Epididymitis
Die
akute Epididymitis ist eine häufige Erkrankung der männlichen Genitalorgane, für die eine Inzidenz von 250–650 Fällen pro 100.000 Männer und Jahr angegeben wird (
Nickel et al.
2005; Nicholson et al.
2010). Die Leitsymptome
Schmerz und
Schwellung des Nebenhodens manifestieren sich zumeist unilateral. In bis zu 90 % der Fälle kommt es sekundär zu einer
Hodenbeteiligung im Sinne einer begleitenden Orchitis (Kap. „Orchitis“). Von einer
chronischen Epididymitis (Epididymo-Orchitis) ist auszugehen, wenn das Beschwerdebild >3 Monate persistiert (Nickel
2003; Çek et al.
2017).
Die
Epididymitis wird in über 80 % der Fälle durch eine
Aszension bakterieller Erreger von der Urethra in den Nebenhoden ausgelöst, wobei am häufigsten
uropathogene Enterobakterien wie
E. coli oder
STI-Erreger wie
C. trachomatis nachzuweisen sind (Pilatz et al.
2015). Epidemiologische Daten stützen den ätiopathogenetisch naheliegenden Zusammenhang zwischen einer Epididymitis infolge einer durch STI-Erreger ausgelösten Urethritis und Fertilitätsstörungen, wobei die Mechanismen im Detail bisher nicht geklärt sind (Ness et al.
1997; Çek et al.
2017). In früheren Studien wurde bereits eine
Leukozytospermie während
der akuten Phase der Erkrankung beschrieben, bei unbehandelten Patienten auch eine zunehmende Verschlechterung der Ejakulatqualität (Dietz
1960). Unter adäquater antibiotischer Behandlung einer akuten Epididymitis ist die initial beobachtete Verschlechterung der Spermienkonzentration im Ejakulat in der Mehrzahl der Fälle im Verlauf von 3–6 Monaten reversibel; in einer gepoolten Analyse verfügbarer Studien wiesen jedoch ca. 10 % der Patienten eine
persistierende Azoospermie und weitere 30 % eine
Oligozoospermie auf (Rusz et al.
2012). Proteom-Analysen legen nahe, dass trotz erreger-gerechter
antimikrobieller Therapie zusätzlich zur Reduktion der Spermienkonzentration qualitative Veränderungen der Spermien auftreten (Pilatz et al.
2014). Auch
Virulenzfaktoren der Erreger wie z. B.
Hämolysine können den Krankheitsverlauf beeinflussen, wobei letztere besonders zu einer bereits im Nebenhoden erfolgenden und damit vorzeitigen akrosomalen Reaktion beitragen (Lang et al.
2013; Khosravi et al.
2016).
Wenngleich epidemiologische Daten zur
Chronifizierung der Epididymitis bzw. Epididymo-Orchitis fehlen, gilt die dauerhafte
Schädigung der Spermatogenese bis hin zu einer Hodenatrophie als gefürchtete Komplikation (Osegbe
1991; Fijak et al.
2018) (Kap. „Orchitis“). Andererseits konnte in einer Ultraschallstudie bei 90 Patienten mit akuter
Epididymitis im Follow-up über 3 Monate gezeigt werden, dass es bei einer Begleitorchitis mit initialer Hodenschwellung im Verlauf nicht zur Hodenatrophie kommt, sondern sich das Hodenvolumen auch im Vergleich mit der gesunden Gegenseite lediglich wieder normalisiert (Pilatz et al.
2013). Diese Daten sprechen dafür, dass entzündlich bedingte Obstruktionen der Samenwege als Ursache persistierender Einschränkungen der Ejakulatqualität eine wichtige Rolle spielen. Sowohl im Tiermodell der bakteriellen Epididymo-Orchitis als auch an histopathologischen Präparaten von Patienten mit chronischer Epididymitis fand sich eine ausgedehnte
Fibrose des Nebenhodengewebes mit entsprechender
Obstruktion des Ductus epididymidis (
Michel et al.
2016; Klein et al.
2019). Interessanterweise ist die entzündliche Infiltration und Schädigung des Gewebes zumeist auf die
Cauda epididymidis begrenzt. Hierbei spielen aller Voraussicht nach regional unterschiedlich ausgeprägte immunologische Verhältnisse eine Rolle, die in der Cauda zu einer stärkeren
anti-mikrobiellen Immunreaktion führen als in den weiter proximal gelegenen Nebenhodenabschnitten (Pleuger et al.
