Interdisziplinäres Management einer kombinierten vaskulären Malformation der Orbita
verfasst von:
Ivana Mehlhorn, Jens Heichel, Walter Wohlgemuth, Martin Skalej, Victor Izaguirre, Linda Dießel, Ulrich Kisser, Arne Viestenz, Ricarda Wienrich
Ivana Mehlhorn und Jens Heichel teilen sich die Erstautorenschaft.
×
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
Hintergrund
Vaskuläre Malformationen sind seltene angeborene Fehlbildungen des menschlichen Gefäßsystems (arterielle, venöse, kapillare oder lymphatische Gefäße) und zeigen ein klinisch inhomogenes Bild. Die morphogenetischen Defekte können durch einen genetischen Faktor, ein pränatales unerwünschtes Ereignis oder möglicherweise durch einen postnatalen Auslöser zusätzlich zu einem bereits bestehenden genetischen Defekt verursacht werden [1‐3]. Zur Einteilung wird international die Klassifikation der ISSVA (International Society for the Study of Vascular Anomalies, Rev. 2018) empfohlen [4].
Vaskuläre Malformationen der Orbita (VMO) manifestieren sich häufig bereits im Kindesalter durch eine periorbitale Schwellung und zunehmenden, vorwiegend schmerzlosen Exophthalmus mit Motilitätsstörungen und Bulbusverlagerung. Je nach Klinik und Entität besteht die Therapie in volumenreduzierenden Maßnahmen mit Teilresektion, Sklerosierung, Embolisation, Lasertherapie und pharmakologischer Therapie [1, 2].
Anzeige
Anamnese
Ein 36-jähriger männlicher Patient klagte über eine seit 7 Tagen zunehmende Drucksymptomatik und Exophthalmus des rechten Auges. Anamnestisch war ein seit Geburt bekanntes Lymphangiom der rechten Orbita im 2. und 3. Lebensjahr operativ ex domo behandelt worden. Es ließen sich keine auslösenden Faktoren für die plötzliche Größenzunahme des Befundes (Infektion, Valsalva-Manöver, Trauma o. Ä.) feststellen.
Befunde bei Erstvorstellung
Bei vorliegender Expositionskeratopathie erfolgte extern eine Magnetresonanztomographie (MRT) mit Beschreibung einer ausgedehnten VMO mit intrakranieller Ausdehnung. Aufgrund einer Optikuskompression wurden eine laterale Kanthotomie und laterale knöcherne Dekompression durchgeführt.
Der Patient wurde in unserer Klinik akut vorgestellt. Der Visus betrug rechts Handbewegungen, links 1,0. Der Augendruck lag rechts palpatorisch bei 25 mm Hg, links applanatorisch bei 15 mm Hg. Die Hertel-Exophthalmometrie zeigte Werte von rechts 35 mm und links 14 mm. Weder aktiver noch passiver Lidschluss war rechts möglich, die Motilität war subtotal aufgehoben. Es bestand eine totale Erosio corneae bei afferentem Pupillendefizit und erheblich gestauten epibulbären Gefäßen mit massiver Chemosis (Abb. 1a, b). Fundoskopisch zeigten sich stark gestaute Venen, die Papille war randscharf und vital, die Netzhaut zentral anliegend.
×
Mittels digitaler Subtraktionsangiographie konnten Gefäßzuläufe aus der A. carotis externa und interna mit Drainage über die V. ophthalmica superior und inferior nachgewiesen werden (Abb. 1c). Zudem bestand ein erheblicher lymphatischer Anteil (Abb. 1d).
Anzeige
Therapie und Verlauf
Im Rahmen des interdisziplinären Tumorboards wurde zunächst eine rein interventionelle Therapiestrategie favorisiert. Durch mehrfache Embolisationen konnte eine Volumenreduktion herbeigeführt werden (Exophthalmusreduktion von 9 mm).
