Diskussion
Anhand der chronologischen MRT-Untersuchungen kann eine stetige Knorpeldegeneration im medialen Kompartiment nach IM-Läsion und subtotaler Resektion demonstriert werden. Es zeigte sich auch eine Zunahme der Ausprägung der varischen Beinachse. Eine Dokumentation der Beinachse auf Ganzbeinstandaufnahmen zum Unfallzeitpunkt lag nicht vor. Drei Jahre posttraumatisch zeigte sich eine varische Beinachse (mFTA: −3°) rechts, wohingegen die unverletzte Seite keine Achsabweichung zeigte. Acht Jahre nach dem Unfall stellte sich eine mediale Gonarthrose bei zunehmend varischer Beinachse (mFTA: −6°) dar (Abb.
2).
Meniskusschäden und deren Einfluss auf die Entstehung der Kniearthrose sind Gegenstand vieler Untersuchungen. Englund et al. diskutieren beispielsweise die Rolle der Meniskusläsion im Zusammenhang mit Kniearthrose als Ursache oder Folge [
11]. Eine pauschale Aussage hierüber konnte nicht getroffen werden. Es ist sowohl möglich, dass ein Meniskusriss die Arthrose verursacht, als auch, dass die Entstehung einer Meniskusläsion auf Basis einer vorbestehenden Arthrose gründet [
11]. Eine individuelle Prüfung zur Zusammenhangsbeurteilung ist dementsprechend wichtig. Im vorliegenden Fall zeigte sich durch die IM-Teilresektion und mutmaßliche Durchtrennung der zirkumferenten Fasern bereits im ersten Folge-MRT ein Knorpelschaden. Ferner ist in der koronaren Schicht bereits keine Meniskussubstanz mehr nachweisbar. In der Kausalitätsargumentation sind diverse Faktoren zu berücksichtigen, die als interagierendes Konstrukt evaluiert und beispielsweise im Rahmen einer Begutachtung beurteilt werden müssen.
Meniskusläsionen werden in primäre, traumatisch-bedingte und sekundäre, degenerative Meniskopathien unterschieden. Letztere treten zunehmend ab dem 40. Lebensjahr auf. Wiederkehrende, kniegelenkbelastende Tätigkeiten und harte Beanspruchungen mit ungünstigen Gelenkstellungen können chronische Meniskusschäden verursachen [
17]. Im Gegensatz hierzu stehen die traumatischen Meniskusverletzungen, die einen bestimmten Unfallmechanismus voraussetzen [
14]. Als geeignete Unfallmechanismen für einen isolierten Meniskusriss gelten eine gewaltsame Verdrehung des Unterschenkels gegenüber dem Oberschenkel oder ein Beuge-Dreh-Sturz, bei dem der Fuß fixiert ist. Hierbei treten häufiger longitudinale Risse oder Radiärrisse auf [
14]. Isolierte Horizontalrisse des Meniskus sind häufiger degenerativer Ursache und sind arthroseassoziiert. Patienten > 50 Jahre, mit BMI > 25 kg/m
2, weiblichem Geschlecht oder einer Varusanlage haben eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, einen medialen HH-Riss zu erleiden, im Vergleich zu anderen Meniskusläsionen [
13]. Jedoch können auch jüngere Patienten isolierte Horizontalrisse erleiden. Terzidis et al. [
26] evaluierten 378 isolierte Meniskusverletzungen in jungen Athleten und berichteten über 17,4 % Horizontalrisse, signifikant häufiger am medialen Meniskus, im Vergleich zum lateralen Meniskus. Wie von Kim et al. beschrieben, erstreckt sich die Läsion bei traumatisch bedingten, isolierten Horizontalrissen weiter, meist über das HH und Pars intermedia, im Vergleich zu degenerativen Horizontalrissen [
14]. In vorliegendem Fall war der Patient männlich, 46 Jahre, normgewichtig, das Kniegelenk zeigte einen intakten Knorpelüberzug, und der Riss streckte sich vom HH bis in die Pars intermedia. Obwohl die Genese von Horizontalrissen in den meisten Fällen degenerativ ist, muss im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Kausalitätsprüfung das adäquate Trauma mit Bedacht werden. Sollte eine asymptomatische, degenerative Veränderung vorbestanden haben, führte trotzdem das Trauma zu akuten Beschwerden und der resultierenden Arthroskopie mit Teilresektion.
