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Klinische Neurologie
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Publiziert am: 03.10.2018

Riesenzellarteriitis (Arteriitis temporalis oder cranialis)

Verfasst von: Peter Berlit
Die Arteriitis temporalis (AT) ist eine Form der Riesenzellarteriitis, welche schwerpunktmäßig die A. carotis externa und ihre Äste betrifft, bei älteren Menschen (über 50 Jahre) auftritt und typischerweise mit Allgemeinsymptomen einhergeht. Serologisch finden sich ausgeprägte Entzündungszeichen, von denen eine meist deutliche Beschleunigung der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG > 100 mm/h) und eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins (CRP) diagnostisch am relevantesten sind. Etwa die Hälfte aller Patienten mit einer AT zeigt die Symptomatik einer Polymyalgia rheumatica (PMR) mit Schmerzen im Bereich der proximalen Muskulatur und Gelenke sowie Morgensteifigkeit. AT und PMR sind Facetten eines Krankheitsspektrums mit fließenden Übergängen. Zu den gefürchteten Komplikationen der Erkrankung zählen die ein- oder beidseitige Erblindung, Hirninfarkte und ein Befall der Aorta und ihrer Äste.
Die Riesenzellarteriitis betrifft schwerpunktmäßig die A. carotis externa und ihre Äste (RZA), bei älteren Menschen (über 50 Jahre) und geht typischerweise mit Allgemeinsymptomen einher. Serologisch finden sich ausgeprägte Entzündungszeichen, von denen eine meist deutliche Beschleunigung der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG >100 mm/h) und eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins (CRP) diagnostisch am relevantesten sind. Etwa die Hälfte aller Patienten mit einer RZA zeigt die Symptomatik einer Polymyalgia rheumatica (PMR) mit Schmerzen im Bereich der proximalen Muskulatur und Gelenke sowie Morgensteifigkeit. RZA und PMR sind Facetten eines Krankheitsspektrums mit fließenden Übergängen. Zu den gefürchteten Komplikationen der Erkrankung zählen die ein- oder beidseitige Erblindung, Hirninfarkte und ein Befall der Aorta und ihrer Äste.
Häufigkeit und Vorkommen
Die Riesenzellarteriitis spielt in Deutschland im klinischen Alltag eine wichtige Rolle. Bei Personen im Alter über 50 Jahre beträgt die jährliche Inzidenz der RZA 18 auf 100.000 und die der PMR 50 auf 100.000 Einwohner. Werden ausschließlich histologisch bewiesene Fälle einer Riesenzellarteriitis berücksichtigt, so liegt die Inzidenz bei 5 Patienten auf 100.000 Einwohner. Die Inzidenzzahlen haben im Laufe der letzten 30 Jahre zugenommen, was darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Bekanntheit des Krankheitsbildes zugenommen hat und damit die Diagnose häufiger gestellt wird. Bei Personen im Alter von 50 Jahren oder mehr beträgt die Prävalenz 15–44 auf 100.000. Meist beginnt die Erkrankung zwischen dem 65. und 75. Lebensjahr. Frauen sind nach verschiedenen Serien 3- bis 5-mal so häufig betroffen wie Männer (Alba et al. 2014). Von allen publizierten Fällen einer histologisch gesicherten RZA traten lediglich 15 vor dem 40. Lebensjahr auf; in dieser Untergruppe sind Männer häufiger betroffen, okuläre oder systemische Komplikationen sind seltener (Generau et al. 1992).
Pathogenese
Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei der RZA um die Folge einer T-Zell-vermittelten Immunantwort handelt, welche zu einer nekrotisierenden Entzündung der Gefäßwand mit Riesenzellinfiltraten führt. Betroffen sind mittelgroße und große Gefäße, speziell diejenigen, welche von der Aorta abgehen, aber es handelt sich vom Grundsatz her um eine systemische Vaskulitis, die sämtliche Gefäßterritorien betreffen kann. Zielantigen scheint die Lamina elastica der Gefäßwand zu sein, was erklären könnte, warum die A. carotis externa typischerweise betroffen ist, nicht aber so häufig die intrakraniellen Karotisäste, da hier diese Wandschicht fehlt (Weyand und Goronzy 1999). Bei der Auslösung der Entzündung scheinen Infektionen (Diskutierte Auslöser: VZV, Mycoplasma pneumoniae, Parvoviren, Chlamydien) und vermehrte Sonneneinstrahlung eine Rolle zu spielen. Es handelt sich insgesamt um ein T-Zell-abhängiges Immungeschehen bei genetischer Prädisposition. Dabei korreliert die Interleukin 6 (IL 6)- Expression mit dem immunologischen Prozess: IL-6 mRNA führt zu Zunahme proliferierender CD4 T-Zellen.
