Die
Riesenzellarteriitis
betrifft schwerpunktmäßig die A. carotis externa und ihre Äste (RZA), bei älteren Menschen (über 50 Jahre) und geht typischerweise mit Allgemeinsymptomen einher. Serologisch finden sich ausgeprägte Entzündungszeichen, von denen eine meist deutliche Beschleunigung der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG >100 mm/h) und eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins (CRP) diagnostisch am relevantesten sind. Etwa die Hälfte aller Patienten mit einer RZA zeigt die Symptomatik einer
Polymyalgia rheumatica (PMR) mit
Schmerzen im Bereich der proximalen Muskulatur und Gelenke sowie Morgensteifigkeit. RZA und PMR sind Facetten eines Krankheitsspektrums mit fließenden Übergängen. Zu den gefürchteten Komplikationen der Erkrankung zählen die ein- oder beidseitige Erblindung,
Hirninfarkte und ein Befall der Aorta und ihrer Äste.
Laborchemisches Leitsymptom ist die massive Beschleunigung der BSG in der Regel auf über 100 mm in der 1. Stunde, zumindest jedoch auf 50 mm in der 1. Stunde, obwohl auch in Einzelfällen histologisch gesicherte Fälle mit normaler BSG beschrieben sind. Dies bedeutet, dass sich eine AT bei normaler BSG nicht mit letzter Sicherheit ausschließen lässt; insbesondere muss trotz einer normalen BSG an diese Diagnose gedacht werden, wenn zuvor eine Behandlung mit (auch niedrigen) Dosen von
Kortikosteroiden oder
nichtsteroidalen Antiphlogistika erfolgte.
Zweiter wichtiger Laborparameter ist die Erhöhung des CRP, welche vor allem im Langzeitverlauf zur Therapiekontrolle hilfreich ist (Berlit
1992). Weitere letztlich unspezifische Zeichen der systemischen Entzündung sind eine hypochrome
Anämie, eine Erhöhung von Akute-Phase-Reaktanten wie
Fibrinogen, α2-Globulin, MMP 3 oder
Haptoglobin und ein erniedrigter Eisen-Kupfer-Quotient. Weitere laborchemische Veränderungen, die bei der Riesenzellarteriitis beschrieben wurden, sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt.
Bei 80–90 % der Patienten mit einer histologisch gesicherten RZA zeigen sich pathologische Befunde in der farbkodierten
Duplexsonografie der A. temporalis. Neben Stenosen und Verschlüssen der Externaäste ist das Halo-Zeichen
typisch (Schmidt
2018). Hierbei handelt es sich um eine das durchströmte Gefäß umgebende sonografische Signalauslöschung, die vermutlich durch Flüssigkeit in der Arterienwand zustandekommt (Abb.
1). Wie die
Metaanalyse von 23 Studien zeigt, hat das Halo-Zeichen
eine Sensitivität von 87 % und eine Spezifität von 96 % (Karassa et al.
2005). Die notfallmässig durchgeführte Ultraschalluntersuchung hilft Komplikationen wie eine Erblindung zu vermeiden (Diamantopoulos et al.
2016). Bei typischem Ultraschallbefund kann auf eine Biopsie oft verzichtet werden (Piper et al.
2016). In der kontrastmittelgestützten MRT lässt sich die Entzündung in Form von Wandverdickung und Gadoliniumaufnahme dokumentieren (Bley et al.
2007) mit einer Sensitivität von 86 % und einer Spezifität von 96 %. Vor allem zum Nachweis einer
Aortitis (50 % aller Patienten mit RZA, auch subklinisch!) sollten MRT oder PET-CT eingesetzt werden (Salvarani et al.
2017).
