Die okuläre Toxoplasmose (OT) ist die häufigste Infektion des hinteren Augenabschnittes [
9]. Während in einigen europäischen Ländern eine sinkende Seroprävalenz für Infektionen mit
Toxoplasma (
T.)
gondii beobachtet wird, kann dies für Deutschland nicht bestätigt werden. Zwei in den letzten Jahren erschienene Untersuchungen zeigen eine weiterhin hohe, altersabhängige „Durchseuchung“ mit regionalen Unterschieden und hohem Behandlungsbedarf [
8,
20]. Obwohl die OT ein wichtiges klinisches Krankheitsbild mit hoher Morbidität ist, besteht kein Konsens über das diagnostische und therapeutische Vorgehen [
18,
19]. Selbst unter „Uveitisspezialisten“ kann nicht von einem „Goldstandard“ im Management der OT ausgegangen werden. Um ein besseres Verständnis im aktuellen Umgang mit Diagnostik und Therapie der OT zu erhalten, haben wir eine Umfrage unter den Mitgliedern der Sektion Uveitis der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) durchgeführt. Da viele Infektionen der Netzhaut auch von Retinologen betreut werden, wurde die Umfrage auf die Kollegen der Deutschen Retinologischen Gesellschaft (RG) ausgeweitet. Eine in vielen Punkten übereinstimmende Erhebung war 2007 bereits unter den Mitgliedern der Sektion Uveitis durchgeführt worden [
18]. Die vorliegende Untersuchung wurde deshalb so angelegt, dass die Erhebungen von 2007 und 2021 bezüglich Diagnostik und Therapie der OT verglichen werden konnten. Gleichzeitig interessierte die Gegenüberstellung der Ergebnisse von Retinologen und „Uveitisspezialisten“.
Material und Methoden
An die Mitglieder der Sektion Uveitis der DOG (n = 98, Rücklaufquote: 24 %) und der RG (n = 388, Rücklaufquote: 7 %) wurde ein Online-Erhebungsbogen verschickt. Einziges Eingangskriterium für die Teilnahme an der Umfrage war die regelmäßige Betreuung von Patienten mit OT. Die Fragen konzentrierten sich auf die persönlichen diagnostischen und therapeutischen Vorgehensweisen. Zur weitergehenden Evaluation des klinischen Vorgehens wurden zudem 3 konkrete Patientenbeispiele mit klinischen Abbildungen in die Umfrage eingeschlossen.
Um tätigkeitsspezifische Merkmale der Kollegen in die Analyse einbeziehen zu können, wurde zunächst nach Art der Tätigkeit (Praxis, Klinik, universitäre Einrichtung) und Zahl der jährlich behandelten Uveitispatienten gefragt. Zum diagnostischen Vorgehen wurden gezielt Angaben zur Indikation serologischer Untersuchungen und weiterführender Diagnostik, insbesondere Analysen von Kammerwasser und Glaskörper bei unterschiedlichen klinischen Manifestationen erbeten. Dies erschien von besonderem Interesse, da in Europa eine invasive Diagnostik häufiger als in anderen Teilen der Welt erfolgt.
Bezüglich der Behandlung von OT-Patienten wurde nach den bevorzugt eingesetzten Wirkstoffen und dem Gebrauch von Kortikosteroiden gefragt. Dabei wurden Angaben zur präferierten Therapie und deren Dauer eingeschlossen. Weitere Fragen betrafen die Abhängigkeit der Indikation zur Antibiotika- und Steroidbehandlung von der Größe und Lage der Läsion und der Ausprägung der Glaskörperinfiltration.
Wie bei der ersten Befragung im Jahr 2007, an der 29 AÄ teilnahmen, wurden 3 konkrete Patientenbeispiele mit Fundusabbildungen eingeschlossen. Dies betrifft den typischen Befund bei einem immunkompetenten erwachsenen Patienten mit akuter, peripherer OT, ein zweites Beispiel eine vergleichbare Situation, aber bei einem immuninkompetenten Patienten, das dritte Beispiel zeigt die Situation eines immunkompetenten Patienten mit visusbedrohender parafovealer Läsion (identisches Patientenbild zu 2007). Basierend auf diesen Kasuistiken, wurden die diagnostischen Maßnahmen und das therapeutische Vorgehen im Multiple-Choice-Format erfragt.