Zur Hornhautprotektion erfolgten mehrfach Amnionmembrantransplantationen und individualisierte Uhrglasverbände (Abb. 2). Zur Anwendung kam ein individualisierter Verband aus steriler Folie, hergestellt aus einer Tupferverpackung, da herkömmliche auf dem Markt erhältliche Uhrglasverbände eine zu flache Kurvatur aufweisen und damit zu einem Kontakt zur Hornhaut geführt hätten (Abb. 2b, c).
×
Ein systemischer Off-label-Therapieversuch mit dem selektiven Serin‑/Threonin-Kinase-mTOR-Inhibitor (Sirolimus) wurde wegen Unverträglichkeit (Fieber, Schüttelfrost) beendet.
Bei bestehender Inoperabilität wurde aufgrund erneuter Volumenzunahme eine Radiotherapie eingeleitet. Diese erfolgte fraktioniert mit Einzeldosen von je 2 Gy (Gesamtdosis 40 Gy). Hierunter ließ sich eine suffiziente Befundstabilisierung mit adäquater Volumenreduktion herbeiführen (Exophthalmusreduktion von weiteren 13 mm; Abb. 3). Der Visus lag 6 Monate nach der Radiatio bei 0,3 rechts. Eine temporale Kanthopexie mit marginaler Tarsorrhaphie verbesserte den Lidschluss (Abb. 3c, d).
×
Diskussion
Angeborene Gefäßanomalien werden derzeit zu den komplexesten Gefäßerkrankungen gezählt. Dazu gehören vaskuläre Tumoren, die durch eine verstärkte Proliferation von Endothelzellen gekennzeichnet sind, und vaskuläre Fehlbildungen mit zugrunde liegenden mesenchymalen und angiogenetischen Störungen [1, 2]. Sie werden in Abhängigkeit von den beteiligten Gefäßen in einfache oder kombinierte Formen unterteilt. Zu den einfachen Defekten gehören die kapillären, lymphatischen, venösen und arteriovenösen Malformationen sowie die arteriovenösen Fisteln. Bei kombinierten Ausprägungen sind mehrere verschiedene Gefäßsysteme betroffen [2, 3]. Nach ihrem Erscheinungsbild sind venöse Fehlbildungen die häufigsten Vertreter (70 %), gefolgt von lymphatischen Fehlbildungen (12 %), arteriovenösen Fehlbildungen (8 %), kombinierten Fehlbildungssyndromen (6 %) und kapillären Fehlbildungen (4 %) [2].
Venöse Malformationen sind eine der häufigsten benignen Raumforderungen der Orbita beim Erwachsenen (5–7 % aller orbitalen Raumforderungen) [1]. Kombinierte venöse-lymphatische Fehlbildungen machen insgesamt 3–4 % aller orbitalen Läsionen aus. Sie sind in der Regel nach der Geburt klinisch inapparent. Üblicherweise weisen sie ein dem Körperwachstum proportionales, langsames Wachstum auf und werden in der Mehrzahl der Fälle im ersten Lebensjahrzehnt klinisch auffällig. Als Folge von Infektionen und Traumata sowie Hormonumstellungen während der Pubertät oder einer Schwangerschaft ist eine akute Größenzunahme möglich. Arteriovenöse Malformationen sind selten und bestehen aus einem Konglomerat von arteriovenösen Shunts. Die drainierenden Venen dehnen sich deshalb aus. Zusätzlich können Aneurysmen der zuführenden arteriellen Gefäße entstehen [2, 3].
Zu den wichtigsten Symptomen gehören Proptosis, Bulbusverschiebung, Hämatome oder tiefe orbitale Schmerzen. Die Raumforderung, die Verschiebung des Augapfels und die sichtbare konjunktivale Läsion können zu erheblichen kosmetischen Deformierungen und damit einhergehenden psychosozialen Problemen führen [1, 5].
