Kardiovaskuläre Erkrankungen sind mit einem deutlich erhöhten Risiko assoziiert, bald nach der Diagnose eine psychische Störung zu entwickeln. Wer von beidem betroffen ist, hat offenbar ein deutlich erhöhtes Sterberisiko. Ein Team aus Schweden fordert daher, bei neu diagnostizierten Herzpatientinnen und -patienten besonders im ersten Jahr auch auf psychische Probleme zu achten.
Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.
Die Neudiagnose einer Herzerkrankung oder eines Schlaganfalls ist für viele Betroffene eine erhebliche psychische Belastung. Dass eine solche Konstellation relativ rasch in eine manifeste psychische Störung münden kann, wurde jetzt in einer großen Kohortenstudie bestätigt. Wie Auswertungen des Swedish Patient Register und des Swedish Multi-Generation Register zeigen, ist das Risiko, innerhalb des ersten Jahres nach einer kardiovaskulären Diagnose wie KHK, Rhythmusstörung oder Hypertonie auch psychisch zu erkranken, fast dreimal so hoch wie bei Herz-Kreislauf-Gesunden. Qing Shen vom Karolinska Institutet in Stockholm und ihr Team fordern daher intensivere Überwachungsmaßnahmen, vor allem in der Frühphase nach der Diagnose.
An der Studie haben 869.056 Patientinnen und Patienten teilgenommen, die zwischen 1987 und 2016 erstmals eine kardiovaskuläre Erkrankung diagnostiziert bekamen, aber psychisch bis dato gesund waren. Shen und ihr Team verglichen diese zum einen mit insgesamt 910.178 gesunden Vollgeschwistern der Patienten und stellten zum anderen jedem oder jeder Betroffenen zehn nach Alter und Geschlecht angepasste Kontrollpersonen aus der schwedischen Allgemeinbevölkerung gegenüber. Zum Zeitpunkt der Herz-Kreislauf-Diagnose lag das mediane Alter bei 60 Jahren, knapp 60% der Teilnehmenden waren männlich.
Risiko bei kardiovaskulär Erkrankten fast verdreifacht
Bemerkenswert an der Studie war die lange Nachbeobachtung von 30 Jahren. Über diesen Zeitraum waren in den drei Gruppen 7,1, 4,6 bzw. 4,0 psychische Störungen pro 1000 Personenjahre aufgetreten. Das Risiko der kardiovaskulär Erkrankten war im ersten Jahr um den Faktor 2,74 und danach um den Faktor 1,45 höher als bei den herzgesunden Geschwistern. Ähnliche Raten ergaben sich im Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung.
Wie Shen und Kollegen herausfanden, war das Auftreten einer psychiatrischen Komorbidität mit einem um relative 55% höheren Risiko verknüpft, an der Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben. Die Mortalitätsrate lag bei 9,2 pro 1000 Personenjahre mit psychiatrischer Diagnose, verglichen mit 7,1 pro 1000 Personenjahre ohne eine solche.
„Chance auf klinische Überwachung“
Dem Forscherteam zufolge bietet sich durch den steilen Anstieg bei den psychiatrischen Diagnosen im ersten Jahr die „Chance auf eine klinische Überwachung in einer Hochrisikophase“. Das gelte für alle möglichen kardiovaskulären Entitäten, von der ischämischen Herzerkrankung über Herzinsuffizienz, Arrhythmien, zerebrovaskuläre Erkrankungen oder auch Thrombosen. Die anschließende Risikoerhöhung betreffe eine große Bandbreite psychiatrischer Störungen, gleichwohl affektive wie nicht affektive, Stimmungsstörungen, Angst-, Ess- und Persönlichkeitsstörungen sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch. Wie Shen und Kollegen betonen, war die Risikoerhöhung unabhängig von der familiären Vorgeschichte sowie von weiteren somatischen Erkrankungen in der Anamnese.
Stressreaktion als Bindeglied?
Wie die beiden Krankheitskomplexe zusammenhängen, ist noch weitgehend ungeklärt. Shen et al. vermuten, dass die Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung eine starke Stressreaktion hervorruft. Zusätzlich könnten kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Hyperkoagulabilität, Dyslipidämie oder eine gestörte Immunantwort eine Rolle spielen. Bei Patienten mit KHK und Depression oder Angststörung habe man z. B. eine vergleichsweise hohe arterielle Wandsteife oder eine endotheliale Dysfunktion beobachten können.
Insgesamt beweisen die Daten laut Shen et al., wie wichtig es ist, nach einer frisch diagnostizierten kardiovaskulären Erkrankung die Betroffenen auf psychiatrische Begleiterkrankungen zu screenen und diese ggf. frühzeitig zu therapieren.
Das Wichtigste in Kürze |
Frage: Steigt nach Diagnose einer Herz-Kreislauf-Erkrankung das Risiko für psychische Störungen? Antwort: In einer schwedischen Kohortenstudie war die Assoziation zwischen beiden eindeutig. Das Risiko, im ersten Jahr nach Diagnose auch an der Psyche zu erkranken, war gegenüber Herzgesunden fast verdreifacht. Im Folgenden stieg auch das Sterberisiko signifikant an. Bedeutung: Frisch diagnostizierte Herzpatientinnen und -patienten sollte man vor allem im ersten Jahr im Hinblick auf neu aufgetretene psychische Erkrankungen screenen. Einschränkung: Kohortenstudie, Kausalzusammenhang nicht belegt; nur Klinikpatientinnen und -patienten berücksichtigt. |