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Pädiatrie
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Publiziert am: 12.03.2019

Angeborene Herz- und Gefäßanomalien: Epidemiologie und Ätiologie

Verfasst von: Johannes Breuer
Acht bis zehn von 1000 lebend geborenen Kindern haben eine angeborene Herz- oder Gefäßanomalie. Hierbei sind der offene Ductus arteriosus des Frühgeborenen sowie im Kindesalter oft nicht auffallende, aber durchaus häufige Anomalien wie die bikuspide Aortenklappe, der Mitralklappenprolaps, asymptomatische Aortenbogenanomalien und eine persistierende linke V. cava superior nicht mitgerechnet. Bei 2–3 von 1000 Neugeborenen ist die Anomalie so schwer, dass sie bereits im Säuglingsalter Symptome verursacht und einer Behandlung bedarf. Aufgrund der chirurgischen, katheterinterventionellen und medikamentösen Behandlungsfortschritte in den letzten Jahren werden heute ca. 95 % aller mit einer Herz- oder Gefäßanomalie geborenen Kinder erwachsen. Allerdings bestehen zwischen den einzelnen Herzfehlern zum Teil erhebliche Unterschiede.
Epidemiologie
Acht bis zehn von 1.000 lebend geborenen Kindern haben eine angeborene Herz – oder Gefäßanomalie. Hierbei sind der offene Ductus arteriosus des Frühgeborenen sowie im Kindesalter oft nicht auffallende, aber durchaus häufige Anomalien wie die bikuspide Aortenklappe, der Mitralklappenprolaps, asymptomatische Aortenbogenanomalien und eine persistierende linke V. cava superior nicht mitgerechnet. Bei 2–3 von 1000 Neugeborenen ist die Anomalie so schwer, dass sie bereits im Säuglingsalter Symptome verursacht und einer Behandlung bedarf. Die Prävalenz angeborener Herz- und Gefäßanomalien bei Spontanaborten bzw. Totgeburten ist mit ca. 15 % bzw. 3–4 % erheblich höher als bei lebendgeborenen Kindern.
Die relative Häufigkeit einzelner Herz- und Gefäßanomalien bei Neugeborenen geht aus Tab. 1 hervor, in der die Daten der sog. PAN-Studie aus Deutschland zusammengeführt sind. Da viele Anomalien in Kombination mit anderen auftreten, erfolgt die Klassifizierung nach dem klinisch führenden Defekt. Alle Untersuchungen zeigen übereinstimmend, dass der Ventrikelseptumdefekt der bei Weitem häufigste Herzfehler ist (Tab. 1).
Tab. 1
Relative Häufigkeit angeborener Herz- und Gefäßanomalien (nach Schwedler et al. 2011)
Herz- und Gefäßanomalie
Relative Häufigkeit (%)
Ventrikelseptumdefekt
48,9
Pulmonalstenose
6,1
17,0
Offener Ductus arteriosus
4,3
Aortenstenose
2,2
3,6
2,5
Transposition der großen Arterien
2,2
2,5
Hypoplastisches Linksherz
1,4
Univentrikuläres Herz
2,8
1,0
Andere Herzfehler
6,8
Durch die Verbesserung der fetalen Ultraschalldiagnostik werden immer häufiger Fehlbildungen bereits vor der Geburt festgestellt. So betrug der Anteil der bereits pränatal diagnostizierten Herz- und Gefäßfehlbildungen in der genannten PAN-Studie bereits 41,6 %. In einer kürzlich publizierten Studie aus Irland wurden sogar 91 % der Kinder mit einem angeborenen Herzfehler pränatal entdeckt. Nach einer pränatalen Diagnose ist die sofort anschließende Beratung der Eltern über die Fehlbildung, die notwendigen therapeutischen Schritte sowie den Langzeitverlauf durch ein Behandlungsteam aus Neonatologen, Kinderkardiologen und Kinderherzchirurgen unabdingbar. Eine solch frühe Diagnosestellung belastet natürlich den weiteren Schwangerschaftsverlauf, hat aber für manche Kinder mit komplexen Herzfehlern den Vorteil, dass bereits unmittelbar nach der Geburt und ohne Zeitverzug die richtigen Behandlungsmaßnahmen ergriffen werden können.
Die Prävalenz angeborener Herz- und Gefäßanomalien ist bei Mädchen und Jungen etwa gleich, jedoch finden sich in der relativen Häufigkeit einzelner Anomalien Unterschiede. So kommen ein offener Ductus arteriosus, ein Vorhofseptumdefekt und eine Pulmonalstenose häufiger bei Mädchen, Linksherzobstruktionen und eine komplette Transposition der großen Arterien dagegen häufiger bei Jungen vor.
