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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 15.06.2023

Rückenschule

Verfasst von: Max Nikolaus und Bernhard Greitemann
Rückenschmerz gehört zu den häufigsten gesundheitlichen Beschwerden. So stellen chronische Rückenschmerzen ein großes medizinisches, aber auch ökonomisches und soziales Problem in den Industrieländern dar. In Deutschland leiden rund 80 % der Bevölkerung mindestens einmal im Leben an akuten Rückenschmerzen, wovon etwa 37 % von langfristig bestehenden, wiederkehrenden Beschwerden betroffen sind. Dies verursacht zudem immense Kosten für das Gesundheitswesen und verdeutlicht die Relevanz von Rückenschmerzen für den Public-Health Bereich. Die präventive Rückenschule bildet hier einen Ansatz, um dieser Problematik entgegenzuwirken

Einleitung

Rückenschmerz gehört zu den häufigsten gesundheitlichen Beschwerden. So stellen chronische Rückenschmerzen ein großes medizinisches, aber auch ökonomisches und soziales Problem in den Industrieländern dar. In Deutschland leiden rund 80 % der Bevölkerung mindestens einmal im Leben an akuten Rückenschmerzen, wovon etwa 37 % von langfristig bestehenden, wiederkehrenden Beschwerden betroffen sind. Dies verursacht zudem immense Kosten für das Gesundheitswesen und verdeutlicht die Relevanz von Rückenschmerzen für den Public-Health Bereich. Die präventive Rückenschule bildet hier einen Ansatz, um dieser Problematik entgegenzuwirken (Plaumann und Walter 2011; Riede 2004).

Definition

Bei der Rückenschule handelt es sich um ein Programm zur Prävention von Rückenschmerzen. Hierbei soll durch einen ganzheitlichen, aktiven Ansatz die Rückengesundheit gefördert und einer Chronifizierung vorgebeugt werden. Die Rückenschule ist ein multimodales Programm, welches die Teilnehmer zu einem gesundheitsorientierten, eigenverantwortlichen Handeln motivieren soll. Das Gesundheitspotenzial soll gefördert (Hilfe zur Selbsthilfe) und Wohlbefinden und Lebensqualität verbessert werden (Kempf 2010).

Prinzip

Das Prinzip der Rückenschule wurde erstmals 1969 von Zachrisson-Forssell in Schweden begründet und umgesetzt. Grundlage hierfür stellten Kenntnisse aus der wissenschaftlichen Erforschung der Entstehung von Rückenschmerzen dar. Hauptelemente dieser ersten Rückenschule bildeten die ergonomische Beratung sowie Informationen zur Vermeidung von Rückenschmerz. Aufbauend auf dieser ersten Rückenschule entwickelten sich eine Vielzahl an nationalen und internationalen Konzepten, deren Schwerpunkt in der Regel auf theoretischer Wissensvermittlung und weniger auf praktischem Training lagen. Ausgehend von der Kritik über das Fehlen eines einheitlichen Konzepts sowie einem fehlenden eindeutigen Wirksamkeitsnachweis erfolgte 2005 ein Zusammenschluss verschiedener Rückenschulverbände. Diese schlossen eine Kooperationsvereinbarung zur gemeinsamen Weiterentwicklung der präventiven Rückenschule. Als Grundlagenmodell für die Weiterentwicklung diente die Karlsruher Rückenschule (von 1988), deren Ziel ein ganzheitlich ausgerichteter Lernprozess ist. Die Karlsruher Rückenschule geht davon aus, dass ausreichend Bewegung, eine bewusste Wahrnehmung, eine Veränderung des Haltungs- und Bewegungsverhaltens, die Anwendung von Entspannungsverfahren sowie eine rückenfreundliche Gestaltung der Umgebung wesentlich für ein rückenfreundliches Verhalten sind. Aufbauend auf dem Ansatz der Karlsruher Rückenschule ergeben sich Leitziele der neuen Rückenschule. Diese umfassen die Förderung der Rückengesundheit sowie die Prävention von Chronifizierung bezüglich Rückenbeschwerden (Kempf 2010).

