Kolorektales Karzinom
60–65 % aller KRK treten sporadisch auf und lassen sich somit nicht auf eine positive Familienanamnese oder vererbbare Risikogene zurückführen (Keum und Giovannucci
2019). Dies betont die Wichtigkeit der Betrachtung nicht-genetischer Faktoren wie Lebensstil und Ernährung, aber auch die Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms in der Entstehung kolorektaler Karzinome.
Eine Vielzahl von Studien konnte bereits Veränderungen in der Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms bei Patienten mit KRK herstellen. So ließ sich bei erkrankten Individuen eine niedrigere bakterielle Diversität als bei Gesunden zeigen (Flemer et al.
2017). Weiterhin wiesen einige Studien nach, dass die gram-negativen Spezies
Bacteroides fragilis und
Fusobacterium nucleatum in KRK-Patienten*innen vermehrt abundant sind, wohingegen die Phyla
Bacteroidetes und
Firmicutes im Generellen reduziert sind. Zudem lässt sich eine Veränderung des intestinalen Mikrobioms über die Achse der Adenom-Karzinom-Sequenz zeigen. Insbesondere nimmt hier die Abundanz von Kommensalen wie
Bifidobactium animalis und
Streptococcus thermophilus ab, wohingegen u. a.
Fusobacteria und
Escherichia zunehmen (Feng et al.
2015). Einschränkend bei der Betrachtung des intestinalen Mikrobioms in Bezug auf KRK ist zu erwähnen, dass sich die Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms selbst in Abhängigkeit von der Tumorlokalisation (rektal/distal versus proximal) unterscheidet. Ebenso unterscheidet sich das mukosale und fäkale Mikrobiom bei KRK-Patienten*innen. Unter anderem aufgrund dieser Heterogenität der mikrobiellen Zusammensetzung besteht bisher kein Konsensus über eine dezidierte mikrobielle Signatur des kolorektalen Karzinoms (Flemer et al.
2017). Jenseits dessen konnte jedoch für einige der mit KRK-assoziierten Spezies gezeigt werden, wie diese auf funktioneller Ebene in die Pathogenese und Progression des KRK eingreifen.
So lässt sich ein Einfluss der Ernährung in Zusammenspiel mit dem intestinalen Mikrobiom in Bezug auf KRK herstellen. Einen bekannten Risikofaktor für die Entstehung des KRK stellt der Konsum einer westlichen Diät reich an prozessiertem, rotem Fleisch sowie raffinierten Zuckern dar. Als protektiv ist hingegen eine ballaststoffreiche Diät anzusehen. Interessanterweise konnte gezeigt werden, dass eine ballaststoffreiche Diät in der Tat zu einer Reduktion von KRK mit positivem Nachweis von
Fusobacterium nucleatum im Tumorgewebe führt. Eine Reduktion von KRK ohne Nachweis von
F. nucleatum konnte jedoch nicht beobachtet werden, was somit für einen durch
F. nucleatum mediierten Effekt spricht (Mehta et al.
2017). Mechanistisch führt
F. nucleatum zu einer erhöhten Proliferation und Invasion von Tumorzellen. Unter anderem wird durch eine Aktivierung von Nuclear Factor-κB (NFκB) über Toll-like-receptor 4 sowie eine erhöhte Tumorinfiltration durch myeloide Zellen ein Proliferationsreiz im Sinne der inflammatorischen Karzinogenese gesetzt (Yang et al.
2017). Weiterhin konnte gezeigt werden, dass
F. nucleatum über das spezielle Adhesin FadA an intestinale Epithelzellen bindet, in diese eindringt und über E-Cadherin
onkogen wirkt (Rubinstein et al.
2013). Prognostisch zeigen Patienten*innen mit reichlichem Nachweis von
F. nucleatum im Tumorgewebe ein signifikant niedrigeres progressionsfreies Überleben im Vergleich zu Personen mit einer geringeren Menge an
F. nucleatum (Lee et al.
2021). Zudem konnte gezeigt werden, dass
F. nucleatum über eine Induktion von Autophagie zu einer Chemotherapieresistenz gegenüber 5-Fluorouracil (5-FU) sowie Oxaliplatin in Tumorzellen führen kann (Yu et al.
