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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 25.12.2021

Distales Femur

Verfasst von: Martin M. Kaiser und Lucas M. Wessel
Distale Femurfrakturen bei älteren Kindern durch Verkehrs- oder Sportunfälle verursacht, weitere Ursachen sind Geburtstraumen, Stürze vom Wickeltisch oder pathologische Frakturen (z. B. bei Cerebralparese oder Knochenzysten). Zusätzliche kleine periphere metaphysäre Fragmente sind verdächtig auf eine Kindes misshandlung. Ein Remodeling findet in diesem Bereich nur in der Sagittalebene bis max. 20° statt. Undislozierte und meist gering abgekippte Grünholzfrakturen werden im Oberschenkel- oder BBG ruhiggestellt. Pathologische Frakturen sowie Frakturen am dia-metaphysären Übergang erfordern individuelle Lösungen (Kombinationsosteosynthese, Platte oder Fixateur), da oft weder die Krischner-Draht-Osteosynthese noch die ESIN-Osteosynthese eine ausreichende Stabilität gewährleisten. Fugenlösungen bzw. Fugenschaftfrakturen werden ab einer Dislokation von 2 mm reponiert und je nach Größe des metaphysären Fragmentes mit Drähten und Gips bzw. einer Zugschraubenosteosynthese versorgt. Auf die Möglichkeit einer Wachstumsstörung muss hingewiesen werden. In halbjährlichen Abständen müssen daher die Beinlängen und Beinachsen für mindestens 2 Jahre kontrolliert werden
Im vorliegenden Kapitel werden die Frakturen der distalen Femurmetaphyse bis zur Epiphysenfuge des distalen Femurs (Salter-Harris-I- und -II-Brüche) behandelt. Gelenkfrakturen (Verletzungen der distalen Femurepiphyse) werden im Kap. „Epiphysäre distale Femurfrakturen beim Kind“ besprochen.

Distales Femur: Anatomie und Entwicklung

Das kaudale Ende des Femurs endet in den sog. Gelenkknorren, dem Condylus medialis und lateralis femoris. Sie bilden zusammen mit der Patella und der proximalen Tibia das Kniegelenk. Randständig finden sich an den Kondylen der Epicondylus medialis femoris und der Epicondylus lateralis femoris.
Bei einem Embryo von ca. 40 Tagen ist im Bereich der Beinknospe lediglich das Femur aus hyalinem Knorpel angelegt. Diaphysär beginnt die Verknöcherung ab der 8. Schwangerschaftswoche (SSW) mit der Bildung des zentralen Knochenkerns. Der Knochenkern der distalen Femurepiphyse tritt erst ab der 32. SSW mit einer Größe von 3–5 mm auf. Zwischen den beiden Kernen entwickelt sich aus dem hyalinen Knorpel der knorpeligen Anlage die als Epiphysenfuge bezeichnete Wachstumszone. Deren Konfiguration verändert sich mit dem Wachstum, was sich insbesondere bei Kindern unter 3 Jahren bei Fugenlösungen als relevant erweist (Abb. 1). Die distale Fuge des Femurs verschließt sich entsprechend MRT-morphologischer Untersuchungen ab 14 Jahren und ist spätestens mit 20 Jahren verschlossen. Der Fugenschluss vollzieht sich hier somit später als an Tibia und Fibula.

Distale Femurfrakturen

Ursache und Häufigkeit distaler Femurfrakturen

Der Unfallmechanismus beruht in erster Linie auf einer indirekten Einwirkung von kombinierten Torsions- und Biegekräften auf das kniegelenknahe Femur bei fixiertem Unterschenkel (Abb. 2). Unfallursachen bei älteren Kindern und Adoleszenten sind daher Verkehrsunfälle (Abb. 3), Ball- oder Kontaktsportarten bzw. Skilaufen. Bei jüngeren Kindern finden sich distale metaphysäre Frakturen nach Geburtstraumen oder Stürzen vom Wickeltisch (Abb. 4); pathologische (meist spontane) Frakturen werden bei Kindern mit Zerebralparese beobachtet (Abb. 5). Während reine distale Fugenlösungen neuromuskulären Erkrankungen, Kontrakturen oder Mangelernährung geschuldet sein können, sind bei kleinen Kindern zusätzliche kleine periphere metaphysäre Fragmente („corner fracture“) verdächtig auf eine Kindesmisshandlung (Abb. 6).
Etwa 4,6 % aller distalen Femurfrakturen betreffen die Metaphyse, bzw. 0,1–0,3 % sind epiphysär lokalisiert (Beck et al. 2001; Lombardo et al. 1977; Zimmermann et al. 1999).

