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Die Ärztliche Begutachtung
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Publiziert am: 26.04.2023

Verletzungen der Haut – Wunden – Begutachtung

Verfasst von: Julia Seifert
Äußere Einwirkungen können zur Verletzung der Haut führen. Je nach einwirkender Kraft können verschiedene Erscheinungsformen auftreten, so dass bereits aus der Art, Schwere und der Lokalisation der Hautverletzung oftmals Rückschlüsse auf die einwirkende Kraft möglich sind. In diesem Beitrag wird auf die verschiedenen Verletzungsformen eingegangen.
Bei der Begutachtung von Verletzungen der Haut ist zu prüfen, ob Funktionseinschränkungen durch Narben, Hautveränderungen oder erhebliche ästhetische Beeinträchtigungen vorliegen. Eine Tabelle gibt einen orientierenden, rein rechnerischen Anhalt über die Höhe einer MdE Einschätzung in der GUV.

Einleitung

Die Haut ist das größte Organ des Menschen.
Sie ist ein Multitalent und zuständig für: Kälte-Wärmeregulierung, UV-Schutz, mechanischen Schutz, immunologische Barriere, Wasserspeicher und Vitaminbildner.
Die „Haut“ besteht anatomisch aus 3 Schichten: Epidermis, Dermis und Subcutis (Siehe Grafik)
Die Epidermis ist ständig äußeren Einflüssen ausgesetzt und unterliegt daher einem steten Erneuerungsprozess. In ihrer untersten Zellschichten (Basalmembran) werden permanent neue Zellen gebildet, die nach oben geschoben werden, verhornen und absterben. Diese Hornschicht bildet eine widerstandsfähige Schutzschicht gegen schädigende Einflüsse und besitzt einen Säureschutzmantel mit einem ph-Wert von 5,5.
Die darunter liegende Dermis (Lederhaut) sorgt mit ihrem dichten Bindegewebe für Elastizität und Festigkeit der Haut. In ihr liegen Nerven- und Muskelfasern, Schweiß- und Talgdrüsen, Blut- und Lymphgefäße, Haarwurzeln, Tastsinneszellen, Wärme- und Kälterezeptoren. Ihre Gefäße versorgen die Basalmembran der Oberhaut mit Nährstoffen.
Das Unterhautfettgewebe ist ein Wärme- und Nährstoffspeicher, polstert darunterliegende Strukturen, dämpft äußeren Druck und Stöße ab und schützt vor Wärmeverlust.
Ständige äußere Einwirkungen wie z. B. Druck können zur Proliferation von Hornzellen führen und als sog. „Schwiele“ an Händen, Fingern, Zehen oder Füßen auf entsprechende Belastungen hinweisen.

