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Erschienen in: Die Gynäkologie 1/2023

Open Access 21.12.2022 | Entzündungen der Brustdrüsen | Bild und Fall

Von der Mastitis zum Multiorganversagen

Ein seltenes, potenziell tödliches Problem

verfasst von: Dr. med. Ariane Katharina Schoffer, Ann-Kathrin Bittner, Rainer Kimmig, Oliver Hoffmann

Erschienen in: Die Gynäkologie | Ausgabe 1/2023

Hinweise

Redaktion

Ricardo Felberbaum, Kempten
Julia Jückstock, Wasserburg am Inn
Babett Ramsauer, Berlin
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Anamnese

Eine 25 Jährige III.-Gravida/III.-Para kam samstags gegen 13:30 Uhr mit dem Rettungswagen in die Notaufnahme und klagte über Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö und Schwächegefühl seit 3 Tagen, außerdem habe sie Schmerzen in der linken Brust. Diese zeigte sich gerötet und mit Kratzspuren. Einen Anhalt für eine Abszessformation ergab sich weder klinisch noch sonographisch.
Die Patientin wurde zunächst zur supportiven Therapie stationär aufgenommen und erhielt bei Verdacht auf Mastitis eine Antibiotikatherapie mit Flucloxacillin i.v.

Klinischer Befund

Der Allgemeinzustand der Patientin verschlechterte sich im Laufe des Tages, und am nächsten Morgen gegen neun Uhr erfolgte ein erneutes gynäkologisches Konsil bei zunehmenden Brustschmerzen. Hier zeigte sich an der linken Brust nun eine weißlich-nekrotisierende Erosion von ca. 5 *8 cm mit peripheren Einblutungen, umgeben von einem unscharf begrenzten Erythem und eine Überwärmung der Brust. Sonographisch ergab sich weiterhin kein Anhalt für eine Abszessformation. Die Antibiotikatherapie wurde um Piperacillin/Tazobactam ergänzt und ein dermatologisches Konsil wurde gestellt, welches den o. g. Befund bestätigte und die Antibiose zusätzlich um Clindamycin ergänzte. Die Patientin beklagte außerdem, weiterhin wässrige Diarrhöen zu haben.

Aufnahmelabor

Bei Aufnahme lagen die Leukozyten bei 7,68/nl, das CRP bei 8,2 mg/dl, das Kreatinin bei 1,36 mg/dl und das PCT bei 24,52 ng/ml. Hämoglobin normwertig, weitere Laborwerte unauffällig. In der Laborkontrolle am nächsten Morgen um 5 Uhr (16 h später) waren die Leukozyten auf 12,45/nl angestiegen, das CRP auf 26,9 mg/dl, das PCT auf 56,94 ng/ml und das S‑Kreatinin auf 2,91 mg/dl.1

Weiteres Procedere

Die Patientin wurde zunächst auf die Intermediate Care Station verlegt und unter o. g. Antibiotikatherapie überwacht. Bei weiterem Progress der Rötung der linken Mamma (Abb. 1) und laborchemisch beginnendem Organversagen erfolgte die Bildgebung mittels CT Thorax/Abdomen, die keinerlei Anhalt für Abszess oder freie Luft zeigte. Am Nachmittag gegen 16 Uhr wurde die Indikation zur Gabe von Penicillin G und zur Durchführung einer sofortigen radikalen Mastektomie gestellt. Die Operation wurde unverzüglich von den diensthabenden Gynäkologen und Dermatologen gemeinsam durchgeführt.

Wie lautet Ihre Diagnose?

Intraoperativ zeigte sich eine weiterhin progrediente Rötung der linken Mamma mit Bläschenbildung und Nekrosebildung der Haut sowie des Fettgewebes. Es wurde der gesamte Drüsenkörper inklusive eines Sicherheitsabstands von 1–2 cm zu allen Seiten und unter Mitnahme der Pectoralisfaszie entfernt. Die Wunde wurde primär nicht verschlossen (Abb. 2). Etwa 2 h nach der Operation zeigten sich die Laborwerte bereits rückläufig, die Leukozyten fielen auf 9,2/nl, das Kreatinin auf 1,75 mg/dl und das PCT ging zurück auf 30,94 ng/ml.