Klassifikation

Distale metaphysäre Frakturen treten meist als Grünholzfrakturen oder komplette quere Frakturen (Abb. 7) auf, während pathologische Frakturen divergierende Verläufe bis hin zu Mehrfragmentfrakturen aufweisen. Die distalen Fugenschaftlösungen bei noch offener Wachstumsfuge werden nach Salter und Harris (1963) oder Aitken (1936) eingeteilt:
  • Salter-Harris I (entspricht Aitken 0): reine Lösung der Wachstumsfuge (Abb. 8 und 9)
  • Salter-Harris II (entspricht Aitken I): Lösung der Wachstumsfuge mit mehr oder minder großem metaphysären Keil (auch Thurston-Holland-Fragment genannt, Abb. 10).

Frakturdislokation und Begleitverletzungen

Varus- oder Valgusstress im Rahmen eines direkten Traumas oder beim Sturz ist für Dislokationen in der Horizontalebene verantwortlich, wobei meist noch eine Torsionskomponente hinzukommt. Eine Hyperextension bzw. Hyperflexion verursacht die Dislokation in sagittaler Ebene. Gefäßverletzungen nach anteriorer Dislokation oder offene Frakturen sind mit 3 % eher selten, in 2–7 % der Fälle wurde zusätzlich eine Läsion des Nervus peronaeus (Neuropraxie durch Überdehnung) beobachtet. Ein Kompartmentsyndrom ist mit ca. 1 % der Fälle ebenso eine seltene Komplikation. Insbesondere bei Hochrasanztraumen, wie z. B. Motocross-Unfällen, muss jedoch an weitere knöcherne Läsionen bzw. Organverletzungen gedacht werden. Begleitende Kniebinnenschäden betreffen eher Salter-Harris-III-Frakturen. Diese werden durch die Fokussierung auf die radiologisch sichtbare Fraktur oft verzögert erkannt (Eid und Hafez 2002; Rockwood und Wilkins 2020).

Diagnostik

Ist die Klinik eindeutig und die Fraktur bereits auf einer Aufnahme zu erkennen, kann initial auf die zweite Ebene verzichtet werden, um dem Patienten unnötige Schmerzen zu ersparen. In diesem Fall kann die Aufnahme in zweiter Ebene intraoperativ erfolgen. Schwieriger ist die Beurteilung nicht oder gering dislozierter Salter-Harris-I-Frakturen. Bei Neonaten mit noch unverknöcherter Epiphyse kann eine sonografische Abklärung hilfreich sein. Ansonsten können diese Verletzungen durch eine Schnittbilddiagnostik oder nach Ruhigstellung durch sekundäre Frakturzeichen („Kallusspange“) im Röntgen detektiert werden. Eine CT-Untersuchung sollte aus Gründen des Strahlenschutzes nur selten, z. B. beim Polytrauma, eingesetzt werden. Komplexe oder unklare Frakturverläufe (Übergangsfraktur) und eventuelle Kniebinnenschäden sind eine Indikation für eine MRT-Untersuchung. Nahezu nie sind eine Untersuchung der Gegenseite oder Stressaufnahmen indiziert (Rockwood und Wilkins 2020).

Entwicklung und Wachstum (einschließlich Wachstumsprognose und Korrekturmöglichkeiten)

Die distale Femurepiphysenfuge ist für 70 % des femoralen Längenwachstums bzw. für ca. 30 % des Längenwachstums der unteren Extremität verantwortlich. Das jährliche Wachstum liegt bei ungefähr 10 mm. Während die Fuge innerhalb der ersten 2 Lebensjahre eine eher flache Konfiguration aufweist, verändert sich die Konfiguration durch Ausbildung eines zentralen Grates. Dies kann die Erklärung sein, dass Kinder unter 2 Jahren keine relvante Gefäßverletzung erleiden und nahezu nie eine Wachstumsstörung entwickeln. Der Fugenschluss liegt bei 14 (Mädchen) bis 16 (Jungen) Jahren, wobei eine große Bandbreite vorliegt (Rockwood und Wilkins 2020).

