Neu aufgetretene Infektionen
In Tab.
12 sind die seit 1972 neu identifizierten Viren aufgelistet.
Tab. 12
Seit 1972 neu identifizierte Viren (Hepatitis ausgenommen)
1972 | Small round structured viruses | Diarrhoe (Ausbrüche) |
1973 | Rotaviren | Diarrhoe (weltweit) |
1975 | Astroviren | Diarrhoe (Ausbrüche) |
1975 | | |
1977 | Ebolavirus | |
1977 | Hantavirus | Hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom |
1980 | HTLV-1 | |
1982 | HTLV-2 | Atypische Haarzell-Leukämie (T-Zelltyp) |
1983 | | |
1988 | Humanes Herpesvirus-6 | |
1989 | Ehrlichia spp. | Humane Ehrlichiose |
1989 | Guanaritovirus | Venezolanisches hämorrhagisches Fieber |
1990 | Humanes Herpesvirus-7 | |
1993 | Sin-Nombre-Virus | Hantavirus-Lungensyndrom („four corners disease“) |
1994 | Sabiavirus | Brasilianisches hämorrhagisches Fieber |
1994 | Humanes Herpesvirus-8 (HHV 8) | Kaposi-Sarkom, primäres Lymphom der Körperhöhlen, Castleman-Krankheit |
1994 | Hendravirus, equines Morbillivirus (EMV) | |
1996 | Prionprotein | „Transmissible“ spongiforme Enzephalopathien (TSE) |
1997 | Influenza-A-Virus (H5N1) | |
1997 | Transfusion-transmitted virus (TTV) | Möglicherweise Hepatitis |
1998 | Nipahvirus | Meningitis, Enzephalitis |
1999 | Influenza-A-Virus (H5N9) | Influenza (Hongkong) |
2003 | SARS-associated Coronavirus | Schweres akutes respiratorisches Syndrom (SARS) |
2009 | Influenza-A-Virus (H1N1) | Influenza-Pandemie (Schweinegrippe) |
2012 | MERS-CoVMiddle East Respiratory Syndrome Coronavirus | |
2019 | SARS-CoV-2 Severe Acute Respiratory Syndrome type 2 | COVID-19 (Corona-Virus-Krankheit) |
Plötzlich sich ausbreitende neue Infektionskrankheiten durch bisher nicht bekannte Erreger können langsam durch Punktmutationen
(fehlerhafte RNA-Kopien im Virusgenom – Antigendrift
) oder schlagartig durch Rekombination verwandter Viren (Antigenshift
) entstehen. Die für die Asiatische Grippe
(
Influenza Subtyp A/H2N2) im Jahre 1957, die Hongkong-Grippe
(H3N2) im Jahre 1968 sowie die „Schweinegrippe
“-Pandemie 2009 verantwortlichen Virus-Subtypen sind durch Antigenshift entstanden. Prinzipiell können die durch Rekombination entstandenen Reassortanten
im Menschen und im Tier entstehen. Prädestiniert hierfür sind Schweine, die Rezeptoren für die Hämagglutinine sowohl von humanen als auch von Vogelgrippeviren besitzen. Ein enger Kontakt von Geflügel und Schweinen in landwirtschaftlichen Bereichen begünstigt die Entstehung solcher Reassortanten
.
An der hochpathogenen
Influenza A (H5N1, Vogelgrippe) erkrankten bis 2010 ca. 500 Menschen mit einer
Mortalitätsrate bis zu 50 % (Aserbadschan, Kambodscha, China, Ägypten, Indonesien, Irak, Thailand, Türkei, Vietnam).
Bei der menschlichen Vogelgrippe erfolgt die Übertragung der Erreger nicht wie bei der typischen Virusgrippe durch Tröpfcheninfektion, sondern nur nach engem Kontakt mit erkrankten Tieren (Wasservögel, Geflügel) oder durch mit Vogelkot verunreinigten Gegenständen und Stäuben. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist möglich, setzt aber einen sehr engen Kontakt der Personen voraus (Haushalt, Mutter/Kind, Pflegepersonal und behandelnde Ärzte).