Der vorwiegend zellvermittelte entzündliche Prozess der Gefäßwand beginnt an der elastischen Membran, wobei CD4-Lymphozyten und Makrophagen die Zellinfiltrate dominieren. Letztere produzieren inflammatorische Zytokine, v. a. IL 6, 12 und 23 sowie Tumor-Nekrose-Faktor α, und sind für die Erhöhung der Akute-Phase-Proteine (CRP, BSG) verantwortlich. Typisches morphologisches Substrat ist die Formation von Riesenzellen (Abb. 1). Für die Bedeutung genetischer Faktoren spricht, dass die Erkrankung in der weißen Bevölkerung häufiger ist, familiär gehäuft vorkommt und eine Assoziation mit HLA-DR4 bzw. DRB1*04-Allelen zeigt. Es ist offen, ob das seltenere Auftreten der AT in der amerikanischen schwarzen Bevölkerung darauf zurückzuführen ist, dass wegen des dunkleren Hautpigmentes eine Läsion der Elastika durch Sonneneinstrahlung weniger wahrscheinlich ist.
Klinik
Leitsymptom sind unangenehm drückend-bohrend geschilderte Kopfschmerzen, welche meist diffus sind, aber auch temporal betont auftreten können. Die Kopfschmerzen werden oft von Allgemeinsymptomen wie Abgeschlagenheit, Inappetenz, Gewichtsabnahme, Müdigkeit und depressiver Stimmungslage begleitet. Hinzu treten nicht selten subfebrile Temperaturen. Obwohl diese B-Symptome letztlich unspezifisch sind, gehen sie in aller Regel der Kopfschmerzmanifestation voraus. Oftmals wird zunächst an ein kryptogenes Tumorleiden gedacht. Bei etwa einem Viertel der Patienten führen die laborchemischen Hinweise auf eine Entzündung in Verbindung mit den unspezifischen Allgemeinsymptomen zur Diagnose, ohne dass Kopfschmerzen aufgetreten sind.
Ein pathognomonisches Symptom ist die Claudicatio masticatoria, welche bei bis zu 20 % der RZA-Patienten zu beobachten ist. Es handelt sich hierbei um eine Ischämie der Masseteren, die dazu führt, dass sich beim Kauen fester Speisen eine deutliche Schmerzverstärkung temporal zeigt, die den Patienten zwingt, beim Essen Pausen einzulegen (Kraemer et al. 2011).
Druckdolente, geschwollene, gerötete und vermehrt geschlängelte Temporalarterien sind ein typisches Begleitsymptom, allerdings nur bei etwa jedem zweiten Patienten auch bei sorgfältiger klinischer Untersuchung vorhanden (Abb. 2).
Polymyalgia rheumatica
Eine blande Variante stellt die Polymyalgia rheumatica (PMR) dar. Sie tritt bei 60 bis 70 % aller Patienten mit RZA auf. Hier zeigen die älteren Patienten eine morgendliche Steifigkeit der großen Gelenke, wobei der Schultergürtel mehr betroffen ist als der Hüftgürtel. Typischerweise bestehen unangenehme ziehende Schmerzen symmetrisch im Bereich der proximalen Extremitätenmuskulatur. Auch diese Manifestationsform geht mit Allgemeinsymptomen, allerdings oft geringeren Ausmaßes, einher.
