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Erschienen in: Zeitschrift für Allgemeinmedizin 6/2023

Open Access 14.08.2023 | Pflege | Originalien

Gesundheitsförderung in der Hausarztpraxis – eine qualitative Studie zur Rolle der Medizinischen Fachangestellten

verfasst von: Meike Gerber, M. A., Dania Schütze, Mirjam Dieckelmann, Andrea Siebenhofer, Jennifer Engler

Erschienen in: Zeitschrift für Allgemeinmedizin | Ausgabe 6/2023

Zusammenfassung

Hintergrund

Die Hausarztpraxis ist ein wichtiger Ort für Gesundheitsförderung und Prävention in Deutschland. Es besteht jedoch eine Forschungslücke bezüglich der Einbindung nichtärztlichen Praxispersonals in Aktivitäten der Gesundheitsförderung. Unser Ziel war es daher, einen vertiefenden Einblick zu gewinnen, welche Rolle Medizinische Fachangestellte (MFA) hinsichtlich Gesundheitsförderung in der Hausarztpraxis einnehmen.

Methoden

Wir führten 21 telefonische qualitative Leitfadeninterviews mit 14 Hausärzt:innen und sieben MFA und fragten beide Gruppen nach der Rolle der MFA in Bezug auf Gesundheitsförderung in der Hausarztpraxis. Die Interviews wurden nach thematischer Analyse gruppenspezifisch ausgewertet.

Ergebnisse

Neben organisatorischen Aufgaben wie der Terminvereinbarung übernehmen MFA vor allem als erste Kontaktperson eine Schlüsselfunktion hinsichtlich Gesundheitsförderung: Sie erkennen Bedarfe, kommunizieren Auffälligkeiten an Hausärzt:innen, filtern anspruchsberechtigte Patient:innen bereits am Empfang heraus und sprechen sie aktiv auf Vorsorgeleistungen an. In einigen Praxen führen MFA selbst gesundheitsfördernde Maßnahmen wie Schulungen durch. In Bezug auf weitere Aufgabenübertragung äußerten jedoch insbesondere Hausärzt:innen Hemmnisse, da sie die MFA nicht überlasten wollten.

Schlussfolgerungen

MFA übernehmen hinsichtlich Gesundheitsförderung in der Hausarztpraxis häufig organisatorische Tätigkeiten, können aber aufgrund ihrer Funktion in der Praxisstruktur die Hausarztpraxis auch als gesundheitsförderndes Setting für Patient:innen mitprägen. Insbesondere navigieren MFA die Patient:innen hinsichtlich präventiver und gesundheitsfördernder Angebote. Entsprechend ihrer Schlüsselfunktion als Erstkontakt sollte mit MFA gemeinsam erarbeitet werden, wie Gesundheitsförderung bereits am Empfang strukturiert adressiert werden kann.
Hinweise
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Ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland sucht mindestens einmal im Jahr hausärztliche Beratung auf [1]. Daher können in der Hausarztpraxis verschiedene Bevölkerungsgruppen niedrigschwellig mit gesundheitsfördernden Angeboten erreicht werden, was sie zu einem wichtigen Ort für Gesundheitsförderung (GF) und Prävention macht.
Hierbei können auch Medizinische Fachangestellte (MFA) eine wichtige Rolle spielen. Sie sind zum einen hinsichtlich administrativer Tätigkeiten für die Versorgung bedeutsam. Zum anderen zeigen Evaluationen hausärztlicher Delegationsmodelle, dass MFA durch die Übernahme weiterer Tätigkeiten nicht nur Ärzt:innen zeitlich entlasten, sondern auch die Versorgungsqualität für Patient:innen verbessern [2, 3]. Einige Studien zeigen auf, dass MFA, beispielsweise über das Aussprechen von Impfempfehlungen, in Bereiche der GF eingebunden werden können [46]. Dies kann sogar Ressourcen sparen: So zeigte eine Studie, dass MFA bereits nach einer kurzen Schulung mit hoher Trefferquote Risikopatient:innen für Typ-2-Diabetes identifizieren können, was effizienter als die Anwendung eines komplexen Risikoscores an einer höheren Anzahl Patient:innen ist [4].
Allerdings gibt es bisher wenig Publikationen zur Rolle der MFA im Bereich GF und Prävention in der Hausarztpraxis. So zeigte ein von uns durchgeführtes Scoping Review eine Forschungslücke in der Literatur zu GF und Prävention in Deutschland hinsichtlich der Rolle nichtärztlichen Praxispersonals [7].
Im Projekt Gesundheitsförderung in der Hausarztpraxis (GeHa) führten wir am Institut für Allgemeinmedizin Frankfurt im Auftrag der gemeinnützigen Stiftung Gesundheitswissen eine Handlungsfeldanalyse zu Ist-Zustand und Bedarfen hinsichtlich gesundheitsfördernder und präventiver Aktivitäten in Hausarztpraxen in Deutschland durch. Dabei wollten wir auch mehr über die Rolle der MFA hinsichtlich GF im Praxisalltag erfahren. Im Anschluss an das Scoping Review führten wir deshalb qualitative Interviews mit Hausärzt:innen und MFA durch, in denen wir die Interviewten auch danach fragten, wie MFA im Praxisalltag in GF eingebunden sind und inwiefern sie stärker eingebunden werden könnten.

