Skip to main content
Die Ärztliche Begutachtung
Info
Publiziert am: 01.02.2023

Lymphödem – Begutachtung

Verfasst von: Gyoergy-Barna Piros
Das Lymphödem ist eine pathologische Ansammlung und Veränderung der interstitiellen Flüssigkeit als Folge einer primären (angeborenen) oder sekundären (erworbenen) Schädigung des Lymphdrainagesystems. Meist sind die Extremitäten betroffen, jedoch kann es auch in anderen Regionen auftreten. Gutachtlich ist von Bedeutung, dass es sich um eine chronische, ohne Behandlung schnell progrediente Krankheit mit sichtbarer Volumenvermehrung bzw. Volumenveränderung einer Körperregion, meistens an einer oder mehreren Extremitäten handelt. Insbesondere die dadurch eintretenden Einschränkungen in der Gebrauchsfähigkeit können sowohl im Schwerbehindertenrecht, sozialen Entschädiungsrecht und in der Unfallversicherung relevant sein und einen GdS/GdB bzw. eine MdE in nicht unerheblichem Maße bedingen. Der lebenslange Therapiebedarf stellt zudem eine erhebliche Belastung für den Patienten dar und hat oftmals einen relevanten psychosozialen Einfluss auf dessen Lebensqualität.

Definition und Epidemiologie

Das Lymphödem ist eine pathologische Ansammlung und Veränderung der interstitiellen Flüssigkeit als Folge einer primären (angeborenen) oder sekundären (erworbenen) Schädigung des Lymphdrainagesystems. Meist sind die Extremitäten betroffen, jedoch kann es auch in anderen Regionen wie im Gesicht, Hals, Thorax, Abdomen oder in der Genitalregion auftreten.
Die Inzidenz des primären Lymphödems bei Geburt beträgt (geschätzt) ca. 1:6000 (Dale 1985), und die Prävalenz liegt weltweit bei den unter 20-Jährigen bei ca. 1:87.000 (Smeltzer et al. 1985). Frauen sind im Vergleich zu Männern durch das primäre Lymphödem deutlich mehr betroffen (w: m = 4,5:1) (Moffatt et al. 2003; Neuhüttler und Brenner 2003; Brunner 1981).
Genaue Zahlen über das Auftreten des sekundären Lymphödems sind schwer zu ermitteln, da die Ursachen vielfältig sind. Die häufigste Ursache (in den westlichen Ländern) sind Tumorerkrankungen und deren Behandlungen (Neuhüttler und Brenner 2003; Brunner 1981). Adipositas hat einen induzierenden und aggravierenden Einfluss auf das Lymphödem, der epidemiologisch bedeutungsvoll ist (Blum et al. 2014; Greene et al. 2015).

Ätiopathogenese

Primäres Lymphödem

Ein Lymphödem ohne auslösende Faktoren ist definitionsgemäß ein primäres Lymphödem (Greene et al. 2015). Es ist die Folge einer pathologischen Entwicklung der Lymphgefäße, welches aufgrund sowohl von Aplasie, Hypoplasie oder auch Hyperplasie entstehen kann. Meistens sind die unteren Extremitäten betroffen, jedoch können nahezu alle Körperteile betroffen sein. Sollten bekannte genetische Veränderungen mit familiärer Häufung des Lymphödems ohne bekannte Ätiologie vorliegen, darf der Terminus „Familiäres Lymphödem“- benutzt werden (Kerchner et al. 2008).
Die Klassifikation des Primären Lymphödems ist abhängig von dem Alter, in dem sich das Lymphödem zuerst manifestiert:
  • Kongenitales Lymphödem: Manifestation bereits bei Geburt oder innerhalb des ersten Lebensjahres. Es kann sowohl sporadisch wie auch familiär gehäuft auftreten und stellt ca. 10–25 % aller primärer Lymphödeme dar (Jones und Mansour 2017).
  • Lymphödema praecox: Manifestation zwischen dem 1. und 35. Lebensjahr ohne auslösende Ursachen. Häufigste Form des primären Lymphödems. Bei 70 % der Patienten ist nur ein Bein betroffen (Dean und Starr 2014).
  • Lymphödema tardum: Manifestation nach dem 35. Lebensjahr. Seltenster Typ des primären Lymphödems. Stellt unter 10 % aller primärer Lymphödeme dar (Choi et al. 2012; Nitti et al. 2016).