Blutungen treten bei mehr als der Hälfte dieser Patienten auf, können multipel sein und zu einer Optikusneuropathie führen [1, 5]. Paradoxerweise treten Hämorrhagien sowohl bei angeborenen als auch bei erworbenen orbitalen Gefäßpathologien viel häufiger bei venösen oder venös-lymphatischen Anomalien (früher „Lymphangiom“) mit niedrigem Druck als bei Hochdruck- (oder Hochfluss‑)Fehlbildungen oder Fisteln auf. Blutungen aus orbitalen „Lymphangiomen“ beginnen oft in der Kindheit und scheinen mit zunehmendem Alter seltener zu werden – vermutlich aufgrund einer perivaskulären Fibrose in Bereichen früherer Blutungen. Sehr selten kann eine Blutung im Erwachsenenalter aus einer verborgenen Venenanomalie entstehen. Spontane orbitale Blutungen (selten auch aus normalen orbitalen Gefäßen) können bei extremen Valsalva-Manövern (Entbindung oder bei Extremsportarten, wie z. B. Kraftsport, oder nach extremer venöser Stauung durch schweres Erbrechen oder Strangulation) auftreten. Des Weiteren können die Blutungen durch ein Trauma (z. B. Orbitafrakturen) entstehen. Spontane Blutungen sind jedoch ebenso möglich [6].
Anzeige
In unserem Fall ließ sich anamnestisch, klinisch oder diagnostisch keine auslösende Ursache für die spontane Einblutung mit rascher Größenzunahme des Befundes feststellen. Die möglichen Trigger wie Valsalva-Manöver oder Trauma wurden vom Patienten verneint. Ebenfalls die langjährige oder unkontrollierte arterielle Hypertonie oder ein Diabetes mellitus, die zur Entstehung einer fragilen mikrovaskulären Architektur führen können [6], war bei unserem Patienten nicht vorhanden. Einnahme von oralen Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern wurde ebenso nicht angegeben.
Die Therapie umfasst nichtchirurgische Maßnahmen und chirurgische Interventionen. Die nichtchirurgische Behandlung kann die Verwendung von verschiedenen Sklerosierungstherapeutika beinhalten. Zu diesen zählen u. a. Natriummorrhuat, Picibanil (OK-432), Doxycyclin, Bleomycin, Polyvinylalkohol, Ethylen-Vinyl-Alkohol-Copolimer, Natriumtetradecylsulfat, Essigsäure und hypertone Salzlösung [5].
Anhand mehrerer Fälle konnte ein positiver Effekt einer systemischen Off-label-Therapie mit Rapamycin (Sirolimus) auf ausgedehnte lymphatische Malformationen gezeigt werden.
Rapamycin ist ein spezifischer Inhibitor des „mammalian target of rapamycin“ (mTOR), einer Serin/Threonin-Kinase, die ein wichtiger Faktor bei der Regulierung der Angiogenese, Zellwachstum und -proliferation ist. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Behandlung mit Sirolimus das Potenzial hat, die Symptome zu verbessern, Schmerzen zu lindern und lymphatische Malformationen zu verkleinern. Jedoch wurden auch unerwünschte Nebenwirkungen beschrieben (u. a. toxische Wirkungen auf Blut/Knochenmark, assoziierte Infektionen der Atemwege, Hyperlipidämie und Neutropenie) [7].
Anzeige
Die operative Behandlung der Gefäßanomalien umfasst die konventionelle Chirurgie und endovaskuläre Interventionen mit dem Ziel einer vollständigen Resektion oder Blockade des Nidus. Allerdings werden Rezidivraten nach der Resektion von bis zu 80 % berichtet [8]. Eine unvollständige Behandlung kann aggressives Nachwachsen induzieren und somit die weitere Behandlung erschweren [3].