2020). Zudem kann anatomisch eine funktionelle Septierung zwischen einzelnen Nebenhodensegmenten die Erreger-Aszension zumindest temporär einschränken (Stammler et al.
2015). Vorklinische Daten aus einem Nagermodell legen nahe, dass durch eine Antibiotikatherapie mit Levofloxacin in Kombination mit Dexamethason permanente
Gewebeschäden wie Fibrose und Obstruktion verglichen mit einer reinen Antibiotikatherapie weitgehend verhindert werden konnten (Klein et al.
2019). Humane Daten hierzu fehlen, wenngleich in der klinischen Routine alleine aufgrund der Schmerzsymptomatik viele Patienten zusätzlich mit einem nicht-steroidalen Antiphlogistikum therapiert werden (Pilatz et al.
2015). Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch zu beachten, dass der chronischen Epididymitis in vielen Fällen eine nicht-infektiöse Ätiologie zugrunde liegt (Çek et al.
2017).
Prostatitis
Das
Prostatitis-Syndrom ist ein komplexes,
multifaktorielles Krankheitsbild, das bei jüngeren Männern <50 Jahre mit einer
Prävalenz von ca. 12 % auftritt (
Nickel et al.
2001). Nach der
Klassifikation der National Institutes of Health (NIH), die sich an Krankheitsverlauf sowie Erreger- und Leukozytennachweis in Prostataexprimat beziehungsweise
Urin nach Prostatamassage orientiert, wird die
Prostatitis in vier Kategorien eingeteilt (Krieger et al.
1999):
I
akute bakterielle Prostatitis
II
chronisch-bakterielle Prostatitis
III
chronische (abakterielle) Prostatitis/chronisches Beckenschmerzsyndrom (Kategorie III A: entzündlich; Kategorie III B: nicht entzündlich)
IV
asymptomatische Prostatitis
Die
akute bakterielle Prostatitis ist durch schwere obstruktive und irritative Symptome des unteren Harntrakts,
Schmerzen im Bereich der Prostata, eine akute bakterielle Harnwegsinfektion mit Allgemeinsymptomen wie
Fieber gekennzeichnet (Wagenlehner et al.
2009; Bonkat et al.
2022). Bei kompliziertem Verlauf kann sich ein Prostataabszess entwickeln; die Verdachtsdiagnose lässt sich mittels transrektaler Sonografie sichern.
Während die Symptome einer
chronischen Prostatitis wie Beckenschmerz, irritative Miktionsbeschwerden und sexuelle Dysfunktion insgesamt häufig sind, beträgt die
Prävalenz einer
chronisch-bakteriellen Infektion (NIH-Kategorie II) unter den betroffenen Patienten lediglich 5–10 % (Weidner et al.
1991; Krieger et al.
2008; Lotti et al.
2014). Bei den übrigen symptomatischen Patienten ist von einem entzündlichen oder nicht-entzündlichen
Beckenschmerzsyndrom (NIH-Kategorien IIIA bzw. IIIB) auszugehen, dessen Ätiologie nach wie vor unklar ist. Die asymptomatische
Prostatitis stellt eine histologische Diagnose in Prostatabiopsien oder -resektaten bei Patienten mit
benigner Prostatahyperplasie oder
Prostatakarzinom dar (Wagenlehner et al.
2009).
Das
Erregerspektrum bei chronisch-bakterieller
Prostatitis entspricht demjenigen komplizierter
Harnwegsinfektionen mit
überwiegend gramnegativen Bakterien (Wagenlehner et al.
2009). Je nach Region und Patientenkollektiv können jedoch auch verschiedenste STI-Erreger und atypische
Bakterien gefunden werden (Skerk et al.
2004).
Die Diagnostik der chronischen
Prostatitis kann aufgrund des unspezifischen rektalen Palpationsbefundes im Einzelfall schwierig sein. Definitionsgemäß liegt eine chronisch-bakterielle Prostatitis vor, wenn mindestens
10-fach höhere Keimzahlen im Urin nach Prostatamassage als
im Anfangsurin festgestellt werden; in 50 % der Fälle zeigt sich auch eine signifikante Keimzahl im Ejakulat mit dem gleichen Erreger (Weidner et al.
1999; Bartoletti et al.
2007) (Abb.
3). Darüber hinaus gehen Erkrankungen der NIH-Kategorien II und IIIA mit erhöhten Leukozytenzahlen in Prostata-Sekret bzw.
