Lernziele
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können Sie mindestens 3 Indikationen für die apparative Vestibularisdiagnostik benennen,
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sind Sie in der Lage, verschiedene Techniken anzuwenden, um die Kooperation Ihrer Patient:innen während der Untersuchungen zu verbessern,
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können Sie die Teiluntersuchungen einer apparativen Vestibularisprüfung in Abhängigkeit von den Komorbiditäten der Patient:innen auswählen,
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kennen Sie mögliche Ursachen für diskordante Befunde zwischen einzelnen vestibulären Tests,
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können Sie Ihren Patient:innen den Stellenwert von normwertigen Befunden der Vestibularisprüfung erläutern.
Hinführung zum Thema
Vestibuläre Untersuchungsmethode | Referenzen |
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Allgemeine Übersichtsarbeiten | |
Video-Kopfimpulstest (vHIT) | |
Vestibulär evozierte myogene Potenziale (VEMP) | |
Vibrationsinduzierter Nystagmus (VIN) |
Indikationsstellung
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Welche konkrete Frage soll mit der Untersuchung beantwortet werden?
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Welche Untersuchung ist hierfür am besten geeignet?
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Ändert sich durch das Ergebnis der Untersuchung die Diagnose oder die geplante Therapie?
Was kann Vestibularisdiagnostik?
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Lokalisation,
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Quantifizierung des Ausmaßes eines vestibulären Defizits,
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Beurteilung der Kompensation eines vestibulären Defizits,
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Beurteilung der Integrität der vestibulookulären und -spinalen Bahnen.
Was kann Vestibularisdiagnostik nicht?
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Vestibuläre Diagnosen stellen,
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Krankheitsempfinden, Einschränkungen im Alltag und Einfluss auf die Lebensqualität erfassen.
Eingeschränkte Kooperation der Patient:innen
Maßnahmen zur Förderung der Kooperation
Alternativen bei Undurchführbarkeit von Tests
Einfluss von Komorbiditäten auf die Wahl der Untersuchungsmethoden
Problem | Mögliche Lösung |
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vHIT: eingeschränkte Fixation des stationären Blickziels | Verwenden eines bewegten Blickziels (SHIMPs) |
Keine kalorische Prüfung möglich (z. B. wegen vegetativer Reaktion, Radikalhöhle, Trommelfellperforation) | vHIT: Quantifizierung der Funktion aller 6 Bogengänge |
VIN: Tonusdifferenz der beiden horizontalen Bogengänge (unkompensiert und kompensiert) | |
Drehstuhlpendelung: Tonusdifferenz der beiden horizontalen Bogengänge (nur unkompensiert) | |
Keine Registrierung des VOR möglich oder sinnvoll (z. B. mangelnde Kooperation, infantiler Nystagmus) | Vom VOR unabhängige Untersuchungen verwenden, z. B. VEMPs |
VEMPs: – Schallleitungsschwerhörigkeit – Lärmtrauma/Tinnitus/Hyperakusis | Knochenleitungs- statt Luftleitungs-VEMPs verwenden |
Untersuchung der Bogengangsfunktion
Untersuchung der Otolithenfunktion
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Keine zusätzlichen überschwelligen audiologischen Untersuchungen am gleichen Tag durchführen (z. B. Hirnstammaudiometrie, Stapediusreflexe).
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Expositionszeit so kurz wie möglich halten, insbesondere: Messung beenden, wenn sich durch zusätzliche Stimuli keine Veränderungen mehr im gemittelten Potenzial ergeben.
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Falls die Patient:innen während der Messung neu aufgetretene oder akut verstärkte Ohrsymptome angeben, wie Hörminderung, Tinnitus, Schwindel, Otalgie: Messung beenden und die Patient:innen nachbeobachten.
Auswertung
Diskordante Befunde
Mehrere Diagnosen
Stellenwert einzelner Befunde
Diagnostisch relevante Diskrepanzen
Bogengangsfunktion
Otolithenfunktion
Unauffällige Vestibularisprüfung
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Das vestibuläre Defizit liegt unter der Detektionsschwelle. Hier lohnt sich ggf. eine Wiederholung der Tests im weiteren Verlauf.
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Es liegt ein episodisches vestibuläres Syndrom mit normalen Befunden im attackenfreien Intervall vor. Die positive Botschaft für die Patient:innen ist hier: „Durch die Erkrankung ist kein dauerhafter Schaden an ihrem Gleichgewichtsorgan entstanden.“ Ist die Diagnose nach der Vestibularisdiagnostik im attackenfreien Intervall noch nicht klar, sollte ein vestibuläres „event monitoring“ durchgeführt werden (Details s. Teil 1: „Dokumentation der Befunde“).
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Es liegt eine funktionelle vestibuläre Störung vor, z. B. eine „persistent postural perceptual dizziness“ (PPPD). Hier ist es gerade das Wesen der Erkrankung, dass eine strukturelle Läsion nicht (mehr) nachweisen lässt. Das zugrunde liegende Krankheitskonzept wird sehr anschaulich erläutert bei Popkirov et al. sowie Staab [41, 42]. Generell wird empfohlen, die Begriffe „strukturell“ und „funktionell“ zu verwenden anstatt wie früher „organisch“ und „psychisch“.Schließlich sollte nochmals sorgfältig die Möglichkeit einer primär nichtvestibulären Störung (z. B. kardiovaskuläre Problematik, Polyneuropathie) erwogen und ggf. weiter abgeklärt werden.
Fazit für die Praxis
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Erst denken, dann spülen! Fragen Sie sich vor jeder apparativen Vestibularisprüfung, welche Frage Sie genau mit welchen Untersuchungen beantworten wollen.
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Bilden Sie ein „diagnostisches Team“ mit Ihren Patient:innen und dem medizinisch-technischem Fachpersonal.
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Wählen Sie die einzelnen Tests abhängig von der Kooperationsfähigkeit und den Komorbiditäten Ihrer Patient:innen aus.
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Sprechen Sie mit Ihren Patient:innen – vor, während und nach der Vestibularisprüfung.
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Sie sind nicht allein. Nutzen Sie jede Gelegenheit, „schwierige“ Untersuchungssituationen und Befunde mit Kolleg:innen zu diskutieren. Oft haben diese schon ähnliche Erfahrungen gemacht – und im besten Fall eine Lösung gefunden.