Die biomechanische Folge einer Meniskusläsion entsteht durch Verletzungen der zirkumferenten Fasern, welche v. a. bei radiärer Rissbildung oder bei Entfernung von Teilen des Meniskus entstehen. Somit resultieren eine Reduktion der möglichen Ringspannung und die Reduktion der Kontaktfläche mit Extrusion des Meniskus. Es folgen ein Anstieg des Kontaktdruckes und somit die Erhöhung des Risikos für eine Arthrose [
3]. Seitz et al. konnten in ihrer biomechanischen Kadaverstudie zeigen, dass eine vollständige Teilresektion auf 10 mm Breite im Bereich des medialen Hinterhorns je nach Flexionsgrad zu einer 47- bis 68 %igen Erhöhung des maximalen Kontaktdrucks, im Vergleich zum intakten Zustand, führt. Eine partielle Teilresektion des medialen Meniskus bis zu 20 % Tiefe und bis 10 mm Breite führte jedoch zu keiner Erhöhung des tibiofemoralen Kontaktdrucks im medialen Gelenkskompartiment [
24]. Marzo et al. führten eine komplette Durchtrennung des medialen Meniskus nahe des Hinterhorns durch und konnten eine Steigerung des maximalen Kontaktdrucks im medialen Kompartiment von 3841 kPa auf 5084 kPa (
p = 0,006) und eine Reduktion der tibiofemoralen Kontaktfläche von 594 mm
2 auf 474 mm
2 (
p = 0,005) feststellen [
15]. Folglich ist die Erhaltung der Meniskusbasis in jedem Fall anzustreben.
Im vorliegenden Fall zeigte sich eine zunehmende, medial betonte Gelenkspaltverschmälerung mit Knorpelreduktion und Zunahme der varischen Beinachse. Aufgrund der fehlenden Ganzbeinstandaufnahme konnte die mechanische Beinachse zum Unfallzeitpunkt nicht eruiert werden. Auf der Gegenseite zeigte sich eine physiologische Beinachse in den im Behandlungsverlauf durchgeführten Aufnahmen. Colyn et al. zeigten an 54 Fußballspielern keinen signifikanten Unterschied des mittleren mTFA zwischen dem dominanten (−2,6 ± 2,2) und nichtdominanten Bein (−3,0 ± 2,5) [
8]. Es erscheint plausibel, dass in vorliegendem Fall am rechten Bein zum Unfallzeitpunkt eine physiologische Beinachse vorgelegen hat. Die mechanische Beinachse bei 250 gesunden Männern betrug im Mittel (± SD) −1,87° ± 2,42° varus, und bei 32 % der gesunden Männer fand sich ein konstitutioneller Varus von −3° oder weniger [
1].
Eine Zunahme einer varischen Beinachse durch eine mediale Meniskusresektion konnte durch Yoon et al. gezeigt werden. Die Beinachsenveränderung wurde bei 56 Patienten mit partieller oder totaler Meniskektomie über einen Zeitraum von durchschnittlich 6,7 Jahren gemessen. Vor der Meniskektomie zeigte das Kollektiv einen Varus von 2,4° ± 2,4°. Eine Zunahme des Varus von durchschnittlich 1,7° ± 1,5° (Minimum: 0, Maximum: 6,9°) wurde beobachtet. Das Ausmaß der Veränderung war hierbei positiv korrelierend mit der Resektionsfläche [
29]. Dies deckt sich mit den Beobachtungen im vorliegenden Fall. Bezüglich der Kausalitätsprüfung kann festgehalten werden, dass bei einer allenfalls konstitutionellen Varusanlage im physiologischen Bereich die verstärkte Varusabweichung auf den Substanzverlust des IM zurückzuführen ist.
