Eine sogenannte Weißkittelhypertonie kommt relativ häufig vor. Ob dieses Phänomen Spätfolgen mit sich bringen kann, ist bisher nicht endgültig geklärt. Einer aktuellen Kohortenstudie zufolge spielt hierfür das Alter der Patienten eine entscheidende Rolle.
Wirkt sich eine Weißkittelhypertonie auf die Prognose der Betroffenen aus? Diese Frage wird seit der Erstbeschreibung dieses Phänomens vor nunmehr 32 Jahren durch Thomas Pickering kontrovers diskutiert. Anfangs hielt man die Weißkittelhypertonie für „klinisch harmlos“. Denn definitionsgemäß liegen die zuhause gemessenen Blutdruckwerte und die ambulanten 24-Stunden-Blutdruckmesswerte von Weißkittelhypertonikern im Normbereich und die in der Arztpraxis gemessenen erhöhten Blutdruckwerte (≥140/≥90 mmHg) scheinen nur einer gewissen Nervosität und Aufregung des Patienten geschuldet zu sein.
Prognostische Bedeutung fraglich
Doch im Laufe der Zeit wurde immer wieder über Fälle berichtet, in denen eine Weißkittelhypertonie mit einem erhöhten kardiovaskulären Morbidität und Mortalität einherging. Zwar war die Gefährdung geringer als bei einer „richtigen Hypertonie“, aber doch höher als bei normotensiven Personen. Diese Befunde führten zu der Überlegung, ob auch Menschen mit einer Weißkittelhypertonie medikamentös behandelt werden sollten.
Auf Alter und Risiko gematcht
Den Ergebnissen einer aktuellen großen Kohortenstudie zufolge erscheint eine solches Vorgehen zumindest regelhaft nicht sinnvoll. In dieser Analyse nämlich wiesen die meisten Patienten mit Weißkittelhypertonie ein vergleichbares kardiovaskuläres Risiko auf wie Personen mit normalem Blutdruck.
Um einen Einfluss des Alters und des kardiovaskulären Baseline-Risikos auf das Outcome ausschließen zu können, haben die Studienautoren die insgesamt 653 Weißkittelhypertoniker mit 653 normotensiven Personen hinsichtlich ihres Alters und kardiovaskulären Risikos gematcht. Informationen zu den Teilnehmern entnahmen sie der IDACO-Datenbank, die sich aus elf verschiedenen Kohorten zusammensetzt.
Während des 10,6-jährigen Beobachtungszeitraumes war das Risiko, ein kardiales Ereignis zu erleiden, für Hochrisikopatienten mit Weißkittelhypertonie mehr als doppelt so hoch als bei entsprechend gematchten normotensiven Kontrollpersonen (Hazard Ratio, HR: 2,06). Die Weißkittelhypertoniker mit weniger als drei nach ESC/ESH definierten Risikofaktoren wiesen hingegen ein vergleichbares kardiovaskuläres Risiko auf (HR: 1,06). Generell kam es zu einem Anstieg des Weißkitteleffekts um systolisch 3,8 mmHg mit jedem weiteren Alterszuwachs um zehn Jahre.
Nur im Alter gefährlich
Einer Subgruppenanalyse zufolge ging von einer Weißkittelhypertonie allerdings nur bei älteren Patienten (≥60 Jahre) mit Hochrisikoprofil eine Gefährdung aus; diese machten einen Anteil von 14,1% aller in dieser Studie registrierten Weißkittelhypertoniker aus. In dieser Gruppe kam es im Follow-up zu 30 Neudiagnosen von kardiovaskulären Ereignissen im Vergleich zu 22 in der gematchten Kontrollgruppe (HR: 2,19). Bei den restlichen Studienpatienten, also bei jüngeren Personen, ging eine Weißkittelhypertonie mit keiner Risikoerhöhung einher, egal ob ein niedriges oder hohes kardiovaskuläres Risiko vorgelegen hatte.
Keine Hypertonie, sondern ein Phänomen
Daher kommen die Studienautoren um Stanley Franklin von der Universität in Leuven zu dem Schluss, dass „die große Mehrheit der Personen mit Weißkittelhypertonie im Vergleich zu normotensiven Kontrollpersonen keinen Übergang in ein Hochrisiko-Status vollzieht“. Sie plädieren deshalb dafür, die Nomenklatur „Weißkittelhypertonie“ in „Weißkittel-Phänomen“ zu ändern.
Das vermehrte Vorkommen kardiovaskulärer Ereignisse bei älteren Hochrisikopatienten könnte ihrer Ansicht auch dadurch zustande kommen, dass bei ihnen des Öfteren eine isolierte systolische Hypertonie fälschlicherweise als Weißkittelhypertonie eingestuft worden ist. Gerade bei älteren Patienten mit einem hohen Risiko nehmen die Fälle einer neu-diagnostizierten isolierten systolischen Hypertonie zu. In diesem Kontext betonen Stanley und Kollegen, wie wichtig wiederholte Blutdruckmessungen und die Methodik für die richtige Diagnosestellung einer Hypertonie sind. Eine einmalig durchgeführte 24-Stunden-Blutdruckmessung könne eine systolische Hypertonie bei älteren Menschen nicht immer zuverlässig detektieren, schreiben sie in der entsprechenden Publikation im Journal of The American College of Cardiology.
Besonderes Augenmerk auf ältere Patienten
Der bekannte Bluthochdruckforscher Giuseppe Mancia, der 1983 als erster den Weißkitteleffekt detailliert beschrieben hatte, stellt in einem begleitenden Editorial gemeinsam mit Guido Grassi die Überlegung an, dass man nach diesen Ergebnissen zumindest ein besonderes Augenmerk auf ältere Menschen mit Weißkittelhypertonie legen könnte. Womöglich habe bei diesen Personen eine Erhöhung des konventionell gemessenen Blutdrucks einen negativen Einfluss auf das Wohlbefinden und Überleben, schreiben sie. Daher sollte man diese Patienten häufiger in die Praxis einbestellen und eine rigorose Kontrolle von Risikofaktoren vornehmen.
Vielleicht mache hier sogar eine konventionelle, medikamentöse Blutdrucksenkung Sinn, führen die Editorial-Autoren aus, wobei es bisher noch keine Evidenz dafür gebe, dass Menschen mit Weißkittelhypertonie von einer solchen Behandlung profitieren.
In ihrem Editorial verweisen Mancia und Grassi aber auch auf einige Limitationen dieser Studie, beispielsweise auf die großen Variabilität in der Prävalenz der Weißkittelhypertonie zwischen den Kohorten, die von 3% bis 38% reichte, und die sehr geringe Anzahl an Ereignissen in der Subgruppe der jungen Patienten.