Mikrobiologie

Die bei Aufnahme abgenommenen Blutkulturen erbrachten keinen Erregernachweis. Die intraoperativ genommenen Abstriche zeigten grampositive Kokken in Haufen liegend, die als Streptococcus pyogenes identifiziert werden konnten.

Weiterer Verlauf

Nach der Operation wurde die Patientin zunächst auf die Intensivstation verlegt und sediert und beatmet. Die Infektwerte fielen nach der Operation innerhalb von Stunden stark ab, der Katecholaminbedarf sank und die Patientin konnte nach 2 Tagen eine VAC-Pumpe zur sekundären Wundheilung erhalten (Abb. 3). Erfreulicherweise besserten sich auch die Retentionsparameter zügig, sodass auf eine Dialyse verzichtet werden konnte. Nach 3 Tagen wurde die Patientin in stabilem Allgemeinzustand auf die Normalstation zurückverlegt. Die VAC-Therapie konnte nach 3 Tagen beendet und die Wunde sekundär verschlossen werden. Nach insgesamt 17 Tagen stationären Aufenthalts konnte die Patientin bei subjektivem Wohlbefinden unter oraler Fortführung der Antibiose mit Clindamycin entlassen werden. Die Patientin erhielt außerdem das Angebot der psychologischen Unterstützung aus der kooperierenden Klinik, um den plötzlichen Verlust ihrer Brust mit 25 Jahren adäquat verarbeiten zu können.
Bei einer abschließenden Wundkontrolle 6 Monate später zeigte sich die Narbe reizlos verheilt (Abb. 4).

Definition

Das streptokokkeninduzierte „toxic shock syndrome“ (STSS) ist eine potenziell lebensbedrohliche Komplikation, die überwiegend durch Gruppe‑A β‑hämolysierende Streptokokken (GAS) verursacht wird [2]. Dabei präsentiert sich das Krankheitsbild klinisch typischerweise in 3 Phasen: Zunächst besteht eine etwa 24–48 h dauernde Prodromalphase, die charakterisiert ist durch einen hypotonen Blutdruck und von grippeähnlichen Symptomen, wie Kopfschmerzen, Fieber und Muskelschmerzen, aber auch gastrointestinalen Symptomen, wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhöen, begleitet wird. Hautläsionen können sichtbar sein, sind aber zu diesem frühen Zeitpunkt teilweise noch nicht zu erkennen. Auch neurologische Symptome bis hin zum Delirium treten bei einigen Patienten auf. Die zweite Phase ist dann von systemischen Symptomen gekennzeichnet, sie können von Tachykardie über hohes Fieber bis hin zur Atemnot reichen. Die dritte Phase leitet das Multiorganversagen ein und endet ohne aggressive Therapie tödlich [1].
Die amerikanische CDC (Centers for Disease Control and Prevention) definiert das Vorliegen eines STSS anhand der folgenden Kriterien [3]:
  • Hypotension (systolischer Blutdruck kleiner/gleich 90 mm Hg bei Erwachsenen oder unter der 5. Perzentile bei Kindern unter 16 Jahren)
  • Multiorganbeteiligung, gekennzeichnet durch 2 der folgenden Kriterien:
    • Nierenversagen (Kreatinin > 2 mg/dl für Erwachsene oder das Doppelte des altersentsprechenden Normwerts; bei Patientin mit vorbestehender Nierenerkrankung mehr als das Doppelte des bestehenden Basalwerts)
    • Koagulopathie (Plättchenzahl unter 100.000/mm3 oder disseminierte intravasale Gerinnung, gekennzeichnet durch verlängerte Gerinnungszeit, niedriges Fibrinogenlevel und Präsenz von Fibrinogenabbauprodukten)
    • Leberversagen (ALT, AST oder Gesamtbilirubin mehr als doppelt so hoch wie der altersentsprechende Normwert; für Patienten mit Lebererkrankung mehr als das Doppelte des bestehenden Basalwerts)
    • Atemnotsyndrom (akutes Auftreten pulmonaler Infiltrate und Hypoxämie ohne kardiale Ursache oder durch Auftreten eines akuten kapillaren Lecks, wie generalisierte Ödeme, Pleuraergüsse oder Aszites mit Hypalbuminämie)
    • generalisierter makropapulärer Rash
    • Nekrose des Weichteilgewebes, inklusive nekrotisierender Fasziitis, Myositis oder Gangrän.
Diagnose: Streptococcus-pyogenes-Exotoxin-induziertes „toxic shock syndrome“
Die genaue Häufigkeit einer GAS-Infektion ist nur schwer zu erfassen, populationsbasierte Schätzungen aus dem Jahr 2005 gehen von einer weltweiten Prävalenz von mindestens 18,1 Mio. schweren Infektionen mit ungefähr 517.000 Todesfällen pro Jahr aus [4].