Sekundäres Lymphödem

Bei dem sekundären Lymphödem ist die Ursache bekannt, somit besteht eine erworbene Schädigung des Lymphgefäßsystems, z. B. durch:
  • Lymphödem nach Tumor und dessen Behandlung (Lymphonodektomie, Radiatio, maligne Prozesse)
  • Posttraumatisches sekundäres Lymphödem
  • Postoperatives/Postinterventionelles sekundäres Lymphödem
  • Postentzündliches sekundäres Lymphödem
  • Adipositas-assoziertes Lymphödem
  • Angeborenes Ringband-/Amnion-Schnürfurchen-Syndrom
  • Selbstschädigung durch Abschnürung
  • Multikausal bedingtes Lymphödem, infolge einer erhöhten Lymphlast: chronisch venöse Insuffizienz, Diabetes, Hormonstörungen, (z. B. Hypothyreose), kompensierte Herzinsuffizienz, Muskelpumpinsuffizienz bei orthopädisch/neurologischen Begleiterkrankungen.

Diagnostik und Kernsymptome

Die Basisdiagnostik besteht aus Anamnese, Inspektion und Palpation. Klinisch manifeste Lymphödeme sind meist einfach und zuverlässig klinisch zu diagnostizieren. Selten ist ein weiterführendes diagnostisches Verfahren erforderlich, wie z. B. bei relevanten Begleiterkrankungen oder einem Lymphödem im Initialstadium.

Anamnese:

  • Zeitlicher Verlauf der Ödementstehung
  • Lokalisation und Ausprägung
  • Beschwerden (z. B. Schmerzen, Funktionseinschränkungen)
  • Sekundäre Ursachen: Operative Eingriffe, maligne Erkrankungen mit und ohne Bestrahlung, Trauma, abgelaufene/aktive entzündliche Prozesse, arterielle oder venöse Vorerkrankungen, sonstige Erkrankungen (insbesondere Stoffwechsel- und hormonelle Störungen, Leber-, Nieren- und Herzerkrankungen),
  • Aktuelle Medikation
  • Familiäre Belastung

Inspektion:

  • Lokalisation der Schwellung
  • Umfangsdifferenz, Längendifferenz
  • Ektatische Lymphgefäße, Papillomatosis cutis lymphostatica, Lymphzysten, Hyperkeratosen, Pigmentierungen
  • Hautfarbe
  • Hinweise für einfache oder komplexe Malformationen/Gefäßmalformationen
  • Venös und arteriell bedingte Hautveränderungen/Hautdefekte/Narben
  • Gesamtbeweglichkeit des Patienten

Palpation:

  • Untersuchung der Lymphknoten mit Beurteilung der Größe, Konsistenz, Druckdolenz und Verschiebbarkeit.
  • Ödempalpation zur Beurteilung der Ödemkonsistenz (induriert-hart, derb fibrotisch, prall elastisch, teigig weich)
  • Prüfung der Dellbarkeit („pitting/non pitting edema“)
  • Prüfung der Abhebbarkeit der Haut an der proximalen Phalanx des zweiten und/oder dritten Strahls an Fingern beziehungsweise an den Zehen („Stemmer Zeichen“) (Seifart et al. 2010).
  • Hauttemperatur
  • Arterieller (Pulsstatus) und venöser (Sourcing) Gefäßstatus.

Weiterführende Diagnostik im Labor:

  • Routinelabor, Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG), C- reaktives Protein (CRP), Antisreptolyisin O (ASLO) Titer. Differenzialdiagnostisch: natriuretisches Peptid (NT-proBNP), Kontrolle der Leber-, Nieren- sowie Schilddrüsenparameter.
  • Gegebenenfalls bei komplexer Situation genetische, immunologische oder endokrinologische Untersuchungen
Nur selten sind nach der Basisdiagnostik weiterhin offenen Fragen, zur Planung von Operationen oder Therapie/Verlaufskontrolle erforderlich.
  • Funktionsdiagnostik – Funktionslymphszintigraphie, indirekte Lymphangiographie, Fluoreszenz-Mikrolymphographie, Indocyaningrün-Lymphographie, direkte Lymphographie.
  • Duplexsonographie, Sonographie, Echokardiographie
  • Morphologische bildgebende Verfahren: Röntgen – Computertomographie, Magnetresonanztomographie.
  • Bei sekundärem Lymphödem: Abklärung durch weitere Fachgebiete: orthopädische, neurologische, internistische, kardiologische, gynäkologische, urologische Abklärung.