Methoden

Rekrutierung

Die Rekrutierung von Ärzt:innen und MFA erfolgte im Februar 2021 über das Forschungspraxennetz des Frankfurter Instituts für Allgemeinmedizin (ForN), über dessen E‑Mail-Verteiler 356 Praxen zur Projektteilnahme eingeladen wurden. Über die ForN-Website www.​saxoforn.​net, beim Frankfurter Tag der Allgemeinmedizin (Januar 2021) sowie auf einer Schulung für Praxisteams des transregionalen Forschungspraxennetzes Allgemeinmedizin Dresden/Frankfurt am Main (SaxoForN) wurde ebenfalls über das Projekt informiert. Außerdem versendeten wir eine postalische Einladung an 200 zufällig ausgewählte allgemeinmedizinische Praxen in Deutschland. Um eine theoretische Sättigung zu erreichen, wurden gezielt MFA nachrekrutiert, indem wir in Interviews mit Ärzt:innen nach dem Interesse von in der Praxis tätigen MFA an einer Interviewteilnahme fragten.
Nachdem eine Person Interesse bekundet hatte, wurde sie durch eine Mitarbeiterin des Studienteams zwecks Terminvereinbarung kontaktiert und über die Ziele der Studie informiert. Das Einverständnis zur Teilnahme und Datenauswertung wurde vor den Interviews schriftlich eingeholt und zu deren Beginn noch einmal erfragt.

Datenerhebung

Die Interviews wurden durch zwei in qualitativen Methoden geschulte wissenschaftliche Mitarbeiterinnen (Soziologinnen, MG und DS) zwischen März und Mai 2021 telefonisch durchgeführt. Alle Interviews wurden aufgezeichnet, wörtlich transkribiert und vor der Auswertung durch eine Forscherin (MG) pseudonymisiert.
Die Interviewführung erfolgte nach einem Leitfaden, der vom Projektteam entwickelt und in einer Forschungswerkstatt mit interdisziplinären Forscher:innen besprochen wurde. Wir führten mit einer Ärztin ein Pilotinterview, das nicht in die Auswertung einging. Dabei erwiesen sich die Frageformulierungen als verständlich, sodass keine Anpassungen vorgenommen wurden. Der Leitfaden enthielt Fragen zur Bedeutung von GF im Praxisalltag sowie zu Bedarfen des Praxisteams. Wir nutzten bewusst nur das Wort „Gesundheitsförderung“ und gaben keine einheitliche Definition dieses Begriffs vor, da wir davon ausgingen, dass GF und Prävention als Konzepte im Praxisalltag kaum trennscharf zu halten sind.
Ein Schwerpunkt des Leitfadens lag auf der Zusammenarbeit des Praxisteams sowie der Rolle der MFA bezüglich GF im Praxisalltag. Dazu fragten wir MFA, inwiefern sie in GF eingebunden sind und was ihrer Einschätzung nach ihre Rolle bezüglich GF ist. Ärzt:innen wurden nach der Einbindung nichtärztlichen Praxispersonals gefragt. Außerdem fragten wir alle Interviewpartner:innen, ob sie sich Bereiche der GF vorstellen können, in die nichtärztliches Praxispersonal stärker eingebunden werden könnte.