Es gibt keinen Anhalt dafür, dass die Inzidenz angeborener Herz- und Gefäßanomalien im Laufe der Zeit zugenommen hat. Eine höhere Inzidenz in jüngeren Studien ist vermutlich auf bessere Untersuchungsmethoden und damit vollständigere Erfassung zurückzuführen. Jedoch hat die Prävalenz von Patienten mit angeborenen Herzfehlern aufgrund der chirurgischen, katheterinterventionellen und medikamentösen Behandlungsfortschritte in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Ohne chirurgische Behandlung erreichten ca. 65 % aller Kinder mit angeborenen Herz- und Gefäßanomalien das Erwachsenenalter, und zwar im Wesentlichen diejenigen mit leichteren Defekten, während diejenigen mit schwereren Defekten meist im frühen Säuglingsalter verstarben. Im Rahmen einer neuen Studie aus Schweden konnte gezeigt werden, dass heute ca. 95 % aller mit einer Herz- oder Gefäßanomalie geborenen Kinder erwachsen werden. Allerdings bestehen zwischen den einzelnen Herzfehlern zum Teil erhebliche Unterschiede.
Ätiologie
Bis vor Kurzem wurde angenommen, dass ca. 80 % aller angeborenen Herz- und Gefäßanomalien multifaktoriell bedingt sind. Multifaktoriell bedeutet, dass die Anomalie durch den kombinierten Effekt eines oder mehrerer Gene und auf den Embryo bzw. Feten einwirkender schädigender Umweltfaktoren entsteht. Eine Minderheit angeborener Herz- und Gefäßanomalien beruht demnach auf Chromosomenanomalien (5–12 %), Defekten einzelner Gene (3–5 %) und Teratogenen (1–2 %). Während multifaktoriell bedingte Anomalien isoliert vorkommen, treten die Anomalien anderer Genese häufig in Verbindung mit extrakardialen Fehlbildungen auf. Insgesamt haben ca. 25 % aller Patienten mit angeborenen Herz- und Gefäßanomalien zusätzliche extrakardiale Fehlbildungen. Unter den Chromosomenanomalien ist die Trisomie 21 am häufigsten und in ca. 50 % der Fälle mit einem Herzfehler (oft atrioventrikulärer Septumdefekt) verbunden. Es folgen Trisomie 18, Trisomie 13 und das Ulrich-Turner-Syndrom. Zu den Gendefekten zählen das Marfan- und Noonan-Syndrom, zu den teratogenen Einflüssen der mütterliche Diabetes mellitus, Röteln während der Schwangerschaft und chemische Substanzen wie Alkohol, Thalidomid und Lithium.
Klinische und molekulargenetische Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass sowohl isolierte als auch syndromale Anomalien häufiger als bisher angenommen auf Defekten einzelner Gene beruhen. Hierzu zählen die hypertrophische Kardiomyopathie, die supravalvuläre Aortenstenose, die Gruppe der sog. konotrunkalen Defekte und der atrioventrikuläre Septumdefekt. Für manche dieser Anomalien, so z. B. für die hypertrophische Kardiomyopathie, wurde eine genetische Heterogenität nachgewiesen, d. h. dass der gleiche Phänotyp durch Mutationen an unterschiedlichen Stellen verursacht werden kann. Andererseits hat sich gezeigt, dass Mutationen an gleicher Stelle verschiedene Phänotypen hervorrufen können, so z. B. eine Mikrodeletion am Chromosom 22q11 konotrunkale Herzfehler im Rahmen unterschiedlicher Syndrome (Di-George-Syndrom, velokardiofaziales Syndrom).
Genetische Beratung
Für die genetische Beratung bei der Mehrzahl der isolierten Herz- und Gefäßanomalien sind folgende Erfahrungswerte von Nutzen: Ist ein Kind eines Elternpaares bereits betroffen, so beträgt das Risiko für ein weiteres Kind 2–5 % (bei Linksherzobstruktionen sogar ca. 10 %). Sind bereits 2 Kinder betroffen, so steigt das Risiko auf ca. 15 %. Häufig handelt es sich um die gleiche oder eine verwandte Anomalie, wobei die Ausprägung allerdings sehr unterschiedlich sein kann.
Weiterführende Literatur
Corcoran S, Briggs K, O’Connor H, Mullers S, Monteith C, Donnelly J, Dicker P, Franklin O, Malone FD, Breathnach FM (2016) Prenatal detection of major congenital heart disease – optimising resources to improve outcomes. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 203:260–263CrossRef
Mandalenakis Z, Rosengren A, Skoglund K, Lappas G, Eriksson P, Dellborg M (2016) Survivorship in children and young adults with congenital heart disease in Sweden. JAMA Intern Med 177(2):224–230CrossRef
Oster ME, Lee KA, Honein MA, Riehle-Colarusso T, Shin M, Correa A (2013) Temporal trends in survival among infants with critical congenital heart defects. Pediatrics 131:e1502–e1508CrossRef
Schwedler G, Lindinger A, Lange PE, Participants of the PAN Study et al (2011) Frequency and spectrum of congenital heart defects among live births in Germany. Clin Res Cardiol 100:1111–1117CrossRef