Wachstumsstörungen: Achsenfehlstellung und Beinlängendifferen

Wachstumsstörungen durch Ausbildung einer Brücke (Teilverschluss der Fuge) führen zu einer Fehlstellung in der Sagittalebene (Ante- bzw. Rekurvation) oder der Horizontaleben (Varus- oder Valgusfehlstellung) (Beck et al. 2001; Caterini et al. 1991; Ehrlich 1979; v. Laer 1994). Hierbei scheinen Wachstumsstörungen in der Frontalebene häufiger aufzutreten.
Nach jeder Femurfraktur sind bis zum Ausheilen stimulative Wachstumsstörungen möglich (Weinberg et al. 2002); dies führt zur Verlängerung des betroffenen Beins. Aufgrund der Seltenheit der Fraktur schwanken die Zahlen dazu so gravierend, dass eine gesicherte Aussage kaum möglich ist (Beck et al. 2001; v. Laer 2001; Lombardo et al. 1977). Häufiger sind jedoch Verkürzungen der Beinlänge gegenüber der Gegenseite durch frühzeitigeren Schluss der Fuge (Weinberg et al. 2002; Rockwood und Wilkins 2021).
In der Literatur wird die Inzidenz der posttraumatischen Beinlängendifferenzen in verschiedenen Einzelstudien nach distalen Femurfrakturen zwischen 11–38,5 % angegeben (Beck et al. 2001; Buess-Watson et al. 1994; Ehrlich 1979; Zimmermann et al. 1999). Diese hohe Schwankungsbreite hat mehrere Ursachen:
  • In den Nachuntersuchungen werden die unkomplizierten Stauchungsfrakturen mit einbezogen, die nahezu nie Wachstumsstörungen verursachen,
  • Der Anteil der präpubertären Patienten ist in den einzelnen Studien unterschiedlich hoch
  • Der Nachuntersuchungszeitraum spielt in den Ergebnissen eine relevante Rolle, da sich auch noch Jahre nach dem Trauma – insbesondere präpubertär – Längendifferenzen entwickeln können
Bezieht man auch Frakturen der Epiphyse mit ein, zeigen die Ergebnisse einer Metaanalyse in diesem Bereich noch höhere Komplikationsraten: Basener et al. (2009) fanden bei 291 von 564 Frakturen (52 %) eine Wachstumsstörung; hierbei betroffen waren Salter-Harris-I-Frakturen in 36 %, Salter-Harris-II-Frakturen in 58 %, Salter-Harris-III-Frakturen in 49 % und Salter-Harris-IV-Frakturen in 64 % der Fälle. Dislozierte Frakturen wiesen ein Risiko von 65 % auf, undislozierte immerhin noch von 31 % (4-fach erhöhte Odds Ratio). Wachstumsstörungen waren in 37 % der Fälle (45/121) klinisch relevant (>1,5 cm Beinlängendifferenz oder >5° Varus/Valgus).
Eine prophylaktische Therapie der Wachstumsstörung gibt es nicht. Negative Faktoren sind wie oben aufgeführt das Ausmaß der initialen Dislokation, weiterhin geht man davon aus, dass eine inadäquate Reposition sowie die Häufigkeit der Manipulation mit multiplen Bohrversuchen intraoperativ das Risiko einer Wachstumsstörung erhöhen. Die fugenkreuzende Osteosynthese mit Kirschner-Drähten scheint hierbei das Risiko einer Wachstumsstörung nicht zu erhöhen (Dahl et al. 2014).
Entscheidend ist jedoch, dass Patient und Eltern frühzeitig darüber aufgeklärt werden müssen, dass trotz optimaler Reposition und Retention Wachstumsstörungen möglich sind.