Die Ergebnisse der Umfrage wurden numerisch angegeben und in Prozent umgerechnet.
Diskussion
Das Thema Toxoplasmoseinfektion ist in Deutschland nach wie vor präsent und hat seine klinische Relevanz nicht verloren, da die Seroprävalenz und das Risiko für eine Toxoplasmoseinfektion in Deutschland im Unterschied zu anderen Ländern weiterhin hoch sind [
12]. Unsere Befragung zeigt, dass die OT weiterhin eine bedeutende Rolle bei den AÄ einnimmt. Mehr als die Hälfte der Kollegen sieht bis zu 20 OT-Patienten pro Jahr. Gegenüber der Erhebung von 2007 ist eine veränderte Verteilung der augenärztlichen Tätigkeitsbereiche erkennbar. Dies spiegelt eine allgemeine Tendenz in der Augenheilkunde von einer Betreuung komplexerer Probleme in den Schwerpunktzentren und tertiären Referenzzentren hin zu der allgemeinophthalmologischen Praxis wider.
Der klinische Befund wird als wichtigstes diagnostisches Kriterium gesehen
Unabhängig vom Tätigkeitsbereich wird von allen Kollegen der klinische Befund als wichtigstes diagnostisches Kriterium gesehen. Dies wird auch in einer kürzlich erschienenen Publikation des Internationalen Komitees zur Standardisierung der Uveitis-Nomenklatur (SUN) als entscheidend bei immunkompetenten Patienten gesehen [
17]. Das Vorhandensein einer bzw. mehrerer fokaler nekrotisierender Netzhautläsionen – typischerweise in der Nähe einer vorbestehenden chorioretinalen Narbe – erreicht eine diagnostische Spezifität von etwa 93 %. Fehlen diese Narben, wird nach SUN der Erregernachweis mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) aus Kammerwasser oder Glaskörper empfohlen.
Im Gegensatz dazu wurde von mehr als der Hälfte der hier Befragten eine serologische Diagnostik, aber nicht der Nachweis der Erreger-DNA (Desoxyribonukleinsäure) als zusätzliche diagnostische Maßnahme als sinnvoll angesehen. Dabei wird das Vorhandensein von IgM als klassischem serologischem Marker einer akuten Infektion herangezogen. Spezifisches
Toxoplasma-IgM kann nach Primärinfektion über einen langen Zeitraum persistieren, ohne letztlich den Zusammenhang mit der Uveitis zu beweisen. Andererseits ist die Toxoplasmose eine chronische, lebenslänglich persistierende Infektion, somit ist IgM nach Erholung von der Erstinfektion praktisch immer negativ. Deshalb bestätigt die Untersuchung von IgM die Diagnose kaum und ist nur bei Verdacht auf Primärinfektion mit Augenbeteiligung sinnvoll [
11]. Der Nachweis von
Toxoplasma-IgG bestätigt die Durchseuchung, aber weder das Vorhandensein von Antikörpern noch die Titerhöhe sind ausreichend spezifisch, um etwas über die Rolle der Toxoplasmose bei einer aktiven Uveitis auszusagen [
14]. Das Fehlen jeglicher serologischer, also auch IgG-Antikörper ist hingegen diagnostisch hilfreich, da es die Diagnose weitestgehend ausschließt [
15]. Interessanterweise gab bei einer internationalen Befragung der IOIS (International Ocular Inflammation Society) Toxoplasmosis-Study Group nur etwa ein Drittel der Befragten an, die Diagnose allein auf den klinischen Befund zu basieren, die Hälfte würde ebenfalls zusätzlich eine
T.-gondii-Serologie heranziehen [
21].
