Epidemiologie, Ätiopathogenese und Prognose
Die valvuläre Aortenstenose
stellt heute in Europa und in den USA eine häufige kardiovaskuläre Erkrankung dar; sie wird in der Häufigkeit nur von der
arteriellen Hypertonie und der koronaren Herzkrankheit übertroffen.
In den industrialisierten Ländern ist die Kalzifizierung der Aortenklappe mit Abstand die häufigste Form und nimmt aufgrund der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten stetig zu. Erst mit weitem Abstand folgen als weitere Ätiologien die angeborenen und die bei uns in Westeuropa sehr selten zu beobachtende valvuläre Aortenstenose rheumatischer Genese. Bei 65-Jährigen wurde eine Inzidenz der valvulären Aortenstenose von 2–9 % berichtet (Lindroos et al.
1993; Stewart et al.
1997). Die Aortenklappensklerose
als Vorstufe der kalzifizierenden Aortenstenose
ist in der westlichen Welt bei bis zu 30 % der über 65-Jährigen nachweisbar (Otto et al.
1999). Dieser Prozentsatz nimmt mit steigendem Alter zu: Bei unter 75-Jährigen ist in bis zu 20 %, bei über 80-Jährigen in 35–50 % und bei über 85-Jährigen in 48–75 % der Fälle eine Aortenklappenverkalkung nachweisbar (Stewart et al.
1997).
Die
Prävalenz einer hämodynamisch bedeutsamen Aortenstenose (Klappenöffnungsfläche <0,8 cm
2) beträgt bei Patienten im 75. Lebensjahr etwa 0,5 %, bei 80-Jährigen 2,6 % und bei 85-Jährigen 5–6 % (Lindroos et al.
1993). Mittels serieller cw-Doppler-Untersuchungen wurden maximale transvalvuläre Flussbeschleunigungen von ≥2,5 m/s bei 1,3 % der 65- bis 74-Jährigen, bei 2,4 % der 75- bis 84-Jährigen und bei 4 % der über 85-Jährigen dokumentiert (Stewart et al.
1997).
Unabhängig von der Ätiologie (angeboren bikuspid, degenerativ, postinflammatorisch) weist eine Obstruktion der Aortenklappe einen chronisch progredienten Verlauf auf (Horstkotte et al.
1998). Mit fortschreitender Klappeneinengung ist eine Turbulenz des transvalvulären Blutflusses und damit auch eine nachfolgende mechanische Schädigung des valvulären Endokards zu beobachten. Die Aortenstenose des alten Menschen ist bei dem in 94 % der Personen trikuspid angelegten Klappenapparat durch sekundäre degenerativ-kalzifizierende Veränderungen der Taschenklappen, des Aortenklappenanulus und von Teilen der Aortenwand gekennzeichnet (Bessou et al.
1999; Langanay et al.
2004; Medariom et al.
1998).
Bei der kalzifizierenden Aortenstenose handelt es sich nicht um einen rein degenerativen Prozess, sondern es liegt auch ein aktiver Prozess mit Ähnlichkeiten zur Pathogenese der Atherosklerose vor. So wurden Entzündungserscheinungen, Lipidinfiltrationen sowie eine dystrophe Kalzifizierung bis zur Verknöcherung beobachtet (Mohler 3
rd et al.
2001; O’Brien et al.
1996).
Auf die chronische, lang anhaltende Druckbelastung reagiert das linksventrikuläre Myokard mit der Entwicklung einer konzentrischen Hypertrophie, in deren Folge eine diastolische Dysfunktion mit verminderter koronarer Flussreserve entsteht. Sobald die Hypertrophie inadäquat ist, steigen endsystolischer und enddiastolischer Wandstress an; die hohe Nachlast bewirkt eine Abnahme der linksventrikulären Auswurffraktion.
Die Aortenstenose ist eine progrediente Erkrankung mit einer durchschnittlichen Zunahme der maximalen Aortenklappengeschwindigkeit um 0,2– 0,3 m/s pro Jahr bzw. einer Abnahme der Aortenklappenöffnungsfläche um ca. 0,10 cm
2/Jahr (Davies et al.
1991; Faggiano et al.
1992; Otto et al.
1989; Peter et al.
1993; Rosenhek et al.
2004; Turina et al.
1987; Wagner und Selzer
1982). In einzelnen Fällen kann allerdings auch eine raschere Progression (z. B. bei
Niereninsuffizienz) oder – vor allem bei jüngeren Patienten mit wenig verkalkten Klappen – auch eine sehr langsame Progression der Aortenklappensklerose beobachtet werden (Rosenhek et al.
2004).
Typischerweise bleiben Patienten mit valvulärer Aortenstenose
lange asymptomatisch. Aufgrund prospektiver Studien wissen wir, dass selbst Patienten mit schwerer Aortenstenose noch eine gute Prognose haben, solange sie asymptomatisch sind (Pelikka et al.
1990; Rosenhek et al.
2000; Turina et al.
1987). Die Prognose ändert sich schlagartig mit dem Auftreten von Symptomen: Die durchschnittliche Überlebensdauer nach Symptombeginn beträgt nur ca. 2–3 Jahre (Ross und Braunwald
1968). Während in der symptomatischen Krankheitsphase der plötzliche Herztod ein relativ häufiges Ereignis darstellt, ist in der asymptomatischen Phase der plötzliche Herztod mit einer Inzidenz von weniger als 1 %/Jahr sehr selten (Otto et al.
1997).
Kernsymptome
Die klassischen Symptome der valvulären Aortenstenose
stellen zunehmende belastungsinduzierte Dyspnoe, Angina-pectoris-Beschwerden unter Belastung und
Schwindel bzw.
