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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 29.06.2015

Arthropathien durch Kalziumkristalle

Verfasst von: Stefan Schewe
Arthropathien durch Kalziumkristalle definieren sich durch den Nachweis der Ablagerung von Kalziumkristallen in Gelenken entweder in der synovialen Flüssigkeit, in der Biopsie eines Gelenkknorpels oder in bildgebenden Verfahren. Die Arthropathie kann als akute Arthritis, als chronische Arthritis, als Arthrose und als Tendopathie imponieren. Die wichtigsten klinisch definierten Krankheitsentitäten der „calcium pyrophosphate dihydrate crystal deposition disease“ sind Chondrokalzinose, die Pseudogicht, Arthrose mit Kalziumpyrophosphatablagerung und die chronische Arthritis mit Ablagerung von Kalziumpyrophosphatkristallen. Neben intensiver Anwendung physikalisch medizinischer Maßnahmen sind – soweit nicht kontraindiziert – NSAR sowie lokale bzw. systemische Corticosteroide wichtige Bausteine jeder Therapie.

Definition

Arthropathien durch Kalziumkristalle definieren sich durch den Nachweis der Ablagerung von Kalziumkristallen in Gelenken entweder in der synovialen Flüssigkeit, in der Biopsie eines Gelenkknorpels oder in bildgebenden Verfahren (hier insbesondere im Röntgenbild als Chondrokalzinose, aber auch im Ultraschall). Die Arthropathie ist sehr variabel, sie kann als akute Arthritis, als chronische Arthritis, als Arthrose und als Tendopathie imponieren. Nach einer europäischen Konsensuskonferenz aus dem Jahre 2011 (Zhang et al. 2011a) wird die Gruppe heterogener Erkrankungen, die in Assoziation mit der Ablagerung von Kalziumpyrophosphat auftreten, unter der Bezeichnung „calcium pyrophosphate dihydrate crystal deposition disease“ (CPPD) zusammengefasst, die wichtigsten klinisch definierten Krankheitsentitäten darunter sind
1.
die oft asymptomatisch verlaufende Chondrokalzinose,
 
2.
die akute durch Kalziumpyrophosphat ausgelöste Arthritis (Pseudogicht),
 
3.
die mit Kalziumpyrophosphat einhergehende Osteoarthritis (Arthrose mit Kalziumpyrophosphatablagerung) und
 
4.
die chronische Arthritis mit Ablagerung von Kalziumpyrophosphatkristallen.
 

Pathophysiologie

Die Ablagerung von Kalziumkristallen ist Folge einer ganzen Reihe von Stoffwechselveränderungen in Chondrozyten, wobei genetische Faktoren (familiäre Chondrokalzinose, ANKH-Gen auf Chromosom 5p), transmembrane Transportmechanismen für anorganisches Phosphat mit Anreicherung im Extrazellularraum, verstärkte mitochondriale Abbaumechanismen (vor allem im Alter, bei Zelltod), Auslösung von Entzündungsreaktionen durch extrazelluläre Kalziumkristalle über „Toll-like“-Rezeptoren (TLR), intrazelluläre NALP3-Inflammasom-Aktivierungen mit IL-1β-Freisetzung und Rekrutierung von Neutrophilen über Chemokine (CXCL1 und CXCL8) eine Rolle spielen. Insbesondere Kalziumpyrophosphatkristalle, jedoch auch basische Kalziumphosphatkristalle und Hydroxylapatitkristalle, die oft in Kombination nachgewiesen werden, sind dazu in der Lage.

Epidemiologie

Da der Nachweis der Kalziumkristallablagerung nur über Röntgenbilder oder Gelenkpunktion oder durch andere bildgebende Verfahren möglich ist, kann eine Aussage zur Prävalenz der CPPD nicht gemacht werden. Am häufigsten wird die Ablagerung von Kalziumkristallen im Gelenk, in Sehnen und in den Weichteilen um ein Gelenk herum (wie Gelenkkapsel, Bänder) bei Menschen mit zunehmendem Alter beobachtet (z. B. bei 80- bis 89-jährigen Frauen in ca. 15 %, bei über 89-jährigen Frauen in ca. 30 % der Fälle). Ohne Trauma im betroffenen Gelenk sieht man die Ablagerung selten vor dem 50. Lebensjahr. Bei traumatisierten oder operierten Gelenken ist die Kristallablagerung auch deutlich vor dem 50. Lebensjahr zu bemerken. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, familiäre Häufungen existieren, sind aber selten.

