und assistierter Suizid
Zusammenfassung
Palliative Care und assistierter Suizid bzw. Tötung auf Verlangen stehen im direkten Widerspruch zueinander, was sich auch in der WHO-Definition von Palliative Care widerspiegelt. Im EAPC-Positionspapier wird betont, dass Euthanasie und ärztlich unterstützter Suizid nicht Bestandteil der Praxis von Palliative Care sind. Die Unvereinbarkeit von Palliative Care und Suizidassistenz wird nicht nur von Balfour Mount bestätigt, sondern auch von nahezu allen internationalen Hospiz- und Palliative-Care-Organisationen und vielen in der Palliative Care Tätigen.
Angelika Feichtner, Gabriele Pachschwöll
Kapitel 27. Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit – eine Alternative zum assistierten Suizid?
Zusammenfassung
Die Selbstbestimmung als Teil des Autonomieprinzips hat in den letzten Dekaden zunehmend an Bedeutung gewonnen, und zweifellos ist der Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht ein wichtiges Prinzip, auch in der Medizin- und Pflegethik. Das Recht auf Selbstbestimmung, auf Kontrolle sowie Selbstwirksamkeit und Sicherheit sind wichtige Bedürfnisse, auch und vielleicht sogar besonders am Ende des Lebens. Die Angst vor Übertherapie und einem medizinisch verlängerten leidvollen Sterbeprozess kann zu einem Wunsch nach einem Notausgang als Option „of last resort“ führen. Der bewusste und freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) stellt eine derartige legale Möglichkeit dar.
Angelika Feichtner

Internationale Entwicklungen/Praxis

Frontmatter
Kapitel 28. Assistierter Suizid in der Schweiz
Zusammenfassung
Die Schweiz bietet durch den seit 1942 existierenden Erlaubnistatbestand zum „Assistierten Suizid“ (AS) eine besondere Rechtslage, die es medizinischen Laien erlaubt, Beihilfe beim Suizid zu leisten, sofern dieser Hilfe nicht selbstsüchtige, insbesondere finanzielle Motive zugrunde liegen (Art. 115 StGB). Die derzeitige gesetzliche Situation ist keineswegs das Ergebnis einer bewusst liberalen Politik, sondern das unbeabsichtigte Resultat einer Lücke im Schweizerischen Strafgesetzbuch, das assistierten Suizid nicht bestraft, wenn die unterstützende Person nicht aus selbstsüchtiger Motivation handelt. Die für die Dienste einer Suizidhilfe-Organisation erhobene Aufwandsentschädigung fällt nicht unter das Merkmal des selbstsüchtigen Beweggrundes, sofern die Zahlungen der sterbewilligen Person nur die administrativen Kosten der Organisation decken. Die Kosten für eine Suizidassistenz sind mit ca. 10.000 EUR jedoch keineswegs gering.
Angelika Feichtner, Manuela Wasl
Kapitel 29. Suizidassistenz in Deutschland
Zusammenfassung
Im Februar 2020 wurde das Gesetz zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt. Hiermit wurde die deutsche Gesetzgebung aufgefordert, eine künftige Regulierung der Suizidhilfe dahingehend zu entwickeln, dass dem Recht des Einzelnen sein Leben selbstbestimmt zu beenden ausreichend Raum – unter Beachtung von Schutzmaßnahmen im Sinne des Lebensschutzes – zu entwickeln sind. Im Rahmen dieses Kapitels wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vorgestellt, die Chronologie der Debatte zur Vorbereitung der gesetzlichen Regelung aufgeführt und weitere Anforderungen an die Gestaltung des Gesetzes in der neuen Legislaturperiode abgebildet.
Meike Schwermann
Kapitel 30. Assistierter Suizid und Tötung auf Verlangen in Belgien
Zusammenfassung
Gemäß dem belgischen Euthanasiegesetz aus dem Jahr 2002 kann eine volljährige und geschäftsfähige Person, die bei Bewusstsein ist, einen Antrag an einen Arzt zur Durchführung von Tötung auf Verlangen stellen, sofern sie an nicht linderbaren Symptomen nach einer Erkrankung oder einem Unfall leidet und der Zustand nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft irreversibel gegeben ist. Bei demenziellen Erkrankungen kann der Zeitpunkt der Tötung auf Verlangen bereits im Vorfeld schriftlich durch den Patienten selbst festgelegt werden. In speziellen Fällen kann der Antrag zur Euthanasie auch von Angehörigen eingebracht werden.