Sehstörungen
Eine Beteiligung der Augen wird bei bis zu 40 % aller unbehandelten Fälle gesehen, wobei die plötzliche irreversible Erblindung eines oder beider Augen die am meisten gefürchtete Komplikation ist. Ursache ist eine vordere (anteriore) ischämische Optikusneuropathie (AION) durch Einbeziehung der Ziliararterien in den entzündlichen Prozess. Bei Personen im Alter über 50 Jahre wird eine jährliche Inzidenz der AION von 2,3 für die nichtarteriitische und 0,36 für die arteriitische Form auf 100.000 Einwohner angegeben (Kap. „Sehstörungen“). Für das Krankheitsbild der RZA betragen die Häufigkeitsangaben 8–20 %, wobei visuelle Komplikationen bei den Leitsymptomen einer AT (Kopfschmerzen, Entzündungszeichen, Allgemeinsymptome) wesentlich häufiger sind als bei der Symptomatologie einer PMR. Die plötzliche Erblindung kann auch erstes Symptom sein.
Häufiger tritt sie im Verlauf auf, wobei vorübergehende visuelle Symptome wie Amaurosis fugax, flüchtige Doppelbilder oder Flimmerskotom als Warnsymptome anzusehen sind. Die Flussreduktion durch beginnende Miteinbeziehung der Ziliararterien in den entzündlichen Prozess kann sich klinisch initial durch eine vorübergehende Sehstörung nach Blick in helles Licht (lichtinduzierte Amaurosis fugax – Photostressreaktion) zeigen. Ursächlich ist hierbei die gestörte Regeneration der retinalen Pigmente durch reduzierte Perfusion der äußeren Netzhautabschnitte. Doppelbilder sind häufiger Folge einer Ischämie der Augenmuskeln, seltener bedingt durch eine Miteinbeziehung der Augenmuskelnerven oder der Kerngebiete durch zerebrale Ischämien. Wenn der Patient auf einem Auge erblindet ist, besteht ein großes Risiko, dass im Verlauf auch das zweite Auge mitbetroffen wird – selten sogar nach Beginn einer adäquaten Therapie (Abb. 3).
Großgefäßvaskulitis
In bis zu 50 % können große Gefäße bei der RZA miteinbezogen sein, meist in den ersten 5 Jahren nach Diagnosestellung. Oft ist die Aorta betroffen (Aortitis) mit dem Risiko von Dilatation oder Dissektion (2- bis 17-fach erhöht) und einer erhöhten Mortalität. Die Entzündung der thorakalen Aorta, der Subklavia und der Karotiden kann die zweite Form der RZA – das Takayasu-Syndrom – imitieren.
Zerebrale Ischämien
Zerebrale Ischämien durch Miteinbeziehung der intrakraniellen Gefäße sind relativ selten – es werden Häufigkeitszahlen zwischen 1 und 5 % angegeben. Typischerweise betroffen sind im Karotiskreislauf die intrakranielle Interna mit der T-Gabel und im hinteren Kreislauf die V4-Abschnitte der Vertebrales (Berlit 1992; Gonzalez-Gay et al. 2005).
Periphere neurologische Symptome
Zu den peripher neurologischen Symptomen des Krankheitsbildes können eine asymmetrische oder symmetrische Polyneuropathie sowie das Karpaltunnelsyndrom zählen (Caselli et al. 1988). Allerdings muss bedacht werden, dass bei den ja in der Regel älteren Patienten polyneuropathische Symptome aus anderer Ursache nicht selten sind, sodass ein kausaler Zusammenhang nur dann als gesichert angenommen werden darf, wenn eine Vaskulitis der Vasa nervorum histologisch nachweisbar ist.
Weitere Symptome
Ähnliches gilt für kognitive Einbußen mit Gedächtnisstörungen und Merkfähigkeitsproblemen, seltener auch Verwirrtheitszuständen. Allerdings wurde eine deutliche Besserung derartiger Demenzsymptome nach einer adäquaten Kortikosteroidtherapie beschrieben. Selten treten Geruchs- und Geschmacksstörungen im Zusammenhang mit einer AT auf. Durch die Miteinbeziehung weiterer Externaäste kann es zu Kopfhaut- (A. occipitalis) oder Zungennekrosen (A. lingualis) kommen(Abb. 3b, c). Nicht selten haben wir bei Patienten mit AT einen benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel beobachtet.
Da es sich bei der RZA um eine systemische Erkrankung handelt, können praktisch alle Körperarterien betroffen sein (s. nachstehende Übersicht).
