Typ-2-Diabetes und Senkung der Blutglukose
Das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und ihrer Komplikationen ist bei Patienten mit
Typ-2-Diabetes regelhaft ca. 2-fach höher als bei Betroffenen ohne
Diabetes. Zudem treten diese Komplikationen nicht nur häufiger, sondern auch früher bei Patienten mit Diabetes auf und ihre jeweilige Prognose ist schlechter als bei Menschen ohne Diabetes. Zahlreiche Kohorten- und Populationsbasierte Studien zeigen, dass die Diagnose Typ-2-Diabetes prognostisch ein „Koronaräquivalent“ ist, d. h. Patienten mit Diabetes haben eine vergleichbar belastete kardiovaskuläre Prognose wie klinisch stabile Patienten mit
Myokardinfarkt in der Vorgeschichte ohne einen bekannten Diabetes. Die Dauer des Diabetes hat auch eine prädiktive Wertigkeit und sollte deswegen bei der Risikostratifizierung mitberücksichtigt werden. Eine neue Analyse aus der UK-Biobank mit 435.679 Teilnehmern zeigt (Li et al.
2021), dass das Risiko für tödliche und nicht-tödliche kardiovaskuläre Erkrankungen bei einer Diabetesdauer von 15 Jahren und länger 2,2-fach höher ist als bei einer Diabetesdauer kürzer als 5 Jahre. In einer systematischen Übersicht wurden publizierte Daten der letzten 10 Jahre (2007–2017) zur
Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen bei fast 5 Mio. Menschen mit Diabetes zusammengefasst (Einarson et al.
2018). 32,2 % der Patienten mit Typ-2-Diabetes haben eine klinisch manifeste kardiovaskuläre Erkrankung, 14,9 % eine klinisch manifestierte
Herzinsuffizienz und 10 % einen Myokardinfarkt. In 9,9 % der Fälle war eine kardiovaskuläre Erkrankung die Ursache für den Tod, welche in diesem Fall 50,3 % der gesamten Todesrate repräsentierte.
Die Wirksamkeit oder mögliche Überlegenheit einer intensiveren Senkung des Blutzuckers bei Patienten mit
Typ-2-Diabetes wurde im Wesentlichen in 4 prospektiven Studien analysiert (ACCORD, ADVANCE, VADT und UKPDS).
Die ACCORD-Studie verglich bei 10.251 Patienten mit
Typ-2-Diabetes, die ein hohes kardiovaskuläres Risiko hatten, eine intensive versus eine Standard-Glukosekontrolle und erreichte einen HbA1c-Wert von 6,4 % versus 7,5 % (ACCORD Study Group
2010). Diese Studie wurde aufgrund einer höheren Gesamtmortalität in der intensiv behandelten Gruppe vorzeitig abgebrochen (257 vs. 203 Ereignisse; P = 0,04), wobei kein signifikanter Unterschied beim primären zusammengesetzten kardiovaskulären Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod,
Myokardinfarkt und
Schlaganfall beobachtet wurde. An der ADVANCE-Studie nahmen 11.140 Patienten mit Typ-2-Diabetes teil, die bei Studienbeginn eine kardiovaskuläre Erkrankung, eine mikrovaskuläre Erkrankung oder einen anderen vaskulären Risikofaktor aufwiesen (ADVANCE Collaborative Group
2008). Die Patienten erhielten nach dem Zufallsprinzip eine intensive Glukosekontrolle mit Gliclazid zusätzlich zu anderen Medikamenten im Intensiv-Arm, verglichen mit einer Standardkontrolle mit anderen Medikamenten. Ähnlich wie die ACCORD-Studie zeigte auch die ADVANCE-Studie trotz 1147 Ereignissen keine statistisch signifikante Verbesserung des zusammengesetzten Endpunkts aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall unter intensiver Kontrolle (erreichter HbA1c-Wert von 6,4 % vs. 7,0 %). Im Veterans Affairs
Diabetes Trial (VADT) erhielten 1791 US-Veteranen mit Typ-2-Diabetes und unzureichender Blutglukoseeinstellung randomisiert entweder eine intensive oder eine Standard-Blutglukoseeinstellung (Duckworth et al.