Therapie

Therapieziel ist neben der Frakturheilung die Wiederherstellung der Anatomie, ohne dabei die distale Femurepiphyse zu schädigen. Nach Reposition dislozierter Frakturen wird entsprechend der Frakturmorphologie die Retention mittels Kirschner-Drähten oder Zugschrauben gewählt (Abb. 8, 9 und 10). Eine anatomiegerechte Stellung, erzielt durch möglichst geringe Manipulation und minimalinvasive Osteosynthese, verringert das Risiko einer Wachstumsstörung. Distale Frakturen am diametaphysären Übergang (Abb. 11 und 12) können ebenso wie pathologische Frakturen große Probleme bereiten und bedürfen oft einer individuellen Strategie, z. B. einer winkelstabilen Plattenosteosynthese.

Indikation für die konservative Therapie

Die seltenen undislozierten Frakturen werden wie die meist gering abgekippten Grünholzfrakturen im Oberschenkelgips oder im Becken-Bein-Gips ruhiggestellt. Bei Achsabweichungen ist zu beachten, dass diese nur in der Sagittalebene je nach Alter zwischen 10–20° der Spontankorrektur überlassen werden können. Bei Fugenlösungen bzw. Fugen-Schaft-Frakturen gilt als Grenze eine Dislokation von mehr als 2 mm (Rockwood und Wilkins 2020). Stauchungsfrakturen des distalen Femurs werden je nach Alter für 2–4 Wochen im Oberschenkelgips behandelt. Bei vollständiger Fraktur ohne Dislokation wird am 6.–8. Tag eine Röntgenkontrolle im Gips durchgeführt, um eine sekundäre Fehlstellung zu diagnostizieren oder auszuschließen.
Bei kleinen Kindern empfiehlt sich für die Anlage des Becken-Bein-Gipses eine Sedierung oder eine Vollnarkose, um ein für diese Ruhigstellung optimales Ergebnis zu erzielen (Tipps und Tricks für die Anlage eines Becken-Bein-Casts s. Kap. „Diaphysäre Femurschaftfrakturen beim Kind“).

Indikation für die operative Therapie

  • Absolute Indikation. Sofortige Reposition bei gestörter Perfusion. Komplett dislozierte Frakturen sind ebenso wie offene Frakturen notfallmäßig primär definitiv zu stabilisieren (v. Laer 1997, 2001; Rockwood und Wilkins 2020).
  • Frühelektive Indikation. Aufgrund der geringen Möglichkeit zur Spontankorrektur werden je nach Alter Abweichungen in der Sagittalebene >10–20° sowie bei Epiphyseolysen eine Seit-zu-Seit-Verschiebung >1/5 Schaftbreite reponiert. Abweichungen in der Horizontalebene müssen ebenso korrigiert werden. Zur Frage der Notfallindikation kann eine experimentelle Studie an Ratten einen gewissen Aufschluss geben (Egol et al. 2002). Hier wurde eine Dislokation der Fuge (50 % Seitverschiebung und 30° Achsenknick) zu unterschiedlichen Zeiten reponiert. Beinlängendifferenz und Achsenstellung waren bei sofortiger Reposition gegenüber Reposition nach 6 Stunden geringgradig kleiner bzw. besser; dies war jedoch statistisch nicht signifikant. Deutlichere Abweichungen ergaben sich bei Repositionsverzögerung von 24 Stunden. Somit rechtfertigt dies unserer Ansicht nach, gering dislozierte Frakturen je nach Allgemeinzustand des Patienten auch geplant am Folgetag zu versorgen. Bei epiphysärem Frakturverlauf gilt eine Distanz ab 2 mm als disloziert und somit therapiebedürftig.