Riesenzellarteriitis – Organbeteiligung und Komplikationen
  • Angina pectoris, Herzinfarkt
  • Aortitis, Aortenbogensyndrom
  • Disseziierendes Aneurysma der Aorta
  • Abdominelle Ischämien (Mesenterialinfarkt)
  • Myelopathie
  • Kopfhautnekrose
  • Glossitis
  • Claudicatio der Zunge
  • Zungennekrose
  • Lippennekrose
  • Okuläre Hypotonie
  • Respiratorische Symptome
  • Ischämien im Bereich von Uterus, Adnexe und weiblicher Brust
  • Claudicatio der Extremitäten
Diagnostik
Die diagnostischen Kriterien sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt.
Diagnostische Kriterien der Arteriitis temporalis
  • Alter >50 Jahre
  • Neu aufgetretene Kopfschmerzen (mit Claudicatio masticatoria)
  • Druckdolenz der A. temporalis
  • BSG ≥ 50 mm/h
  • Nachweis der Riesenzellarteriitis in einer Temporalisbiopsie
  • Fakultative Zusatzsymptome:
    • Konstitutionelle Symptome (Inappetenz, Gewichtsabnahme, Fieber, Abgeschlagenheit, allgemeines Krankheitsgefühl)
    • Polymyalgia rheumatica
      • Morgensteifigkeit der Gelenke
      • Symmetrische Arthralgien und Myalgien des Brust- oder Beckengürtels
    • Promptes Ansprechen auf Kortikosteroide
Laborchemisches Leitsymptom ist die massive Beschleunigung der BSG in der Regel auf über 100 mm in der 1. Stunde, zumindest jedoch auf 50 mm in der 1. Stunde, obwohl auch in Einzelfällen histologisch gesicherte Fälle mit normaler BSG beschrieben sind. Dies bedeutet, dass sich eine AT bei normaler BSG nicht mit letzter Sicherheit ausschließen lässt; insbesondere muss trotz einer normalen BSG an diese Diagnose gedacht werden, wenn zuvor eine Behandlung mit (auch niedrigen) Dosen von Kortikosteroiden oder nichtsteroidalen Antiphlogistika erfolgte.
Zweiter wichtiger Laborparameter ist die Erhöhung des CRP, welche vor allem im Langzeitverlauf zur Therapiekontrolle hilfreich ist (Berlit 1992). Weitere letztlich unspezifische Zeichen der systemischen Entzündung sind eine hypochrome Anämie, eine Erhöhung von Akute-Phase-Reaktanten wie Fibrinogen, α2-Globulin, MMP 3 oder Haptoglobin und ein erniedrigter Eisen-Kupfer-Quotient. Weitere laborchemische Veränderungen, die bei der Riesenzellarteriitis beschrieben wurden, sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt.
Riesenzellarteriitis – Laborbefunde
  • BSG-Beschleunigung
  • Erhöhung von Blutgerinnungsparametern
  • Nachgewiesene Antikörper
    • Antinukleäre Antikörper
    • Antimitochondriale Antikörper
    • Antithyroidantikörper
  • Weitere Befunde
    • Hypochrome Anämie
    • Herabgesetzter Eisen-Kupfer-Quotient
    • Erniedrigte Komplementfaktoren (C3/C4)
    • Erhöhung des Angiotensin-Converting-Enzyms (ACE)
    • Veränderte T4/T8-Ratio
    • Erhöhte Gewebszytokinspiegel (PCR)
    • Erhöhung von Endothelproteinen
    • Assoziation mit dem Gewebsantigen HLA-DR4 bzw. DRB1*04-Allelen
Bei 80–90 % der Patienten mit einer histologisch gesicherten RZA zeigen sich pathologische Befunde in der farbkodierten Duplexsonografie der A. temporalis. Neben Stenosen und Verschlüssen der Externaäste ist das Halo-Zeichen typisch (Schmidt 2018). Hierbei handelt es sich um eine das durchströmte Gefäß umgebende sonografische Signalauslöschung, die vermutlich durch Flüssigkeit in der Arterienwand zustandekommt (Abb. 1). Wie die Metaanalyse von 23 Studien zeigt, hat das Halo-Zeichen eine Sensitivität von 87 % und eine Spezifität von 96 % (Karassa et al. 2005). Die notfallmässig durchgeführte Ultraschalluntersuchung hilft Komplikationen wie eine Erblindung zu vermeiden (Diamantopoulos et al. 2016). Bei typischem Ultraschallbefund kann auf eine Biopsie oft verzichtet werden (Piper et al. 2016). In der kontrastmittelgestützten MRT lässt sich die Entzündung in Form von Wandverdickung und Gadoliniumaufnahme dokumentieren (Bley et al. 2007) mit einer Sensitivität von 86 % und einer Spezifität von 96 %. Vor allem zum Nachweis einer Aortitis (50 % aller Patienten mit RZA, auch subklinisch!) sollten MRT oder PET-CT eingesetzt werden (Salvarani et al. 2017).