2009). Trotz eines großen Unterschieds in der Blutglukoseeinstellung (HbA1c von 6,9 % vs. 8,4 %) und der Erfassung von 499 primären kardiovaskulären Ereignissen (MACEs), fand auch diese Studie keine signifikante Verbesserung des kardiovaskulären Outcomes durch die intensivere Einstellung.
In der UKPDS-Studie wurden 5102 Patienten mit neu diagnostiziertem
Typ-2-Diabetes nach dem Zufallsprinzip entweder einer intensiven Blutglukoseeinstellung mit Sulfonylharnstoff oder
Insulin oder einem Management mit alleiniger Diät zugewiesen. Diejenigen, die bei Studieneintritt übergewichtig waren, konnten im intensiven Arm auch randomisiert werden, um Metformin zu erhalten (UKPDS 33
1998; Stratton et al.
2000). In den Insulin- und Sulfonylharnstoff-Analysen war ein HbA1c-Wert von 7,0 % bzw. 7,9 % signifikant mit einem relativ verringerten Risiko für einen zusammengesetzten Endpunkt aller diabetesbedingten Komplikationen um 12 % und einem um 25 % verringerten Risiko für mikrovaskuläre Erkrankungen während einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 10 Jahren verbunden. Die intensive Kontrolle zeigte einen Trend zu einem verringerten Myokardinfarktrisiko und keinen Effekt auf den
Schlaganfall. Bei übergewichtigen Patienten führte Metformin zu einer besseren Blutglukoseeinstellung (HbA1c 7,4 % vs. 8,0 %) und zu einer signifikanten Senkung des relativen Risikos für
Myokardinfarkt um 39 % sowie für die Gesamtmortalität um 36 %.
Die langfristige Nachbeobachtung der UKPDS-Studienkohorte deutet auf ein „Vermächtnis“ oder „Metabolic Memory“ des kardiovaskulären Nutzens einer frühen und engen Blutzuckerkontrolle hin (Del Prato
2009). In der UKPD-Studie wurde kürzlich die Hypothese formuliert, dass eine im Krankheitsverlauf relativ frühzeitige und langfristig gute HbA1c-Einstellung in Bezug auf Gesamtsterblichkeit und Herzinfarkt besser ist als eine Optimierung der HbA1c-Werte im späteren klinischen Verlauf. Das Risiko der Gesamtsterblichkeit war um 36 % und für einen
Myokardinfarkt um 31 % höher pro absoluten HbA1c%-Punkt nach 20 Jahren. Eine Reduktion des HbA1c um 1,0 % vom Zeitpunkt der Diagnose reduzierte das relative Risiko der Gesamtsterblichkeit um 18 %, wohingegen eine verbesserte und vergleichbare HbA1c-Einstellung erst 10 Jahre später das Risiko um nur 2,7 % reduzierte (Lind et al.
2021). Dieses Konzept des „negativen metabolischen Gedächtnisses“ in Bezug auf die Hyperglykämie und das kardiovaskuläre Risiko wird durch die Beobachtung unterstützt, dass eine Diagnosestellung eines
Typ-2-Diabetes ohne bereits erhöhten HbA1c nicht mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert ist (Tabak et al.
2022). Die Studienergebnisse bestärken das Konzept, dass eine Hyperglykämie für die Inzidenz und Progression kardiovaskulärer Erkrankungen eine Rolle zu spielen scheint, eine
Auflösung oder Rekonstitution bereits gesetzter Hyperglykämie-assoziierter Schäden durch eine relativ kurze intensivere Blutzuckersenkung scheint allerdings kaum möglich zu sein (Aroda und Eckel
2022). Das ist ein weiterer Grund, bei Menschen mit bereits bestehender kardiovaskulärer Erkrankung oder Risikofaktoren nach einem Typ-2-Diabetes zu suchen, um eine Therapie zur Optimierung der Blutglukoseeinstellung frühzeitig zu beginnen.