Verletzungen der Haut

Arten und Auswirkungen

Äußere Einwirkungen können zur Verletzung führen. Je nach einwirkender Kraft können verschiedene Erscheinungsformen auftreten, so dass bereits aus der Art, Schwere und der Lokalisation der Hautverletzung oftmals Rückschlüsse auf die einwirkende Kraft möglich sind.
Durch Quetschen, Schliddern, Reiben, Streifen oder Rutschen entstehen Schürfungen, die entsprechende Verschmutzungen aufweisen und mit Umweltkeinen (Gram positiv und gram negativ) kontaminiert sind.
Die Wunden sollten stets gut gesäubert, von Schmutzpartikeln gereinigt werden (z. B. durch Bürstendebridement). Tiefliegende Einsprengungen können wie Tättowierungen dauerhafte kosmetische Veränderungen hinterlassen, weshalb hier auch ein scharfes Debridement mit dem Dermatom in Frage kommen kann.
Kleine und sehr oberflächliche Schürfungen heilen in der Regel gut ab.
Verbrennungen oder Verbrühungen können in Abhängigkeit der einwirkenden Temperatur und Dauer zu tiefgehenden Schäden führen, die dann ggfls. auch schwerwiegende Narben hinterlassen und die Funktion der Haut dauerhaft einschränken.
Ob Narben verbleiben ist, wie bereits erwähnt, abhängig von der Tiefe der Hautläsion: epidermale Läsionen heilen i. d. R. narbenfrei ab, während dermale Läsionen Narben bilden. Längerfristige Pigmentierungsstörungen und Verlust der Behaarung durch Zerstörung der Haarfollikel sind möglich.
Tiefergehende Hautverletzungen entstehen durch z. B. Schnitte, Hiebe, Bisse, Hitze- oder Kälteeinwirkung, Strahlung, Explosion oder das Aufbringen toxischer Substanzen wie z. B. Laugen/Säuren (Verätzungen).
Die Wunden sind nach chirurgischen Kriterien zu inspizieren, zu säubern und ggfls. primär zu verschließen oder durch einen entsprechenden temporären Wundverband (z. B. Vacuumverband) vor äußeren Einflüssen zu schützen. Serielles Debridement kann notwendig sein.
Mit Ausnahme der Flusssäure, deren Dämpfe bereits schwerwiegende Hautschäden herbeiführen kann, hinterlässt die Mehrheit der Säuren in der Regel weniger schwerwiegende Veränderungen und bei rascher Dekontamination lediglich ein Erythem.
Laugen können in fettreichem Gewebe tiefgehende Zerstörungen herbeiführen, da es zu sog. Kolliquationsnekrosen (Verseifungsprozess) kommt.

Gutachtliche Bewertung

In der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) können Narben nach den Kriterien der DGV (Dt. Gesellschaft für Verbrennungsmedizin) schematisiert werden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ergibt sich dabei aus den folgenden 3 Kriterien (A-C):
  • A: MdE aus der sich ergebenden Funktionseinschränkung (Neurtral Null Methode)
  • B: Bewertung des Lokalbefundes: Ausdehnung (KOF %) und Qualität der Narbenareale (Pigment- oder Texturveränderungen, Instabilität, Hypertrophie)
  • C: Berücksichtigung somatischer und vegetativer Beschwerden: Trockenheit, Juckreiz, Taubheit, Schweißneigung, Empfindlichkeit, Schmerzen etc.
Der Punktsumme (B+C) ist eine abgestufte MdE zugeordnet (<10–40 %). Die MdE ergibt sich schließlich aus der Summe A+ (B+C). Sie ist eine rechnerische Annäherung in Analogie zu den mathematsichen Formeln für die Segmentwerte bei Verletzungen der Wirbelsäule und bedarf am Ende immer noch einer gutachtlich bewertenden Gesamtschau bzw. Gesamteinschätzung nach den für die MdE generell geltenden Grundsätze nach § 56 SGB VII (Tab. 1).
Tab. 1
(Menke H Begutachtung von Verbrennungsfolgen. In: Verbrennungschirurgie. Springer)
aus Bruck JC, Müller FE, Steen M: Handbuch der Verbrennunstherapie 2002, modifiziert nach Henckel v Donnersmarck, Hörbrandt: Jahrbuch der Verbrennungsmedizin 1995
A
MdE aus Funktionseinschränkung (NNM)
 
B
Bewertung des Lokalbefundes in Narbenarealen:
 