Für gefährdete Personen (z. B. enger Kontakt zu erkrankten Tieren) werden vom Ausschuss für biologische Arbeitsstoffe folgende Schutzmaßnahmen empfohlen: Schutzkleidung, Influenza-Schutzimpfung mit dem aktuellen humanen Impfstoff, prophylaktische antivirale Therapie mit Neuraminidasehemmern. Die Influenza-Schutzimpfung soll Doppelinfektionen mit den aktuell zirkulierenden humanen Influenzaviren und dem Erreger der Vogelgrippe verhindern. Bei Doppelinfektionen besteht das Risiko, dass sich durch Rekombination neue Virusvarianten bilden und ein neues, für den Menschen hoch pathogenes Virus entsteht (Pandemiegefahr).
Während der SARS-Pandemie im Jahre 2003 wurden der WHO 8422 wahrscheinliche SARS-Fälle in 29 Ländern übermittelt, von denen 11 % verstarben .Dem RKI wurden neun wahrscheinliche SARS-Fälle und 38 SARS-Verdachtsfälle gemeldet, die alle importiert waren. Nach dem 06. Mai 2003 wurden in Deutschland keine SARS- Fälle mehr gemeldet.
Der
Influenza A fallen jährlich in Deutschland ca. 13.000 Menschen zum Opfer, bei rund 4,5 Mio. Erkrankungen. Die Möglichkeiten der aktiven Impfung werden unzureichend genutzt.
2009 kam es zu einer
Pandemie mit dem Influenzavirus A H1N1. Aufgrund der raschen Ausbreitung mit schweren, z. T. letalen Verläufen, insbesondere bei jüngeren Erwachsenen, Schwangeren und Säuglingen, wurde von der WHO am 29. 04. 2009 die Phase 5 und am 11. 06. 2009 die Phase 6 ausgerufen. Die zunächst nach Deutschland überwiegend aus Mallorca importierte
Influenza breitete sich dank der strikten Meldepflicht und der Isolationsvorschriften in Deutschland nur begrenzt aus. Als spezifische Therapie für die Influenza A stehen das inhalative Virustatikum Zanamivir
und zur Prävention der Neuraminidasehemmer Oseltamivir
zur Verfügung. Mit beiden Wirkstoffen waren die Bundesländer bei Ausbruch der Pandemie ausreichend bevorratet. Durch die rasche Zulassung eines potenten Impfstoffes konnte der Verbreitung Einhalt geboten werden. Bis April 2010 waren dem
Robert Koch-Institut 226.137 Erkrankungen und 253 Todesfälle gemeldet worden. Rückblickend war der Verlauf für Deutschland nicht schwerer als der einer saisonalen Influenza.
Im April 2012 wurde das Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus erstmals bei Patienten auf der arabischen Halbinsel nachgewiesen. Das MERS-Coronavirus ist ein zoonotischer Erreger, als dessen Reservoir Dromedare gelten. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist möglich. Im Zeitraum von April 2012 bis November 2019 waren der WHO 2494 Erkrankungen und 858 Todesfälle gemeldet worden. Alle Fälle stammten von der arabischen Halbinsel bzw. aus daran angrenzenden Ländern. In Deutschland wurden zwei Patienten aus Katar behandelt (2012 und 2013 je ein Patient), von denen einer starb. Im Juni 2015 verstarb ein Tourist, der im März einen Kamelmarkt auf der arabischen Halbinsel besucht hatte, an den Spätfolgen des MERS.
Ende 2019 breitete sich ausgehend von der chinesischen Millionenmetropole Wuhan in der Provinz Hubei weltweit ein neues Coronavirus (SARS-CoV-2) aus, welches die Krankheit Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) verursacht. Am 30.01.2020 nannte die WHO COVID-19 eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“. Am 11.03.2020 wurde sie zur Pandemie erklärt.