Indikationen und Kontraindikationen

Die Rückenschule richtet sich grundsätzlich an alle Menschen jeglichen Alters. Ausgeschlossen sind lediglich Personen mit akut behandlungsbedürftigen Erkrankungen. Teilnehmende Personen sollten weitgehend schmerzfrei und belastbar sein.
Die primäre Zielgruppe der Rückenschule umfasst
  • Personen mit wenig körperlicher Aktivität (< 1 h pro Woche),
  • Personen, die bereits Rückenschmerzen hatten (insbesondere Personen mit Rückenschmerzen im vorherigen Jahr),
  • Personen mit erhöhtem Rückenschmerz-Risiko,
  • Personen, die ihr eigenes Risiko für Rückenschmerzen als hoch einschätzen (Kempf 2011).
Zur genaueren Ermittlung geeigneter Personen für die Teilnahme an einer Rückenschule hat die Konföderation der deutschen Rückenschulen (KddR) Indikationen der präventiven Rückenschule in einem Papier zur Trennschärfe zusammengestellt. Dieses Papier soll ebenfalls dazu dienen, behandlungsbedürftige Personen einer ärztlichen Beurteilung zuzuführen. Die Indikationen sind in folgende Hauptpunkte untergliedert, die durch die KddR noch genauer aufgeschlüsselt sind:
  • Personen mit bewegungsarmem Lebensstil und nachfolgenden Risikofaktoren bzw. Voraussetzungen,
  • Personen mit (arbeits-)physiologischen Risikofaktoren,
  • Personen mit (arbeits-)psychologischen und psychosozialen Risikofaktoren,
  • Personen mir erlebten Schmerzepisoden (KddR 2006a).
Bei verschiedenen klinischen Problemstellungen kann die Rückenschule eine Kontraindikation darstellen. Absolut kontraindiziert sind einerseits orthopädische-traumatologische-rheumatologische-neurologische Problematiken, wie
  • Bandscheibenprotrusion und -prolaps,
  • akute neurologische Ausfallerscheinungen nach einer Bandscheiben-Operation,
  • postoperative Phase nach einer Bandscheiben-Operation (bis zu 8–9 Wochen bei komplikationslosem Verlauf),
  • akute entzündliche Prozesse oder Schmerzen,
  • Tumore an der Wirbelsäule,
  • nicht verheilte Frakturen an Wirbelkörpern,
  • akute Erkrankungen (z. B. Fieber),
  • schwere depressive Verstimmungen,
  • akute Schmerzen (Ruhe-, Bewegungs-, Nachtschmerz (entstehend nach Intervention)).
Außerdem ist die Rückenschule kontraindiziert bei Personen, die nicht länger als 30 Minuten aktiv an den Bewegungsprozessen der Rückenschule teilnehmen können, ohne dass eine Verschlechterung der Beschwerden auftritt.
Andererseits können internistisch-kardiologische Problematiken, wie Herz-, Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, nach ärztlichem Ausschluss kontraindiziert sein (KddR 2006a). Um ermitteln zu können, ob bei den Teilnehmern eine Kontraindikation vorliegt, hat die KddR einen Eingangsfragebogen erarbeitet. Dieser Kontraindikationsbogen soll bei der Abschätzung des gesundheitlichen Risikos der Teilnehmer unterstützen (KddR 2006b).

Vorgehen in der Therapie

Struktur der Rückenschule
Aufbauend auf den genannten Leitzielen werden zur Planung der Rückenschule Kernziele sowie Grob- und Feinziele definiert, die der Strukturierung der Rückenschule dienen. Die Kernziele legen fest, was im Rahmen der Rückenschule erreicht werden soll. Diese werden in Abstimmung mit den Kursteilnehmern aufgestellt und können folgende Punkte umfassen:
  • Stärkung physischer Gesundheitsressourcen
  • Stärkung psychosozialer Gesundheitsressourcen
  • Verminderung von Risikofaktoren für Rückenschmerz
  • Förderung gesundheitsorientierter, körperlicher Aktivität
  • Sensibilisierung für haltungs- und bewegungsförderliche Verhältnisse
Zur Umsetzung und Überprüfung der aufgestellten Kernziele werden diese weiter ausdifferenziert und in Grob- und Feinzielen präzisiert. Diese müssen einerseits dem Stand des derzeitigen Wissens entsprechen, andererseits sollten die aufgestellten Ziele für die Kursteilnehmer relevant sowie durch deren Verhalten beeinflussbar sein.
Inhalte der Rückenschule
Zur Erreichung der aufgestellten Ziele stützt sich die Rückenschule auf folgende Inhalte:
  • Körperwahrnehmung und Körpererfahrung
  • Training der motorischen Grundeigenschaften
  • Entspannungsmethoden und -strategien zur Stressbewältigung
  • Strategien der Verhaltensmodifikation
  • Strategien zur Schmerzbewältigung
  • Kleine Spiele/Bewegungsspiele
  • Haltungs- und Bewegungsschulung
  • Wissensvermittlung, Informationen (übergreifend)
  • Verhaltensprävention
  • Vorstellung von Lifetime-Sportarten
  • Gruppen- und Einzelgespräche
  • Erfolgskontrolle und Bewertung (Evaluation)
Diese bilden die Grundlage der präventiven Rückenschule. Die verschiedenen Inhalte werden als Baukasten aufgefasst, die nach dem Baukastenprinzip ausgewählt werden können. Die Auswahl der verschiedenen Inhalte erfolgt in Bezug zur jeweiligen Unterrichtssituation (Kempf 2010, 2011).
Literatur
KddR – Konföderation der deutschen Rückenschulen (Hrsg) (2006a) Trennschärfe. Online-Veröffentlichung: http://​www.​kddr.​de/​wp-content/​uploads/​2011/​09/​KddRTrennschaerf​e.​pdf. Zugegriffen am 26.01.2020
KddR – Konföderation der deutschen Rückenschulen (Hrsg) (2006b) Kontraindikationsbogen der Konföderation der deutschen Rückenschulen. Online-Veröffentlichung: http://​www.​kddr.​de/​wp-content/​uploads/​2011/​09/​KddRKontraindika​tionsbogen.​pdf. Zugegriffen am 26.01.2020
Kempf H-D (2010) Grundlagen und Organisation. Die Rückenschule. In: Kempf H (Hrsg) Die Neue Rückenschule. Das Praxisbuch. Springer Medizin, Heidelberg, S 4–27CrossRef
Kempf H-D (2011) Grundlagen der Neuen Rückenschule. Zielgruppenbestimmung. In: Flothow A, Kempf H-D, Kuhnt U, Lehmann G (Hrsg) KddR-Manual. Neue Rückenschule. Professionelle Kurskonzeption in Theorie und Praxis. Elsevier GmbH, München, S 76–73
Plaumann M, Walter U (2011) Prävention und Gesundheitsförderung. In: Flothow A, Kempf H-D, Kuhnt U, Lehmann G (Hrsg) KddR-Manual. Neue Rückenschule. Professionelle Kurskonzeption in Theorie und Praxis. Elsevier GmbH, München, S 1–2
Riede D (2004) Rückenschule. In: Gutenbrunner C, Weimann G (Hrsg) Krankengymnastische Methoden und Konzepte. Therapieprinzipien und -techniken systematisch dargestellt. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg, S 514–516