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30.08.2022 | Kardiologie | Nachrichten

Experten raten beim Marfan-Syndrom zur Kombitherapie

verfasst von: Veronika Schlimpert

Betablocker und Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB) haben sich in einer Metaanalyse bei Menschen mit einem Marfan-Syndrom als wirksam erwiesen. Experten sprechen sich auf Basis dieser Daten für eine Kombitherapie aus.

Menschen mit einem Marfan-Syndrom sollten am besten mit Betablockern und Angiotensin-Rezeptorblockern behandelt werden. Dazu raten Experten angesichts der Ergebnisse einer aktuellen Metaanalyse. Studienautor Prof. Alex Pitcher hat die Daten beim diesjährigen ESC-Kongress in einer Hotline-Session vorgestellt. Zeitgleich sind sie im „Lancet“ publiziert worden.

„ARBs reduzieren das Ausmaß einer Aortendilatation beim Marfan-Syndrom“, brachte der im Oxford University Hospital arbeitende Kardiologe die Quintessenz der Analyse auf den Punkt. Betablocker scheinen laut eines indirekten Vergleichs ebenfalls wirksam zu sein, führte er aus.

Aortendissektion eine befürchtete Komplikation

Diese Ergebnisse stellen nun erstmals eine umfassende Evidenz für den Nutzen beider Medikamente bei Menschen mit einem Marfan-Syndrom dar. Beim Marfan-Syndrom handelt es sich um eine erbliche Bindegewebserkrankung, die durch eine Mutation im Fibrillin 1-Gen verursacht wird. Sie betrifft weltweit circa 1 von 5.000 Personen. Aus kardiovaskulärer Sicht Sorgen bereitet u.a. die mit der Erkrankung einhergehende progrediente Ausdehnung der Aortenwurzel. Wenn chirurgisch nicht rechtzeitig eingegriffen wird, kann diese eine lebensbedrohliche Aortendissektion oder Aortenruptur nach sich ziehen.  

Medikamente sollen Dilatation verlangsamen

Medikamentös versucht man deshalb, die Ausdehnung der Aortenwurzel möglichst lange hinauszuzögern. Schon seit Langem wird hierfür zu Betablockern gegriffen. Diese werden zwar von den Leitlinien empfohlen, erläuterte Pitcher beim ESC, die Evidenz für die Wirksamkeit einer solchen Behandlung sei allerdings limitiert, erinnerte der britische Kardiologe.

ARBs wiederum sind in den letzten Jahren als Alternative bzw. Therapieergänzung beim Marfan-Syndrom ins wissenschaftliche Blickfeld geraten. So hat die beim ESC-Kongress 2018 vorgestellte AIMS-Studie gezeigt, dass eine Therapie mit Irbesartan die progrediente Aortendilatation bei betroffenen Patientinnen und Patienten verlangsamen kann. Die bisherigen Studien dazu hätten aber widersprüchliche Ergebnisse hervorgebracht, gab Pitcher zu bedenken. Und: „Keine dieser Studie ist für sich genommen groß genug, um die noch offenen Fragen beantworten zu können“, so der Kardiologe.

Metaanalyse mit individuellen Patientendaten

Das war der Anlass für Pitcher und sein Team, eine Metaanalyse mit Daten bisher verfügbarer randomisierter Studien vorzunehmen. Wie der Studienautor betonte, basiert diese auf individuellen Patientendaten (also nicht auf den publizierten Ergebnissen). 7 Studien mit insgesamt 1.442 Patientinnen und Patienten flossen in die Analyse ein (darunter auch die erwähnte AIMS-Studie). Als primärer Endpunkt wurde die jährliche Veränderung des Z-Scores (Abweichung des Aortenwurzeldiameters vom zu erwartenden Mittelwert adjustiert auf die Körperoberfläche) festgelegt.

Halbierung der jährlichen Ausdehnung

In den insgesamt vier Studien, in denen ARBs mit Kontrollen (Placebo oder offene Kontrolle) verglichen wurden, hat die Sartan-Behandlung während eines mittleren Follow-up von drei Jahren nahezu eine Halbierung der jährlichen Zunahme des Z-Scores bewirkt (0,07 vs. 0,13; p=0,012).

Wie Pitcher berichtete, hat sich diese Wirkung konsistent über jegliche Subgruppen hinweg gezeigt. Am größten sei sie aber bei Personen gewesen, bei denen eine pathogene Variante des Fibrillin 1-Gens nachgewiesen worden sei. Das ist Pitchers Ausführungen nach ein „wichtiger Befund“. Denn es sei höchst plausibel, wenn sich die Behandlung einer Erbkrankheit bei Patienten mit einer genetisch gesicherten Diagnose als am effektivsten herausstelle.

Wirkung von ARB unabhängig von Betablocker-Therapie

Erfreulich ist zudem, dass die Wirkung der ARBs in den berücksichtigten Studien unabhängig von der Betablocker-Behandlung war. Und, dass sich Betablocker in der Metaanalyse ebenfalls als wirksam herausgestellt haben. Ihre Effektivität wurde allerdings durch indirekte Vergleiche abgeschätzt. Dazu wurden Daten aus Studien, in denen ARBs vs. Kontrollen und ARBs vs. Betablocker miteinander verglichen wurden, herangezogen, um die Wirksamkeit von Betablocker gegenüber Kontrollen indirekt ermitteln zu können.

Pitcher geht angesichts dieser Ergebnisse davon aus, dass der Behandlungseffekt beider Wirkstoffe bei Marfan-Patientinnen und -Patienten additiv ist. „Das führt uns zu der Überlegung, dass eine duale Kombinationstherapie mit ARBs und Betablockern für die meisten Patienten vernünftig ist“, erläutert er die praktischen Implikationen. Eine solche medikamentöse Behandlung kann, wie er ausführte, die operative Korrektur der Aorta und das Auftreten einer Dissektion über Jahre hinauszögern.

Literatur

Pitcher A: MTT - Assessing the effects of ARBs and beta-blockers in Marfan Syndrome. Hotline-Session 9, ESC Congress 2022, 26. bis 29. August in Barcelona

Pitcher A et al. Angiotensin receptor blockers and β blockers in
Marfan syndrome: an individual patient data meta-analysis
of randomised trials. The Lancet 2022; https://doi.org/10.1016/
S0140-6736(22)01534-3

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