Datenauswertung

Die Auswertung erfolgte nach thematischer Analyse [8]. Der Codebaum wurde gemeinsam durch das Projektteam (JE, MG, DS) entwickelt, wobei die Oberkategorien deduktiv aus den Fragen des Leitfadens zu Ist-Zustand und Bedarfen hinsichtlich GF in Hausarztpraxen gebildet wurden. Danach codierten zwei Forscherinnen (MG, DS) jeweils das gleiche Ärzt:innen- und MFA-Interview und bildeten induktiv Untercodes. Daraufhin erfolgte eine Konsentierung des Codebaums sowie des Vorgehens hinsichtlich der Kategorisierung zu dritt. Die Auswertung erfolgte gruppenspezifisch: Entsprechend gab es einen Codebaum für MFA und einen für Ärzt:innen, die sich in den deduktiven Kategorien kaum, in den induktiv gebildeten Kategorien teilweise unterschieden. Die Ärzt:innen-Interviews wurden zwischen den Forscherinnen aufgeteilt, die Erstautorin codierte alle MFA-Interviews. Im Codebaum der MFA-Interviews umfasste das Oberthema „Rolle der MFA“ Antworten auf die Frage nach der eigenen Rolle sowie Bedarfe für eine weitere Einbindung von MFA im Bereich GF und stellte eines von sechs Oberthemen dar. Weitere Themen waren erste Assoziationen zu GF, Ist-Zustand in der eigenen Praxis, Kooperationen hinsichtlich GF, Bedarfe des Praxisteams, Machbarkeit der Bedarfe. Im Codebaum für Ärzt:innen gab es noch ein weiteres Oberthema, das sich auf die eigene Rolle bei GF bezog. Die hier präsentierten Kategorien bilden die Unterthemen zum Oberthema „Rolle der MFA“ und stellen damit jenen Teilbereich des gesamten Codebaumes zu Ist-Zustand und Bedarfen hinsichtlich GF in Hausarztpraxen dar, der zur Beantwortung der Fragestellung dieses Artikels relevant ist. Zur Auswertung nutzten wir die Software MAXQDA (VERBI, Berlin) 2020. Die Darstellung der Studienmethodik und der Ergebnisse folgt der COREQ (Consolidated Criteria for Reporting Qualitative Research)-Checkliste [9].

Ergebnisse

Wir führten 21 Interviews mit 14 Hausärzt:innen und sieben MFA. Eigenschaften des Samples sind in Tab. 1 abgebildet. Die vorliegende Ergebnisdarstellung berücksichtigt die Aussagen beider Berufsgruppen, orientiert sich jedoch an den Themen, die in den MFA-Interviews identifiziert wurden, und ergänzt diese durch die hausärztliche Sichtweise.
Tab. 1
Charakteristika der Studienteilnehmer:innen
 
Hausärzt:innen
MFA
Anzahl Teilnehmer:innen
14
7
Davon Frauen
7
7
Davon Männer
7
0
Alter Median
(Min.; Max.)
56
(36; 65)
45
(22; 65)
Jahre Berufserfahrung in der HA-Praxis
(Min.; Max.)
18
(3; 37)
16
(2; 46)
Ø Dauer der Interviews (min)
(Min.; Max.)
37
(26; 45)
36
(25; 58)

