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Wilson-Syndrom

Verfasst von: Heike Kaltofen, Uta Emmig, Dierk A. Vagts und Peter Biro
Wilson-Syndrom.
Synonyme
Hepatolentikuläre Degeneration; Hepatozerebrale (neurohepatische) Degeneration; Kupferspeicherkrankheit; Linsenkern-Sy; Pseudosklerose; Westphal-von-Strümpell-Sy
Oberbegriffe
Enzymopathie, Kupferstoffwechselstörung, extrapyramidale Ss, Speicherkrankheiten (Thesaurismosen).
Organe/Organsysteme
Leber, Milz, ZNS, Haut, Knochen, Skelett.
Inzidenz
1:50.000 bis 1:200.000; häufige Erstmanifestation im 2.–3. Lebensjahrzehnt.
Ätiologie
Hereditär mit autosomal-rezessivem Erbgang. Mutation im ATP7B-Gen, welches für den Einbau von Kupfer in Zäruloplasmin und die Kupferausscheidung über die Gallenwege verantwortlich ist. Durch die Akkumulation von Kupfer entstehen degenerative Veränderungen vorwiegend in den Basalganglien und in der Leber. Symptomatik und Verlauf sind sehr variabel.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Hämochromatose, chronische Hepatitis, Leberzirrhosen anderer Genese, Parkinson-Sy, Pseudobulbärparalyse, Jakob-Creutzfeld-Sy, Minor-Sy, Ahornsirup-Krankheit, Alexander-Sy, Alpers-Sy, Gaucher-Sy, Mauriac-Sy, Hallervorden-Spatz-Sy, Heidenhain-Sy, Tyrosinose-Sy, Troisier-Hanot-Chauffard-Sy, Hunt-Sy III, Kuru-Sy, atypische Cholinesterase.

Symptome

Die hepatischen Symptome reichen von unspezifischer Transaminasenerhöhung, Hepatomegalie über akute Hepatitis, Leberzirrhose bis zum Leberversagen. Die fortgeschrittene hepatische Form zeigt Zeichen einer Leberinsuffizienz: Ikterus (Hyperbilirubinämie), portale Hypertension, Aszites, Ösophagusvarizen, gastrointestinale Blutungen, Hämolyse, Foetor hepaticus.
Extrapyramidal-motorische Symptome: Tremor, Rigidität, Gangstörung, Hypomimie, Sprachstörung, Palilalie. „Flügelschlagen“ der seitlich ausgestreckten Arme, Nystagmus, Störung des Muskeltonus (Muskelhypotonie, Kontrakturen), teils schwerwiegende psychische Veränderungen (Euphorie, Depression, Reizbarkeit, Enthemmung, Demenz).
Bronzefarbene Hautpigmentierung. Korneapigmentierung (Kayser-Fleischer-Ring), Nagelveränderungen (violette Lunula).
Labor
Zäruloplasmin (Caeruloplasmin) ist im Plasma erniedrigt (unter 20 mg/ml), Serum-, Harn- und Organkupfergehalt sind erhöht.
Vergesellschaftet mit
Splenomegalie, Katarakt, Osteoporose, Knochenzysten, Epilepsie, tubuläre Funktionsstörung der Niere, Nierenversagen, hämolytische Anämie, Muskelschwäche, selten Kardiomyopathie, Erregungsleitungsstörungen, Amenorrhoe.
Therapie
Diät, D-Penicillamin (Nebenwirkungen: Fieber, nephrotisches Sy, Anorexie, Granulozytopenie, Thrombozytopenie, Panzytopenie, Lymphadenopathie, Immunkomplexnephritis, Myasthenie), Zink, Trientine, Antioxidantien, bei akutem Leberversagen Dialyse, Plasmapherese, Lebertransplantation. Bei frühzeitigem Therapiebeginn ist die Lebenserwartung fast normal, bei Einstellung der Therapie erfolgt der Tod im Mittel nach 2,5 Jahren.

