Um die gemessenen Lungenfunktionsparameter
beurteilen zu können braucht man den Vergleich mit
Sollwerten. Die Sollwerte zeigen neben der methodischen Streuung eine Abhängigkeit von der Körpergröße, dem Lebensalter, der Ethnie und dem Geschlecht. Obwohl die Sollwertformeln das Gewicht nicht beinhalten, ist eine relevante
Adipositas zu berücksichtigen. Im arbeitsmedizinischen Bereich galten bislang die
Referenzwerte der Europäischen Gesellschaft für Kohle und Stahl (EGKS) (Quanjer et al.
1993). Die EGKS-Werte wurden aus einer selektierten Population abgeleitet und die Festlegung pathologischer Grenzen anhand fester Prozentangaben des Mittelwertes (z. B. ≤ 80 %) berücksichtigt u. a. nicht die zunehmende Streubreite der Normalwerte mit zunehmenden Alter. In der Begutachtung sind nunmehr die 2012 von der Global Lung Initiative (GLI) publizierten spirometrischen Referenzwerte anzuwenden. Die Normalwerte basierend auf GLI sollten in die
Software der Messgeräte integriert sein (Quanjer et al.
2012). Angaben des Tiffeneau-Index in % sind zu vermeiden, um Verwechselungen mit den %-Angaben anderer
Messwerte zu vermeiden, die sich auf die Sollwerte beziehen (Culver et al.
2017). Gegenüber den alten Sollwerten nach EGKS werden bei den neuen GLI-Sollwerten jetzt für jede Testperson seine individuelle Streuung und
Standardabweichung berechenbar. Diese Referenzgleichungen sind komplex und erfordern den Einsatz spezieller Software, die kostenlos verfügbar ist (
www.lungfunction.org). Für die Einordnung eines Wertes als pathologisch ist der untere Grenzwert („lower limit of normal“ LLN) relevant, der gewöhnlich als 5. Perzentil der Verteilung definiert wird. Dies bedeutet, dass lediglich 5 % der gesunden Bevölkerung einen Messwert unterhalb des jeweiligen LLN zeigen. Mathematisch entspricht das 5. Perzentil der Streuung multipliziert mit minus 1,645 (Criée et al.
2015). Der Z-Score gibt an, um wie viele Standardabweichungen ein bestimmter Messwert vom Sollmittelwert abweicht. Dem 5. Perzentil der Streuung entspricht somit ein Z-Score von −1,645.
Wird eine obstruktive Ventilationsstörung vermutet, sollte ein Bronchodilatationstest mit einem kurzwirksamen Betasympathomimetikum oder schnell wirksamen Anticholinergikum, und erneuter Messung nach 15 bzw. 30 Min. durchgeführt werden. Der Reversibilitätstest wird als positiv bewertet, wenn ein Anstieg des FEV
1 um 12 % des Ausgangswerts oder ein Anstieg von über 200 ml absolut erzielt werden. Bei der Beurteilung der Reversibilität ist auf die vorausgegangene Karenz von Bronchodilatatoren zu achten (Preisser und Merget
2018).
Bei Personen mit hohen Ausgangswerten müssen erhebliche Funktionsverschlechterungen eintreten, ehe Werte bei einmaliger Messung auffällig werden d. h. unterhalb des jeweiligen LLN liegen bzw. einen z-Score < −1,645 aufweisen (siehe oben). Für die Beurteilung der erzielten
Messwerte ist daher immer der Vergleich mit Vorbefunden anzustreben (intraindividueller Verlauf). Fällt in der mehrjährigen Beobachtung das FEV
1 stärker als dem Altersgang (Faustregel: 30–50 mL/Jahr) entsprechend ab, sollte man eine differenzierte Ursachendiagnostik durchführen. Damit kann die Manifestation einer obstruktiven Ventilationsstörung, d. h., das Unterschreiten der unteren Grenze des Referenzbereiches (LLN) ggf. frühzeitig verhindert oder verzögert werden.
Tab. 2
Provokationsdosen im Methacholintest (Provotest II)
0,5 | 3,3 | 15 | 15 |
1 | 3,3 | 30 | 45 |
2 | 3,3 | 60 | 105 |
4 | 3,3 | 120 | 225 |
8 | 3,3 | 240 | 465 |