Urin nach Prostatamassage und Ejakulat einher (Benelli et al.
2017). Im Ejakulat kann die chronisch bakterielle Prostatitis mit ausgeprägten Entzündungszeichen wie
Leukozytospermie und erhöhten
Interleukin (IL)-8-Spiegeln assoziiert sein (Penna et al.
2007), der diagnostische Stellenwert der klassischen biochemischen Ejakulat-Parameter ist dagegen gering (Marconi et al.
2009; siehe Tab.
3).
Angesichts der
Prävalenz der Erkrankung auch bei jüngeren Männern stellt sich die Frage nach dem möglichen Einfluss einer chronischen
Prostatitis auf die Fertilität (Weidner et al.
1999). Die Ergebnisse verfügbarer Studien sind allerdings keineswegs einheitlich,
Metaanalysen legen einen negativen
Einfluss auf Spermienmotilität und -morphologie nahe (Rusz et al.
2012; Condorelli et al.
2017) (siehe Tab.
3). Andererseits ist die Aussagekraft eines Basis-Spermiogramms limitiert, wie Veränderungen der Spermienfunktion, DNA- und Chromatinintegrität sowie epigenetischer Marker von Spermien bei Patienten mit chronischer Prostatitis verdeutlichen (Henkel et al.
2006; Schagdarsurengin et al.
2017; Berg et al.
2021).
Urethritis
Die
akute Urethritis des Mannes geht mit
Ausfluss, Juckreiz oder
Schmerzen in der Harnröhre,
Dysurie sowie unspezifischen
Miktionsbeschwerden (
Lower Urinary Tract Symptoms; LUTS)
einher; betroffene Patienten können jedoch auch asymptomatisch bleiben (Wagenlehner et al.
2016; Bonkat et al.
2022). Als Ursache einer Urethritis finden sich am häufigsten
Infektionen, darüber hinaus sind auch nicht-infektiöse Faktoren als Auslöser zu berücksichtigen. Zur Inzidenz liegen allerdings keine Übersichtsdaten vor.
Die
akute infektiöse Urethritis wird überwiegend durch
STI-Erreger ausgelöst, wobei Erkrankungen mit Nachweis von
N. gonorhoeae von
nicht-gonorrhoischen Formen unterschieden werden. Bei Letzteren finden sich am häufigsten
C. trachomatis (11–50 %),
Mycoplasma genitalium (6–50 %),
Ureaplasma urealyticum (5–26 %) und
Trichomonas vaginalis (1–20 %), seltener auch
Adenoviren (2–4 %) (Bonkat et al.
2022).
Ureaplasma spp. sind zu differenzieren, da
Ureaplasma parvum im Gegensatz zu
Ureaplasma urealyticum als nicht pathogen einzustufen ist (Zhang et al.
2014). Koinfektionen mit verschiedenen STI-Erregern sind keine Seltenheit (Horner et al.
2016).
Bei der
körperlichen Untersuchung können Rötungen der Glans und des Orificium urethrae externum vorliegen. Die Diagnose der Urethritis basiert auf der Klinik sowie der zytologischen und mikrobiologischen Analyse von Harnröhrenabstrichen oder Ersturin, wobei die Diagnostik aus dem Ersturin dem
Abstrich nicht unterlegen ist. Bei fehlendem
Fluor gilt der Nachweis von
>10 Granulozyten pro Gesichtsfeld (bei 400facher Vergrößerung) im Sediment des Ersturins als pathognomonisch (Bonkat et al.
2022) (Abb.
3). Ein neueres Verfahren für die Quantifizierung von
Leukozyten und
Bakterien im
Urin stellt die
automatisierte Flowzytometrie dar (Tjagur et al.
2020). Die mikrobiologische Erregeridentifizierung erfolgt überwiegend mittels STI-PCR, die kulturellen diagnostischen Verfahren überlegen ist (AWMF
2019).
Zu den Komplikationen der Erkrankung zählen die Entwicklung einer
chronischen Urethritis mit oder ohne Erregerpersistenz,
Harnröhrenstrikturen sowie Läsionen der hinteren Harnröhre mit der Folge einer gestörten Ejakulation (Rusz et al.
2012). Ein erhöhtes Risiko für Fertilitätsstörungen besteht insbesondere bei aszendierenden Infektionen mit Einbeziehung weiterer Kompartimente bzw. Organe des Genitaltrakts (siehe Abschn.
3.1 und
3.2).
