Metaanalyse Demenz durch verbleites Benzin?

Bis in die 1990er-Jahre verwendete Bleizusätze im Benzin haben möglicherweise bis heute gesundheitliche Folgen: Wer in Gegenden mit einer hohen atmosphärischen Bleibelastung aufgewachsen ist, leidet vermehrt unter Gedächtnisproblemen. Seit dem Jahr 2021 ist es endgültig vorbei: Als letztes Land auf dem Planeten verbot Algerien den Verkauf von verbleitem Benzin – rund 100 Jahre, nachdem organische Bleiverbindungen standardmäßig dem Benzin beigemischt wurden, um eine höhere Verdichtung in den Motoren zu ermöglichen. In Deutschland wurde bleifreies Benzin erstmals 1984 eingeführt, 1988 erfolgte ein Verbot von verbleitem Normal- und 1996 auch von Superbenzin. Inzwischen ist Benzin mit Tetraethylblei nirgends mehr legal zu bekommen. Zu dem schrittweisen Abschied von verbleitem Benzin dürften Katalysatoren, die kein Blei vertragen, ebenso beigetragen haben wie Gesundheitsbedenken: Verbleites Benzin stand in Verdacht, Entwicklungsverzögerungen, kognitive Probleme und einen niedrigen IQ zu begünstigen. Nach neuen Daten, die auf der Alzheimer's Association International Conference (AAIC) vorgestellt worden sind, müssen sich heute vor allem Erwachsene im fortgeschrittenen Alter Sorgen machen, wenn sie früher zu viel bleihaltige Luft eingeatmet haben: Das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen ist bei ihnen dann um etwa ein Fünftel erhöht. 15 Mal mehr Blei im Blut als heute Zu dieser Einschätzung sind Forschende um Dr. Eric Brown von der Universität in Toronto gelangt, nachdem sie Angaben des American Community Survey (ACS) ausgewertet hatten. Die Daten stammen aus zwei Befragungswellen zwischen 2012 und 2021, dabei wurde auch nach Gedächtnisproblemen gefragt. Das Team um Brown konzentrierte sich auf rund 645.000 Personen, die noch immer im US-Bundesstaat ihrer Geburt lebten. Anschließend schauten sie, wie hoch die durchschnittlichen atmosphärischen Bleibelastungen an den Orten waren, an denen die Personen aufgewachsen sind. Relativ genaue Angaben dazu fanden sie in Erhebungen der US-Umweltbehörde EPA, sie beschränkten sich dabei auf die Jahre 1960 bis 1974 mit den höchsten Bleiwerten in der Luft – anschließend wurde Bleibenzin in den USA schrittweise verbannt. Dabei bildeten sie vier Gruppen mit niedriger (unter 0,4 µg/m3) moderater, hoher und sehr hoher Bleibelastung (über 1,2 µg/m3). Schließlich korrelierten sie die Bleiwerte mit der Rate subjektiver kognitiver Probleme, wobei sie Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen und eine Reihe anderer bekannter Demenzrisikofaktoren berücksichtigten. Für die erste ACS-Befragungswelle (2012–2017) ergab sich sowohl für Menschen, die in Gebieten mit moderater, hoher und sehr hoher atmosphärischer Bleibelastung aufgewachsen sind, ein um rund 20% erhöhtes Risiko verglichen mit Menschen in kaum belasteten Gebieten. Bestätigt wurde der Zusammenhang in der zweiten Befragungswelle (2018–2021), wobei sich ein leichter Dosiseffekt offenbarte: Die Rate für subjektive Gedächtnisprobleme war bei moderater, hoher und sehr hoher Belastung um 17%, 20% und 22% signifikant erhöht. „Als ich 1976 ein Kind war, enthielt unser Blut 15-mal mehr Blei als das Blut von Kindern heute“, so Professorin Esme Fuller-Thomson von der Universität Toronto und leitende Autorin der Studie. „Erstaunliche 88% von uns hatten Werte von über 10 Mikrogramm pro Deziliter, was heute als gefährlich hoch gilt.