Lupusnephritis erkennen und behandeln

Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine heterogene Autoimmunerkrankung, die aufgrund der komplexen Klinik und Pathogenese diagnostisch wie therapeutisch eine Herausforderung darstellt [1, 2]. Zu den schwerwiegendsten Organmanifestationen des SLE zählt die Lupusnephritis (LN) [3]. Sie betrifft die Patient*innen häufig bereits im jüngeren Alter [4] und ist nicht selten auch die führende Manifestation bei einer SLE-Erstdiagnose. Trotz des verbesserten pathogenetischen Verständnisses und der erweiterten Therapiemöglichkeiten bleibt die LN eine bedeutende Ursache für die SLE-assoziierte Morbidität und Mortalität. Um weitere Verbesserungen für Patient*innen mit SLE erreichen zu können, kommt es vor allem auf eine frühzeitige Diagnostik sowie den unverzüglichen Beginn einer konsequenten Behandlung an [3]. Der SLE ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung, die nahezu jedes Organsystem betreffen kann. Sehr häufig liegt eine Beteiligung der Nieren vor. Die Prävalenz ist bei Frauen höher als bei Männern; am höchsten ist die weibliche Prädominanz im reproduktiven Alter [5]. In Deutschland wird die Prävalenz auf 37,3–47,4 Fälle pro 100.000 Personen geschätzt [6]. Weltweit wurden tendenziell steigende Prävalenzen berichtet – möglicherweise durch Zunahme der Risikofaktoren oder durch bessere Diagnostik [6, 7]. Aktuelle Kriterien zur Klassifikation der SLE SLE-Manifestationen treten häufig multisystemisch auf, können sich aber auch auf wenige bzw. einzelne Organe beschränken [2]. Begleitend können serologisch multiple Autoantikörper nachgewiesen werden, die sich zu Immunkomplexen formieren und ablagern [1]. Die Diagnose und Klassifikation als SLE erfolgt auf klinischer und serologischer Basis [8]. „Mit den im Jahr 2019 eingeführten aktualisierten Klassifikationskriterien der EULAR (European League Against Rheumatism) und des ACR (American College of Rheumatology) kann ein SLE früher erkannt werden“, erklärte Prof. Dr. Julia Weinmann-Menke, Leiterin des Schwerpunktes Nephrologie und der SLE-Ambulanz, Universitätsklinik Mainz: Sofern das obligate Eintrittskriterium durch einen ANA (antinukleäre Antikörper)-positiven Befund erfüllt ist (ANA-Titer ≥1:80 auf Hep-2-Zellen oder ein äquivalenter positiver Test), erlaubt eine neue Gewichtung der klinischen Einzelkriterien die Klassifizierung als SLE – mit mindestens einem klinischen Kriterium und einem Gesamtscore von ≥10 Punkten [1]. Eine besonders hohe Gewichtung erfährt die bioptisch gesicherte renale Beteiligung: Tritt neben einem positiven ANA-Titer eine LN der Klasse III/IV auf (mit 10 Punkten gewichtet), bedarf es zur Klassifikation des SLE keiner weiteren klinischen oder laborchemischen Befunde mehr. Die Kriterien müssen nicht gleichzeitig auftreten. Als SLE-Kriterium darf ein Kriterium aber nur dann gewertet werden, wenn es keine andere wahrscheinlichere Erklärung gibt [1, 8]. Indikation zur initialen Nierenbiopsie „Der Anteil der Patient*innen mit SLE, die an einer LN erkranken und im Zuge der chronischen Nierenerkrankung dialysepflichtig werden, ist hoch”, gab Weinmann-Menke zu bedenken: In einer Anfangskohorte wiesen 38% der Patient*innen eine LN auf – oftmals schon zum Zeitpunkt ihrer Erstvorstellung [4]. Zu den am häufigsten berichteten Anzeichen einer renalen Beteiligung bei SLE zählten Proteinurie, mikroskopische Hämaturie und eine eingeschränkte Nierenfunktion [5]. Einem systematischen Literaturreview zufolge führte die LN bei etwa 20% der Patient*innen innerhalb von 10 Jahren zu einer terminalen Niereninsuffizienz [9]. Der Verlust der Nierenfunktion geht beim SLE mit einer deutlichen