- ohne Prigment und wesentliche Texturveränderung
- ohne Pigment-, aber mit Texturveränderung (zB Mesh)
- ohne Pigmentveränderung, Narbenstränge
- Mit Pigmentveränderungen, Instabilität, Hypertrophie
KOF x1xQ*
KOF x1,5xQ
KOFx2xQ
KOFx3xQ
Summe B
C
Somatische und vegetative Beschwerden
- Trockenheit
- Schweißneigung
- Kälteempfindlichkeit
- Wärmeempfindlichkeit
- Juckreiz
- Verletzlichkeit der Haut
- Taubheit
- Gelenk-Gliederscmerzen
- Spannungsgefühl
Zahl der Nennungen:
1–2: 5 Punkte
3–5: 10 Punkte
>5: 20 Punkte
Summe C
B+C
Punkte <20 = <10 %
Punkte 20–40 = 10 %
Punkte 40–70 = 20 %
Punkte 70–100 = 30 %
Punkte >100 = 40 %
Summe B+C
MdE
Summe A+(B+C)
*Anm: Der Faktor Q gewichtet die besondere Lokalisation der Narbenareale: Narben Brust und Arme Multiplikator 2, im Gesicht und Hände Multiplikator 5 (in Einzelfällen 10)
Haben Narben entstellende Wirkungen an Kopf und insbesondere Gesicht, so sehen die Versorgungsmedizinischen Grundsätze der VersMedV einen GdS/GdB von bis zu 50 vor (Bundesministerium für Soziales und Arbeit 2008).
Als Ursache für Wundheilungsstörungen kommen Infektionen, Fremdkörper, Mangeldurchblutung (arteriell und venös), Diabetes, Innervationsstörungen und Artefakte in Frage. Der Gutachter wird abzugrenzen haben, welche Bedeutung der unfallunabhängig bestehenden Erkrankung (Schadensanlage oder Vorschaden) für den gestörten Heilverlauf beizumessen ist.
Aus Narbenulzera und -fisteln können Karzinome entstehen. Voraussetzung hierfür ist eine lange Zeit anhaltende gestörte Regeneration. Wesentlich für die Beurteilung ist, dass das Ursprungsleiden unfallbedingt war, da auch nichttraumatisch bedingte chronische Ulzera, z. B. variköse Unterschenkelgeschwüre, maligne entarten können (Probst 1968).
Ausgedehnte Brandnarben und Narben nach Einwirkung von Strahlenenergie, vor allem solche mit immer wiederkehrendem Aufplatzen und chronischer Geschwürbildung (Sog. Instabile Narben), zeigen ebenfalls eine Neigung zur karzinomatösen Entartung.
Unter Narbenkeloid versteht man eine bindegewebige Narbengeschwulst, die zumeist erst einige Wochen nach Abheilung einer Verletzung auftritt und besonders häufig an Schulter und Oberarm, im Gesicht sowie an Hals, Brust und Bauch lokalisiert ist. Ausgedehnte Keloide, vor allem nach Verbrennungen, können durch Strangbildung zu Funktionseinbußen (Hals, Schulter- und Ellenbogengelenk) führen.
Bei operativen Eingriffen am Gesicht, an Hals, Schulter oder Oberarm (Struma, kosmetische Oerationen, operative Behandlung von Oberarm- und Schlüsselbeinbrüchen, vor allem beim weiblichen Geschlecht) sollte der Hinweis auf mögliche, nicht vorhersehbare Keloidbildung zur präoperativen Aufklärung gehören, um Haftpflichtprozesse zu vermeiden.

Wundinfektionen

Hautwunden sind immer als kontaminiert zu betrachten, da die Haut mit unzähligen Bakterien (Staphylokokken, Mykobakterien, Corynebacterien, Propionibacterien, Acinetobacter u. a) physiologischerweise besiedelt ist. Die Hautflora ist ein Mischflora aus aeroben und überwiegend anaeroben Keimen (Verhältnis aerob zu anaerob 1:10).
Die Keimdichten liegen, je nach Region, zwischen 102 und 106 pro cm2. Ungefähre Keimzahlen unterschiedlicher Hautregionen (Keimzahl pro cm2): Fingerkuppen 20–100, Rücken 3 × 102, Füße 102–103, Vorderarm 102–5 × 103, Hand 103, Stirn 2 × 105, Kopfhaut 106, Achselhöhle 2 × 106. Insgesamt leben rund 1010 Bakterien auf unserer Hautoberfläche.
Daher sind Wunden stets zu reinigen und desinfizieren, ggfls. eine Antibiotikatherapie einzuleiten, um eine Infektion zu verhindern. Dabei ergibt sich die individuelle Risikoeinschätzung für eine Infektion aus der Wundverschmutzung, der Wundlokalisation (z. B. Gesicht), der Wundqualität sowie den patienteneigenen Risikofaktoren (z. B. Diabetes mellitus).
Eine Wundinfektion entsteht nach Eindringen von Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Parasiten, selten Viren) und ist gekennzeichnet durch lokale Symptome:
  • Rötung
  • Schwellung
  • Überwärmung
  • Funktionseinschränkung