Desiree Amschl-Strablegg
Kapitel 31. Assistierter Suizid und Tötung auf Verlangen (EAS) in den Niederlanden
Zusammenfassung
Die Niederlande, ein säkulares Land mit einer langen Tradition von Freiheitsrechten und gelebter pragmatischer Toleranz, war weltweit der erste Staat, der Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid unter bestimmten Voraussetzungen außer Strafe gestellt hat. Dieses Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben wurde als Errungenschaft der liberalen Gesellschaft begrüßt, zugleich bestanden aber auch Bedenken, dass die gesetzlich verankerten Sorgfaltspflichten nicht ausreichen könnten, um den Schutz für Menschen in besonders vulnerablen Situationen zu gewährleisten.
Angelika Feichtner
Kapitel 32. Die aktuelle Lage der aktiven Sterbehilfe und des assistierten Suizides in Portugal – ein Land in Warteposition
Zusammenfassung
Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Buchkapitels (Juli 2021) verbietet die portugiesische Gesetzeslage Maßnahmen des „vorzeitigen Todes“, aktive Sterbehilfe und Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid) unter den Begriffen „aktive“ § 134 und „passive Euthanasie“ § 138. Beide werden mit bis zu drei Jahren Haft geahndet. Zusätzlich wird der „privilegierte Mord“ § 133 aus Mitleid oder Verzweiflung mit fünf Jahren Haft bedroht. Es gab bereits einen parlamentarischen Entschluss, das Gesetz zu ändern, der im März 2021 vom Verfassungsgericht gekippt wurde. Aktuell laufen weiter Bestrebungen, das Gesetz entsprechend anzupassen und eine Legalisierung von aktiver Sterbehilfe und Beihilfe zur Selbsttötung zu erreichen. Mit einer Änderung des Gesetzes muss jederzeit gerechnet werden. Passive Sterbehilfe ist geregelt: Menschen können ein „Testament“ ablegen, ob sie im Endstadium einer schweren unheilbaren Erkrankung lebenserhaltende Maßnahmen wünschen oder ablehnen.
Veronika Mosich, Gudrun Kreye
Kapitel 33. Die Regelung der „Hilfeleistung zum Sterben“ in Spanien
Zusammenfassung
In Spanien gab es bis vor Kurzem noch keine gesetzliche Regelung zum Thema assistierter Suizid. Diese gesetzliche Lücke wurde auf Antrag der sozialistischen Regierung im Jahr 2021 geschlossen. Dabei wurde im selben Zug auch eine Regelung für die Tötung auf Verlangen geschaffen. Der Gesetzestext zur Regelung der sogenannten „Euthanasie“, worunter sowohl die Tötung auf Verlangen als auch der assistierte Suizid subsumiert wird, wurde im März 2021 im Boletín Oficial del Estado publiziert und trat drei Monate später im Juni 2021 in Kraft.
Die Diskussion um „Hilfeleistung zum Sterben“ ist in Spanien eng verknüpft mit dem Schicksal einiger Menschen, die aufgrund schwerwiegender Erkrankungen im Laufe der letzten Jahrzehnte für sich oder ihre Angehörigen diese Möglichkeit eingefordert hatten.
In der Einleitung des Gesetzes ist festgehalten, dass das „Recht des Erkrankten auf Hilfeleistung zum Sterben anerkannt“ wird und durch das Gesetz entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden sollen. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass dieses „Recht des Erkrankten auf Hilfeleistung zum Sterben“ in einem Rahmen wahrgenommen werden soll, der durch klare Regelungen einen Schutz gegen externen Druck bietet. Die „Hilfeleistung zum Sterben“ kann in zwei Formen in Anspruch genommen werden. Dabei kann entweder eine tödliche Substanz vom Gesundheitspersonal direkt verabreicht werden oder in der zweiten Form eine tödliche Substanz zur selbständigen Einnahme zur Verfügung gestellt werden.