Klinik

Die vier Entitäten der CPPD im Einzelnen:
Chondrokalzinose
Die Chondrokalzinose ist als ein im Röntgenbild fassbares Phänomen definiert, das mit einer röntgendichten, im Knorpel nachweisbaren Ablagerung von Kalziumkristallen (meist Kalziumpyrophosphat, aber auch basische Kalziumphosphatkristalle meist zusammen mit Hydroxylapatit) einhergeht. Am häufigsten sieht man sie im Kniegelenk, in der Häufigkeit gefolgt u. a. von Handgelenk, Schultergelenk und Symphyse, oftmals assoziiert mit Veränderungen im Röntgenbild im Sinne einer Arthrose am gleichen Gelenk. Auf mögliche Ursachen der Chondrokalzinose ist zu achten (Abschn. 5).
Pseudogicht
Die Pseudogicht, die akute, durch Kalziumpyrophosphatkristalle ausgelöste Arthritis (meist mon- oder oligoartikulär), gleicht klinisch der Gicht, wobei selten das Großzehengrundgelenk, sondern vor allem die großen Gelenke (Knie, Schulter, Handgelenk) die häufigsten Manifestationen zeigen. Polyartikuläre Arthritisschübe (z. B. nach Operation eines Hyperparathyreoidismus) und migratorische Arthritiden wurden ebenfalls beobachtet. Entscheidend ist der Anfallscharakter der Arthritis mit raschem Beginn innerhalb weniger Stunden und einer Dauer von wenigen Tagen bis Wochen. Allgemeinsymptome mit hohen Entzündungszeichen sind möglich (Differenzialdiagnose: septische Arthritis).
Arthrose mit Chondrokalzinose
Die mit gleichzeitigem Nachweis von Chondrokalzinose einhergehende Arthrose wird als gesonderte Gruppe betrachtet, wobei vonseiten der Arthrose nicht so sehr die Gelenkspaltverschmälerung, sondern die Osteophytenbildung im Röntgen ins Auge sticht. In einem hohen Prozentsatz dürfte dabei der Nachweis der Chondrokalzinose ein Epiphänomen der Arthrose sein. Bei für Arthrosen atypischen Lokalisationen wie MCP-Gelenke, Handgelenke mit Ausnahme der Daumensattelgelenke, Ellbogen und Schultergelenk sollte daran gedacht werden, dass die Ablagerung von Kalziumkristallen die Ursache und ein wichtiger, ungünstiger Prognosefaktor der Arthrose darstellen kann. Es besteht allerdings keine Korrelation zwischen dem Umfang der nachweisbaren Chondrokalzinose und der Prognose der Gelenkarthrose (Abhishek et al. 2013).
Chronische Arthritis durch Kalziumpyrophosphat
Die leicht mit der rheumatoiden Arthritis zu verwechselnde chronische Arthritis (in ca. 89 % der Fälle mon- oder oligoartikulär, in ca. 11 % der Fälle auch als Polyarthritis) durch Kalziumpyrophosphat ausgelöst ist eine prognostisch ungünstige Verlaufsform einer Arthritis, der Kristallnachweis ist hierbei obligat.