Klinische Beurteilung

Das charakteristische klinische Bild ist geprägt von einer weißlich aufgeschwemmten, kaum eindrückbaren Gewebsvermehrung der Extremität. Der Schweregrad wird nach der Klinik in 4 Stadien eingeteilt:
Stadium 0
(Latenzstadium)
Kein klinisch apparentes Lymphödem, aber zum Teil pathologische Lymphszintigaphie
Stadium I
(Spontan reversibel)
Ödem von weicher Konsistenz, Hochlagern reduziert das Ödem
Stadium II
(Nicht spontan reversibel)
Ödem mit sekundären Gewebeveränderungen, Hochlagern reduziert das Ödem nicht
Stadium III
Deformierende harte Schwellung, z. T. lobäre Form mit typischen Hautveränderungen

Differenzialdiagnose

Anhand der nachfolgenden Tabelle (Tab.1) ist eine Differenzierung des Lymphödems von anderen Ödem-verursachenden Krankheiten möglich.
Tab. 1
Differenzialdiagnose des Lymphödems
 
♂/♀
Beginn
Symmetrie
Lokalisation
Ödem
Druck-schmerz
Füße
Sonstiges
Primäres Lymphödem
♂/♀
Häufig Pubertät
Ja
meist Beine
+++
Nein
Ja
Stemmer +
Sekundäres Lymphödem
♂/♀
Erwachsenen Alter
Nein
Beine/Arme
+++
Nein
Ja
Stemmer +
Lipödem
Meist Pubertät
Ja
Beine & Arme
Ja
Nein
Hämatom-neigung
Lipo-hyperthrophie
Meist Pubertät
Ja
Beine & Arme
Nein
Nein
 
Phlebödem
♂/♀
Erwachsenen Alter
Nein
Beine
+
Nein
Nein
Pathologischer Venenstatus
Adipositas
♂/♀
Alle Altersklassen
Ja
Gesamter Körper
+/−
Nein
Nein
BMI hoch
Systemische Erkrankungen
♂/♀
Erwachsenen Alter
Ja
Beine
++
Nein
Nein
Grund-erkrankung behandeln

Therapieoptionen

Konservative Therapie

Die Standardtherapie ist die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE) und besteht aus folgenden, aufeinander abgestimmten Komponenten (Földi et al. 2005):
  • Hautpflege und falls erforderlich Hautsanierung
  • Manuelle Lymphdrainage
  • Kompressionstherapie mit lymphologischen Wechselverbänden und/oder lymphologischer Kompressionsstrumpfversorgung
  • Entstauungsfördernde Sport-/Bewegungstherapie
  • Schulung zur individuellen Selbsttherapie
Ergänzende Therapiemaßnahmen sind:
  • Bei Funktionseinschränkung Physiotherapie und ggf. Ergotherapie
  • Ernährungsberatung (bei gleichzeitigem Übergewicht/Adipositas oder zum Beispiel bei Eiweiß-verlierender Enteropathie)
  • Psychologische Beratung
  • Sozialberatung
Phase I der KPE wird meist stationär durchgeführt in einer Fachklinik für Lymphologie im Rahmen eines Rehabilitationsprogrammes. Hier wird die Komponente der KPE täglich 1–2× durchgeführt. Phase II wird ambulant durchgeführt, und besteht aus einer befundadaptierten Behandlung (meist 1–2×/Woche) zur Konservierung und Optimierung des Therapieerfolgs.
Neben manueller Lymphdrainage kann die intermittierende pneumatische Kompression bei bestimmten Patienten mit distal betonten Lymphödemen ohne Rumpfquadrantenbeteiligung oder bei Patienten mit eingeschränkter Mobilität eingesetzt werden (2013).
Kontraindikationen der KPE:
Absolute Kontraindikationen sind (Földi und Földi 2010):
Relative Kontraindikationen sind:

Medikamentöse Therapie

Nur bei Begleiterkrankungen (z. B. Diuretika bei Herzinsuffizienz) oder Komplikationen (z. B. Antibiose bei Erysipelinfektion oder antimykotische Therapie bei Interdigitalmykose) ist eine ergänzende medikamentöse Therapie erforderlich.