Bei unserem Patienten handelte es sich um eine kombinierte VMO mit einem erheblichen lymphatischen Anteil. Zusätzlich lagen Aneurysmen der zuführenden arteriellen Gefäße vor. Daher wurde eine rein interventionelle Therapiestrategie primär favorisiert. Eine minimal-invasive Behandlung mittels Bleomycin-Sklerosierung wurde erwogen, jedoch aufgrund hirnnaher zystischer Tumoranteile mit einem erhöhten Blutungsrisiko nicht durchgeführt. Da eine permanente und ausreichende Befundbesserung durch erneute Devaskularisation nicht zu erwarten war, wurde eine Radiatio eingeleitet.
Aufgrund der Expositionskeratopathie erfolgten Nachbeobachtungsintervalle im 4‑wöchigen Rhythmus. Bei jeder Kontrolluntersuchung wurden folgende Befunde erhoben: Visus, Lidmotorik mit Lidschluss, Hornhautsensibilität, Bulbusmotilität, Exophthalmometrie, Tensio, Vorderabschnitts- und Fundusbefund. Additiv wurde eine optische Kohärenztomographie des vorderen Augenabschnittes durchgeführt. Bei stabiler Hornhautoberfläche wurden die Intervalle im weiteren Verlauf auf 3 Monate verlängert. Nach Abschluss der Radiotherapie wurde eine cMRT durchgeführt, die eine deutliche Regredienz des Befundes zeigte (Abb. 3e).
Die stereotaktische Strahlentherapie wird mit guter Wirksamkeit zur Therapie der kavernösen venösen Malformation der Orbitaspitze angewendet [9]. In wenigen Fallberichten bei arteriovenösen Malformationen im Kopf-Hals-Bereich wurde bei unvollständiger Embolisation eine Radiotherapie angeschlossen. Hier wurden ebenso positive Effekte mit deutlicher Verringerung der Größe des Nidus, Schmerz- sowie Blutungsreduktion beschrieben [10, 11].
Anzeige
Fazit für die Praxis
VMO stellen eine potenziell zur Erblindung führende Krankheit dar und erfordern ein interdisziplinäres multimodales Management.
Expositionskeratopathie und Optikusneuropathie sind die wichtigsten visusbedrohenden Komplikationen.
Die endovaskuläre Therapie mit oder ohne chirurgische Resektion ist die häufigste berichtete Behandlung.
Eine kombinierte Anwendung von Embolisation und additiver Radiatio kann eine Befundstabilisierung bei VMO bewirken.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
I. Mehlhorn, J. Heichel, W. Wohlgemuth, M. Skalej, V. Izaguirre, L. Dießel, U. Kisser, A. Viestenz und R. Wienrich geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von der Autorin keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
In der topischen Prävention der akuten Radiodermatitis werden Zubereitungen mit Dexpanthenol oder Harnstoff von deutschsprachigen Fachkreisen in der Radioonkologie am häufigsten empfohlen und als am wirksamsten bewertet. Bei der Behandlung der strahlenbedingten Hautschäden liegen Topika mit Dexpanthenol oder Kortikosteroide vorn [1].
Einer klinischen Studie zufolge wendet nur etwa die Hälfte der Ekzem-Patient:innen ihre topische Therapie mit Kortikosteroiden wie verordnet an. Darüber hinaus nahm die Adhärenz im Zeitverlauf weiter ab. Bei einer gleichzeitig applizierten barrierestabilisierenden Basiscreme blieb die Anwendungsfrequenz dagegen über die Zeit stabil [1].
Bepanthen® Wund- und Heilsalbe wird heute wie bei der Einführung vor 70 Jahren erfolgreich bei kleinen Alltagsverletzungen eingesetzt. Moderne Forschung – Untersuchungen an Hautmodellen, Genexpressionsanalysen und klinische Studien – schafft darüber hinaus Evidenz für neue Anwendungsgebiete. So kann die Dexpanthenol-haltige Salbe heute z.B. zur Nachbehandlung einer Lasertherapie bei aktinischer Keratose oder Tattoo-Entfernung eingesetzt werden. Erfahren Sie hier mehr über moderne Forschung zu Bepanthen.