Ketoazidose-Risiko in Deutschland ungleich verteilt

Erschreckend viele Kinder und Jugendliche in Deutschland weisen bei der Diagnose Typ-1-Diabetes bereits eine Ketoazidose auf. In bestimmten Regionen stehen die Chancen auf eine frühere Diagnose besonders schlecht. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die Zahl der Typ-1-Diabetes-Erkrankungen, die erst bei Vorliegen einer Ketoazidose erkannt werden, hat in vielen Ländern zugenommen, die Corona-Pandemie hat das Problem noch verschärft. In Deutschland wies schon vor der Pandemie ein Viertel der neu diagnostizierten unter 18-Jährigen die potenziell lebensbedrohliche Komplikation auf. Das Risiko dafür scheint allerdings wohnortabhängig erheblich zu variieren, wie eine Forschungsgruppe um Marie Auzanneau von der Universität Ulm herausgefunden hat. Die höchsten Prävalenzen gibt es in sozioökonomisch schlecht situierten Regionen und auf dem Land. 25% der unter 18-Jährigen Die Erkenntnisse basieren auf Daten von 10.598 Kindern und Jugendlichen, die zwischen 2016 und 2019 die Diagnose Typ-1-Diabetes erhalten haben und in das DPV-Register (DPV: Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation) aufgenommen wurden. Die Patienten und Patientinnen lebten in 387 von den damals 402 Landkreisen und kreisfreien Städten. 24,9% von ihnen wiesen bei der Diagnose eine Ketoazidose auf. „Das ist eine höhere Prävalenz als aus Schweden, Dänemark oder Norwegen berichtet, aber niedriger als die Quoten in den USA oder Italien“, so das Studienteam. Risikoregionen mit hoher Deprivation und auf dem Land Wurde die sozioökonomische Deprivation des jeweiligen Landkreises bzw. der kreisfreien Stadt berücksichtigt, ergab sich ein klarer Gradient: In dem Fünftel, das im Deprivationsindex GISD hinsichtlich Bruttoeinkommen, Bildungsstand und Arbeitslosenquote am besten abschnitt (Q1), war die Ketoazidoseprävalenz mit 20,6% am niedrigsten, und sie stieg bis auf 26,9% in dem Fünftel (Q5) mit der höchsten Deprivation (Q5). Unabhängig davon zeigte sich ein Stadt-Land-Gradient: In Städten betrug die Ketoazidoseprävalenz 22,7%, in Vororten 24,3% und auf dem Land 27,6%. Auf beide Assoziationen hatten Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund keinen nennenswerten Einfluss. Liegt es nur an den Eltern - oder auch an den Ärzten? Dass in sozioökonomisch schwachen Regionen die Diagnose Typ-1-Diabetes oft so spät gestellt wird, könnte laut Auzanneau et al. einerseits an den Erziehungsberechtigten liegen, die etwa aufgrund eines geringeren Bildungsgrads die Symptome der Erkrankung eher übersehen und mit einem Arztbesuch länger warten. Andererseits will das Studienteam nicht ausschließen, dass die hohen Ketoazidoseraten in besonders deprivierten Regionen auch mit Behandlungsfehlern der dort niedergelassenen Haus- und Kinderärzte zusammenhängen könnten, etwa weil die Symptome auf einen viralen Infekt zurückgeführt würden oder statt eines sofortigen Blutzuckertests eine Nüchternglukosebestimmung veranlasst werde. Als Ursache für die verspäteten Diagnosen in ländlichen Regionen vermutet das Studienteam vor allem die geringere Dichte von Pädiatern auf dem Land. Gezielte Kampagnen Aufgrund Ihrer Ergebnisse plädieren Auzanneau et al. dafür, Präventionsstrategien und Awareness-Kampagnen (vor allem für Kindergärten und Schulen sowie Haus- und Kinderärzte) zu entwickeln, die besonders sozioökonomisch benachteiligte und ländliche Regionen im Blick haben. Die Kampagnen müssten darüber informieren, dass bei Symptomen wie starkem Durst, Polyurie/Nykturie, Müdigkeit, Gewichtsverlust, Übelkeit, Tachypnoe oder Bauchschmerzen eine Ad-hoc-Blutzuckermessung ausreicht, um einen Typ-1-Diabetes zu diagnostizieren, und dass Kinder und Jugendliche mit einer Ketoazidose sofort an ein Krankenhaus überwiesen werden müssen. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wirken sich sozioökonomische Deprivation und Urbanisierung einer Region darauf aus, wie häufig bei Kindern und Jugendlichen Typ-1-Diabetes erst bei Vorliegen einer Ketoazidose erkannt wird? Antwort: Ja. In Regionen mit hohem Deprivationsindex und auf dem Land sind die Ketoazidoseprävalenzen am höchsten. Bedeutung: Präventions- und Awareness-Strategien sollten gezielt für solche Regionen entwickelt werden. Einschränkung: In Regionen mit sehr vielen Einwohnern ist der Deprivationsindex weniger aussagekräftig.

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