Schneller Wirkeintritt und lang anhaltende Effekte mit Eculizumab

Autoantikörper gegen den nikotinergen Acetylcholinrezeptor (AChR) spielen eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Myasthenia gravis. Die Autoantikörper-vermittelte Aktivierung des Komplementsystems führt letztendlich zur Zerstörung der neuromuskulären Endplatte. Für Patienten mit refraktärer generalisierter AChR-positiver Myasthenia gravis steht mit dem humanisierten monoklonalen Antikörper Eculizumab eine zugelassene Therapie zur Verfügung, die spezifisch den terminalen Teil der Komplementkaskade hemmt und der unkontrollierten Komplementaktivierung entgegenwirkt. In der Phase-III-REGAIN-Studie zeigte Eculizumab eine schnell einsetzende Wirkung, die auch in der offenen Extensionsstudie über 130 Wochen anhielt. Charakteristisch für die Myasthenia gravis sind strukturelle Veränderungen an der neuromuskulären Endplatte, berichtete Prof. Dr. Stephan Kröger, München. Für etwa 85 % der Fälle von generalisierter Myasthenia gravis sind Autoantikörper gegen den nikotinergen AChR verantwortlich [1]. Die Anti-AChR-Antikörper gehören zur Klasse der IgG1- und IgG3- Immunglobuline und lösen eine unkontrollierte, chronische Aktivierung des Komplementsystems aus [2]. In Folge dessen kommt es zum Abbau der AChR-Rezeptoren und schließlich zur Zerstörung der neuromuskulären Endplatte [2]. „Die synaptischen Falten werden flacher, der synaptische Spalt wird breiter und die Dichte der Acetylcholin-Rezeptoren sinkt“, so Kröger. Eine für optimale motorische Aktivität ausreichende Transmission von Acetylcholin ist dadurch nicht mehr gewährleistet. Das Nervenaktionspotenzial kann somit nicht immer in eine Muskelkontraktion übergeleitet werden. Klinisch äußert sich diese Veränderung in rascher Ermüdbarkeit der Willkürmuskulatur. Das zum angeborenen Immunsystem gehörende Komplementsystem ermöglicht eine schnelle Eliminierung von Pathogenen, Zellen und Zelldebris [3, 4]. Bei der AChR-Antikörper-positiven Myasthenia gravis führt der im terminalen Komplementsystem aufgebaute Membranangriffkomplex (MAK) zur Lyse der postsynaptischen Membran und Zerstörung der Endplattenarchitektur, berichtete Dr. Christoph Q. Schmidt, Ulm. Neben der Myasthenia gravis gibt es noch eine Reihe weiterer komplementvermittelter Erkrankungen, wie u.a. die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) oder das atypische hämolytischurämische Syndrom (aHUS) [5]. Terminale Komplementkaskade inhibiert Der humanisierte monoklonale IgG2/4k-Antikörper Eculizumab (Soliris®) ist ein spezifischer Inhibitor des Komplementsystems [4]. „Eculizumab greift in die terminale Komplementkaskade ein, bindet an das Komplementprotein C5 und schaltet dadurch den terminalen Pathway aus“, erläuterte Dr. Benjamin Berger, Freiburg. Somit wird die Bildung des MAK verhindert [6]. Auf die proximalen Komponenten des Komplementsystems, die eine wesentliche Rolle bei der Opsonierung von Mikroorganismen und der Elimination von Immunkomplexen spielen, hat die Substanz hingegen keinen Einfluss. Eculizumab wird bereits seit Jahren erfolgreich zur Therapie von PNH und aHUS bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen angewendet [6]. Seit August 2017 ist Eculizumab als bisher einzige komplementbasierte Therapie zur Behandlung von Erwachsenen mit therapierefraktärer, generalisierter Anti-AChR-Antikörper-positiver