Als
Goldstandard zur Sicherung der Diagnose einer AT gilt die Biopsie der A. temporalis, obwohl auch hier falsch-negative Befunde vorkommen können. Dies liegt daran, dass die RZA typischerweise das Gefäß diskontinuierlich befällt: Völlig normale Abschnitte wechseln sich mit Bezirken einer ausgeprägten Nekrose und Entzündung ab. Aus diesem Grunde sollte sich eine Biopsie möglichst am Ultraschall- oder MRT-Befund orientieren, mindestens eine Länge von 2,5 cm aufweisen und in Stufenschnitten aufgearbeitet werden. Die Biopsie wird in Lokalanästhesie durchgeführt – zu den seltenen Komplikationen zählen lokale Blutungen, Hautnekrosen, Läsionen von Muskeln oder des N. facialis sowie als Rarität eine
zerebrale Ischämie aufgrund der Unterbrechung eines Kollateralkreislaufs über Externaäste bei Internaverschluss. Stets sollte vor der Biopsie eine komplette sonografische Gefäßdiagnostik erfolgen, um Gefäßverschlüsse andernorts nicht zu übersehen. Da die Temporalarterienbiopsie einen positiven Befund auch noch 14 Tage nach Beginn einer Steroidtherapie liefert, sollte durch die Planung dieses Eingriffs ein Therapiebeginn nicht hinausgezögert werden (Achkar et al.
1994). Auch beim klinischen Bild einer PMR ist die Temporalisbiopsie in bis zu 40 % der Fälle positiv – nicht ergiebig ist hingegen eine
Muskelbiopsie.
Da bei bis zu 80 % der Patienten unter
Kortikosteroiden mit Nebenwirkungen zu rechnen ist und die Dauer der Behandlung mindestens 1 Jahr beträgt, ist eine engmaschige Überwachung des Patienten zwingend erforderlich. Zu den typischen Kortikosteroidnebenwirkungen zählen die Katarakt (41 %), die
Osteoporose mit Wirbelkörperfrakturen (38 %), interkurrente Infektionen (31 %), eine sekundäre
Hypertonie (22 %) oder ein sekundärer
Diabetes mellitus (9 %) und gastrointestinale Blutungen (4 %) (Proven et al.
2003).
Um Nebenwirkungen der Steroidtherapie zu minimieren, werden Pantoprazol, ASS, Kalzium und
Vitamin D sowie Biphosphonate begleitend verabreicht (Berlit
2010). Der monoklonale IL 6-Antikörper Tocilizumab wird subkutan wöchentlich in einer Dosis von 162 mg zum Einsparen von
Kortikosteroiden eingesetzt (Stone et al.
2017). Auch für
Methotrexat wurde ein kortikoidsparender Effekt beschrieben (Hoffman et al.
2002; Mahr et al.
2007) – der Einsatz erfolgt off label. Vorwiegend kasuistisch wird auch ein kortikoidsparender Effekt von Infliximab und Etanercept angegeben (Martínez-Taboada et al.
2008). Zu den wichtigen Interaktionen, die bei der Behandlung mit Kortikosteroiden zu beachten sind, zählt die Beobachtung, dass bei gleichzeitiger Gabe von Rifampicin die RZA auf Kortikosteroide nicht anspricht (Carrie et al.
1994).
Die Empfehlungen für die Behandlungsdauer bei der AT liegen zwischen 1 und 5 Jahren. Nach unseren eigenen Erfahrungen treten Rezidive signifikant häufiger auf, wenn die Behandlungsdauer weniger als 20 Monate betragen hat (Berlit
1992). Tocilizumab sollte über 6 bis 12 Monate hinzu gegeben werden.
Entscheidende Voraussetzung für das Absetzen von
Kortikosteroiden sind klinische Symptomfreiheit und Normalisierung von BSG und CRP für mindestens 12 Wochen.
Im Langzeitverlauf korreliert der CRP-Wert besser mit der Prognose als die BSG. Auch leichte Wiederanstiege der CRP zeigen in der Regel ein Rezidiv an und machen eine Erhöhung auf die zuletzt vorangegangene Steroiddosis erforderlich.
Facharztfragen
1.
Nennen Sie die Leitsymptome der Riesenzellarteriitis.
2.
Wie wird die Diagnose abgesichert?
3.
Was ist eine Claudicatio masticatoria und wie entsteht sie?
4.
Welche Komplikationen der Riesenzellarteriitis kennen Sie?
5.
Differenzialtherapie von Riesenzellarteriitis und Polymyalgia rheumatica?