Am 1. April 2017, lange vor der Corona-Pandemie oder Paclitaxel-Kontroverse, startete in Deutschland die IDOMENEO-Studie zur Qualitätsentwicklung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK), die mit knapp 3,6 Mio. € durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert wurde [
1]. Im Zentrum dieses multimethodalen und mehrstufigen Projekts stand die Entwicklung der datenschutzkonformen Registerplattform GermanVasc® zur Durchführung einer prospektiven Registerstudie an etwa 35 deutschen Gefäßzentren (clinicaltrials.gov NCT03098290, Deutsches Register Klinischer Studien DRKS00014649) [
2]. Allerdings gehörten auch zahlreiche weitere Ziele zu diesem Projekt, etwa die Entwicklung geeigneter Qualitätsindikatoren in der PAVK-Behandlung und die umfassende retrospektive Auswertung von Routinedaten der Sozialversicherungsträger (BARMER) sowie deren wechselseitige Validierung [
3]. Versorgungsforschungsprojekte in der PAVK-Behandlung werden im Allgemeinen als sehr komplex angesehen, weil die Interaktionen zwischen Grunderkrankung, Komorbiditäten und Therapiealternativen sowie deren Einfluss auf langfristige Behandlungsergebnisse von zahlreichen Störfaktoren und Verzerrungen beeinflusst werden. Obwohl mehr als 1 Mio. Patient*innen in der deutschlandweiten stationären Versorgung von einer PAVK betroffen sind und etwa 300.000 invasive Prozeduren pro Jahr durchgeführt werden, ist die Evidenzbasis im Vergleich zu anderen Volkskrankheiten noch unzureichend. Während der vierjährigen Förderdauer wurden umfangreiche Reformen des europäischen Datenschutz- und Medizinproduktrechts eingeführt, was die Erreichung vieler Projektziele zusätzlich zu einer Herausforderung gemacht hat. Am 31. März 2021 endet die Förderdauer des Konsortialprojekts: Zeit für eine Abrechnung zum neuen Jahr!
Zum Stichtag der letzten erstattungsfähigen Datenerhebung im GermanVasc®-Register (31. Dezember 2020) sind knapp 5600 konsekutiv revaskularisierte Patient*innen mit symptomatischer PAVK an etwa 35 interdisziplinären Gefäßzentren eingeschlossen worden. Daraus ergibt sich, dass nur etwa 56 % der ursprünglich geplanten 10.000 Patient*innen rekrutiert werden konnten. Auch wenn mit umfassenden Berechnungen und in zahlreichen Diskussionen mit dem Projektträger festgestellt werden konnte, dass alle projektrelevanten Analysen die notwendige statistische Power und valide Ergebnisse aufweisen werden, bleibt dieser Aspekt ein Makel, der auf ein grundsätzliches Problem von registerbasierten Beobachtungsstudien hinweist: Der Einschluss von Patient*innen und die Datenerhebung ist im klinischen Alltag nur von wenigen Einrichtungen sicher zu bewerkstelligen. Datendokumentation ist Arbeit und die Aufwandsentschädigung, ob in finanzieller oder anderer Form, kommt nicht immer bei denjenigen an, die diesen Kraftakt bewältigen! Und so ist diese Feststellung immerhin auch ein Ergebnis des Gesamtprojekts. Die gefäßmedizinische Gemeinschaft ist nun kollegial gefragt, Lösungen für eine pragmatische und dennoch valide Datenerhebung zu entwickeln. Geht man über diesen Teilaspekt hinweg, kann sich die Datensammlung allerdings sehen lassen. Die prospektive Kohorte folgte einem klaren Protokoll, das a priori festgelegt und bei den einschlägigen Studienregistern publiziert wurde (Clinicaltrials.gov, DRKS). Die Studiendaten sind dabei mehrstufig automatisch sowie auch extern unabhängig qualitätsgesichert worden. Alleine diese Aufgabe hat Fördermittel in Höhe von etwa 250.000 € gekostet.
An der Entwicklung und konsequenten Weiterentwicklung der GermanVasc®-Registerplattform waren durchgehend bis zu 20 Wissenschaftler*innen und Expert*innen aus den Bereichen Datenschutz, Rechtswissenschaften, Informatik und Gefäßmedizin beteiligt. Addiert man die relevanten Personal- und Sachkosten, so wurden mehr als 1 Mio. € in diese Plattform investiert, die den Prinzipien von „Privacy by Design“ folgt [
2]. Die technischen und logistischen Konzepte sowie Patienteneinwilligungen wurden dabei nicht nur fachrechtlich, sondern auch aus ethischen Gesichtspunkten durch etwa 20 Ethikkommissionen in Deutschland positiv begutachtet (Hauptvotum der Ärztekammer Hamburg: PV5691). Auch diese Projektschritte waren keinesfalls kostenfrei: Mehr als 50.000 € für Prüfungen, Gebühren und Amendments sind entstanden. Eine Tatsache, die auch Antragsteller und Förderer von deutschlandweiten Registerprojekten berücksichtigen sollten. Neben den zentralen Verschlüsselungs- und Rollenkonzepten konnten Funktionen zur Erreichung der Mehrsprachigkeit und Geräteunabhängigkeit, zum externen Datenmonitoring und zur Bearbeitung der Erhebungsformulare implementiert werden. Noch während der aktuellen Förderdauer wird die einheitliche Erfassung von Medizinprodukten eingerichtet, was Anfang 2020 in zwei Device-Register-Pilotstudien getestet werden soll. Damit besteht mit dem GermanVasc®-Register im Jahr der endgültigen Einführung der EU Medical Device Regulation (MDR) eine rechtssichere und etablierte Plattform zur gesetzkonformen Evaluation von Hochrisiko-Medizinprodukten im kardiovaskulären Bereich. Gleichzeitig findet die mehrsprachige Nutzung bereits in Luxemburg und Rumänien statt, was beweist, dass die im Projekt entwickelten Techniklösungen auch Europäischen Standards genügen können.