Diagnostik

Die Ablagerung von Kalziumpyrophosphat kann durch die polarisationsmikroskopische Untersuchung der synovialen Flüssigkeit verifiziert werden (Abb. 1), wobei im Gegensatz zu den Natriumuratkristallen der Gicht in der Regel rhombisch geformte, schwach positiv doppelbrechende, extra- und auch intrazelluläre Kalziumpyrophosphatkristalle zu sehen sind. Kalziumphosphat- und Hydroxylapatitkristalle sind nicht doppelbrechend und variabel geformt. Dieser Kristallnachweis ist zwar assoziiert mit dem Röntgenphänomen der Chondrokalzinose, aber nicht zu 100 %. Bei hoher Dichte von CPPD Kristallen und bei hoher Leukozytenzahl im Gelenkpunktat muss immer eine septische Arthritis ausgeschlossen werden. Weitere Nachweismethoden sind histologischer Natur (Anfärbung der Kristalle mit Alizarin), wobei die Unterscheidung der Kalziumpyrophosphatkristalle von anderen Kalziumkristallen durch spezielle Mikroskopier-, Röntgen-, Färbe- und andere Verfahren gelingt, die klinisch jedoch nur geringe Bedeutung haben. Entscheidend für die Unterscheidung der Kalziumkristalle ist die klinisch selten bestimmte Ratio von Kalzium zu Phosphat im Kristall, die bei Kalziumpyrophosphat 1,0 beträgt, bei den anderen Kristallformen deutlich darüber liegt.
Mögliche Ursachen für eine Chondrokalzinose sind neben dem Alter eine gleichzeitige Arthrose, ein Trauma oder eine Gelenkoperation (z. B. Meniskektomie) die weitaus häufigsten Ursachen. Deutlich seltener sind Stoffwechselveränderungen wie ein Hyperparathyreoidismus, eine Hypomagnesiämie, eine Hypophosphatasie, eine Hämochromatose, eine häufigere Hyperurikämie, eine Hypothyreose (möglicherweise nur die mit Myxödem), eine Amyloidose, ein Morbus Wilson (Kupferspeicherkrankheit) und eine Ochronose (Alkaptonurie). Infolge von gleichzeitigen Nervenstörungen (neuropathisches Gelenk), Blutungen in ein Gelenk, im Rahmen einer Sklerodermie oder einer Polymyositis/Dermatomyositis und von chronischen Dialysen sind ebenfalls Kalziumkristallablagerungen in und um Gelenke häufiger (Terkeltaub 2013; Zhang et al. 2011a).
Nach dem Kristallnachweis sind somit die entsprechenden Labormethoden sinnvoll, um die selteneren Ursachen abzuklären. Hierzu zählen neben den Standardwerten von Blutbild, GOT (Glutamat-Oxalacetat-Transaminase), GPT (Glutamat-Pyruvat-Transaminase), Gamma-GT (GGT), Kreatinin, Urinstatus, C-reaktives Protein (CRP) und Blutsenkung vor allem Kalzium, Phosphat, Parathormon, Magnesium, alkalische Phosphatase, Eisen, Ferritin, Eisensättigung, Harnsäure, TSH (Thyreotropin), Coeruloplasmin, Serumamyloid A, Gerinnungsparameter PTT (partielle Thromboplastinzeit), ANA (antinukleäre Antikörper), Kreatinkinase (CK) im Serum.
Bei den bildgebenden Verfahren wird man sich insbesondere auf Röntgenbilder der Kniegelenke (Abb. 2), der Handgelenke, der Schultergelenke und der Symphysis pubis verlassen müssen, wobei der Nachweis einer Chondrokalzinose trotz bestehender Erkrankung nicht immer gelingt, die Sensitivität ist niedrig, die Spezifität allerdings höher. Der Ultraschall kann Kalkablagerungen mit hochauflösenden Geräten erkennen, wobei im Gegensatz zu der Ablagerung von Harnsäurekristallen auf der Knorpeloberfläche die Kalziumpyrophosphatablagerungen im Knorpel zu finden sind. Die selteneren tophösen Ablagerungen von Kalziumkristallen im Gelenk, Sehnen oder in den Weichteilen um das Gelenk herum sind ebenfalls mit dem Ultraschall zu entdecken, aber kaum von den häufigeren Harnsäuretophi zu unterscheiden. CT- und MRT-Verfahren sind ebenfalls geeignet, Kristallablagerungen in und um Gelenke herum nachzuweisen.

Differenzialdiagnostik

Jede Arthritisform (Mon-, Oligo-, Polyarthritis) kann auch durch Kalziumkristallablagerungen bedingt sein, deshalb gehört die gesamte Palette entzündlich rheumatischer Gelenkerkrankungen zur Differenzialdiagnose.
Insbesondere bei akutem Arthritisanfall, der Tage bis Wochen anhält und nicht das Großzehengrundgelenk betrifft, ist an die häufiger vorkommende Gicht zu denken, da der klinische Verlauf sich nicht von der Gicht unterscheidet (die Gelenkpunktion ist hier obligat). Kalziumpyrophosphatkristalle und Natriumuratkristalle können auch gemeinsam vorkommen.
Wegen der erheblich unterschiedlichen Therapiekonsequenz ist die septische Arthritis von Bedeutung, insbesondere weil Allgemeinsymptome mit Fieber und hohen Entzündungszeichen bei beiden Erkrankungen zu beobachten sind. Es ist immer darauf zu achten, dass der Nachweis von Kalziumkristallen (und auch von Harnsäurekristallen) eine septische Arthritis nicht ausschließt, die bakteriologische Untersuchung des Gelenkpunktats ist somit obligat. Die septische Arthritis zeigt sogar häufiger Kalziumkristallnachweise im Gelenk.
Bei Arthrosen atypischer Lokalisationen im Handgelenk, in den MCP-Gelenken, im Ellbogen- und Schultergelenk sollte die Suche nach Kalziumkristallen zur Abklärung gehören (Gelenkpunktion, Röntgen). Die oben genannten Abklärungsschritte durch Labor und Röntgen (Ultraschall) sind deshalb empfehlenswert.