Chirurgische Therapie

Eine operative Therapie sollte in Betracht gezogen werden, wenn ein Patient trotz leitliniengerechter konservativer Therapie und adäquater Therapieadhärenz einen Leidensdruck oder eine Zunahme von sekundären Gewebeveränderungen aufweist. Im diesen Falls könnten rekonstruktive mikrochirurgische oder deviierende Verfahren zum Einsatz kommen. Bei ausgeprägten Befunden ist nach vollständiger Entstauung zu überlegen, entsprechende Resektionsverfahren durchzuführen.
Für die operative Therapie stehen prinzipiell drei verschiedene Vorgehensweisen zur Verfügung:
Rekonstruktives mikrochirurgisches Verfahren
  • Mikrochirurgisch autogene Lymphgefäßtransplantation
  • Interposition autogener Venen
  • Lappenplastiken mit Inkorporation von Lymphgefäßen und Lymphknoten.
Deviierendes (umleitende Verfahren)
  • Lympho-venöse, lymphonodulo-venöse Anastomosen
Resektionsverfahren
  • Geweberesektionen von Haut, Subkutangewebe, Faszie in unterschiedlichem Ausmaß, direkter Wundverschluss oder Lappenplastiken bzw. Spalthauttransplantation

Komplikationen des Lymphödems:

Infektionen:

  • Das Erysipel (Wundroseinfektion) ist die häufigste Komplikation des primären oder sekundären Lymphödems. Während das Risiko ein Erysipel zu bekommen bei etwa 1 % in der Normalbevölkerung liegt, ist es bei Patienten mit Lymphödem mit bis zu 50 % deutlich erhöht (Dupuy et al. 1999). Die häufigste Erreger sind Streptokokken, seltener Staphylokokken und die adäquate Therapie ist eine Antibiotikatherapie mit Penicillin, und bei vorliegender Allergie, z. B. mit Clindamycin.
  • Dermatomykosen, Interdigitalmykosen

Hautveränderungen:

  • Lymphostatische Fibrosen
  • Lymphfisteln und Lymphzysten
  • Ekzeme
Benigne Hauttumoren: Papillomatosis cutis Lymphostatica/Lymphangiome
Maligne Tumor: Angiosarkom und Lymphangiosarkom (Stewart- Treves Syndrom)
Elephantiasis bis zum Funktionsverlust der betroffenen Extremität.

Gutachtliche Bewertung:

Das Lymphödem ist eine chronische, ohne Behandlung schnell progrediente Krankheit mit sichtbarer Volumenvermehrung bzw. Volumenveränderung einer Körperregion, meistens an einer oder mehreren Extremitäten. Allein die Tatsache, dass das Lymphödem eine chronische Krankheit ist und ein lebenslanger Therapiebedarf besteht, ist eine erhebliche Belastung für den Patienten. Unabhängig von der Ätiologie hat das Lymphödem (primäres oder sekundäres Lymphödem) einen relevanten psychosozialen Einfluss auf die Lebensqualität.
Selbst auslösende Faktoren eines sekundären Lymphödems (Tumor, Operation, Trauma, Erysipel usw.) können zu Depressionen und in der Folge zu psychosozialer Belastung/Einschränkung führen. Somit sollte für jeden Patienten mit gesichertem Lymphödem eine sozialmedizinische sowie psychologische Unterstützung angeboten werden.
Um die Komplikationen oder eine langfristige Funktionseinschränkung der betroffenen Körperregion/Extremität zu vermeiden (vgl. Komplikationen), sollte unmittelbar nach der Erstmanifestation eines Lymphödems eine interdisziplinäre Behandlung initiiert werden (vgl. Behandlung).
Bei einem nicht zufriedenstellenden Ergebnis nach einer ausreichend langen ambulanten Entstauungstherapie würde eine stationäre Rehabilitation (KPE Phase I) gerechtfertigt sein.
Die rehabilitative Versorgung hat in einer Fachklinik für Lymphologie gegenüber der ambulanten Therapie erhebliche Vorteile. Die Komponenten der KPE werden täglich 1–2× durchgeführt, entsprechend mit sehr guter quantitativer und qualitativer Verbesserung. Anschließend wird eine flachgestrickte, nach Maß angefertigte Kompressionsversorgung angepasst und auf korrekten Sitz und Passform kontrolliert. Außer der Basistherapie werden die Patienten über die Möglichkeit und Notwendigkeit der Selbsttherapie (zum Beispiel Hautpflege, Selbstbandagierung, Erysipelprophylaxe, Kompressionsstrumpf Management) informiert und geschult. Ernährungsberatung wird insbesondere in speziellen Situationen (zum Beispiel Eiweiß-verlierende Enteropathie) sowie bei gleichzeitig bestehendem Übergewicht/Adipositas angeboten. Des Weiteren sind Teil der Therapie die entstauungsfördernden Übungen und bei zusätzlicher Funktionseinschränkung Physiotherapie und Ergotherapie sowie unterstützend auch psychologische Gespräche. All dies wird in einem stationären Setting intensiviert durchgeführt.
Um den bestmöglichen Status nach einer stationären rehabilitativen Versorgung aufrecht zu erhalten, ist die ambulante Fortführung der KPE im Rahmen der Phase II der Therapie unbedingt zu empfehlen. Befund und beschwerdeadaptiert können alle Komponenten der KPE auch ambulant im weiteren Verlauf eingesetzt werden.
In der Regel kann mit oben geschilderter konsequenter interdisziplinärer Therapie langfristig die Arbeitsfähigkeit und eine gute bzw. adäquate Lebensqualität aufrechterhalten werden. Trotz regelmäßiger und korrekter Therapie kann jedoch das Lymphödem bis Stadium III fortschreiten. Die Elephantiasis kann die Gebrauchsfähigkeit einer Extremität erheblich einschränken und nach den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ zum Teil einen erheblichen Grad der Behinderung (GdB) oder Grad der Schädigungsfolge (GdS) bedingen (Schwerbehindertenrecht, Soziales Entschädigungsrecht):
  • GdB/GdS 0–10 – ohne wesentliche Funktionsbehinderung, Erfordernis einer Kompressionsbandage
  • GdB/GdS 20–40 – bei großer (>3 cm) Umfangszunahme je nach Funktionseinschränkung,
  • GdB/GdS 50–70 – mit erheblicher Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der betroffenen Gliedmaße, je nach Ausmaß
  • GdB/GdS 80 – bei Gebrauchsunfähigkeit einer ganzen Gliedmaße (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2008).
Entstellungen bei sehr ausgeprägten Formen sind ggf. zusätzlich zu berücksichtigen.
Weiterhin ist oft bei fortgeschrittenem Lymphödem mit Funktionseinschränkung der Beine zu beurteilen, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G) vorliegt. Dafür ist zu klären, ob die Person ohne erhebliche Schwierigkeiten Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen kann, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird.
Die oben genannten, sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule sollten einen GdB/GdS von wenigstens 50 bedingen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales).