Seit 2007 hat eine deutliche Verschiebung zugunsten einer invasiven Diagnostik stattgefunden. Heute würde mehr als die Hälfte der Befragten die Diagnose auch bei immunkompetenten Patienten durch eine Kammerwasseranalyse bestätigen. Dies mag am leichteren Zugang zur spezifischen Diagnostik insbesondere dem DNA-Nachweis mittels PCR liegen. Andererseits gehören invasive, z. B. intravitreale Maßnahmen heute zur Routine. Demgegenüber hat sich die invasive Diagnostik bei immuninkompetenten Patienten seit 2007 als zentrale diagnostische Maßnahme mit Schwerpunkt auf der PCR-Diagnostik erhalten. Dies wird auch durch die neuen Empfehlungen der SUN-Gruppe unterstützt [
17]. Der begrenzte Zugang zur Antikörperdiagnostik in spezialisierten Laboren ist allerdings weiterhin als limitierend anzusehen. Dies liegt einerseits daran, dass die Erfahrung im Umgang mit den kleinen Volumina von Kammerwasser und Glaskörper in den meisten Laboren fehlt und eine automatisierte Analyse nicht zulässt. Andererseits gibt es bisher keinen kommerziellen Antikörpertest, der für Kammerwasser- und Glaskörperanalysen zertifiziert ist.
Seit 2007 hat eine deutliche Verschiebung zugunsten einer invasiven Diagnostik stattgefunden
Auch therapeutisch ergeben sich Veränderungen. Weltweit ist ein Trend zugunsten TMP/SMZ zu beobachten, insbesondere dort, wo viele Patienten und aggressive Verlaufsformen der OT betreut werden, wie z. B. in Südamerika [
4]. Ein eher verhaltener Trend in dieser Richtung ist auch in Deutschland im Vergleich zu 2007 zu beobachten. Dabei bietet die Kombinationstherapie mit TMP/SMX erhebliche Vorteile, insbesondere eine bessere gastrointestinale Verträglichkeit und eine deutlich geringere Toxizität als die klassische Therapie mit dem Folsäureantagonisten Pyrimethamin und Sulfamethoxazol (PY/SA) [
6,
22]. Da die Therapie über mindestens 4 bis 6 Wochen erfolgt, ist dies sicherlich von erheblicher Relevanz bezüglich Therapieadhärenz und Patientensicherheit [
1]. Um die Toxizität der PY/SA-Therapie zu reduzieren, wird die Gabe von Folinsäure empfohlen, welche die Parasiten nicht verstoffwechseln können, wohingegen die Gabe der sehr viel günstigeren Folsäure mit der Neutralisierung des Effektes von Pyrimethamin einhergeht und damit das Gegenteil des antiparasitären Effektes erreicht [
7]. Es lässt sich nur spekulieren, ob die für die Sicherstellung der Verträglichkeit erforderlichen Laborkontrollen bei der Kombination PY/SA (Blutbild, Leber- und Nierenwerte) systematisch spätestens alle 2 Wochen oder nur gelegentlich realisiert werden.
Weitgehend unverändert zu unserer Umfrage 2007 gaben 38 % der Kollegen an, auch immunkompetente Patienten mit peripherer, aktiver OT-Läsion zu behandeln. Wie unsere Patientenbeispiele zeigen, sehen nahezu alle Kollegen eine Indikation bei immuninkompetenten Patienten und Patienten mit akuter, visusbedrohender Läsion am hinteren Pol. Dies entspricht auch dem Konsens innerhalb der IOIS-Studiengruppe [
21]. Bei einem breiten Spektrum antimikrobieller Wirkstoffe zur Behandlung der aktiven Stadien der OT haben wir Verschiebungen von PY/SA hin zu Clindamycin bei der Mehrheit der befragten Kollegen der DOG gesehen, nicht aber bei den Kollegen der RG. Warum das so ist, lässt sich nur spekulieren. Sicherlich spielen aber nach wie vor der fehlende Nachweis der Antibiotikawirkung auf die funktionellen Endergebnisse und die Kenntnis der Verträglichkeit und der Nebenwirkungen eine entscheidende Rolle [
5,
7]. Andererseits sehen wir einen klaren Trend in Richtung einer zunehmenden Akzeptanz von TMP/SMZ.