Grundsätzlich sind durch das Gesetz volljährige Erwachsene, die im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte sind, berechtigt, einen Antrag auf „Hilfeleistung zum Sterben“ zu stellen. Als Voraussetzung werden weiters „schwere, unheilbare Krankheiten oder schwere chronische Behinderungen, die mit anderen Mitteln nicht gemildert werden können“, genannt. Die Erkrankung muss „unerträgliches Leiden“ verursachen.
Für die Umsetzung des Gesetzes sind „Personen aus dem Gesundheitsbereich“ vorgesehen. Ausdrücklich abgezielt wird dabei auch auf den Ausbau der Verfügbarkeit im öffentlichen Gesundheitssystem sowie auf die Möglichkeit der Durchführung einer „Hilfeleistung zum Sterben“ in der häuslichen Umgebung der Patientinnen.
Die Person, die den Wunsch nach „Hilfeleistung zum Sterben“ geäußert hat, muss dieses Anliegen im Abstand von zwei Wochen zweimal schriftlich an die behandelnde Ärztin richten. Dabei muss klar werden, dass der Wunsch nicht durch „Druck von außen“ zustande kommt. Die Person muss sowohl über den Verlauf ihrer Erkrankung als auch über Möglichkeiten der Behandlung inklusive der Möglichkeit, palliative Unterstützung in Anspruch zu nehmen, aufgeklärt sein. Nach einer weiteren fachärztlichen Prüfung wird das Ansuchen an eine sogenannte „Garantie- und Prüfungskommission der Region“ weitergeleitet.
Innerhalb von insgesamt elf Tagen nach Eingang des Ansuchens sollen zwei medizinische bzw. juristische Expertinnen der Kommission zu einer Entscheidung über den Antrag kommen. Unmittelbar vor der Durchführung der Tötungshandlung muss die Patientin dann ihren Sterbewillen neuerlich bekräftigen. Insgesamt kann durch die zeitliche Abfolge des präzise geregelten Ablaufs die „Hilfeleistung zum Sterben“ nach Antragsstellung um über ein Monat „verzögert warden“.
Ärztinnen und Pflegerinnen können sich grundsätzlich aus Gewissensgründen dem Prozess der „Hilfeleistung zum Sterben“ entschlagen. Diese Ablehnung ist im Vorhinein zu deklarieren und soll in ein von den Gesundheitsbehörden noch zu erstellendes Register eingetragen werden.
Aus medizinischer Sicht bleiben trotz allem viele Fragen zur Durchführung der „Hilfeleistung zum Sterben“ offen. Eine Beratung der Patientinnen durch pflegerische oder auch sozialarbeiterische Expertinnen im Rahmen des Aufklärungsprozesses ist nicht vorgesehen, ebenso wenig wie die Bereitstellung psychologischer oder spirituell-seelsorgerlicher Expertise.
Bei Studium des Gesetzestextes drängt sich die dringliche Frage nach der praktischen Umsetzungsmöglichkeit der kleinschrittigen Details auf. Offen ist, welche Spitalsambulanzen bzw. welche Hausärztinnen des öffentlichen Gesundheitswesens die Ressourcen für die Abwicklung des detaillierten Ablaufes aufbringen können. Es bleibt also abzuwarten, welche Form der Umsetzung dieses Gesetzes in der Realität praktikabel sein wird.
Theresa Sellner-Pogány, Veronika Mosich
Kapitel 34. Assistierter Suizid in Australien – VAD (Voluntary Assisted Dying)
Zusammenfassung
In Australien werden die Termini „euthanasia“, „physician-assisted suicide“ und „physician-assisted dying“ vereinzelt noch verwendet, zunehmend werden sie aber durch den Sammelbegriff des Voluntary Assisted Dying (VAD) ersetzt. Da die einzelnen Bundesstaaten in ihrer Gesetzgebung weitgehend autonom sind, bestehen unterschiedliche gesetzlichen Regelungen zu VAD. Während Northern Territory Voluntary Assisted Dying bereits seit 1995 erlaubt, erfolgte die Legalisierung in Victoria erst 2020. In Western Australia wird Suizidassistenz, in besonderen Fällen auch Tötung auf Verlangen, ab 1. Juli 2021 erlaubt sein, wobei ein Implementierungszeitraum von 18 Monaten vorgesehen ist. Weitere australische Bundesstaaten wie z. B. Queensland befinden sich derzeit in einem Reformprozess zur gesetzlichen Änderung bezüglich VAD, und es wird erwartet, dass demnächst auch das tasmanische Parlament einer Legalisierung des VAD zustimmt
Angelika Feichtner
Kapitel 35. Death with Dignity Act – Oregon, USA
Zusammenfassung
Der Death with Dignity Act (DWDA) des US-Bundesstaates Oregon gilt als die älteste gesetzliche Regelung für den Bereich des ärztlich assistierten Sterbens (Physician-Assisted Dying, PAD), also für die Rezeptierung einer letalen Medikamentendosis, die vom Patienten selbst eingenommen wird. Er wurde am 27. Oktober 1997 in Kraft gesetzt.