Myasthenia gravis zugelassen [6]. Etwa 10 % bis 15 % der Patienten mit generalisierter Myasthenia gravis sprechen auf eine Standardtherapie mit Glukokortikosteroiden und Azathioprin nicht adäquat an oder haben intolerable therapieassoziierte Nebenwirkungen und gelten als therapierefraktär [7], so Berger. Sie haben im Vergleich zu nicht refraktären Patienten einen größeren Leidensdruck und ein höheres Risiko für rezidivierende myasthene Krisen, Exazerbationen, Hospitalisierungen und intensivmedizinische Betreuung [8]. Abb. 1 REGAIN-Studie und OLE (Extensionsstudie): Veränderung des MG-ADL-Gesamtwerts im Verlauf der 26-wöchigen REGAIN-Studie und OLE bis Woche 130; modifiziert nach [10] Springer Medizin Verlag GmbH × Klinischer Nutzen belegt Die Sicherheit und Wirksamkeit von Eculizumab werden durch die Ergebnisse der doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studie REGAIN belegt [9]. Die Patienten (n=125) hatten eine refraktäre generalisierte Anti-AChR-positive Myasthenia gravis (Myasthenia Gravis Foundation of America [MGFA]-Klasse II bis IV) und waren in ihrer Lebensqualität stark beeinträchtigt (Myasthenia Gravis-Activities of Daily Living [MG-ADL]-Score ≥6). In der REGAIN-Studie wurden sie zusätzlich zu ihrer bisherigen Basistherapie auf Eculizumab (n=62) oder Placebo (n=63) eingestellt. In der Induktionsphase (Woche 1–4) betrug die Dosis von Eculizumab 900mg pro Woche; ab Woche 5 wurde eine Erhaltungsdosis von 1.200mg alle 14 Tage verabreicht [9]. Nach Abschluss der 26-wöchigen placebokontrollierten Doppelblindphase wurden alle Patienten im Rahmen einer offenen Anschlussstudie (Open-Label Extension, OLE) mit Eculizumab (1.200mg alle 2 Wochen) behandelt. Ziel von OLE war die Untersuchung der Langzeitwirksamkeit und -sicherheit der Behandlung mit dem monoklonalen Antikörper. Daten einer Interimsanalyse der Extensionsstudie (n=117) über 130 Wochen liegen vor [10]. Die Patienten, die seit Einschluss in die REGAIN-Studie durchgehend Eculizumab erhalten hatten (n=56), konnten die bis Woche 26 in der Kernstudie erreichten Therapieeffekte auch weiterhin aufrechterhalten. Bei den Patienten der Placebo-Gruppe, die erst zu Beginn der Extensionsstudie auf Eculizumab umgestellt wurden (n=61), zeigten sich ebenfalls rasche und anhaltende Verbesserungen, u. a. im MG-ADL-Gesamtwert (Abb. 1). Der Anteil der Patienten mit Exazerbationen (einschließlich myasthener Krisen oder schwerer Symptomverschlechterung) hat sich im Verlauf der Langzeitbehandlung signifikant um 75,2 % im Vergleich zu dem Jahr vor Beginn der REGAIN-Studie verringert (p<0,0001). Mehr als jeder zweite Patient (56 %) erreichte minimale Manifestationen oder sogar eine Remission [10]. Bei den Patienten, die von Placebo auf Eculizumab umgestellt wurden, sank die Exazerbationsrate um 65 % im Vergleich zu der Rate, die in der REGAIN-Studie beobachtet wurde (p<0,0061) (Abb. 2). Der Bedarf an Notfallmedikamenten wurde nach der Umstellung von Placebo auf Eculizumab um 66 % reduziert (p<0,0105). Insgesamt bestätigen die Langzeitdaten, dass der komplementbindende monoklonale Antikörper eine anhaltende Stabilisierung des Krankheitsverlaufs bei therapierefraktärer generalisierter AChR-Antikörper-positiven Myasthenia gravis ermöglicht [10]. Abb. 2 Reduktion der Exazerbationsraten in REGAIN und OLE; modifiziert nach [10] Springer Medizin Verlag GmbH × Schnelle und anhaltende Wirkung Klinisch bedeutsam ist zudem der rasche Wirkungseintritt von Eculizumab. Relevante Effekte zeigten sich in Bezug auf den MG-ADL-Score bereits nach einer Woche und beim QMG nach zwei Wochen (p<0,02) gegenüber Placebo. „Verglichen mit anderen Therapien bei Myasthenia gravis sind das beeindruckende Ergebnisse“, unterstrich Berger. „Immunsuppressiva brauchen Monate bis zu einem Jahr bis sie wirken. Eine Thymektomie entfaltet ihren Effekt erst nach mehreren Jahren.