In Deutschland erfasst und bewertet das
Robert Koch-Institut täglich die aktuelle Lage. Jede Infektion muss innerhalb von 24 Stunden an das zuständige Gesundheitsamt gemeldet werden. Für den Infizierten und seine Kontaktpersonen besteht eine zweiwöchige Quarantänepflicht
. Der erste Fall in Deutschland wurde am 27.01.2020 aus Bayern (aus China importiert) gemeldet.
Die Übertragung erfolgt durch Tröpfchen und Aerosole. Die Infektion kann asymptomatisch, aber auch schwer mit Organkomplikationen verlaufen. Auffällig ist, dass bei einem Drittel der Infektionen zu Beginn der Erkrankung eine Anosmie auftritt, die meist reversibel ist.
Besonders über 60 Jährige und chronisch Kranke müssen häufig intensivmedizinisch behandelt werden. In Italien und Spanien waren bereits zu Beginn der Pandemie die Intensivbettenkapazitäten erschöpft, so dass Patienten in andere europäische Länder ausgeflogen wurden.
Vom 22.03.2020 bis zum 04.05.2020 wurde in Deutschland bundesweit ein Lockdown mit weitreichenden Kontaktbeschränkungen, Schließung der Schulen, der nicht System relevanten Betriebe sowie der Tourismusbranche verhängt. Am 29.04.2020 wurde die Maskenpflicht in öffentlichen Räumen eingeführt. Unter Einhaltung der AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Atemschutzmaske) lässt sich das Infektionsriskiko senken. Die Infektionsinzidenz ging rasch zurück, weshalb die Beschränkungen langsam gelockert wurden. Der Auslandstourismus lag weitgehend brach, da zahlreiche Länder strenge Einreiseregelungen verhängten.
Am 16.12.2020 wurden wegen einer zweiten Infektionswelle die seit dem 02.11.2020 bereits erneut verhängten Kontaktbeschränkungen durch einen zweiten strengen Lockdown ergänzt, der nach Ostern noch fortbestand.
Seit Dezember 2020 verbreiten sich eine britische, eine südafrikanische sowie eine brasilianische Virusmutante. Diese Mutanten sind infektiöser und verursachen einen schwereren Krankheitsverlauf. Eine verringerte Immunantwort auf die Impfung wird diskutiert.
Am 13.04.2021 meldete das
Robert Koch-Institut 3.022.323 laborbestätigte SARS-CoV-2
-Infektionen, darunter 78.746 Todesfälle seit Januar 2020 (Tab.
13).
Tab. 13
Infektionen und Todesfälle in einzelnen Ländern am 13.04.2021 (European Centre for Disease Prevention and Control, John Hopkins University & Medicine, RKI)
Deutschland | 3022.323 | 78.746 |
Frankreich | 5067.216 | 99.163 |
Italien | 3779.594 | 114.612 |
Spanien* | 3370.256 | 76.525 |
Brasilien | 13.517.808 | 354.617 |
Indien | 13.689.453 | 171.058 |
UK | 4390.797 | 127.346 |
USA | 31.076.891 | 559.741 |
Weltweit | 137.054.800 | 2951.790 |
Seit Weihnachten 2020 wird weltweit mit verschiedenen Impfstoffen geimpft. In Deutschland sind Stand April 2021 vier Impfstoffe zugelassen. Da derzeit zu wenig Impfstoff zur Verfügung steht, werden zunächst die vulnerablen Gruppen immunisiert. Ziel der Impfung weltweit ist es, die Pandemie durch Erreichen einer Herdenimmunität zurückzudrängen.
Durch die einschneidenden Infektionsschutzmaßnahmen sind immense wirtschaftliche Schäden entstanden, deren Tragweite noch nicht abzusehen ist.