Synkopen unter Belastung dar. Bei der Auskultation imponiert ein spindelförmiges, raues, systolisches Geräusch mit Punctum
maximum im 2. ICR rechts parasternal, das typischerweise in die Karotiden fortgeleitet wird. Palpatorisch kann sehr oft Schwirren über dem Jugulum getastet werden.
Dokumentiert wird die Diagnose heute mittels Echokardiografie, die sowohl eine morphologische Beurteilung der Aortenklappe als auch eine semiquantitative Bestimmung des Ausmaßes der Klappenverkalkung erlaubt. Der Schweregrad der Aortenstenose wird dopplerechokardiografisch durch die Messung des mittleren und maximalen Gradienten sowie durch die berechnete Aortenklappenöffnungsfläche bestimmt.
Eine schwere Aortenstenose ist durch folgende Messwerte charakterisiert:
Therapieoptionen
Patienten mit schwerer Aortenstenose haben ab dem Zeitpunkt des Auftretens von Symptomen eine schlechte Prognose. Wird zu diesem Zeitpunkt aber ein Aortenklappenersatz durchgeführt, ist die Prognose ausgezeichnet. Es besteht daher keine Diskussion darüber, dass symptomatische Patienten rasch operiert werden müssen. Dies gilt auch für asymptomatische schwere Aortenstenosen mit Einschränkung der linksventrikulären Funktion.
Die asymptomatische
leichte und
mittelschwere Aortenstenose erfordert dagegen außer jährlichen Kontrollen und einer bakteriellen
Endokarditisprophylaxe keine spezielle Therapie. Asymptomatische Patienten mit leichter Aortenstenose unterliegen keinen Einschränkungen in ihrer Aktivität. Patienten mit mittelgradiger Aortenstenose sollten kompetitiven Sport meiden.
Bei asymptomatischen (!) Patienten mit schwerer Aortenstenose und nicht beeinträchtigter systolischer linksventrikulärer Funktion kann eine vorsichtige ergometrische Belastung nützlich sein, um die tatsächliche Beschwerdefreiheit bei Belastung zu dokumentieren.
Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung hinsichtlich der Operationsindikation bei schwerer valvulärer Aortenstenose (Daniel et al.
2006) lauten:
1.
Operationsindikation bei schwerer Aortenstenose: Klasse-I-Empfehlung, Evidenz B, Oxford-Graduierung 1b
2.
Asymptomatische Patienten mit schwerer Aortenstenose und reduzierter systolischer linksventrikulärer Funktion (linksventrikuläre Auswurffraktion <50 %): ACC/AHA-Klasse-IIa-Empfehlung, Evidenz C, Oxford-Graduierung 1/5
3.
Asymptomatische Patienten mit schwerer Aortenstenose und mittel- bis höhergradig verkalkter Aortenklappe und einer raschen hämodynamischen Progression (Zunahme der AV-Vmax >0,3 m/s pro Jahr): ACC/AHA-Klasse IIa, Evidenz C, Oxford-Graduierung 5
4.
Asymptomatische Patienten mit schwerer Aortenstenose und pathologischem Belastungstest im Sinne des Auftretens von Symptomen (Angina pectoris, Dyspnoe auf niedriger Belastungsstufe): ACC/AHA-Klasse-IIa-Empfehlung, Evidenz C, Oxford-Graduierung 5
5.
Asymptomatische Patienten mit schwerer Aortenstenose und pathologischem Belastungstest ohne Auftreten von Symptomen (abnorme Blutdruckregulation, neue ST-/T-Veränderungen, ventrikuläre Rhythmusstörungen): ACC/AHA-Klasse IIb, Evidenz C, Oxford-Graduierung 5
6.
Nachweis von ventrikulären Salven/Tachykardien: ACC/AHA-Klasse-IIb-Empfehlung, Evidenz C, Oxford-Graduierung 5
Bei mittelgradiger Aortenstenose (mittlerer Gradient >25 mmHg) und revaskularisierungsbedürftiger koronarer Herzkrankheit ist die Entscheidung zum Vorgehen individuell zu treffen (Daniel et al.
2006).
Gutachterliche Bewertung
Bei Patienten mit präoperativ relevanter Aortenstenose können durch den operativen Klappenersatz mehr als 80 % einer altersentsprechenden Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werden.
Aortenstenosen können im Kriegsopferversorgungsrecht als Folgeschaden nur dann anerkannt werden, wenn es versicherungsrechtlich wahrscheinlich ist, dass der Klappenfehler als Folge eines als Versorgungsleiden anerkannten rheumatischen Fiebers entstanden ist.
In der Rentenversicherung besteht bei leichteren asymptomatischen Aortenstenosen (systolischer Druckgradient <40 mmHg) ohne Einschränkung der systolischen linksventrikulären Pumpfunktion für Berufe mit leichter und mittelschwerer Arbeit keine Berufs- und/oder Erwerbsunfähigkeit. Bei Patienten mit mittelschweren und schweren, symptomarmen valvulären Aortenstenosen liegt für alle Berufe mit körperlicher Arbeit präoperativ Berufsunfähigkeit bzw. teilweise und sogar volle Erwerbsminderung vor. Da für die
postoperative Phase eine deutliche Besserung der Symptomatik zu erwarten ist, sollte die Rente als Zeitrente empfohlen werden. Postoperativ sollte dann eine erneute Begutachtung zur Feststellung des aktuellen Leistungsvermögens durchgeführt werden.
Bei symptomatischer valvulärer Aortenstenose ist in jedem Fall Berufs- und (volle Erwerbsminderung gegeben. Auch hier sollte bei normaler linksventrikulärer Funktion eine Zeitrente empfohlen und der Erfolg eines prothetischen Aortenklappenersatzes abgewartet werden.