Auf direkte organpotektive Effekte der SGLT-2-Hemmer, GLP-1-Rezeptoragonisten und des nichtsteroidalen Mineralrezeptorantagonisten Finrenon bei Patienten mit
Typ-2-Diabetes wird hier nicht eingegangen, sondern auf die entsprechenden krankheitsbezogenen Kapitel verwiesen.
Typ-1-Diabetes und Senkung der Blutglukose
Patienten mit
Typ-1-Diabetes sind besonders gut im nationalen schwedischen Register analysiert. In diesem Register lag in der Zeit von 1998–2011 das mittlere Alter bei 35,8 Jahre. Die Patienten wurden im Mittel über ca. 8 Jahre verfolgt und mit zufälligen Kontrollpersonen nach Alter, Geschlecht und Region verglichen. Bei den Patienten mit Typ-1-Diabetes war die Gesamtsterblichkeit mit 8,0 % deutlich höher als mit 2,9 % bei den Vergleichspersonen ohne
Diabetes. Das entspricht einem relativen Risiko von 3,52 (Lind et al.
2014). Kürzlich wurde in diesem Register der prognostische Stellenwert von 17 Risikofaktoren für die Mortalität analysiert, d. h. Sterblichkeit aufgrund aller Ursachen, infolge eines akuten
Myokardinfarktes oder
Schlaganfalls. Von den 32.611 Patienten mit Typ-1-Diabetes verstarben 5,5 % über den Verlauf von 10.4 Jahren. Die stärksten Prädiktoren für Tod und kardiovaskuläre Endpunkte waren HbA1c, Albuminurie, Diabetesdauer, systolischer Blutdruck und LDL-Cholesterin-Konzentration im Blut. Ein Anstieg des HbA1c-Wertes um 1,0 % war mit einem 22 % höheren Risiko assoziiert. HbA1c-Werte < 7,0 % waren mit einem signifikant niedrigeren Risiko im Verlauf verbunden (Rawshani et al.
2019).
Die Hypothese, dass eine therapeutische Senkung des HbA1c-Wertes und damit einer Hyperglykämie mit einer Reduktion von Spätkomplikationen verbunden ist, ist bei Patienten mit
Typ-1-Diabetes durch die DCCT-Studie direkt untersucht und belegt worden. Die DCCT (
Diabetes Control and Complications Trial)-Studie hat als Proof-of-Concept-Studie gezeigt, dass eine frühe und effektive Blutglukosesenkung die Inzidenz und Progression von mikrovaskulären Komplikationen bei Patienten mit Typ-1-Diabetes deutlich reduzieren kann, ähnliche Zusammenhänge ergaben sich in der weiteren Nachbeobachtung für makrovaskuläre Komplikationen. Diese Studie wurde von 1983–1993 durchgeführt und hat an 1441 Patienten mit Typ-1-Diabetes gezeigt, dass eine im Mittel 6,5 Jahre dauernde intensivierte Insulintherapie im Vergleich zu einer konventionellen Therapie, die mit einem signifikanten Unterschied im HbA1c einherging, die Inzidenz und Progression mikrovaskulärer Folgeerkrankungen halbiert (The Diabetes Control and Complication Trial
1993). Nach einer mittleren Verlaufsbeobachtung von 17 Jahren an > 90 % der initial eingeschlossenen Patienten war das kardiovaskuläre Risiko in der intensiviert behandelten Gruppe um signifikante 42 % gesenkt, die Absenkung des HbA1c war hiermit signifikant assoziiert (The Diabetes Control and Complication Trial/Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications (DCCT/EDIC) Study Research Group
2005). In der EDIC (Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications)-Studie wurden die Patienten mittlerweile über 30 Jahre weiterverfolgt und es zeigte sich, dass eine normnahe Glukoseeinstellung die Inzidenz und Progression mikrovaskulärer und kardiovaskulärer Komplikationen bei Typ-1-Diabetes reduziert (Zinman et al.
2014).
Die Zukunft wird zeigen, ob die Vorhersagbarkeit der klinischen Prognose für Spätfolgen durch andere Parameter, wie die Dauer der Glukoseeinstellung im gewünschten Bereich (sog. „Time in Range“, TiR), neben bzw. zusätzlich zum HbA1c einen Stellenwert hat (Battelino et al.
2019).