Es wird immer wieder berichtet, dass einzelne Patienten auf die primär verordnete Therapie nicht adäquat ansprechen [
3,
5,
7]. Insofern scheint uns die Frage eines Therapiewechsels von Interesse. Bei fehlender Abgrenzungstendenz nach 4‑wöchiger Therapie würden mehr Kollegen der DOG-Sektion die Therapie wechseln im Vergleich zu Retinologen, die der eingesetzten Behandlung eher längerfristig eine Chance geben. Da die Befundbesserung im Einzelfall schwer zu beurteilen sein kann, sei auf Kontrollen der Läsion mittels optischer Kohärenztomographie (OCT) oder durch verkleinerte Skotome in der Perimetrie hingewiesen [
2,
10].
Das Konzept einer Sekundärprophylaxe ist inzwischen etabliert
Das Konzept einer Sekundärprophylaxe ist inzwischen etabliert [
6,
13]. Bei Patientenpopulationen mit hohem Rezidivrisiko kann eine 3‑mal wöchentliche Rezidivprophylaxe mit TMP/SMZ für 1 Jahr im Anschluss an die Akuttherapie Rezidive über mindestens 5 Jahre, also noch 4 Jahre nach Absetzen der Rezidivprophylaxe unterdrücken, während ein Viertel der Patienten ohne Sekundärprophylaxe Rezidive entwickelt [
6]. Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen unserer Umfrage 2021 wider. Der überwiegende Teil der befragten Kollegen setzt unter bestimmten Voraussetzungen eine langfristige präventive Behandlung ein. Kriterien dafür waren visusbedrohende Läsionen und ein rezidivierender Verlauf innerhalb von 2 Jahren nach akuter Manifestation. Als weitere indikative Faktoren sind Immunsuppression und Läsionsgröße bzw. junges Patientenalter angeführt. Alle Kollegen mit mehr als 200 Uveitispatienten pro Jahr setzen unter diesen Voraussetzungen eine Langzeittherapie mit TMP/SMZ ein. Zu Dauer und Dosierung der Sekundärprophylaxe wurde nicht eingehender gefragt. Im Rahmen der internationalen IOIS-Studiengruppe wurde eine Dauer der Präventivmaßnahmen zwischen 6 und 24 Monaten angegeben. Nur in Ausnahmefällen wird die intravitreale Injektion als therapeutische Option erwogen [
16]. Dies ist in Anbetracht der Pathophysiologie der Erkrankung sinnvoll und steht in Einklang mit vergleichbaren Erhebungen, die dies als selektives Verfahren ansehen [
3,
21].
Einschränkungen dieser Arbeit betreffen den Umfang der befragten Stichprobe sowie möglicherweise auch die Durchführung als elektronische Erhebung. Mitglieder der Sektion Uveitis und der RG repräsentieren allerdings vermutlich das Gros der AÄ in Deutschland, die OT-Patienten betreuen, und der Kommunikationsmodus in diesen Fachgesellschaften ist überwiegend elektronisch. Trotz dieser Einschränkungen gibt diese Befragung Einblick in das Management der OT in Deutschland und kann Ansätze für eine Verbesserung in der Versorgung dieser Patienten bieten.
Zusammenfassend spricht der Vergleich der Umfrageergebnisse von 2007 mit 2021 für eine zunehmende Sicherheit im Umgang mit dem Krankheitsbild der OT. Dass sich immer noch ein Großteil der Ophthalmologen in der Diagnostik auf das Vorhandensein von spezifischem Serum-IgM abstützt, das selbst bei akuter OT nur gelegentlich nachweisbar ist, zeigt, dass im Gegensatz zu der zunehmenden Bekanntheit des klinischen Bildes die Vertrautheit mit der Labordiagnostik noch optimiert werden kann.
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