Operatives Vorgehen – Fugenlösungen und Fugenschaftfrakturen

Besteht die Indikation zur Reposition, sollte immer auch eine definitive Versorgung – meist mittels Kirschner-Drähten oder Zugschrauben – erfolgen. Patient und Eltern müssen über folgendes aufgeklärt werden:
  • Allgemeine Operationsrisiken
  • Iatrogene Läsion des medialen Gefäß-Nerven-Bündels bei medialem Zugang
  • Postoperative Gipsbehandlung bei Kirschner-Draht-Osteosynthese
  • Radiologische Kontrollen nach 4 Wochen bzw. 3–4 Monaten
  • Infektionsgefahr bei perkutan eingebrachten Kirschner-Drähten
  • Versenkte Kirschner-Drähte liegen im Bereich des Tractus iliotibialis und können nach Gipsabnahme die Kniegelenkfunktion passager beeinträchtigen; dies gilt ebenso bei der Versorgung mit einem Fixateur externe
  • Bei versenkten Kirschner-Drähten bzw. Zugschraubenosteosynthese Notwendigkeit eines zweiten operativen Eingriffs zur Metallentfernung in Narkose
  • Generell: Das Eintreten einer Wachstumsstörung ist auch trotz optimaler Reposition und Retention nicht auszuschließen
  • Operationsvorbereitung. Falls bei der Erstversorgung keine zufriedenstellenden Aufnahmen gemacht werden konnten, wird dies in Narkose nachgeholt, um mögliche knöcherne Begleitverletzungen bzw. zusätzliche Fragmente sicher zu diagnostizieren.
  • Instrumentarium. Bohrdrähte der Dicke 1,6–2,0 mm, Spongiosaschrauben 3,5–4,5 mm kanüliert.
  • Anästhesie und Lagerung. Bei Kindern wird die Allgemeinanästhesie bevorzugt, bei Jugendlichen kann der Eingriff ggf. in Spinalanästhesie durchgeführt werden. Der Patient wird auf dem Rücken bei frei abgedecktem Bein gelagert. Zur Reposition kann eine Unterpolsterung im Kniegelenk hilfreich sein. Ein abklappbares Fußteil erleichtert die Kniegelenkflexion.
  • Operationstechnik (s. Übersicht). Dislozierte Frakturen vom Typ Salter-Harris I–II werden entsprechend der Dislokation geschlossen reponiert. Hierbei ist ein „schonendes“ Verfahren mit überwiegendem Längszug und danach Manipulation vor Ort sicher empfehlenswert, kann jedoch eine Wachstumsstörung nicht immer verhindern. Bei Verlust der Reposition und/oder verbreiterter Fuge auf der konvexen Seite muss bedacht werden, dass es gelegentlich zu einer Periostinterposition kommen kann. Während einige Autoren in diesem Fall ein offenes Vorgehen empfehlen, sehen andere Autoren dies in Hinblick auf eine mögliche Schädigung der vaskulären Versorgung der Fuge als nicht sinnvoll an. Gelingt die Reposition mit geringem Aufwand, besteht die Möglichkeit der alleinigen Gipsbehandlung; wir führen jedoch immer eine Osteosynthese durch, da ein Verlust der Reposition in bis zu 36 % der Fälle beschrieben wurde (Eid und Hafez 2002).
OP-Verfahren: Salter-Harris-I- und -II-Frakturen (Abb. 13 und 14)
  • Röntgen-geeigneter OP-Tisch/Abklappen des nicht betroffenen Beines vorteilhaft
  • Röntgenschutz Patient
  • Rückenlage des Patienten, ggf. Unterpolsterung der ispilateralen Hüfte
  • Bildverstärker/C-Bogen gegenüber dem Operateur
  • Operateur steht bei Salter-Harris-II-Fraktur auf der Seite des metaphysären Fragments
  • Blutsperre/Drainage: nicht erforderlich
  • Retention mit Kirschner-Drähten: identische Stärke, je nach Patient 1,6–2,0 mm Durchmesser. Aszendierend: 1 Draht von der lateralen Epiphyse zur medialen Metaphyse und 1 Draht von der medialen Epiphyse zur lateralen Metaphyse. Die Drähte queren die Fuge (= Fraktur) und kreuzen proximal davon; beide Spitzen sollten ca. 5 mm über die Gegenkortikalis hinausragen. Falls erforderlich dritter Draht zur erhöhten Stabilität. Vielfache Bohrungen vermeiden. Umbiegen und Kürzen der Drähte sowie Verband mit z. B. PVP-Jod-Lösung getränkter Kompressen bei perkutaner Versorgung oder subkutanes Versenken. Röntgendokumentation in 2 Ebenen. Anlage Oberschenkelgips.
  • Retention mit Zugschrauben: Fixierung des metaphysären Fragments mit 2 Kirschner-Drähten ohne Gewinde (1,2 oder 1,6 mm Durchmesser entsprechend der gewählten Hohlschraube 3,5 oder 4,5 mm mit Teilgewinde; bei sehr großen Patienten 6,5-mm-Schrauben möglich), die mit der Spitze in der Gegenkortikalis liegen. Je nach Größe des Fragments Positionierung eines Drahts mehr anterior bzw. eines Drahtes mehr posterior. Kontrolle anteroposterior und Seitlich, dass das Fragment adäquat erfasst ist und die Fuge nicht tangiert wird. Stichinzision und stumpfes Spreizen bis zur Kortikalis. Ausmessen der Schraubenlänge. Fakultativ Anbohren der Kortikalis (Schrauben meist selbstschneidend). Einbringen der Spongiosazugschrauben (ggf. mit Unterlegscheibe) unter Röntgenkontrolle. Die Spitzen der Schrauben sollten die Gegenkortikalis erfassen bzw. können wenige Millimeter überstehen. Verschluss mittels subkutaner und resorbierbarer Intrakutannaht. Bei adäquater Stabilität unter Kontrolle mittels bildgebendem Verfahren kein Gips erforderlich.
Fehler, Gefahren, Komplikationen
  • Anteriore Dislokation der Epiphyse ➔ Kontrolle der Durchblutung
  • Nach Reposition Klaffen der Fuge ➔ Periost interponiert?
  • Intraoperative Schädigung des medialen Gefäß-Nerven-Bündels beim Einbringen der Bohrdrähte von lateral
  • Bei erhöhtem Varusstress während Reposition Schädigung des N. peroneus möglich
  • Ungenügende Stabilität, wenn die Drähte auf Fugenhöhe kreuzen bzw. bei diametaphysärem Frakturverlauf möglich
  • Multiple Bohrungen können die Wachstumsfuge schädigen (Temperatur, tangentialer Verlauf mit großem Durchmesser)
  • Hohlschrauben verwenden, um mehrere Schraubenbohrungen zu vermeiden
  • Gefahr der Brückenbildung im Bereich der Fuge: keine fugenkreuzende oder fugentangierende Schraubenlage
  • Irritation des Tractus iliotibialis durch Drähte
  • Bei Unsicherheit bezüglich der Stabilität der Osteosynthese Röntgenkontrolle nach 1 Woche
  • Instabilität bzw. eine verbliebene Fehlstellung sollte jenseits der Grenzen zum Remodeling frühzeitig im Rahmen der Primärbehandlung korrigiert werden