“ Schlechtere Kognition in der Nähe Blei-emittierender Betriebe Auch wenn heute Blei aus Kraftstoffen verbannt ist, so gibt es weiterhin Gebiete mit hoher Belastung, etwa Industriebetriebe mit hoher Bleiemission. Forschende um Dr. Kathrin Conlon vom US-Gesundheitsdienstleister Kaiser Permanente schauten in zwei Datensätzen, ob die Nähe zu solchen Anlagen mit der kognitiven Leistung korreliert. Sie verwendeten zum einen Angaben aus der Kohortenstudie KHANDLE (Kaiser Health Aging and Diverse Life Experiences) sowie STAR (Study of Healthy Aging in African Americans), bei der die Kognition von rund 2400 älteren Menschen regelmäßig überprüft wird. Als Blei-emittierend galten etwa Betriebe die Glas, Zement oder Elektronikkomponenten herstellen. Wurden wiederum diverse Begleitfaktoren berücksichtigt, war die kognitive Leistung umso schlechter, je näher die Menschen an solchen Betrieben lebten. In einem Fünf-Kilometer-Radius um solche Anlagen war die kognitive Leistung um 20% geringer als an weiter entfernten Wohnorten. Pro 5 km zusätzlichem Abstand verbesserte sich die Leistung um 5%. Ob dies überhaupt oder allein am Blei liegt, darf jedoch bezweifelt werden – zum einen emittieren solche Anlagen auch noch andere Schadstoffe, zum anderen leben wohlhabende Menschen mit einer oft besseren kognitiven Leistung weniger oft in der unmittelbaren Nähe von Industrieanlagen. Insofern überrascht es nicht, dass sich der Zusammenhang umso mehr abschwächte, je mehr Begleitfaktoren die Forschenden berücksichtigten. Doch wie kann Blei die Kognition beeinträchtigen? Hinweise liefert eine Arbeit von Forschenden um Dr. Junkai Xie von der Purdue University in Lafayette. Sie simulierten in Zellkulturexperimenten die Auswirkungen von unterschiedlichen Bleibelastungen: 0, 15, 50 µg/l. Zum Vergleich: Derzeit gilt in Deutschland ein Trinkwassergrenzwert für Blei von 10 µg/l. Eine Reihe von molekularen, genetischen, biochemischen und funktionellen Tests ergab, dass Neuronen bei 15 µg/l und 50 µg/l elektrisch aktiver als ohne Bleiexposition waren, was als Funktionsstörung interpretiert wurde. Zudem zeigten sich dabei Schäden in den Mitochondrien. Die Neuronen exprimierten auch vermehrt Gene, die eine oxidative Phosphorylierung begünstigen, und schließlich akkumulierten sie mehr Beta-Amyloid und Tau-Protein. Selbst nach Entfernung des Bleis blieben die Zellen anfällig für Schäden. Quellen: Alzheimer's Association International Conference (AAIC), 27.– 31. Juli 2025, Toronto, Kanada Brown E, et al. Historical atmospheric lead concentrations (1960-1974) and memory problems half a century later: findings from two large, independent representative samples. Conlon KC et al. Residential proximity to a lead-releasing facility is associated with cognition in KHANDLE and STAR cohorts. Xie J et al. Persistent vulnerabilities in neurons following lead (pb) exposure and implications for Alzheimer's disease. Weitere Berichte von der AAIC-Tagung: Antikörper entfernt Beta-Amyloid in wenigen Wochen Strukturierte multimodale Demenzprävention verbessert die Kognition Neue Arznei scheint Lewy-Körperchen-Demenz zu bremsen Alzheimertherapie: Kognitiver Nutzen nimmt mit der Zeit zu Empfehlungen zur Anwendung von Donanemab in der Praxis Fokussierter Ultraschall: Booster für die Alzheimertherapie Ansätze für die Alzheimertherapie der Zukunft Cholesterinsenker bremst Alzheimerpathologie Auf den Spuren des Transzytoms

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