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Die Urologie
Info
Publiziert am: 03.09.2022

Das ERAS Konzept

Verfasst von: Florian Roghmann und Joachim Noldus
Fast Track- oder ERAS-Konzepte (enhanced recovery after surgery) wurden initial in der Allgemeinchirurgie entwickelt und haben in den letzten Jahren auch in die urologische Chirurgie Einzug gehalten. Es handelt sich hierbei um Maßnahmenpakete mit dem Ziel, die Rekonvaleszenz durch die Minimierung des chirurgischen Stresses nach einer Operation zu beschleunigen. Insbesondere Interventionen, die eine Darmanastomose erfordern, sind im Fokus von ERAS. In der urologischen Chirurgie sind dies beispielsweise die radikale Zystektomie mit anschließender Rekonstruktion der Harnableitung

Definition

Das Akronym „ERAS“ steht für „enhanced recovery after surgery“. Es handelt sich um einen Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Rekonvaleszenz nach einer Operation.
Fast Track- oder ERAS-Konzepte wurden initial in der Allgemeinchirurgie entwickelt und haben in den letzten Jahren auch in die urologische Chirurgie Einzug gehalten (Cerantola et al. 2013). ERAS ist es hierbei, die Rekonvaleszenz durch Minimierung des chirurgischen Stresses nach einer Operation zu beschleunigen. Insbesondere Interventionen, die eine Darmanastomose erfordern, sind im Fokus von ERAS. In der urologischen Chirurgie sind dies beispielsweise die radikale Zystektomie mit anschließender Rekonstruktion der Harnableitung unter der Verwendung von Darm oder eine Harnleiterrekonstruktion durch ein Ileuminterponat (Karl et al. 2014). Die radikale Zystektomie geht mit einer signifikanten Morbidität einher (Roghmann et al. 2014). Häufige Komplikationen sind unter anderem thrombembolische Ereignisse und ein paralytischer Ileus. Prospektive Studien haben nachgewiesen, dass die Einführung eines ERAS-Protokolls die Dauer des Krankenaufenthalts verkürzen kann, auch wenn nicht alle Studien signifikante Unterschiede zeigen konnten (Wessels et al. 2020). Bezüglich postoperativer Komplikationen konnten einige Studien niedrigere Komplikationsraten bei ERAS-Patienten nachweisen, auch wenn hier ebenfalls die Studienergebnisse heterogen waren. Die Zeit bis zur Defäkation scheint in Patientenkollektiven nach radikaler Zystektomie unter ERAS-Bedingungen kürzer zu sein (Wessels et al. 2020).
Allerdings ist bei der Bewertung der Studienergebnisse zu beachten, dass die publizierten ERAS-Protokolle in der Auswahl der unternommenen Maßnahmen variieren, wodurch die Vergleichbarkeit der Studienergebnisse erschwert wird. Zudem sind viele Studien in der colorektalen Chirugie und nur ein Teil bei Zystektomiepatienten durchgeführt worden, wodurch die Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf die urologische Chirurgie eingeschränkt sein könnte.

