Erschienen in:
01.03.2016 | Editorial
Verbreitung medizintechnischer Innovationen in der klinischen Kardiologie
Ist Deutschland zu schnell oder zu langsam?
verfasst von:
R. Dörr, R. Erbel
Erschienen in:
Herz
|
Ausgabe 2/2016
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Auszug
Anlässlich der Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK) im Oktober 2015 in Berlin wurde vom amtierenden Präsidenten der DGK und Mitherausgeber dieser Zeitschrift, Prof. Dr. med. Karl-Heinz Kuck, mit Datum vom 8. Oktober 2015 die DGK-Pressemitteilung 10/2015 mit dem Titel „Kardiologischer Fortschritt in Gefahr? Nutzenbewertung und Studien-Auflagen als Innovationsbremsen“ veröffentlicht [
1]. Prof. Kuck stellt darin fest, dass die Entwicklung in der Kardiologie in den vergangenen Jahren eine Erfolgsgeschichte sei. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an diesen Fortschritten habe die Medizintechnik, so Prof. Kuck. Von Stents zur Erweiterung von verengten Herzkranzgefäßen über Schrittmacher und implantierbare Defibrillatoren bis hin zur kardialen Resynchronisationstherapie hätten auch zahlreiche Innovationen aus der Medizintechnik dazu beigetragen, die Sterblichkeit aufgrund von Herzerkrankungen zu senken. Als Beispiel für die Dimensionen dieser Entwicklung verweist Kuck auf den aktuellen Herzbericht: Allein im Jahr 2012 wurden in Deutschland insgesamt 106.840 Herzschrittmachereingriffe (Neuimplantationen, Aggregataustausche, Revisionen) und 47.037 Defibrillatoreingriffe durchgeführt [
2]. Aufgrund der neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Nutzenbewertung von neuen Medizinprodukten und aufgrund von strikten Auflagen für die Durchführung von klinischen Studien mit Medizinprodukten sieht Kuck nun allerdings zunehmend Hürden für technische Innovationen – nicht nur, aber auch in der Kardiologie. Das Inkrafttreten des neuen Versorgungsstärkungsgesetzes [
3] mit seiner Nutzenbewertung für bestimmte Medizinprodukte solle zwar nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers für eine gute medizinische Versorgung auf hohem Niveau für alle Patienten sorgen, könne letztlich aber dazu beitragen, dass herzkranke Menschen in Deutschland nicht von den neuesten technischen Entwicklungen profitieren können. Dies weil diese Innovationen aufgrund eines CE-Zeichens zwar an sich zugelassen seien und verwendet werden dürfen, die Kosten aber von den Krankenkassen nicht übernommen würden. Nach den neuen gesetzlichen Bestimmungen müssen Medizinprodukte der Klassen IIb und III – das sind z. B. Implantate oder Herzschrittmacher – einer Nutzenbewertung unterzogen werden. Im Rahmen einer solchen Bewertung muss anhand von wissenschaftlicher Evidenz nachgewiesen werden, dass das neue Gerät, im vorliegenden Fall z. B. Schrittmacheraggregate mit „leadless pacing“, im Vergleich zu den bisher eingesetzten Verfahren für den Patienten einen klaren Zusatznutzen bringt. Das klinge zwar, so Prof. Kuck, durchaus einleuchtend, doch im Detail könne sich diese Betrachtungsweise als regelrechter Innovationshemmer erweisen. Denn die Methoden von Pharmastudien ließen sich nicht so einfach auf die Medizintechnik übertragen, so Prof. Kuck. Das Standardverfahren bei der Testung von Medikamenten, um den Nutzen und die Wirksamkeit einer neuen Substanz zu belegen, sei die placebokontrollierte Studie. Doch wie solle eine Placebokontrolle für einen Schrittmacher oder für einen medikamentenbeschichteten Stent aussehen? Es sei ja schon aus ethischen Gründen schwer vorstellbar, dass bei einem belastenden und niemals ganz unriskanten Eingriff mit Absicht ein nicht funktionierendes Gerät eingesetzt würde. Die Vorstellung, bei Patienten, die gefährdet sind, am plötzlichen Herztod zu versterben, einen Herzschrittmacher oder Defibrillator gegen ein Placebogerät testen zu müssen, erscheint den Herausgebern dieses Heftes in der Tat so absurd wie die Testung eines Fallschirms gegen Placebo bei einem Flugzeugabsturz. …