Erysipel

Infektion durch gram positive Bakterien (ß-hämolysierende Streptokokken Gr A, selten andere Erreger) mit Ausbildung eines oft flächenförmigen, scharf begrenzten Erythem.
Die Infektionsausbreitung erfolgt entlang der Lymphgefäße und verbleibt i. d. R. oberflächlich.
Ursachen des Erysipel z. B. im Unterschenkelbereich können auch chronische Hautveränderungen im Fuß- Nagelbereich sein: Rhagaden, Fußpilz u. a.

Phlegmone

Bakterielle Entzündung (i. d. R. gram positive Bakterien) des interstitiellen Bindegewebes und somit in tieferliegenden Hautschichten. Rötung weniger scharf begrenzt, eher dunkelrot bis livide, teigige Schwellung, Schmerzen und Fieber.

Abszess

Sowohl ein Erysipel als auch eine Phlegmone können un- oder falsch behandelt zur Abszedierung (eitrige Einschmelzung) und Sepsis (Bakteriämie, Blutvergiftung) führen.
Ein Abszess ist eine locale Ansammlung von Eiter und sollte chirurgisch entlastet werden.

Fasciitis necroticans

Schwerwiegende, lebensbedrohliche bakterielle Infektion der Haut, Unterhaut und Fascien mit Ausbildung von Nekrosen. Oft perakuter Verlauf mit systemischem Organversagen, daher sehr schnelle Diagnostik und Beginn der Therapie prognoseentscheidend.
Unterschieden werden erregerabhängig 4 Typen von Infektionen (Jung et al. 2021):
  • Typ I Mischinfektion aus mind einer anaeroben Spezies (Bacteroides spp.), einem oder mehrerer fakultativ anaerober Streptokokken (nicht der Gr A) sowie Enterobakterien (E. coli u. a.) (75 %)
  • Typ II Monobakterielle Infektion mit Nachweis nur eines Erreger (meist Streptococcus pyogenes oder Staphylococcus aureus)
  • Typ III Vibrio vulnificus (aquatisches Milieu und Tropen)
  • Typ IV Pilze (selten, Candida)

Berufskrankheiten durch Infektionserreger

Besondere Aufmerksamkeit bedarf es bei der Einschätzung von Berufskrankheiten durch Infektionserreger (BK 3101, 3102 und 3104), die auch durch Verletzungen bzw. Hautwunden übertragen werden können.
Für die BK 3101 (Mensch zu Mensch z. B. Arbeitnehmer im Gesundheitswesen):
Poliomyelitis, Hepatitis, HIV, Tbc, Covid-19 u. a.
BK 3102 (Zoonosen z. B. Tierärzte, Landwirte, Forstwirtschaft):
BK 3104 (ausschließlich Tropen/Subtropen und für diese Regionen typische Krankheiten z. B. Seefahrt, Luftfahrt). Ein Nachweis, dass die Infektion iR der versicherten Tätigkeit entstanden ist, entfällt hier, da zwischen betrieblichen und privatwirtschaftlichen Ansteckungen nicht unterschieden werden kann und dies den BK-Schutz unterlaufen würde (Schönberger et al. 2017).
Tropenkrankheiten (Amöbiasis, Fleckfieber, Ebola, Dengue u. a.)
Literatur
Bundesministerium für Soziales und Arbeit (2008) Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und Schwerbehindertenrecht (SGB IX). Anhaltspunkte (bmas.de)
Jung N, Rieg S, Lehmann C (2021) Klinikleitfaden Infektiologie. Urban&Fischer, München/Jena
Schönberger, Mehrtens, Valentin (2017) Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. Erich Schmidt, Berlin