Für die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in der gesetzlichen Unfallversicherung können grds. die Werte aus den versorgungsmedizinischen Grundsätzen vergleichend herangezogen werden. Allerdings darf die MdE in der Unfallversicherung grds. nur an der Einschränkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gemessen werden, nicht aber auch zusätzlich an der im alltäglichen Leben oder wie im Recht der sozialen Entschädigung. Auf die entsprechenden MdE-Tabellen der medizinsichen Standardwerke wird verwiesen.
Das Erysipel (Wundroseinfektion) ist die häufigste Komplikation des primären oder sekundären Lymphödems. Jede Erysipelinfektion führt zu einer Verschlechterung der Ödemsituation. Somit können rezidivierende Erysipelinfektionen zu einem Grad der Behinderung führen:
  • GdB/GdS 10 Chronisch rezidivierendes Erysipel ohne bleibendes Lymphödem
  • GdB/GdS 20–40 je nach Ausprägung des Lymphödems
In der gesetzlichen Rentenversicherung kann bei erheblicher Funktionseinschränkung einer Extremität mit annähernder Gebrauchsunfähigkeit eine Erwerbsminderung vorliegen. Dies kann sich vor allem auf die Gebrauchsunfähigkeit einer unteren Extremität, und um so mehr bei beidseitiger Beteiligung beziehen.
Auch im Bereich der oberen Extremität können Lymphödeme bei Erwerbstätigen, z. B. nach Mammakarzinomoperation, sozialmedizinische Relevanz haben. Dies wäre z. B. dann der Fall, wenn der Gebrauch eines Armes derart eingeschränkt ist, dass Tätigkeiten mit diesem Arm deutliche Beeinträchtigungen erfahren. Dabei ist zu berücksichtigen, ob es sich je nach Händigkeit um die Gebrauchshand oder Beihand handelt. Ggf. können arbeitsplatzbezogene Umrüstungen, z. B. die Veränderung der Bedienung einer schwergängigen Apparatur von rechts nach links, zum Erhalt des Arbeitsplatzes beitragen.
Literatur
Blum KS, Karaman S, Proulx ST, Ochsenbein AM, Luciani P, Leroux J-C et al (2014) Chronic high-fat diet impairs collecting lymphatic vessel function in mice. PLoS One 9(4):e94713CrossRef
Brunner U (1981) Klinische Diagnostik des primären Lymphödems der Beine. Swiss Med 3:59–64
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrechte (Teil 2 SGB IX) (2008)
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2020) Versorgungsmedizinische_Grundsätze, Teil D, Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G:127–128)
Choi I, Lee S, Hong YK (2012) The new era of the lymphatic system: no longer secondary to the blood vascular system. Cold Spring Harb Perspect Med 2:a006445CrossRef
Dale RF (1985) The inheritance of primary lymphoedema. J Med Genet 22(4):274–278CrossRef
Dean SM, Starr J (2014) An unusual case of familial lymphedema. Ann Vasc Surg 28:1314.e1CrossRef
Dupuy A, Benchikhi H, Roujeau JC, Bernard P, Vaillant L, Chosidow O et al (1999) Risk factors for erysipelas of the leg (cellulitis): case-control study. BMJ 318(7198):1591–1594CrossRef
Executive Committee of the International Society of Lymphology (2013) The diagnosis and treatment of peripheral lymphedema: 2013 Consensus Document of the International Society of Lymphology. Lymphology 46(1):1–11
Földi E, Földi M (2010) Örtliche Erkrankungen des subkutanen Fettgewebes. In: Földi M, Földi E (Hrsg) Lehrbuch Lymphologie. Urban und Fischer, München
Földi M, Földi E, Kubik S (Hrsg) (2005) Lehrbuch der Lymphologie für Mediziner, Masseure und Physiotherapeuten, 6. völlig überarb. Aufl. Elsevier/Urban und Fischer, München
Greene AK, Grant FD, Slavin SA, Maclellan RA (2015) Obesity-induced lymphedema: clinical and lymphoscintigraphic features. Plast Reconstr Surg 135(6):1715–1719CrossRef
Jones GE, Mansour S (2017) An approach to familial lymphoedema. Clin Med (Lond) 17:552CrossRef
Kerchner K, Fleischer A, Yosipovitch G (2008) Lower extremity lymphedema update: pathophysiology, diagnosis, and treatment guidelines. J Am Acad Dermatol 59:324CrossRef
Moffatt CJ, Franks PJ, Doherty DC, Williams AF, Badger C, Jeffs E et al (2003) Lymphoedema: an underestimated health problem. QJM 96(10):731–738CrossRef
Neuhüttler S, Brenner E (2003) Beitrag zur Epidemiologie des Lymphödems. Phlebologie 35:181–187CrossRef
Nitti M, Hespe GE, Cuzzone D et al (2016) Definition, incidence and pathophysiology of lymphedema. In: Cheng MH, Chang DW, Patel KM (Hrsg) Principles and practice of lymphedema surgery. Elsevier, Edinburgh, S 40CrossRef
Seifart U, Stibane A, Barth J, Müller H-H, Derichsweiler K, Minning H et al (2010) Ultrasonografische Hautschichtendickenmessung zur Diagnostik des Armlymphödems bei Patientinnen mit Mammakarzinom: Interimsanalyse einer Multicenterstudie. Phys Rehab Kur Med 20(3):158–163CrossRef
Smeltzer DM, Stickler GB, Schirger A (1985) Primary lymphedema in children and adolescents: a follow up study and review. Pediatrics 76(2):206–218