Der Einfluss einer varischen Beinachse auf die Entstehung einer medialen Gonarthrose ist nicht abschließend geklärt [
27]. Sharma et al. und Brouwer et al. beschrieben ein Varus-Alignment als Risikofaktor für die Entstehung einer medialen Gonarthrose [
5,
25], während Hunter et al. keinen Zusammenhang hierfür finden konnten [
12]. Bezüglich des Einflusses einer varischen Beinachse auf das Fortschreiten einer bestehenden Arthrose zeigen Studien eine höhere Wahrscheinlichkeit der Arthroseprogression bei Vorliegen einer varischen Beinachse gegenüber Kontrollen mit neutraler Beinachse ((OR 2,90; 95 %-KI 1,07–7,88 [
5]), (OR 4,12; 95 %-KI 1,92–8,82 [
6]), (OR 3,59; 95 %-KI 2,62–4,92 [
25])). Darüber hinaus zeigen biomechanische Untersuchungen von Willinger et al., dass der Kontaktdruck im medialen Kniegelenkkompartiment nach einer Teilresektion des medialen Meniskus insbesondere bei varischer Beinachse zunimmt [
28]. Hieraus ergibt sich eine ungünstige Dynamik bezüglich der fortschreitenden Arthrose.
Vor dem Hintergrund der eben genannten Erkenntnisse muss die operative Versorgung mittels Teilresektion, wie sie in diesem Fallbeispiel durchgeführt wurde, kritisiert werden. Chung et al. verglichen in ihrer Studie Teilresektion und Wiederfixierung von IM-HH-Läsionen und konnten sowohl klinische als auch radiologische Vorteile der Wiederfixierung zeigen [
7]. Die Follow-up-Zeit betrug mindestens 5 Jahre, und insbesondere die Werte des Lysholm-Scores und der Arthroseprogression anhand der Kellgren-Lawrence-Skala zeigten eine Überlegenheit der Wiederfixierung. Ebenso konnten Bernard et al. Vorteile einer Wiederfixierung bei IM-HH-Rissen gegenüber der Teilresektion und der konservativen Therapie zeigen [
2]. Auch wenn die Tendenz zur Überlegenheit der operativen Wiederfixierung von IM-HH-Rissen geht, resümieren die Autoren, dass weitere Studien zur Definierung der optimalen Behandlung notwendig sind [
2,
7]. Es sind auch Konzepte vorhanden, die eine kombinierte Versorgung mittels Teilresektion und Naht vorsehen, um den Anteil an zu erhaltendem Meniskusgewebe zu maximieren. Bei jungen Patienten konnten hier gute Ergebnisse erzielt werden [
4,
21]. Ob sich im aktuellen Fall mit einer anderen Versorgung ein Vorteil für den Patienten ergeben hätte, lässt sich abschließend nur vermuten.
Begleitende Pathologien von HH-Läsionen beeinflussen das Beschwerdebild. Der VKB-Zustand im vorliegenden Fall wurde im ersten MRT als fragliche Partialruptur beschrieben. Nach Kniedistorsion tritt eine VKB-Ruptur eher bei Außenmeniskus-HH-Rupturen als bei IM-HH-Läsion auf, wie Matheny et al. zeigten konnten. Demnach besteht eine 10,3-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit, eine VKB-Ruptur bei Außenmeniskus-HH-Riss zu haben, gegenüber Fällen mit vorliegender IM-HH-Läsion [
16]. Es ist bekannt, dass Patienten mit einer VKB-Läsion ein erhöhtes Risiko für Gonarthrose und sekundäre Rissbildungen am Meniskus haben [
23]. Im präsentierten Fall zeigte sich das VKB stets mit festem Anschlag in der klinischen Untersuchung, sodass die MR-tomographisch beschriebene Partialläsion für die Kausalitätsprüfung wohl keinen relevanten Einfluss auf das Gesamtgeschehen der Arthroseentwicklung hatte.
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