Therapie

Die wichtigste Therapie besteht in der Beendigung der Toxinfreisetzung durch sofortige und großzügige chirurgische Exzision des Infektionsherdes. Maßgeblich hierfür ist das frühzeitige Erkennen der vorliegenden Infektion.
Da die Größe des Infektionsherdes nicht unbedingt mit dem Ausmaß des STSS korreliert, ist eine gründliche klinische Inspektion der gesamten Hautoberfläche sehr wichtig, auch Bildgebung mittels CT oder MRT kann helfen, den Herd zu identifizieren. Außerdem ist die antibiotische Abdeckung mit Penicillin – trotz der zunehmenden Resistenzentwicklung – nach wie vor die Therapie der Wahl. Dabei sollte Penicillin G hochdosiert und parenteral verabreicht werden [1].

Fazit für die Praxis

  • Bei Multiorganversagen unklarer Genese sollte immer auch an ein durch GAS verursachtes „toxic shock syndrome“ gedacht und die gesamte Körperoberfläche entsprechend inspiziert werden.
  • Bei Nichtansprechen einer Mastitis auf Flucloxacillin und nekrotisierende Befunde sollte ein STSS immer in Betracht gezogen werden. Hier sind die schnelle Gabe von Penicillin und die zügige, beherzte chirurgische Intervention indiziert, da der definitive Erregernachweis leider in der Regel erst vorliegt, wenn es für eine Intervention schon zu spät ist.
  • Natürlich fragt man sich, ob bei einem gesunden jungen Menschen ein so radikales operatives Vorgehen, wie hier die Entfernung der Brust, wirklich indiziert ist, wie jedoch auch in diesem Fall ersichtlich, ist bei dem foudroyanten Verlauf eines STSS diese Frage leider nur mit „Ja“ zu beantworten.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

A.K. Schoffer, A.‑K. Bittner, R. Kimmig und O. Hoffmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
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Fußnoten
1
Normwerte des Labors: Leukozyten 3,6–9,2/nl; CRP < 0,5 mg/dl; pCT 0–0,5 ng/ml; S‑Kreatinin 0,6–1,1 mg/dl.
 
Literatur
Metadaten
Titel
Von der Mastitis zum Multiorganversagen
Ein seltenes, potenziell tödliches Problem
verfasst von
Dr. med. Ariane Katharina Schoffer
Ann-Kathrin Bittner
Rainer Kimmig
Oliver Hoffmann
Publikationsdatum
21.12.2022
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Gynäkologie / Ausgabe 1/2023
Print ISSN: 2731-7102
Elektronische ISSN: 2731-7110
DOI
https://doi.org/10.1007/s00129-022-05035-z

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