Bedarfe erkennen als erste Kontaktperson

Ein Großteil der interviewten MFA gab an, in das Thema GF fest eingebunden zu sein. Insbesondere im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten am Empfang beschrieben sie, wie sie Bedarfe der Patient:innen für gesundheitsfördernde Maßnahmen erkennen, die ansonsten gegebenenfalls untergehen:
„Ich bin ja viel an der Anmeldung logischerweise, wenn ich gezielt merke, dass ein Patient Bedarf an einer gesundheitsfördernden Maßnahme hat, das wirklich auch zu erkennen. […] Das passiert nicht immer im Arztzimmer, weil die Patienten haben vielleicht ein ganz anderes Anliegen […] oder trauen sich nicht drüber zu sprechen. Also da ein bisschen feinfühlig zu sein und vielleicht das an den Arzt weiterzuleiten, […] das ist so meine Rolle.“ (MFA 16)
Zudem erzählten einige MFA, Patient:innen auf Vorsorgemaßnahmen wie Impfungen und Check-up-Untersuchungen hinzuweisen und sie zu motivieren, solche Angebote wahrzunehmen. Dieser Vorgang wurde meist als fest in bestehende Praxisstrukturen integriert beschrieben. Eine MFA sprach von einem routinierten Check, der insbesondere mit vielen Jahren Berufserfahrung wie ein „Automatismus“ laufe.
Auch ärztliche Interviewpartner:innen wiesen darauf hin, dass MFA in Bezug auf GF „im Alltäglichen irgendwie mit drin“ seien, indem sie Patient:innen „rausfiltern“ und routiniert auf Angebote hinweisen – oft im Rahmen der Tätigkeiten am Empfang oder während Begleituntersuchungen.
Um ihnen das Unterbreiten von passenden Angeboten zu erleichtern, äußerten einige MFA Bedarf nach einer gut zu navigierenden Übersicht zu Angeboten der GF wie beispielsweise Impfleistungen. Das Thema Übersichtlichkeit spielte auch im Hinblick auf Bedarfe bei Informationsmaterialien eine wichtige Rolle.

Organisation und Terminvergabe

Ein weiteres wichtiges Aufgabengebiet, von dem die interviewten MFA hinsichtlich GF berichteten, waren die Organisation und Vergabe von Terminen. Neben der Einschätzung, wie dringlich ein Anliegen sei, gaben sie auch an, Patient:innen an wiederkehrende Termine wie Disease-Management-Programme (DMPs) zu erinnern:
„Dann fragen wir auch immer, wir haben ja die DMPs, da rufen wir ja auch alle Patienten jedes Quartal an und machen Termine, damit sie es nicht vergessen. Weil ohne uns würden sie nicht alle drei Monate kommen. […].“ (MFA 17)

Zusammenarbeit mit Hausärzt:innen

Viele MFA sahen eine ihrer wesentlichen Zuständigkeiten innerhalb des Praxisteams darin, Auffälligkeiten an Hausärzt:innen zu kommunizieren. Dies geschieht aus Zeitgründen oft über Einträge ins Praxisverwaltungssystem, wenn am Empfang bestimmte Aspekte auffallen, die überprüft werden sollten:
„Die Patientin sitzt vor einem, zieht schwer Luft, […] Und dann haben wir halt das dem entsprechenden Arzt […] reingeschrieben. Ich sage das immer deshalb, ‚reingeschrieben‘, weil wir mehr über unser System arbeiten, schreibtechnisch, als wir mündlich teilweise kommunizieren.“ (MFA 22)
Einige Ärzt:innen gaben an, dass MFA in Aktivitäten der GF wenig eingebunden seien. Diese Einschätzung wurde häufiger von Ärzt:innen als von den MFA selbst geäußert.

