Die 7 zusätzlich erfassten potenziellen Prädiktoren, Suchtproblematik, stabile Lebenssituation, Verstöße gegen Bewährungsauflagen, Beziehungsstatus, soziale Unterstützung, stabile Arbeitsverhältnisse und Haftdauer, wurden ebenfalls retrospektiv anhand der Gefangenenpersonalakten erhoben. Alle potenziellen Prädiktoren wurden als dichotome Variablen mit den Ausprägungen
trifft zu (1) und
trifft nicht zu (0) erfasst. Eine Ausnahme stellt die Haftdauer von Inhaftierungsbeginn bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung dar, die in Monaten angegeben wurde, wobei bei einer kürzeren Haftdauer von einem geringeren Risiko ausgegangen wird. Den Hintergrund dieser Annahme bilden unterschiedliche Überlegungen: Grundsätzlich gilt, dass bei einer längeren Haftdauer auch mehr Zeit für die Begehung von Verstößen besteht. Dabei können sich Labeling- und Prisonisierungseffekte sowie der negative Einfluss von Gefängnissubkulturen zusätzlich ungünstig auf das Verhalten auswirken (z. B. Laub et al.
1995). Ferner ist es denkbar, dass besonders lange Haftstrafen zu einem Gefühl der Perspektivlosigkeit führen können und so eine gewisse Akzeptanz gegenüber regelverletzendem Verhalten evozieren könnten. Bei den folgenden Variablen wurde, soweit dies möglich war, auf bestehende und bewährte Operationalisierungen standardisierter Prognoseinstrumente zurückgegriffen. Insbesondere das
Historical-Clinical-Risk Management-20 (HCR-20, das aktuell in der Regel in der 3. Version verwendet wird [HCR-20
V3]; Douglas et al.
2014), das international am häufigsten eingesetzte Prognoseinstrument (Singh et al.
2014), diente als Ausgangspunkt, wobei Anpassungen zwangsläufig dort vorgenommen werden mussten, wo die Aktenlage lediglich beschränkte Informationen zur Verfügung stellte. Der Prädiktor
stabile Arbeitsverhältnisse wurde in Anlehnung an den HCR-20
V3 als vorliegend definiert, wenn der Proband in der Zeit vor Haftantritt keine längeren oder häufigen Phasen der Arbeitslosigkeit aufwies. Angaben hierzu konnten meist aus den Urteilen oder der Eingangsdiagnostik entnommen werden. Das Vorhandensein einer
stabilen Lebenssituation wurde verneint, wenn – auch hier unter Rückgriff auf den HCR-20
V3 – mindestens 2 der folgenden Aspekte erfüllt waren: unsichere oder chaotische Wohnsituation, unzureichende finanzielle Mittel oder Arbeitslosigkeit, ungünstiges soziales Entlassungsumfeld (z. B. kriminelle Freunde oder Verwandte, Zugang zu Drogen und Waffen, Bandenstrukturen) sowie keine sozialpsychiatrischen Kontroll- und Unterstützungsstrukturen. Das mögliche Vorliegen einer
Suchtproblematik wurde über die Ergebnisse des internen Drogenscreenings sowie über Berichte des Anstaltsarztes ermittelt, wobei entscheidend war, inwiefern aus diesen Erhebungen vonseiten der Institution offiziell ein behandlungswürdiges Vollzugsziel abgeleitet wurde (z. B. indem eine entsprechende Diagnose gestellt wurde und/oder dem Probanden eine Suchtbehandlung nahegelegt wurde). Ob der Proband
soziale Unterstützung erhielt, wurde sowohl anhand von bestehenden sozialen Kontakten während der Inhaftierungszeit (z. B. Telefon- und Besuchskontakte) als auch durch die Bereitschaft des sozialen Netzes zu (finanzieller oder anderweitiger) Unterstützung, wie z. B. dem Angebot einer Wohnmöglichkeit im Anschluss an die Entlassung erhoben. Als nichtunterstützend wurden Bezugspersonen betrachtet, die unabhängig von den zuvor genannten Kriterien gegenwärtig oder in der Vergangenheit selbst strafrechtlich in Erscheinung getreten sind (Douglas et al.
2014). Die Variable
Partnerschaft wurde bejaht, wenn der Proband eine Partnerschaft oder Ehe zum Zeitpunkt der Datenerhebung führte, wobei inhaltlich ähnliche Operationalisierungen aktuarischer Prognoseinstrumente den empirischen Hintergrund dieser Annahme, der in einer Vielzahl an Studien bestätigt werden konnte (z. B. Hanson und Thornton
2000; Rice et al.
2013), bildeten.