Erschienen in:
07.10.2022 | Neuronale Entwicklungsstörungen | Originalien
Soziogene Entwicklungsstörungen: Umfrage zu Prävention und Management in der pädiatrischen Grundversorgung
verfasst von:
Dr. Ulrich Fegeler, Elke Jäger-Roman, Wolfgang Gempp, Nicolas Frölich, Ulrike Horacek, Hans-Iko Huppertz, Folkert Fehr
Erschienen in:
Monatsschrift Kinderheilkunde
|
Sonderheft 1/2024
Einloggen, um Zugang zu erhalten
Zusammenfassung
Kinder aus anregungsarmen, meist bildungsfernen und einkommensschwachen Familien (Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status, SES) haben bereits zum Schuleintrittszeitpunkt überproportional häufig Beeinträchtigungen der sprachlichen, kognitiven und motorischen Entwicklung und weisen mehr Auffälligkeiten im sozialen Verhalten auf. Etwa 20–25% der betroffenen Kinder erhalten keinen Hauptschulabschluss. Ursache für solche – soziogenen – Entwicklungsstörungen ist eine zu wenig entwicklungsstimulierende frühkindliche Erziehung, die die angeborenen Entwicklungspotenziale des Kindes sich nicht ausreichend entfalten lässt und später u.U. eine lebenslange Beeinträchtigung darstellt. Eine mögliche Hilfe für solcherart betroffene Kinder besteht in der frühen institutionalisierten außerfamiliären Entwicklungspädagogik in Verbindung mit Hilfen für die Eltern.
In einer repräsentativen Befragung von 350 Kinder- und JugendärztInnen (KJÄ) im Jahr 2021 wurde der Frage nachgegangen, wie in der grundversorgenden pädiatrischen Praxis mit dem Problem der soziogenen Entwicklungsstörungen umgegangen wird (Prävention und Management). Der Anteil betroffener Familien wird im Median auf 10–20% geschätzt. Eine erhöhte primärpräventive Wachsamkeit auf die frühkindliche Entwicklung geben v. a. das wenig liebevolle/responsive Verhalten der Eltern/Bezugspersonen, schwierige Lebensumstände, erkennbare Zeichen der äußeren Vernachlässigung oder das Vorhandensein bereits mehrerer entwicklungsauffälliger Kinder in der Familie. Erfragt wird zudem die „Anregungssituation“ des Kindes im Alltag der Familie (Krippenbesuch, Bilderbuchgebrauch, Medienkonsum ohne elterliche Anwesenheit, andere Bezugspersonen u. a.). Primärpräventiv werden hauptsächlich pädagogisch orientierte Frühförderstellen oder das Aufgreifen von Angeboten der Frühen Hilfen empfohlen.
Bereits eingetretene soziogene Entwicklungsbeeinträchtigungen erkennen die KJÄ zu jeweils knapp 90% an einer gestörten Sprach‑/Sprechentwicklung und zu knapp 85% an einem auffälligen Verhalten und einer gestörten sozial-emotionalen Kompetenz. Das Verhältnis von somatischen zu soziogenen Störungen wird im Median auf 20 zu 80% geschätzt, wodurch der soziogene Anteil der Entwicklungsstörungen unterstrichen wird. Bei Kindern bis 3 Jahren werden frühpädagogische Fördermaßnahmen empfohlen, während bei Kindern über 3 Jahre die medizinische Therapie (Heilmittelverordnungen) im Vordergrund steht. Ursachen für dieses Verordnungsverhaltens werden diskutiert