“ Der stärkste Behandlungseffekt war in der REGAIN-Studie nach 12 Wochen zu erwarten und hielt bis zum Ende der Studie an [9]. Auch langfristig gut verträglich Sowohl in der REGAIN-Studie als auch in der Anschlussstudie wies Eculizumab ein günstiges Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil auf [9, 10]. Häufigste unerwünschte Wirkungen waren Kopfschmerzen, Atemwegsinfekte und Nasopharyngitis. Aufgrund seines spezifischen Wirkmechanismus erhöht der Komplementinhibitor aber das Risiko für Infektionen mit bekapselten Bakterien. In der REGAIN-Studie und in den Interimsdaten wurden keine Meningokokkeninfektion berichtet. „Sobald mit einer Therapie mit Eculizumab begonnen werden soll, sollte primär der Impfstatus geklärt werden“, riet Berger. Die Patienten müssen mindestens zwei Wochen vor Verabreichung der ersten Eculizumab-Dosis gemäß den nationalen Impfempfehlungen gegen Meningokokken (Serogruppen A, C, Y, W135 und B) geimpft werden [6]. In dringenden Fällen, d. h. bei Patienten, die weniger als zwei Wochen nach der Impfung mit Eculizumab behandelt werden oder bei denen eine Impfung nicht möglich ist, muss zur Überbrückung eine adäquate Antibiotikaprophylaxe durchgeführt werden [6]. Darüber hinaus empfiehlt Berger, die Patienten auch gegen andere bekapselte Bakterien, wie Pneumokokken und Haemophilus influencae, zu impfen. Insgesamt weist Eculizumab in der Behandlung von Patienten mit Myasthenia gravis eine überzeugende Datenlage auf. Der gezielte Eingriff in das terminale Komplementsystem ist mit einer lang anhaltenden Effektivität und einem günstigen Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil verbunden. Gerade den schwer beeinträchtigten therapierefraktären Patienten kann die schnell einsetzende und anhaltende Wirksamkeit der Substanz neue Perspektiven bieten. Literatur Melzer N et al., J Neurol 2016, 263:1473–1494 Conti-Fine B et al., J Clin Invest 2011, 116:2843–2854 Ricklin D et al., Nat Immunol 2010, 11:785–797 Dunkelberger JR, Song WC, Cell Res 2010, 20:34–50 Ricklin D, Lambris JD, Nat Biotech 2007, 25:1265–1275 Fachinformation Soliris®; Stand: September 2018 Silvestri NJ, Wolfe GI, J Clin Neuromusc Dis 2014, 15:167–178 Engel-Nitz NM et al., Muscle Nerve 2018, Feb 27. doi: 10.1002/mus.26114 Howard JF et al., Lancet Neurol 2017, 16:976–986 Muppidi S et al., Muscle Nerve 2019, Feb 14. doi: 10.1002/mus.26447 Impressum "Therapie der Myasthenia gravis– Status quo und Perspektive“ Satellitensymposium anlässlich des DGKN-Kongresses Freiburg, 28. März 2019 Berichterstattung: Abdol A. Ameri, Weidenstetten Artikel gedruckt in: „Der Nervenarzt“ Band 90, Heft 6, Juni 2019 Mit freundlicher Unterstützung der Alexion Pharma Germany GmbH, München Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Teresa Windelen Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. 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