Als Goldstandard zur Sicherung der Diagnose einer AT gilt die Biopsie der A. temporalis, obwohl auch hier falsch-negative Befunde vorkommen können. Dies liegt daran, dass die RZA typischerweise das Gefäß diskontinuierlich befällt: Völlig normale Abschnitte wechseln sich mit Bezirken einer ausgeprägten Nekrose und Entzündung ab. Aus diesem Grunde sollte sich eine Biopsie möglichst am Ultraschall- oder MRT-Befund orientieren, mindestens eine Länge von 2,5 cm aufweisen und in Stufenschnitten aufgearbeitet werden. Die Biopsie wird in Lokalanästhesie durchgeführt – zu den seltenen Komplikationen zählen lokale Blutungen, Hautnekrosen, Läsionen von Muskeln oder des N. facialis sowie als Rarität eine zerebrale Ischämie aufgrund der Unterbrechung eines Kollateralkreislaufs über Externaäste bei Internaverschluss. Stets sollte vor der Biopsie eine komplette sonografische Gefäßdiagnostik erfolgen, um Gefäßverschlüsse andernorts nicht zu übersehen. Da die Temporalarterienbiopsie einen positiven Befund auch noch 14 Tage nach Beginn einer Steroidtherapie liefert, sollte durch die Planung dieses Eingriffs ein Therapiebeginn nicht hinausgezögert werden (Achkar et al. 1994). Auch beim klinischen Bild einer PMR ist die Temporalisbiopsie in bis zu 40 % der Fälle positiv – nicht ergiebig ist hingegen eine Muskelbiopsie.
Therapie
Therapie der Wahl ist die Gabe von Kortikosteroiden, wobei das klinische Bild, der sonografische Befund und v. a. der Nachweis einer Arteriitis in der Biopsie die Dosis bestimmen. Während bei klinisch vorherrschender PMR ohne Nachweis einer Arteriitis in der Biopsie eine tägliche Kortikosteroiddosis von 20–40 mg ausreichend ist, werden bei klinisch, sonografisch oder histologisch sicherer RZA Startdosen von 80 mg täglich empfohlen (Delecoeuillerie et al. 1988). In der Regel bessern sich die klinischen Beschwerden des Patienten und die Laborparameter (BSG, CRP) sehr rasch, oft schlagartig und eindrucksvoll für Arzt und Patienten. Persistierende Kopfschmerzen trotz sonstiger klinischer und laborchemischer Besserung sind verdächtig auf Kopfhautnekrosen durch Miteinbeziehung der A. occipitalis (Abb. 3b); bei Frauen mit dichter Kopfbehaarung muss gezielt danach gesucht werden.
Therapieempfehlungen
  • Kortikosteroidstartdosis: 80 mg (1 mg pro kg Körpergewicht).
  • Nach Maßgabe von BSG und klinischer Symptomatologie kann die Startdosis nach 5–7 Tagen sehr langsam reduziert werden, initial um 10 mg pro Woche, bis eine Dosis von 30 mg täglich (meist innerhalb von 3–4 Wochen) erreicht ist.
  • Danach sollte die Reduktion nicht mehr als 2,5 mg alle 2 Wochen betragen.