Steigerung der Mortalität und einer Verkürzung der Lebenserwartung einher [10]. Um eine möglichst normale Lebenserwartung zu erreichen, spiele die Früherkennung und Behandlung der LN somit eine große Rolle, so Weinmann-Menke. Als initialer Hinweisgeber könne der Urinbefund dienen (Proteinurie, Hämaturie, Kreatinin). Gemäß einem Diagnose-Algorithmus sind jegliche Anzeichen auf eine renale Manifestation Anlass für eine initiale Nierenbiopsie, um die Diagnose einer LN histologisch absichern oder weitere Abklärungsmaßnahmen einleiten zu können [3]. Therapiealgorithmus in den proliferativen LN-Klassen Die Behandlung mit Hydroxychloroquin (HCQ) ist auch für Patient*innen mit LN Bestandteil der Basistherapie. Zusätzlich sollten die Patient*innen ACE(angiotensin-converting enzyme)-Hemmer oder AT1-(Angiotensin-II-Rezeptor Subtyp 1)-Antagonisten zur Reduktion der Proteinurie, Blutdruckeinstellung und Nephroprotektion erhalten. Abhängig vom Ergebnis der Nierenbiopsie erfolgt eine spezifische immunsuppressive Therapie der LN, beginnend mit einer Induktions- und gefolgt von einer Erhaltungsphase zur Vermeidung neuer Krankheitsschübe [11]. Weinmann-Menke wies darauf hin, dass bei den LN-Klassen III/IV zur Remissionsinduktion eine kombinierte Induktionstherapie empfohlen wird (z.B. nach dem Euro-Lupus-Schema), die aus Glukokortikoiden (GC) und entweder intravenösem Cyclophosphamid (CYC) oder Mycophenolatmofetil (MMF) besteht [11]. Dabei habe sich eine niedrigdosierte CYC-Therapie, an die sich eine Erhaltungstherapie mit Azathioprin (AZA) anschließt, als vergleichbar effektiv erwiesen wie eine Hochdosistherapie mit CYC [12,13]. Nach der Arzneimittelrichtlinie zum Off-Label-Use von MMF (2017) können Patient*innen mit LN der Klasse III/IV zudem in der Induktionstherapie MMF alternativ zu CYC und in der Erhaltungstherapie alternativ zu AZA erhalten [14]. Neben MMF ist auch AZA ein Erstlinientherapeutikum in der Erhaltungstherapie [11]. Weitere Therapieansätze mit konventionellen Immunsuppressiva befinden sich noch in klinischer Entwicklung, darunter auch Multitarget-Kombinationen aus z.B. Steroiden, MMF und neuen Calcineurininhibitoren (CNI) (Abb. 1) [15]. Abb. 1 Neue Therapieansätze für die Kombinationstherapie der Lupusnephritis in der Entwicklung: Strategien in verschiedenen Studien (modifiziert nach [15]) Springer Medizin Verlag GmbH × Unter den neueren Therapieansätzen besteht seit Mai 2021 für Belimumab eine Zulassung für erwachsene Patient*innen mit aktiver LN: In der BLISS-LN-Studie konnten Patient*innen unter der Zusatztherapie mit Belimumab versus Placebo ein besseres renales Ansprechen während der Induktionstherapie erreichen [16]. Beurteilung des Ansprechens Die Beurteilung des renalen Therapieansprechens ist herausfordernd, die Möglichkeiten zur individuellen Verlaufsprädiktion sind unzureichend. Ob und zu welchem Zeitpunkt eine Rebiopsie für weitere Therapieentscheidungen im Verlauf hilfreich sein könnte, wird noch kontrovers diskutiert [17]. In einer Studie (n=36), die sich mit der Frage erstmals prospektiv bei Patient*innen mit einer Klasse-III/IV-LN in Remission (seit mindestens 12 Monaten) befasste, wurde vor Ausschleichen der immunsuppressiven Erhaltungstherapie eine Rebiopsie durchgeführt. 