2017). Ein weiterer protektiver Mechanismus einer ballaststoffreichen Diät ist die konsekutiv erhöhte Produktion von SCFA durch das intestinale Mikrobiom, welche im Generellen als mukosaprotektiv, antiinflammatorisch, immunmodulierend und somit als antikanzerogen angesehen werden. In
Metaanalysen konnte ebenso ein erhöhtes KRK-Risiko in Individuen mit niedrigen SCFA-Spiegeln beobachtet werden (Alvandi et al.
2022).
Eine weitere Spezies, für die bereits eine kausale Rolle in der Pathogenese des KRK gezeigt werden konnte, sind polyketide synthase (pks)+-Colibactin-produzierende
E. coli (Arthur et al.
2012). Auch diese sind bei Patienten mit CED sowie KRK vermehrt abundant. Ebenso wie für
F. nucleatum konnte für Colibactin-produzierende
E. coli eine Rolle in der inflammatorischen Karzinogenese des KRK gezeigt werden. Mechanistisch entfalten pks+
E. coli ihr mutagenes Potenzial über die Induktion von DNA-Schäden in intestinalen Epithelzellen. Ähnlich konnte eine vermehrte Abundanz von enterotoxischen
Bacteroides fragilis (ETBF) in kolorektalen Neoplasien nachgewiesen werden (Purcell et al.
2017). Auch ETBF induzieren DNA-Schäden und führen zu einer vermehrten Produktion reaktiver Sauerstoffspezies in intestinalen Epithelzellen und wirken somit pro-inflammatorisch und
onkogen.
Aktuell nimmt die Analyse des intestinalen Mikrobioms keinen Stellenwert in der klinischen Diagnostik oder Therapie des KRK ein. Pilotstudien zur Nutzung taxonomischer Marker des intestinalen Mikrobioms zur Erkennung von KRK konnten jedoch für diese bereits eine ähnliche Vorhersagewahrscheinlichkeit wie herkömmliche Tests auf fäkal-okkultes Blut erbringen (Zeller et al.
2014). Dies unterstreicht die Wichtigkeit weiterer klinischer Studien zur funktionellen Rolle des intestinalen Mikrobioms in der Diagnostik und Therapie des KRK.
Magenkarzinom
Die Infektion mit dem gram-negativen Bakterium
Helicobacter pylori gilt als gesicherter Risikofaktor für die Entstehung eines
Magenkarzinoms. In 75–90 % aller Adenokarzinome des Magens kann ein Nachweis von
H. pylori erbracht werden. Durch die Virulenzfaktoren VacA und cytotoxin-associated gene A (CagA) induziert
H. pylori eine Vielzahl intrazellulärer
onkogener Prozesse, die u. a. durch die Aktivierung des Wnt-ß-catenin-Signalwegs zu stammzellähnlichen Veränderungen der gastralen Mukosa führen. Weiterhin führt die Aktivierung von NFκB zur
Transition einer mukosalen Atrophie und so zur intestinalen Metaplasie (Zavros und Merchant
2022). Zudem führt der Verlust von Becherzellen sowie der konsekutiv erhöhte gastrale pH zu Veränderungen des übrigen gastralen Mikrobioms. So kommt es im Zuge dessen zu einer Vermehrung kommensaler Spezies wie
Lactobacilli, Enterococci oder
Parvimonas (Smet et al.
2022). Weiterhin ist wie beim kolorektalen Karzinom
F. nucleatum in Magenkarzinomgewebe vermehrt abundant. Der Nachweis von
F. nucleatum beim Magenkarzinom vom diffusen Typ ist mit einem signifikant reduzierten Gesamtüberleben assoziiert (Boehm et al.
2020). Funktionelle Studien, die eine Rolle dieser konsekutiven Veränderungen des gastralen Mikrobioms in der Entstehung und Progression des Magenkarzinom untersuchen, fehlen jedoch.
Die
Helicobacter-pylori-Eradikationstherapie stellt somit nach wie vor die einzige evidenzbasierte Mikrobiom-modulierende Therapie zur Verhinderung von
Magenkarzinomen dar. Dennoch schlägt sich die Zunahme von Antibiotikaresistenzen sowie der Einfluss der Patientencompliance in einem Therapiemisserfolg von 20 % nieder (Zavros und Merchant
2022). Dies unterstreicht die Wichtigkeit weiterer Studien zur Rolle des Mikrobioms beim Magenkarzinom.