Operatives Vorgehen – Versorgung von suprakondyläre Frakturen, Frakturen am diametaphysären Übergang und pathologischen Frakturen

Frakturen in diesem Bereich werden durch den Zug des M. gastrocnemius in die Extensionsfehlstellung gezogen. Somit sind konservative Ansätze wenig erfolgversprechend. Ähnlich wie beim diametaphysären Übergang distalen Tibia ist jedoch die Versorgung dieser Frakturen eine Herausforderung. Während die Fraktur für eine Retention mittels ESIN-Osteosynthese sehr distal liegt, sind Kirschner-Drähte zwar einfacher zu plazieren, erbringen jedoch häufig trotz Gips keine ausreichende Stabilität (Abb. 11). Abb. 12 zeigt ein Beispiel, in dem die Kirschner-Draht-Osteosynthese ein noch befriedigendes Ergebnis erbracht hat; in Abb. 15 ist eine erfolgreiche Versorgung mittels ESIN-Osteosynthese dargestellt. Wenn eine ESIN-Osteosynthese aufgrund der Länge des metaphysären Fragments möglich ist, soll biomechanischen Studien zufolge ein retrogrades Einbringen vorteilhaft sein (Mehlman et al. 2006). Eine weitere Möglichkeit für diesen Frakturtyp ist ein Fixateur externe (Abb. 16).
Somit müssen bei bislang fehlenden biomechanischen Studien individuelle Entscheidungen getroffen werden. Ebenso kann eine winkelstabile Plattenosteosynthese erwogen werden, wobei bei sehr distaler Fraktur eine T-förmige Platte gewählt werden kann, deren distale Schrauben parallel zur Fuge eingebracht werden. Bei Kindern mit Zerebralparese kommt erschwerend die meist sehr schlechte Qualität des Knochens hinzu, sodass z. B. intramedulläre Nägel im osteopenen Knochen kaum verankert werden können. Bei immobilen Patienten kann nach individueller Entscheidung unter Vernachlässigung einer Wiederherstellung der anatomischen Gegebenheiten auch die Konsolidierung im Gips Therapieziel sein (Abb. 5).