10 von 11 klinisch remittierten Patient*innen, die histologisch noch eine residuale Entzündungsaktivität aufwiesen, entwickelten ein LN-Rezidiv innerhalb der nächsten 2 Jahre. Von den anderen klinischen Parametern wie Proteinurie oder Anti-Doppelstrang-DNA-Antikörper-Positivität erwies sich keiner als prädiktiv [18]. Hohe Nephronverluste mit jedem LN-Schub „Die Vermeidung einer chronischen Nierenerkrankung (CKD) mit der Progression zur terminalen Niereninsuffizienz zählt zu den derzeit wichtigsten Therapiezielen bei LN”, betonte Prof. Dr. Hans-Joachim Anders, Leiter des Nephrologischen Zentrums, LMU Klinikum München. Auch bei intensiver Therapie würde jeder LN-Schub zu irreversiblen glomerulären Schäden führen und die Zeit bis zur Dialysepflichtigkeit verkürzen. Bei Patient*innen mit SLE resultiert schon die erste LN-Episode in erheblichen Nephronverlusten und einer Reduktion der Nierenfunktion auf ein Niveau, das bei physiologischer Alterung erst Jahrzehnte später eingetreten wäre (Abb. 2) [3]. Abb. 2 Nephronverlust bei Lupusnephritis-Schüben (modifiziert nach [3]) Springer Medizin Verlag GmbH × Vor dem Hintergrund der stark beanspruchten Restnephrone gelte es daher, möglichst vom ersten Schub an jeden weiteren LN-Schub zu vermeiden, so Anders. Auch der Zeitpunkt des Therapiebeginns dürfte sich auf den Eintritt der Dialysepflichtigkeit auswirken. Von einer Studie bei Patient*innen mit Alport-Syndrom ist bekannt, dass der Beginn der Dialysepflichtigkeit umso länger hinausgezögert werden kann, je früher der Einsatz von ACE-Hemmern zur Nephronprotektion erfolgt – in diesem Fall am längsten bei Patient*innen, die schon ab dem CKD-Stadium G1A1–G2 behandelt wurden [19]. Risikofaktoren vermeiden Neben medikamentösen nephro- und damit auch potenziell kardioprotektiven Therapiemaßnahmen sollten vermeidbare Risikofaktoren, die zu einer Progression der CKD beitragen könnten, ausführlich mit den Patient*innen besprochen werden, so Anders. Zu den Risikofaktoren zählen z. B. eine überhöhte Kochsalz- und Eiweißzufuhr; außerdem sollten potenziell nephrotoxische Faktoren wie Rauchen oder bestimmte Medikamente vermieden werden. Ein hoher Stellenwert komme auch der Optimierung der medikamentösen Adhärenz zu: Nicht-adhärente Patient*innen mit SLE haben ein deutlich erhöhtes Schub- und Hospitalisierungsrisiko [20]. Literatur Aringer M et al., Ann Rheum Dis 2019, 78:1151–1159 Fanouriakis A et al., Ann Rheum Dis 2019, 78:736–745 Anders HJ et al., Nat Rev Primers 2020, 6:7 Hanly JG et al., Rheumatology 2016, 55:252–262 Almaani S et al., Clin J Am Soc Nephrol 2017, 12:825–835 Schwarting A et al., Rheumatol Ther 2021, 8:375–393 Rees F et al., Rheumatology 2017, 56:1945–1961 Aringer M, Johnson SR., Rheumatology 2020, 59:v4–11 Tektonidou MG et al., Arthritis Rheumatol 2016, 68:1432–1441 Korbet SM et al., Am J Kidney Dis 2000, 35:904–914 Schreiber J et al., Internist 2019, 60:468–477 Houssiau FA et al., Arthritis Rheum 2002, 46:2121–2131 Houssiau FA et al., Ann Rheum Dis 2010, 69:61–64 G-BA-Beschluss: Arzneimittel-Richtlinie/Anlage VI: Mycophenolatmofetil/Mycophenolensäure bei Lupusnephritis, BAnz AT 06.12.2017 B2 Anders HJ et al., Kidney Int 2021, 99:288–291 Furie R et al., N Engl J Med 2020, 383:1117–1128 Anders HJ, Ann Transl Med 2018, 6 (Suppl. 1):S41 De Rosa M et al., Kidney Int 2018, 94:788–794 Gross O et al., Kidney Int 2012, 81:494–501 Feldman CH et al., Arthritis Care Res (Hoboken) 2015, 67:1712–1721 Impressum „Therapie der Lupus-Nephritis: Heute und Morgen“ Symposium anlässlich der 13. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, 25. September 2021 Bericht: Dr. Yuri Sankawa, Stuttgart Artikel gedruckt in „Der Nephrologe“, Band 17, Heft 1, Januar 2022 Mit freundlicher Unterstützung der Otsuka Pharma GmbH, Frankfurt Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Annette Schilling Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführung: Fabian Kaufmann, Dr. Cécile Mack, Dr. Hendrik Pugge Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. 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