Asymptomatische Infektionen und Entzündungen des Genitaltraktes bei Kinderwunsch
Infektionen und hieraus resultierende Entzündungen des Genitaltraktes werden zu den
häufigsten Ursachen männlicher Fertilitätsstörungen gezählt (Tüttelmann und Nieschlag
2010; Olesen et al.
2017; Boeri et al.
2020). Die Mehrzahl der betroffenen Patienten ist jedoch asymptomatisch, was die diagnostische Einordnung erschwert (Haidl et al.
2008). Diese stützt sich vor allem auf Laborbefunde wie Erregernachweis und Entzündungsmarker in Ejakulat, Prostatasekret und
Urinproben. Mangels kompartiment-spezifischer differenzialdiagnostischer Marker werden pathologische Befunde zumeist unter der Bezeichnung
„Samenwegsinfektion“ („male accessory gland infection“, MAGI)
zusammengefasst, ohne ätiopathogenetisch zwischen Infektion und primär nichterregerbedingter Entzündung zu differenzieren und das pathologische Geschehen topografisch-anatomisch genauer zu lokalisieren (Tab.
2) (Rowe et al.
2000). Anders als die NIH-Klassifikation der
Prostatitis beinhalten die MAGI-Kriterien darüber hinaus keine Parameter, um Aussagen über die Akuität der Erkrankung treffen zu können. Aufgrund fehlender nicht-invasiver diagnostischer Marker bleiben asymptomatische testikuläre Entzündungsreaktionen vollständig unberücksichtigt (Schuppe et al.
2008) (Kap. „Orchitis“).
Tab. 2
WHO-Kriterien zur Diagnose einer MAGI (Male Accessory Gland Infection)* (modifiziert nach Rowe et al.
2000)
A | Anamnese | Harnwegsinfekt, sexuell übertragbare Infektion (STI), Epididymitis |
| Klinischer Befund | Nebenhoden verdickt, druckdolent; Samenstrang verdickt; digito-rektale Untersuchung auffällig |
B | Urin nach Prostatamassage | pathologisch (z. B. >10 Leukozyten/Gesichtsfeld §); Nachweis von Chlamydia trachomatis |
C | Ejakulat | (Peroxidase-positive) Leukozyten >106/ml Kultur mit signifikantem Wachstum pathogener Keime Nachweis von Chlamydia trachomatis Erhöhte Entzündungsmarker, ROS$; pathologisch veränderte biochemische Parameter des Seminalplasmas |
Daten zur
Prävalenz von Infektionen und Entzündungen des Genitaltraktes als Ursache
männlicher Infertilität beziehen sich zumeist auf das Vorliegen einer MAGI, sind aufgrund nicht einheitlicher diagnostischer Kriterien heterogen. Während aus andrologischen Sprechstunden Häufigkeiten von 10–20 % berichtet werden, kann der Anteil in Ländern ohne ausreichende medizinische Versorgung über 30 % betragen (Pilatz et al.
2016). Die beobachteten regionalen Unterschiede legen einen direkten Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von STI und sekundärer Infertilität nahe (Mascarenhas et al.
2012; Chemaitelly et al.
2021; Paira et al.
2021).
Eine
Bakteriospermie spiegelt nicht unbedingt eine Genitalinfektion wider, da in Ejakulatproben urethrale Kommensalen vorkommen (Schiefer
1998; Cottell et al.
2000; Koedooder et al.
2019) (siehe Abb.
5). Zur Differenzierung einer „signifikanten“ Bakteriospermie wurde für uropathogene
Bakterien ein Grenzwert von >10
3 KbE/ml vorgeschlagen (Weidner et al.
1999; Virecoulon et al.
2005). Die Studienergebnisse in Bezug auf einen Zusammenhang mit der Ejakulatqualität sind jedoch widersprüchlich (Farahani et al.
2021). Beispielsweise fand sich in einer kanadischen Studie mit fast 5000 subfertilen Männern nur bei gleichzeitig erhöhten Leukozytenzahlen im Ejakulat ein Zusammenhang zwischen einer Bakteriospermie (ohne STI-Erreger) und Spermiogramm-Variablen (Domes et al.
2012). Andere Berichte belegen eine praxisrelevante negative Assoziation zwischen Infektion und Spermienkonzentration sowie Progressivmotilität (Ricci et al.
2018; Boeri et al.
2020). Angesichts der
Prävalenz positiver PCR-Befunde für
C. trachomatis, Mycoplasmen und
Ureaplasmen (siehe Abb.