Therapie

Neben intensiver Anwendung physikalisch medizinischer Maßnahmen (je nach Akuität Kälte/Wärme, Ruhe/Bewegung) sind – soweit nicht kontraindiziert – nicht steroidale Antirheumatika NSAR (einschließlich Coxibe) ein wichtiger Baustein jeder Therapie. Intraartikuläre, ggf. systemische Therapien mit Kortikosteroiden sind ein weiterer Baustein der Therapie, besonders bei Kontraindikationen für NSAR. Colchicin in niedriger Dosierung von 0,5–1,5 mg/Tag ist insbesondere bei der Pseudogicht die Therapie der Wahl, allerdings mit geringerer Erfolgsrate als bei der Gicht (Terkeltaub 2013; Zhang et al. 2011b), wobei zusätzliche Effekte vom Colchicin bei der Gonarthrose, Perikarditis und koronaren Herzkrankheit beschrieben sind (Aran et al. 2011). Bei der Polyarthritisform durch CPPD Kristalle sind die Basismedikamente („disease modifying antirheumatic drugs“, DMARDs) Methotrexat und Hydroxychloroquin eine Möglichkeit, allerdings liegen dazu keine Studien vor, die deren Stellenwert ausreichend sicher beschreiben (Zhang et al. 2011b). Tumornekrosefaktor(TNF)-Blocker scheinen weniger wirksam zu sein. Interleukin(IL)-1-Blocker (z. B. Anakinra, Canakinumab) scheinen auch bei der CPPD-Kristallarthropathie einen Stellenwert zu haben. Allerdings muss zu all diesen Therapien die Forderung nach klinischen Studien gestellt werden, es liegen nur Fallberichte dazu vor (Terkeltaub 2013).

Verlauf und Prognose

Die Frage, ob der Nachweis einer Chondrokalzinose bei bestehender Arthrose ein prognostisch ungünstiges Zeichen für den Verlauf der Arthrose darstellt, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Es gibt einige Hinweise darauf, dass z. B. eine Kniearthrose mit gleichzeitiger Chondrokalzinose schmerzhafter verläuft und früher zum Gelenkersatz führt im Vergleich zu einer gleichen Arthrose ohne Chondrokalzinose (Terkeltaub 2012). Vollständig ungeklärt ist, ob durch eine zusätzliche Therapie der CPPD dieser Verlauf günstig beeinflusst werden kann (Versuche mit Magnesium und rekombinanter alkalischer Phosphatase sind erfolglos geblieben).
Grundsätzlich ist ein akuter Pseudogichtanfall in einem Arthrosegelenk eher mit günstigerer Prognose für die Arthrose verbunden.
Literatur
Abhishek A et al (2013) Evidence of a systemic predisposition to chondrocalcinosis and association between chondrocalcinosis and osteoarthritis at distant joints: a cross-sectional study. Arthritis Care Res (Hoboken) 65:1052–1058CrossRef
Aran S et al (2011) A double-blind randomized controlled trial appraising the symptom modifying effects of colchicine on osteoarthritis of the knee. Clin Exp Rheumatol 29:513–518PubMed
Endres (Hrsg.) (2008) Facharztprüfung Innere Medizin: in Fällen, Fragen und Antworten. 2. Auflage. Urban & Fischer, Mﺰnchen
Terkeltaub R (2012) Imaging joints for calcium pyrophosphate crystal deposition: a knock to the knees. Arthritis Res Ther 12:128CrossRef
Terkeltaub R (2013) New insights into CPPD. Rheumatologist
Zhang W, Doherty M, Bardin T, Barskova V et al (2011a) European league against rheumatism recommendations for calcium pyrophosphate deposition. Part I: terminology and diagnosis. Ann Rheum Dis 70:563–570PubMedCrossRef
Zhang W, Doherty M, Pascual E, Barskova V et al (2011b) European league against rheumatism recommendations for calcium pyrophosphate deposition Part II: management. Ann Rheum Dis 70:571–575PubMedCrossRef