Kernelemente

In der Regel beinhalten ERAS-Protokolle die folgenden Kernelemente (Cerantola et al. 2013):
  • Präoperative Aufklärung des Patienten über den Therapieverlauf
    Studien im Bereich der Abdominalchirurgie konnten zeigen, dass eine ausführliche Beratung und Aufklärung des Patienten über den Ablauf der Behandlung mit einem speziellen Fokus auf die mögliche Anlage eines Stomas Angst und postoperative Komplikationen reduzieren und die Wundheilung und Entlassung des Patienten aus dem Krankenhaus beschleunigen kann.
  • Präoperative Verbesserung von Komorbiditäten
    Im Rahmen eines „Patient Blood Management“-Konzeptes kann das Risiko einer perioperativen Bluttransfusion durch die Behebung einer präoperativen Anämie beispielsweise mittels Eisen-, Folsäure- und Vitamin B12-Substitution gesenkt werden (Fischer et al. 2014).
    Insbesondere bei kardio-pulmonalen Risikofaktoren sollte zudem eine internistische Abklärung und gegebenenfalls. Verbesserung der Nebenerkrankungen präoperativ durchgeführt werden.
    Patienten sollten vier Wochen vor dem Eingriff auf Rauchen und Alkohol verzichten und körperliche Aktivitäten aufrechterhalten.
  • Verzicht auf eine präoperative Darmvorbereitung und Kohlenhydrat-Loading
    Die historisch übliche mechanische Darmvorbereitung mit begleitendem präoperativem Fasten soll unterlassen werden. Anstelle dessen sollten zur Vermeidung von Durst und Insulinresistenz 400–600 ml einer niedrigkalorischen Kohlenhydratlösung bis zu 2 Stunden vor der Operation verabreicht werden.
  • Verzicht auf opioide Analgetika
    Zur Vermeidung einer opiod-induzierten Darmpassagestörung sollten perioperativ Nicht-Opiodanalgetika (Paracetamol, Metamizol, etc) bevorzugt werden. Des Weiteren kann durch einen thorakalen Periduralkatheter eine wirksame Schmerzkontrolle perioperativ durchgeführt werden. Die hierbei ausgelöste segmentale Sympathikolyse führt zudem zur Anregung der Darmpassage.
  • Operationstechnik
    Vorzugsweise sollte eine kleine Inzision bei der Laparatomie (subumbilical) oder alternativ ein minimal-invasiver Zugangsweg gewählt werden. Studien aus der Rektalchirurgie legen den Verzicht auf eine abdominopelvine Drainage nahe. Dies kann nach Rekonstruktion des Harntraktes zur Vermeidung eines Urinoms und in der Folge einer urinösen Peritonitis im Einzelfall anders bewertet werden, da neben der Entlastung eines Urinoms auch die diagnostische Sicherung einer Urinleckage durch Kreatininbestimmung aus dem Drainagesekret möglich ist.
  • Intraoperatives Flüssigkeitsmanagement
    Eine Hypoperfusion im Splanchnikusgebiet ist mit einem postoperativen Ileus assoziiert und kann durch beides, eine Hyper- und Hypohydrierung, verursacht werden. Zur Vermeidung der Hyperhydrierung wird die Zufuhr von weniger als einem Liter kristalloide Flüssigkeit bis zur Entfernung der Blase unter Berücksichtigung des kardialen Schlagvolumens empfohlen. Hierbei kann durch die Verwendung von Vasopressoren eine arterielle Hypotension verhindert werden.
  • Frühe postoperative Mobilisierung
    Nach Empfehlungen der ERAS-Gesellschaft sollte nach Möglichkeit eine zeitnahe postoperative Mobilisation des Patienten erfolgen. So könnte der Patient unter Anleitung von Pflegepersonal und Physiotherapie schon am Operationstag bis zu zwei Stunden zum Stehen, Sitzen und Durchbewegen der Extremitäten außerhalb des Bettes sein. An den folgenden Tagen könnte er sich dann schon mehr als sechs Stunden außerhalb des Bettes befinden. Zudem kann der Patient ab dem ersten postoperativen Tag zu kleineren täglichen Spaziergängen auf der Stationsebene angeleitet werden. Darüber hinaus kann Atemtraining erfolgen.
  • Frühe Wiederaufnahme der oralen Ernährung
    Nach Möglichkeit Entfernung einer Magensonde am Ende der Operation. Postoperative Anregung der Darmaktivität durch Kaugummikauen und Beginn der oralen Flüssigkeitszufuhr am Abend der Operation. Die postoperative Wiederaufnahme der oralen Nahrungszufuhr sollte frühestmöglich nach Schmerzkontrolle und Mobilisation stattfinden. Hier sollte die Kostauswahl und die Portionsgröße nach Gusto des Patienten erfolgen. Durch Prokinetika kann die Darmtätigkeit zusätzlich angeregt werden.
ERAS-Protokolle sind multimodale und multidisziplinäre Konzepte, die sich maßgeblich aus den oben genannten Elementen zusammensetzen. Die Etablierung eines ERAS-Protokolls erfordert die intensive Zusammenarbeit aller Berufsgruppen, die im Patientenkontakt stehen: Urologie, Anästhesie, Krankenpflege, Physiotherapie und Küchenpersonal. Durch die große Anzahl der involvierten Personen ist eine gute Abstimmung der einzelnen Disziplinen notwendig, um alle ERAS-Ebenen umzusetzen. ERAS-Protokolle können zu einer Verkürzung des stationären Aufenthalts, einer Verringerung der postoperativen Komplikationen und zur Reduktion der Zeitspanne bis zur ersten postoperativen Defäkation beitragen, ohne mit einer erhöhten Wiederaufnahmerate nach initialer Entlassung des Patienten vergesellschaftet zu sein.

Zusammenfassung

  • Verkürzung des stationären Aufenthalts und Beschleunigung der postoperativen Darmpassage durch ERAS
  • ERAS-Elemente zur Reduktion von chirurgischem Stress:
    • Präoperative Verbesserung von Komorbiditäten
    • Verzicht auf präoperatives Fasten
    • Kleine Inzision oder minimal-invasiver Eingriff
    • Frühe postoperative Mobilisierung des Patienten
    • Verzicht auf Opiode
Literatur
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