Enttäuschende Daten zu BTK-Hemmern bei MS

In zwei Phase-3-Studien konnte Evobrutinib die Schubrate und die Behinderungsprogression nicht stärker bremsen als Teriflunomid, und aus einer Phase-2-Studie ergeben sich keine Hinweise, dass Tolebrutinib chronisch aktive Läsionen im ZNS eindämmt. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Bisherige krankheitsmodifizierende Therapien (DMT) können zwar die Krankheitsaktivität bei MS enorm herunterfahren, etwa indem sie peripher B-Zellen depletieren. Sie haben aber wenig Einfluss auf die chronische Neuroinflammation, welche die schwelende und schubunabhängige Neurodegeneration vorantreibt. Hier sollen Hemmstoffe der Brutontyrosinkinase (BTK) ansetzen. So ist die BTK-Expression besonders in periläsionalen Mikrogliazellen erhöht – die BTK-Hemmung soll die Aktivität der proinflammatorischen Mikroglia dämpfen. In einer Phase-2-Studie mit 267 MS-Kranken konnte Evobrutinib von Merck die Zahl der Gadolinium-anreichernden (Gd+) Läsionen um bis zu 70% senken. Eine Auswertung deutete zudem auf eine Reduktion des Neurodegenerationsmarkers Leichtkettenneurofilament (NFL) im Serum von behandelten Personen. Phase-2b-Daten für den selektiven und irreversiblen BTK-Hemmer Tolebrutinib von Sanofi wiesen in eine ähnliche Richtung: Mit dem BTK-Hemmer ließ sich die Zahl der neuen Gd+-Läsionen im Vergleich zu Placebo um bis zu 85%, die Zahl der neuen oder sich vergrößernder T2-Läsionen um fast 90% reduzieren. Letztlich müssen sich die neuen MS-Therapeutika aber mit den vorhandenen DMT messen, und hier sieht es nicht ganz so gut aus: Auf einer Tagung der amerikanischen MS-Gesellschaft ACTRIMS in West Palm Beach in den USA wurden erstmals Phase-3-Daten von zwei randomisiert-kontrollierten Vergleichsstudien vorgestellt. In den beiden Studien gab es mit Evobrutinib letztlich keine größeren Unterschiede bei der Wirksamkeit gegenüber Teriflunomid, aber Hinweise auf eine erhöhte Lebertoxizität. Keine größeren Unterschiede An den beiden Studien evolutionRMS 1 und evolutionRMS 2 nahmen jeweils rund 1100 Personen mit schubförmiger MS teil. Beide Studien hatten ein vergleichbares Design und schlossen ähnliche Patientinnen und Patienten ein: Der mittlere EDSS-Wert erreichte 2,7, zwei Drittel waren Frauen, drei Viertel stammten aus Osteuropa, etwa zwei Drittel hatten bislang noch keine DMT erhalten. In beiden Untersuchungen erhielt jeweils die Hälfte den BTK-Hemmer (45 mg zweimal täglich) oder die Standarddosis Teriflunomid (14 mg/d). Primärer Endpunkt war die jährliche Schubrate. Behandelt wurde im Mittel über rund zwei Jahre hinweg, maximal über 156 Wochen. In evolutionRMS 1 erreichten die MS-Kranken mit Evobrutinib eine annualisierte Schubrate von 0,15 und mit Teriflunomid von 0,14. In der zweiten Studie betrug die Rate 0,11 in beiden Gruppen. Größere Unterschiede kristallisierten sich auch für die sekundären Endpunkte nicht heraus: Sowohl die Zahl der Gd+-Läsionen als auch die der neuen oder sich vergrößernden T2-Läsionen war mit beiden Medikamenten vergleichbar, ebenso wenig deuteten sich Differenzen beim Anteil mit bestätigter Behinderungsprogression nach zwölf und 24 Wochen an oder beim Anteil mit einer EDSS-Verbesserung nach 24 Wochen (9,1% mit Evobrutinib, 10,7% mit Teriflunomid). Bei sämtlichen Endpunkten gab es letztlich keine signifikanten Differenzen. Interessant ist aber der Verlauf der NFL-Werte. In evolutionRMS 2 waren diese nach einer vorab definierten Periode von zwölf Wochen signifikant niedriger als unter Teriflunomid, nicht aber in der Zwillingsstudie. Über die meiste Zeit hinweg ergaben die Messungen jedoch in beiden Studien mit dem BTK-Hemmer niedrigere NFL-Werte als unter Teriflunomid, erläuterte Professor Xavier Montalban vom MS-Zentrum CEMCAT in Barcelona auf der Tagung. Dies könnte zumindest ein Hinweis darauf sein, dass der BTK-Hemmer die Neuroinflammation etwas stärker bremst. Einzelne Nebenwirkungen traten in beiden Gruppen meist ähnlich häufig auf – mit einer relevanten Ausnahme: ALT- oder AST-Werte fünf- oder mehrfach über dem oberen Normwert entwickelten mit Evobrutinib 6,4%, mit Teriflunomid 4,3%. Die Ergebnisse seien enttäuschend, so Montalban. Offensichtlich sei Evobrutinib nicht wirksamer als Teriflunomid, vielleicht aber etwas toxischer. Er hoffe, dass Studien mit weiteren BTK-Hemmern überzeugendere Ergebnisse lieferten. Kein Effekt auf „paramagnetic rim lesions“ Möglicherweise hätten die Studienautoren weniger auf die Schubrate und mehr auf chronisch aktive Läsionen im ZNS schauen sollen, schließlich sollen BTK-Hemmer primär dort wirken. Forschende um Dr. María Inés Gaitán von den National Institutes of Health in Bethesda haben genau das getan: Sie schauten bei zwölf MS-Kranken, die bereits eine B-Zell-depletierende DMT erhielten, nach der Persistenz sogenannter „paramagnetic rim lesions“ (PRL). Sie gelten als Marker für eine kompartimentalisierte chronisch schwelende Entzündung. Genau solche Entzündungen sollten die BTK-Hemmer eindämmen. Sieben MS-Kranke erhielten zusätzlich Tolebrutinib, die übrigen fünf nicht. In beiden Gruppen zusammen wurden 125 PRL detektiert und im 7-Tesla-MRT überwacht: Auch hier ist das Ergebnis ernüchternd: In keiner der beiden Gruppen verschwand im Laufe von 48 Wochen auch nur eine PRL. Quelle: Americas Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ACTRIMS) Forum 2024; West Palm Beach 29.2.–2.3.2024. LB1: Late-Breaking Research & Clinical Trials

Die Highlights vom Kongress des American College of Cardiology 2024

Springer Medizin

Enttäuschende Daten zu BTK-Hemmern bei MS

Weiterführende Themen

Passend zum Thema

Services in der MS-Therapie für Neurolog*innen und Betroffene