Anästhesierelevanz

Patienten mit fortgeschrittener Leberbeteiligung haben generell ein deutlich erhöhtes Anästhesierisiko (ASA-Klassen 3 und 4). Dies ist auf die Kombination von Faktoren wie Minderperfusion der Leber, sympathikoadrenerge Stimulation und ggf. metabolische bzw. toxische Belastung durch verzögert metabolisierte Anästhetika zurückzuführen.
Anästhesierfahrungen beim Wilson-Sy sind sehr spärlich dokumentiert, jedoch ist davon auszugehen, dass „leberschonende“ Verfahren Mittel der Wahl sind.
Wenn der Operationszeitpunkt beeinflussbar ist, sollte vorher eine Optimierung der Leberfunktion angestrebt werden. Diese besteht aus Restriktion der Kupferzufuhr (Diät), Verlaufskontrolle der Serumkupferspiegel und der Kupferausscheidung sowie Verbesserung der Gerinnungsfunktion.
Spezielle präoperative Abklärung
Breit angelegte Diagnostik der Leberfunktion, d. h. Leberenzyme (AST, ALT, γ-GT), biliäre Exkretion (Bilirubin) und Eiweißsynthese (Serumalbumin, ChE). Gerinnungsstatus, Thrombozytenzahl und -funktion, Thrombelastogramm, Blutbild, Elektrolytstatus, Nierenfunktion, Abdomensonographie, Serumkupferspiegel.
Wichtiges Monitoring
Abhängig vom Allgemeinzustand und Eingriff arterielle Blutdruckmessung, zentraler Venenkatheter, häufige Elektrolyt-, Blutzucker- und Blutgasanalysen, Säure-Basen-Status, Gerinnungswerte (v. a. hepatische Faktoren wie Quick-Wert, Fibrinogen), Thrombozytenzahl, Relaxometrie.
Vorgehen
Es sollten möglichst Anästhetika mit geringer Hepatotoxizität und geringer Beeinflussung von Leberperfusion und -oxygenation verwendet werden. Vorteilhaft ist eine balancierte Anästhesie mit Sevofluran oder Desfluran in Kombination mit Fentanyl, Sufentanil oder Remifentanil. Eine verlängerte Wirkung von Succinylcholin (Cholinesterasemangel) ist möglich. Die Einleitung einer Intubationsnarkose sollte wegen Verminderung des Kardiatonus im Sinne einer „rapid sequence“ erfolgen.
Bei Hyperaldosteronismus ist mit Hyponatriämie und Hypervolämie zu rechnen. Andererseits ist nach Aszitesverlust auch ein sehr hoher Volumenbedarf möglich. Blutbestandteile, Eiweiß und Gerinnungsfaktoren müssen ggf. substituiert werden. Hohe Beatmungsdrücke beeinträchtigen die Leberperfusion. Eine gute Oxygenation ist extrem wichtig für die Erhaltung der restlichen Leberfunktion.
Eine vorbestehende neurologische Symptomatik kann sich perioperativ verschlechtern. Vorsicht ist geboten beim Einsatz von Medikamenten mit hepatischem Metabolismus (z. B. Benzodiazepine).
Regionalanästhesieverfahren sind empfohlen, vorausgesetzt die Blutgerinnung ist dafür ausreichend.
Cave
Hochdosierte Inhalationsanästhetika (v. a. Halothan, auch Enfluran), rückenmarknahe Regionalanästhesieverfahren bei Koagulopathie, Magensonden bei Ösophagusvarizen, Aggravierung der Leberinsuffizienz bei Minderperfusion und Hypoxie.
Weiterführende Literatur
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Baum VC, O’Flaherty JE (2007) Anesthesia for genetic, metabolic, and dysmorphic syndromes of childhood, 2. Aufl. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, S 172–174
Bhaskar Rao P, Singh N, Koshi GS (2013) Perioperative management of Wilson disease for therapeutic abortion: a report. Minerva Anestesiol 79:1200–1201
Fleisher LA (2005) Anesthesia and uncommon diseases, 5. Aufl. Saunders, Philadelphia, S 172–174
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