5) sind auch für diese Erreger negative Effekte auf Ejakulatqualität sowie Spermienfunktion und -integrität zu beachten (Eley et al.
2005; Gdoura et al.
2008; Huang et al.
2015; Ahmadi et al.
2017; Boeri et al.
2020). Bei infertilen Paaren wurde im Zusammenhang mit dem Nachweis von
Enterococcus faecalis und/oder
U. urealyticum/M. hominis ein erhöhtes Risiko für eine erfolglose IVF beschrieben (Ricci et al.
2018). Inwieweit Veränderungen des Mikrobioms des männlichen Genitaltrakts bzw. des Ejakulates zur Entwicklung von Fertilitätsstörungen beitragen, ist Gegenstand aktueller Forschung (Mändar
2013; Koedooder et al.
2019; Lundy et al.
2021).
Wie bereits erwähnt stellt der männliche
Genitaltrakt ein Reservoir für unterschiedliche Viren dar (Bezold et al.
2007; Le Tortorec et al.
2020). Im Gegensatz zur Orchitis (Epididymo-Orchitis) bei systemischen Virusinfektionen (Kap. „Orchitis“), ist die Bedeutung von Viren im Ejakulat als Auslöser von Entzündungsreaktionen im männlichen Genitaltrakt und Fertilitätsstörungen jedoch noch unklar. Für humane Papillomviren (HPV) im Ejakulat wurde eine
Prävalenz von 10–36 % berichtet (Foresta et al.
2015). Hierbei ist die Häufigkeit positiver Befunde bei Männern mit unerfülltem
Kinderwunsch signifikant höher als in der allgemeinen Bevölkerung, einschließlich solcher Genotypen mit hohem
onkogenen Potenzial (Moreno-Sepulveda und Rajmil
2021). Verschiedene Studien weisen auf eine Assoziation zwischen HPV-Nachweis und Einschränkungen der Spermienmotilität und -morphologie, erhöhter DNA-Fragmentation, positiven Antispermienantikörper-Befunden sowie reduzierten natürlichen Konzeptionsraten hin, das Evidenzlevel wird jedoch insgesamt als gering eingestuft (Muscianisi et al.
2021; Moreno-Sepulveda und Rajmil
2021).
Die möglichen Auswirkungen einer
Infektion mit SARS-CoV-2 sind Gegenstand aktueller Diskussionen (Aitken
2022; Tian und Zhou
2021) (Kap. „Orchitis“). Abgesehen von einer einzelnen frühen Mitteilung liegen keine Daten vor, die einen Nachweis von SARS-CoV-2 im Ejakulat nach durchgemachter COVID-19-Erkrankung belegen; eine sexuelle Übertragung erscheint somit nach aktuellem Kenntnisstand unwahrscheinlich (Patel et al.
2021). In Studien mit geringen Fallzahlen wurde über eine
eingeschränkte Ejakulatqualität infolge einer SARS-CoV-2-Infektion berichtet, abhängig von der Schwere der Erkrankung. In diesem Zusammenhang sind unspezifische Begleitsymptome wie
Fieber und ihr negativer Einfluss auf die Spermatogenese zu beachten. Andererseits fanden sich bei Patienten mit moderat bis schweren Krankheitsverläufen sonographische Zeichen einer
Epididymitis als Zufallsbefunde (Carneiro et al.
2021).
Trichomonas vaginalis kommt nach heutigem Kenntnisstand keine größere Bedeutung im Hinblick auf männliche Fertilitätsstörungen zu; die mögliche Rolle des Mannes als Überträger dieser STI ist jedoch zu berücksichtigen (Schuppe et al.
2017; Van Gerwen et al.
2021). Ebenso werden
Pilzinfektionen nur selten als Ursache entzündungsassoziierter männlicher Fertilitätsstörungen diagnostiziert.
Die pathologische Relevanz einer
Leukozytospermie,
definiert anhand des Konsensus-basierten WHO-Grenzwertes für Peroxidase-positive Zellen im Ejakulat von 10
6/ml, wird kontrovers diskutiert (Aitken und Baker
2013; WHO
2021). In einigen Studien konnte bei subfertilen Männern ein negativer Zusammenhang zwischen Leukozytenzahl und Spermienkonzentration, -motilität sowie -morphologie gezeigt werden (Henkel et al.
2021). Eine negative Assoziation fand sich auch zwischen der Anzahl neutrophiler Granulozyten im Ausstrichpräparat und Variablen des Basis-Spermiogramms, sowie der
Spermien-DNA-Integrität (Domes et al.