Nachbehandlung

Konservativ

Nahezu undislozierte bzw. gering abgekippte Grünholzfrakturen bei Kleinindern benötigen keine Kontrolle. Nach alleiniger Reposition sowie bei konservativer Behandlung größerer Kinder wird zwischen dem 7.–9. Tag eine radiologische Kontrolle der Stellung durchgeführt. Bei sekundärer Dislokation/Achsabweichung ist die OP-Indikation mit Retention durch eine Osteosynthese gegeben.
Konservativ behandelte Frakturen werden bei Säuglingen und Kleinkindern 2–3 Wochen, bei älteren Kindern 4(–5) Wochen ruhiggestellt. Nach Ausschluss einer operationspflichtigen Dislokation nach ungefähr einer Woche kann ggf. vom Weißgips auf einen Cast gewechselt werden. Je nach Frakturform und Alter besteht bei geschlossenem Gips/Cast die Möglichkeit der Teilbelastung an Unterarmgehstützen.
Fugenlösungen bei Säuglingen und Kleinkindern können ebenso wie Grünholzfrakturen strahlensparend nach Gipsabnahme bzw. ggf. im Verlauf sonografisch kontrolliert werden.
Eine Physiotherapie ist nach konservativer Behandlung dieser Frakturen nahezu nie erforderlich.

Operativ

Bei optimaler Versorgung und Compliance des Patienten ist bei übungsstabiler Schraubenosteosynthese eine Mobilisation an Unterarmgehstützen unter Abrollen des Fußes möglich. Initial kann zur Schmerzbehandlung ein Tutor angelegt werden. Ist eine Teilbelastung nicht möglich, wird unter Entlastung mit Unterarmgehstützen oder bei kleineren Kindern im Rollstuhl bis zur Heilung komplett entlastet. An manchen Kliniken wird bereits postoperativ funktionell auf der Bewegungsschiene behandelt; wir halten dies nicht für unbedingt erforderlich.
Nach Kirschner-Draht-Osteosynthese ist ein Oberschenkelgips oder ein Oberschenkeltutor erforderlich. Dieser Gips kann individuell nach einer Woche gegen einen Cast ausgetauscht werden. Bei perkutan eingebrachten Drähten sind unserer Erfahrung nach bei unauffälligem Verlauf keine Wundkontrollen erforderlich. Bei Problemen (neu aufgetretene Beschwerden, Fieber, verrutschter oder beschädigter Gips) muss jedoch umgehend eine Wiedervorstellung des Patienten erfolgen. Letzlich fördert insbesondere eine übungsstabile Osteosynthese bzw. das Vermeiden langer Immobilisation die Wahrscheinlichkeit der eingeschränkten Beweglichkeit des Kniegelenks („stiffness“), wie sie früher in bis zu 33 % der Fälle beschrieben wurde (Stephens et al. 1974; Lombardo et al. 1977; Riseborough et al. 1983; Eid und Hafez 2002). Unserer Erfahrung nach sind derartige Probleme mit den hier vorgestellten Verfahren und einer eventuell erforderlichen Mobilisation im Rahmen der Physiotherapie die Ausnahme.

Metallentfernung

Kirschner-Drähte werden an unserer Klinik perkutan eingebracht und dementsprechend nach 4 Wochen ambulant ohne Narkose entfernt. Je nach Konsolidierung im konventionellen Röntgen wird die Ruhigstellung für 7–10 Tage verlängert oder mit Teilbelastung begonnen. Versenkte Drähte werden nach Durchbauung der Fraktur in Narkose gezogen. Zugschrauben können je nach Alter des Patienten und Konsolidierung in der radiologischen Kontrolle nach 3–6 Monaten entfernt werden.