Durchführung gesundheitsfördernder Maßnahmen

Einzelne MFA gaben in den Interviews an, gesundheitsfördernde Maßnahmen wie Impfungen und Anamnesen vor Check-ups selbst vorzunehmen. In einigen Praxen führten sie auch Schulungen durch, beispielsweise im Rahmen von DMPs, was häufig an eine Form von Weiterqualifizierung wie „Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis“ (VerAH) gebunden ist:
„Also die DMPs werden von einer unserer VERAHs, NäPas, durchgeführt mit Zusammenarbeit von einem Arzt. […] Und gerade bei COPD, Asthma, da wird das auch sehr gerne von den Patienten angenommen, weil natürlich sich auch die Wartezeiten da erheblich verbessern. […]“ (MFA 01)
Auch Ärzt:innen berichteten davon, dass MFA bei der Durchführung solcher Untersuchungen oft ein Vertrauensverhältnis zu den Patient:innen aufbauen, auf dessen Basis sie GF aktiv ansprechen und das die Offenheit der Patient:innen erhöhen könne:
„Also die Ebene zwischen Patient und MFA, also der Unterschied, […] der ist ja kleiner für den Patienten, da öffnet er sich eher mal als beim Arzt. Beim Arzt haben die Patienten ja dann immer doch so eine Scheu so ein bisschen. Ja. Von daher können da die MFAs schon einen wichtigen Teil auch mittragen.“ (Hausarzt 04)
Mehrere MFA äußerten Interesse, intensiver in die Durchführung gesundheitsfördernder Maßnahmen eingebunden zu werden, beispielsweise über eine eigene Gesundheitssprechstunde oder die Durchführung von Schulungen. Einige der interviewten Ärzt:innen reagierten hinsichtlich einer weiteren Einbindung der MFA jedoch gehemmter, was sie hauptsächlich damit begründeten, dass MFA mit administrativen Tätigkeiten bereits zu ausgelastet seien:
„Na ja, die können viel machen, aber die sind zeitlich, muss man einfach sagen, zeitlich mit dem Bürokratieaufwand mehr als gebunden. […] Da fehlt es einfach an auch gegenfinanzierter Manpower.“ (Hausarzt 11)
Das Problem begrenzter Ressourcen äußerte sich auch im generellen Bedarf nach mehr Zeit und Geld für GF, den sowohl MFA als auch Ärzt:innen in den Interviews hervorhoben. Lediglich eine MFA gab an, dass sie es für sinnvoll halte, wenn MFA aus Kapazitätsgründen ihre Zuständigkeiten hinsichtlich GF nicht erweitern.

Diskussion

Die Position der MFA am Empfang stellt sich in den Aussagen unserer Interviewpartner:innen als besonders relevant dar, weil hier viele der Aufgaben zusammenlaufen, die MFA hinsichtlich GF übernehmen: Sie sind nicht nur die erste Ansprechperson für die Patient:innen, sondern nehmen auch im Hinblick auf die Praxisorganisation eine bedeutsame Funktion ein, da sie hier Bedarfe der Patient:innen erkennen und an Ärzt:innen kommunizieren. Dieses „Filtern“ durch die MFA wird auch von Ärzt:innen geschätzt und insbesondere von MFA mit zunehmender Berufserfahrung routiniert ausgeübt. Hierfür gibt es jedoch keine offizielle Anleitung oder Empfehlungen, vielmehr agieren MFA nach ihrer Intuition – ein Verhalten, das auch bei Pflegepersonal im klinischen Sektor im Umgang mit Patient:innen eine Rolle spielt und Entscheidungsprozesse treffsicher unterstützen kann [10]. Entsprechend könnte in weiteren Forschungsprojekten mit MFA gemeinsam erarbeitet werden, wie GF bereits am Empfang effizient durch sie adressiert werden und in welchem Umfang ihre Einbindung erweitert werden kann. Im Hinblick auf Themen der GF wie beispielsweise Impfberatung gibt es bereits Studien, die zeigen, dass eine Betreuung der Patient:innen durch MFA gut angenommen wird [11, 12]. Zudem gibt es Hinweise, dass eine Delegation von Tätigkeiten sich nicht nur positiv auf die Versorgung der Patient:innen auswirkt, sondern auch die eigene Arbeitszufriedenheit der MFA erhöhen kann, was in weiterführender Forschung berücksichtigt werden sollte [1315]. Wie eine Studie zur Gesundheitsförderung von ambulanten Pflegekräften zeigt, können beispielsweise zielgruppenspezifische Maßnahmen im Setting hilfreich sein, um den negativen Effekten stressiger Arbeitsbedingungen auf das Gesundheitsverhalten der Mitarbeitenden entgegenzuwirken [16].
Die ärztliche Einschätzung der MFA-Tätigkeiten deckte sich in vielen Punkten mit der Selbstbeschreibung der MFA einer aktiven, partnerschaftlichen Zusammenarbeit, in der MFA wichtige Informationen an Ärzt:innen weitergeben. Einige MFA können sich jedoch eine weitere Einbindung in Aktivitäten der GF über Kompetenzerweiterung vorstellen – ein Punkt, an dem insbesondere Ärzt:innen aufgrund fehlender Kapazitäten der MFA Bedenken äußerten. Solche Hemmnisse zeigen sich auch in anderen Bereichen, beispielsweise hinsichtlich der Einbindung von MFA in die Koordination von Studien in der Hausarztpraxis [17]. Neben einer zeitaufwendigen Kompetenzerweiterung über Weiterbildungen gibt es jedoch auch niedrigschwellige Möglichkeiten, MFA in ihrer organisatorischen und beratenden Funktion hinsichtlich GF zu unterstützen: So könnte eine schnell zu navigierende Informationsübersicht MFA darin unterstützen, Patient:innen, bei denen sie Bedarf für gesundheitsfördernde Maßnahmen erkannt haben, effizient auf Angebote hinzuweisen, ohne ihre Ressourcen zu überlasten. Mit diesem Anspruch wurden im Anschluss an die Interviews in „Innovationsworkshops“ gemeinsam mit MFA und Ärzt:innen Interventionsansätze zur Weitergabe von Informationen zu GF entwickelt und priorisiert, die unter Beachtung der begrenzten Ressourcen im Praxisteam zum Einsatz kommen können. Diese sollen dann im weiteren Verlauf des Projekts durchgeführt und evaluiert werden.