2012). Erhöhte Leukozytenzahlen im Ejakulat erlauben jedoch keine Vorhersage in Bezug auf den Nachweis relevanter
Bakterien oder Viren im Ejakulat (Bezold et al.
2007; Ventimiglia et al.
2020). Die in
aktuellen Leitlinien (Jungwirth et al.
2019; Toth et al.
2019; Schlegel et al.
2021) empfohlene Indikationsstellung zur mikrobiologischen Diagnostik allein anhand einer Leukozytospermie erscheint somit unzureichend.
Infektionen bzw. Entzündungen des männlichen Genitaltrakts können nicht nur zu einer Einschränkung der Spermienmotilität, sondern auch Störungen weiterer, essentieller Spermienfunktionen führen (siehe Tab.
3) (Henkel et al.
2006; Fraczek und Kurpisz
2015). Bereits unterhalb des WHO-Grenzwertes von 10
6 Leukozyten/ml ist eine
oxidative Schädigung der Spermien einschließlich
DNA-Fragmentierung durch erhöhte Spiegel
reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) im Ejakulat möglich (Erenpreiss et al.
2002; Henkel et al.
2005; Lobascio et al.
2015). Eine Assoziation besteht auch zwischen Granulozytenelastase bzw.
Zytokinen im Ejakulat und Spermien-DNA-Integrität (Kopa et al.
2005). Als Quelle
pro-inflammatorischer Zytokine spielen
Makrophagen (siehe Abb.
4) eine vorherrschende Rolle, darüber hinaus wurde eine erhöhte Rate apoptotischer Spermien nachgewiesen (Pelliccione et al.
2009; Tremellen und Tunc
2010; Fathy et al.
2014). Der pathophysiologisch naheliegende Zusammenhang zwischen Infektionen und Entzündungsprozessen im Genitaltrakt und der Bildung von Antispermienantikörpern wird kontrovers diskutiert (Francavilla und Barbonetti
2017) (Kap. „Immunologisch bedingte Infertilität“).
Tab. 3
Mögliche Ejakulatveränderungen bei chronisch-entzündlichen Prozessen im männlichen Genitaltrakt (modifiziert nach Haidl et al.
2008; Schuppe et al.
2017)
Basis-Spermiogramm | Volumen [1,4 ml] | → | (↓) |
| pH-Wert [≥7,2] | → | (↑) |
| Spermienkonzentration/ -gesamtzahl [16 × 106/ml/39 × 106] | (↓) | → |
| Motilität [progressiv: 30 %] | ↓ | (↓) |
| Morphologie [Normalformen: 4 %] | Membranintegrität der Flagella (↓) | Überstreckungen der Kopfsegmente (↑) |
Spermienfunktion/ -integrität | Akrosom-Reaktion | pathologisch | pathologisch |
| DNA-Fragmentierung | ↑ | ↑ |
| | ↑ | ? |
Entzündungsmarker im Ejakulat | Leukozyten [<1 × 106/ml] (neutrophile Granulozyten, Makrophagen) | ↑ | ↑ |
| Granulozyten-Elastase [<280 ng/ml] | ↑ | ↑ |
| Pro-inflammatorische Zytokine (z. B. IL-6 [30 pg/ml], IL-8 [7000 pg/ml]) | ↑ | ↑ |
Akzessorische Sekretion | [≥2,4 μmol/Ejakulat] | → | ↓ |
| [≥13 μmol/Ejakulat] | → | → |
| α-Glucosidase [≥20 mU/Ejakulat] | (↓) | → |
Reproduktionsmedizinisch ist im Zusammenhang mit Genitaltraktinfektionen des Mannes auch das Risiko einer
Übertragung auf die Partnerin zu berücksichtigen (AWMF
2019; Workowski et al.
2021). Dies gilt nicht nur für bakterielle STI-Erreger, die unter anderem an Spermien als Vektoren adhärieren können, sondern auch für Viren im Ejakulat. Eine besondere andrologische Beratung sollten beispielsweise Paare mit
Kinderwunsch erhalten, die sich in Risikogebieten für
Zika-Virusinfektionen aufgehalten haben. Aufgrund der potenziell langen Persistenz des Virus im Ejakulat über mehr als 6 Monate wird empfohlen, dass Männer über einen entsprechend langen Zeitraum nach ihrer Rückkehr kein Kind zeugen sollten (Epelboin et al.
2017).