Herbert Watzke, Thomas Daniczek
Kapitel 36. Assistierter Suizid – MAiD in Kanada
Zusammenfassung
Nach einem jahrelangen Diskussionsprozess entschied der Canadian Supreme Court 2014, die Strafbarkeit der „medizinischen Hilfe beim Sterben (MAiD, Medical Assistance in Dying) zunächst in der Provinz Quebec aufzuheben.“ Mit dem Begriff MAiD, anstelle des bisherigen „Physician-Assisted Suicide“, wird der Realität im Gesundheitswesen entsprochen, dass komplexe medizinische Leistungen nahezu immer von Teams erbracht werden. Beim Terminus MAiD wird ethisch-klinisch und juristisch zwischen assistiertem Suizid (AS) und Tötung auf Verlangen kaum unterschieden. Seit Juni 2016 gilt die Legalisierung von MAiD im Rahmen des Bill C-14 für ganz Kanada.
Angelika Feichtner, Desiree Amschl-Strablegg

Praxisbeispiele

Frontmatter
Kapitel 37. Gestrandete der Medizin – Erfahrungen in der psychotherapeutischen Begleitung einer körperlich schwerst erkrankten Frau durch ihre letzten Jahre bis zu ihrer Entscheidung und Durchführung des assistierten Suizids
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird über die psychotherapeutische Begleitung einer körperlich schwerstkranken Patientin bis zu ihrer Entscheidung und Durchführung des assistierten Suizides berichtet. Es beschreibt den tragischen Leidensweg sowie die Schwierigkeiten und Konflikte, die sowohl für sie selbst als auch in ihrer Familie und ihrem sozialen Gefüge inklusive des Behandlerteams entstanden sind. Nicht zuletzt wird die bis an die Grenze gehende Belastung der Therapeutin aufgezeigt – im Spannungsfeld zwischen professioneller Therapie, damaliger rechtlicher Situation und schlichter Menschlichkeit. Es wird reflektiert, dass eine Verbesserung des professionellen und öffentlichen Diskurses über dieses Grenzthema der Medizin wesentlich zu einem erleichterten Umgang damit verhelfen kann. Auf der anderen Seite wird auch von einer beobachtbaren Gegenbewegung zum körperlichen Verfall der Patientin erzählt, wo tatsächlich so etwas wie psychische Genesung gelingen konnte.
Hilde Mayer-Gutdeutsch
Kapitel 38. Wenn Zuhören und Begegnung wirklich gelingen
das Ergebnis einer langjährigen therapeutischen Beziehung
Zusammenfassung
Der vorliegende Bericht ist gewissermaßen ein Zeugnis des gemeinsamen Weges einer Patientin und ihrer Klinischen Psychologin und Psychoonkologin. Dabei gewährt die Patientin sehr persönliche und intime Einblicke in ihre zu diesem Zeitpunkt 13-jährige Krankheitsgeschichte. Ergänzt und gerahmt werden diese von psychologischen Aspekten, wobei ein besonderes Augenmerk auf der Bedeutung von Zuhören, empathischer Begegnung und Beziehung liegt. Die Autorinnen nehmen den Leser auf eine Reise mit, die zum Reflektieren des eigenen Handelns anregen und Implikationen für die Debatte rund um den assistierten Suizid liefern möchte.
Katrin Kastanek, Viktoria Wentseis
Backmatter
Metadaten
Titel
Assistierter Suizid
herausgegeben von
Angelika Feichtner
Ulrich Körtner
Rudolf Likar
Herbert Watzke
Dietmar Weixler
Copyright-Jahr
2022
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-64347-1
Print ISBN
978-3-662-64346-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-64347-1

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