Stärken und Limitationen

Eine Stärke dieser Studie besteht darin, dass in den Interviews sowohl die Perspektive von Ärzt:innen als auch von MFA abgebildet werden konnte. Damit konnte eine von uns identifizierte Forschungslücke in der wissenschaftlichen Literatur hinsichtlich der Rolle von MFA bei GF und Prävention in Deutschland näher beleuchtet werden. Allerdings meldeten sich bei der Rekrutierung weniger MFA zurück, weswegen die Anzahl der interviewten MFA geringer ist. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass das Thema GF bisher stärker bei den Ärzt:innen angesiedelt ist, wie auch die Interviewergebnisse widerspiegeln.
Dadurch, dass wir keine einheitliche Definition von GF vorgaben, wurde möglicherweise von einigen Tätigkeiten nicht berichtet, die offiziell in den Bereich GF fallen, aber von einigen Interviewten nicht mit dem Thema assoziiert wurden, oder Tätigkeiten beschrieben, die per definitionem nicht dem Bereich GF zugeordnet werden. Dadurch konnten wir jedoch Erkenntnisse hinsichtlich der eigenen Assoziationen der Interviewten mit GF in ihrem Praxisalltag gewinnen.

Fazit für die Praxis

MFA übernehmen hinsichtlich GF wichtige organisatorische Tätigkeiten wie beispielsweise die Terminvergabe, können aber in ihrer Funktion als erste Ansprechpartner:innen auch die Hausarztpraxis als gesundheitsförderndes Setting mitprägen. Weitere Forschung könnte sich darauf konzentrieren, wie das Adressieren von Themen der GF gegenüber Patient:innen durch MFA, beispielsweise am Empfang und während Begleituntersuchungen, weiter ausgebaut werden kann, ohne die Ressourcen der MFA zu überlasten. Hierbei sollten auch Patientenpräferenzen berücksichtigt werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Gerber, D. Schütze, M. Dieckelmann, A. Siebenhofer und J. Engler geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine interventionellen Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Metadaten
Titel
Gesundheitsförderung in der Hausarztpraxis – eine qualitative Studie zur Rolle der Medizinischen Fachangestellten
verfasst von
Meike Gerber, M. A.
Dania Schütze
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Publikationsdatum
14.08.2023
Verlag
Springer Medizin
Schlagwörter
Pflege
Allgemeinmedizin
Erschienen in
Zeitschrift für Allgemeinmedizin / Ausgabe 6/2023
Print ISSN: 1433-6251
Elektronische ISSN: 1439-9229
DOI
https://doi.org/10.1007/s44266-023-00101-8

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