Wesentlich für die Gestaltung der Registererhebung war auch die Identifizierung und Entwicklung geeigneter Qualitätsindikatoren. Demnach konnten im Rahmen der IDOMENEO-Studie anhand einer systematischen Literaturarbeit und mehrerer modifizierter Delphi-Konsensusverfahren diejenigen Ergebnisqualitätsindikatoren festgelegt werden, die sowohl klinisch relevant als auch praktikabel erscheinen [
4,
5]. Durch ein erweitertes internationales Expertengremium wurden dabei auch alle weiteren Erhebungsparameter konsentiert, um die prospektive Datensammlung mit den bestehenden globalen Registerdaten vergleichbar zu machen [
6,
7]. Es hat sich allerdings gezeigt, dass der zeitliche Aufwand der Datenerhebung deren pragmatische Umsetzung substanziell beeinflusst, weshalb nach der Förderdauer eine Einschränkung der Erhebungsparameter auf wesentliche Variablen unumgänglich ist. Auch das ist ein Ergebnis des Projekts.
Insgesamt konnten im Rahmen des Konsortialprojekts etwa 18 wissenschaftliche Originalarbeiten, darunter 10 Routinedatenanalysen, sowie 13 Übersichtsarbeiten und zahlreiche Editorials veröffentlicht werden. Mit etwa 40 Veröffentlichungen zählt das Projekt dabei zu den publikationsaktivsten Innovationsfond-Projekten der ersten Welle. Die umfassenden Analysen der prospektiven Registerdaten werden in 2021 zu zahlreichen weiteren Publikationen führen, wobei auch eine Bereitstellung vollständig anonymisierter Datensätze für die teilnehmenden Zentren im Qualitätsentwicklungsprojekt geplant ist. Durch die Open-Access-Gebühren, die leider nur anteilig durch die Sachmittel getragen werden konnten, sollen die Ergebnisse möglichst barrierefrei zugänglich sein. Nur der freie Zugang zu Forschungsdaten und die gemeinsame Arbeit damit erhöht letztlich die Evidenzbasis.
Um auf die Eingangsfrage im Titel zurückzukommen: Was hat IDOMENEO für die PAVK-Behandlung gebracht? Weiterhin besteht das Fundament der gültigen Praxisleitlinien überwiegend aus Konsensusempfehlungen ohne empirische Datenbasis. Die Ergebnisse der gegenwärtig rekrutierenden Studien, z. B. BEST-CLI [
8], SWEDEPAD [
9] oder BASIL‑3 [
10], werden mit Spannung erwartet. Deren Generalisierbarkeit bzw. Übertragbarkeit auf die deutsche Versorgungssituation mit ihren Besonderheiten ist allerdings nicht zweifelsfrei geklärt. IDOMENEO konnte zahlreiche Hypothesen generieren und eine Datenbasis zusammenführen, die zur Beantwortung von ausgewählten Fragen geeignet ist. Es haben sich beispielsweise deutliche Hinweise auf eine Ungleichbehandlung zwischen den Geschlechtern ergeben, wobei ein Nachteil der Arzneimittelversorgung bei Frauen einem Vorteil bei den Langzeitergebnissen nach offen-chirurgischer und endovaskulärer Revaskularisation entgegensteht. Die aktuell kontrovers diskutierte Assoziation zwischen Paclitaxel-beschichteten Medizinprodukten und erhöhter Sterblichkeit ließ sich in zahlreichen gematchten Routinedatenanalysen und etwa 50 komplexen Sensitivitätsanalysen nicht bestätigen, was den Wert von Beobachtungsstudien in der Qualitätssicherung unterstreicht. Die Veränderung der Risikoprofile, Prävalenzen und Inzidenzen bei der PAVK-Behandlung in Deutschland geben Anlass zu weiteren Studien, um eine patientenzentrierte leitliniengerechte Versorgung sicherzustellen. Letztlich sollten wir unsere Behandlung einheitlich und objektivierbar mit geeigneten Qualitätsindikatoren messen. Ein registerbasiertes Benchmarking, wie es im GermanVasc®-Register implementiert wurde, ist dabei ein mögliches Werkzeug. Die Erhebung und Verarbeitung patientenberichteter Endpunkte (PRO) stellt dabei allerdings weiterhin die Achillesferse von Registern dar. Während andere internationale Register bereits Surveys eingeführt haben, findet bisher eine sehr heterogene Nutzung der zahlreichen verfügbaren Fragebögen zu PROs statt [
11]. In der IDOMENEO-Studie war die Rückmeldequote der Patient*innen insgesamt unbefriedigend. Weniger als die Hälfte der Patient*innen wollten demnach den Fragebogen zur Lebensqualität ausfüllen. Im Rahmen der Folgestudie RABATT, die algorithmenbasierte Risikoscores entwickeln und testen soll, findet daher eine Weiterentwicklung des GermanVasc®-Registers unter enger Abstimmung mit den beteiligten Informatikern und Rechtswissenschaftlern statt. Hierbei wird auch eine rechtskonforme Anbindung mobiler Applikationen und Wearables getestet, um den Dokumentationsaufwand einfacher zu gestalten und eine patientenzentrierte nutzerfreundliche Erhebung zu realisieren [
12].
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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