Physiotherapie

Eine Physiotherapie ist nach Ansicht vieler Autoren nicht zwingend notwendig und wird somit individuell eingesetzt (v. Laer 2001). Die Indiktion sehen wir in Einschränkungen der Beweglichkeit, die länger als 6–8 Wochen andauern oder wenn – insbesondere Adoleszente – durch die hohe Gewalteinwirkung und die Stellung des Beins beim Unfall erheblich Schwierigkeiten haben, wieder Vertrauen in die eigene Extremität zu setzen. Bei freier Funktion kann die sportliche Aktivität wieder erlaubt werden (v. Laer 1997). Dies ist frühestens nach 8 Wochen möglich, manchmal wird die komplette Rückkehr zum Sport erst nach 12–16 Wochen erreicht.

Wachstumskontrollen

Aufgrund des Wachstums von ca. 10 mm pro Jahr werden Wachstumsstörungen frühestens nach 6 Monaten evident. Fugenschaftfrakturen sollten daher in halbjährlichen Abständen nachkontrolliert werden, ob eine Beinlängendifferenz mit oder ohne Achsabweichung eingetreten ist (Bylander et al. 1981; v. Laer 1997). Hierzu genügt die klinische Beurteilung, um den Kindern eine fortlaufende Strahlenbelastung zu ersparen. Finden sich Zeichen einer beginnenden oder zunehmenden Deformität (Achse und/oder Länge), empfiehlt es sich, ein MRT (oder ein CT) des Kniegelenks durchzuführen. Mit dieser Technik können vorhandene Brückenbildungen der Wachstumsfuge beurteilt werden, um ggf. die Indikation zur Sprengung derselben zu stellen. Bei Korrekturen hinsichtlich der Beinlänge oder der Achsen sind Ganzbeinaufnahmen beider Beine im Stehen erforderlich, um präzise Informationen für die Distraktion bzw. die Korrekturosteotomie zu haben.
Ist ein Patient innerhalb der ersten 2 Jahre nach Unfall beschwerdefrei und es sind keine Beinlängendifferenzen bzw. Achsabweichungen aufgetreten, kann die Behandlung abgeschlossen werden. Der Patient und dessen Eltern müssen aber darüber informiert werden, dass im Rahmen des physiologischen Wachstumsschlusses eventuell noch Störungen auftreten könnten. Bei aufgetretenen Störungen müssen weitere Kontrollen bis zum Wachstumsabschluss entsprechend der Schwere bzw. der Dynamik der Veränderung individuell terminiert werden.

Behandlung von Wachstumsstörungen

Bei auftretenden hemmenden Wachstumsstörungen mit teilweisem oder völligem Verschluss der Fuge hängt der Zeitpunkt der Korrektur vom Alter und dem Ausmaß der Brückenbildung ab (Rockwood und Wilkins 2020).
Aktuelle Empfehlungen sehen die Indikation zur Behandlung von Knochenbrücken, wenn diese 25–40 % der Fugenfläche betragen und noch ein Wachstum von 2 Jahren zu erwarten ist (Dabash et al. 2018; Shaw et al. 2018; Yuan et al. 2019). Die Planung der OP wird durch ein MRT bzw. ein CT präzisiert. Zentrale Brücken werden über ein metaphysäres Knochenfenster aufgebohrt, während bei peripheren ein direkter Zugang möglich ist. Als Hilfsmittel, um die komplette Resektion zu gewährleisten, werden Bildverstärker, 3-D-Röntgen bzw. auch ein Arthroskop eingesetzt. Als Platzhalter dienen Fettgewebe, künstliche Dura, Cranioplast® oder Polymethylmethacrylat (PMMA). Eine gleichzeitige Korrekturosteotomie ist vom Ausmaß der Achsabweichung abhängig. Die Ergebnisse sind jedoch nicht immer zufriedenstellend (Bronfen et al. 1994). Aktuell stehen weitere Therapieoptionen im Sinne einer regenerativen Medizin noch nicht gesichert zur Verfügung; die Anwendung von Stammzellen könnte zukünftig eine Option sein.
Stimulative Beinlängenalterationen ohne Achsendeviation überschreiten selten 2 cm. Diese werden, wenn notwendig, erst nach Wachstumsabschluss korrigiert.
Literatur
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