  • Tocilizumab 162 mg subkutan wöchentlich für 6 bis 12 Monate
Da bei bis zu 80 % der Patienten unter Kortikosteroiden mit Nebenwirkungen zu rechnen ist und die Dauer der Behandlung mindestens 1 Jahr beträgt, ist eine engmaschige Überwachung des Patienten zwingend erforderlich. Zu den typischen Kortikosteroidnebenwirkungen zählen die Katarakt (41 %), die Osteoporose mit Wirbelkörperfrakturen (38 %), interkurrente Infektionen (31 %), eine sekundäre Hypertonie (22 %) oder ein sekundärer Diabetes mellitus (9 %) und gastrointestinale Blutungen (4 %) (Proven et al. 2003).
Um Nebenwirkungen der Steroidtherapie zu minimieren, werden Pantoprazol, ASS, Kalzium und Vitamin D sowie Biphosphonate begleitend verabreicht (Berlit 2010). Der monoklonale IL 6-Antikörper Tocilizumab wird subkutan wöchentlich in einer Dosis von 162 mg zum Einsparen von Kortikosteroiden eingesetzt (Stone et al. 2017). Auch für Methotrexat wurde ein kortikoidsparender Effekt beschrieben (Hoffman et al. 2002; Mahr et al. 2007) – der Einsatz erfolgt off label. Vorwiegend kasuistisch wird auch ein kortikoidsparender Effekt von Infliximab und Etanercept angegeben (Martínez-Taboada et al. 2008). Zu den wichtigen Interaktionen, die bei der Behandlung mit Kortikosteroiden zu beachten sind, zählt die Beobachtung, dass bei gleichzeitiger Gabe von Rifampicin die RZA auf Kortikosteroide nicht anspricht (Carrie et al. 1994).
Die Empfehlungen für die Behandlungsdauer bei der AT liegen zwischen 1 und 5 Jahren. Nach unseren eigenen Erfahrungen treten Rezidive signifikant häufiger auf, wenn die Behandlungsdauer weniger als 20 Monate betragen hat (Berlit 1992). Tocilizumab sollte über 6 bis 12 Monate hinzu gegeben werden.
Entscheidende Voraussetzung für das Absetzen von Kortikosteroiden sind klinische Symptomfreiheit und Normalisierung von BSG und CRP für mindestens 12 Wochen.
Im Langzeitverlauf korreliert der CRP-Wert besser mit der Prognose als die BSG. Auch leichte Wiederanstiege der CRP zeigen in der Regel ein Rezidiv an und machen eine Erhöhung auf die zuletzt vorangegangene Steroiddosis erforderlich.
Komplikationen und Prognose
Die Rezidivrate der RZA liegt zwischen 40 und 90 %, wobei die meisten Rezidive während des ersten Behandlungsjahres bei Steroiddosisreduktion auftreten. Je zügiger die Reduktion erfolgt, desto wahrscheinlicher sind Rezidive, wobei das erste Vierteljahr besonders gefährlich ist und daher hier wöchentliche Kontrollen von Klinik und Laborwerten erforderlich sind. Besonders gefährdet sind diejenigen Kranken, die initial eine BSG von 90 mm oder mehr in der 1. Stunde hatten. In diesen Fällen sollte immer Tocilizumab zusätzlich gegeben werden.
Wie Studien vor der Steroidära gezeigt haben, ist die AT eine selbstlimitierte Erkrankung, welche im Verlauf von einigen Jahren ausbrennt. In epidemiologischen Studien wurde eine erhöhte Sterblichkeit von Patienten mit RZA berichtet, allerdings werden nur in Einzelfällen Komplikationen der RZA als Todesursache angegeben (Kermani et al. 2013). Hierzu zählen die Aortendissektion, der Herzinfarkt durch Miteinbeziehung der Koronararterien und der Mediastinalinfarkt bei Beteiligung abdomineller Gefäße. Besonders gefährdet sind Patienten mit vorbestehendem arteriosklerotischem Gefäßleiden, ältere Patienten sowie solche, die auch nach 6 Monaten noch eine hohe Kortikosteroiddosis brauchen.

Facharztfragen

1.
Nennen Sie die Leitsymptome der Riesenzellarteriitis.
 
2.
Wie wird die Diagnose abgesichert?
 
3.
Was ist eine Claudicatio masticatoria und wie entsteht sie?
 
4.
Welche Komplikationen der Riesenzellarteriitis kennen Sie?
 
5.
Differenzialtherapie von Riesenzellarteriitis und Polymyalgia rheumatica?
 
Literatur
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