Familien- und umfeldzentrierte verhaltenstherapeutische Interventionen
Die aktuellen Leitlinien (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und
Psychotherapie et al.
2018) empfehlen familien- und umfeldzentrierte verhaltenstherapeutische Interventionen
bei Kindern bis zum Alter von 6 Jahren und bei Kindern und Jugendlichen mit einer minder schweren
ADHS-Symptomatik als Methode der 1. Wahl, bei moderater ADHS-Symptomatik als Behandlungsoption zu Pharmakotherapie und bei starker Symptomatik als Ergänzung zu Pharmakotherapie. Da die ADHS-Symptomatik in der Regel sowohl in der Familie als auch im Kindergarten/in der Schule auftritt, werden sowohl Elterntrainings und familienzentrierte Interventionen als auch Erzieher-/Lehrertrainings und kindergarten-/schulzentrierte Interventionen empfohlen.
Diese Interventionen zielen darauf ab, das Verständnis der Bezugspersonen für die Symptomatik zu verbessern, ihr Erziehungsverhalten zu optimieren und expansive Verhaltensprobleme einschließlich der ADHS-Symptome sowie psychosoziale Funktionsbeeinträchtigungen des Kindes oder Jugendlichen im entsprechenden Umfeld zu vermindern. Die Studien zur Wirksamkeit dieser Interventionen weisen darauf hin, dass Interventionserfolge hauptsächlich in dem Umfeld zu erzielen sind, in dem die Intervention stattfindet (Döpfner und van der Oord
2018). Daher sollten diese umfeldspezifischen Interventionen möglichst parallel durchgeführt werden.
Die Hauptkomponenten von familien- und umfeldzentrierten verhaltenstherapeutischen Interventionen beinhalten die Identifikation von spezifischen Problemsituationen und Problemverhaltensweisen, einschließlich der Analyse von auslösenden und nachfolgenden Bedingungen eines Problemverhaltens, die Stärkung positiver Interaktionen zwischen Bezugspersonen und Patient, die Entwicklung und effektive Kommunikation von Verhaltensregeln und die Implementierung von positiven sowie negativen Verhaltenskonsequenzen, einschließlich Token-Systemen, Response-cost-Verfahren und Auszeit.
Verhaltensorientiertes Elterntraining
Verhaltensorientierte Elterntraining
s, die meist im Gruppenformat evaluiert wurden, erfüllen die Kriterien für eine gut etablierte Behandlung mit substanziellen Hinweisen auf ihre Wirksamkeit (Evans et al.
2018). Meta-Analysen konnten positive Effekte mit kleinen bis moderaten Effektstärken bezüglich der Reduktion von ADHS-Symptomen belegen (z. B. Charach et al.
2013; Corcoran und Dattalo
2006; Fabiano et al.
2009; van der Oord et al.
2008; Zwi et al.
2011). Allerdings unterscheiden sich die Meta-Analysen hinsichtlich der eingeschlossenen Studien, der untersuchten
Stichproben und der errechneten Effektstärken (Fabiano et al.
2015). Daley et al. (
2014) fanden in einer Meta-Analyse, die nur randomisierte Kontrollgruppenstudien mit Patienten mit der Diagnose einer
ADHS einschloss, geringe, aber signifikante Effekte in der von den Eltern beurteilten
ADHS-Symptomatik, aber nicht bei den als möglicherweise verblindet eingeschätzten Erfolgsmaßen, die eine Mischung aus Lehrerurteilen und direkten Verhaltensbeobachtungen waren, wobei Veränderungen der ADHS-Symptomatik in der Schule nicht das primäre Ziel von Elterntrainings sind. Hinsichtlich der Reduktion von komorbiden Symptomen konnten Effekte auf oppositionelles und aggressives Verhalten in mehreren Analysen belegt werden (Charach et al.
2013; Fabiano et al.
2009; Van der Oord et al.
2008; Zwi et al.
2011), auch auf sog. verblindete Beurteilungen (Daley et al.
2014). Moderate Effekte auf emotionale Probleme konnten ebenfalls identifiziert werden (Corcoran und Dattalo
2006). Mehrere Meta-Analysen weisen auch Veränderungen im Erziehungsverhalten der Eltern nach, welche die vermuteten Hauptwirkmechanismen von Elterntrainings darstellen – meist eine Reduktion von übermäßiger Strenge und inkonsequentem sowie eine Zunahme von positivem Erziehungsverhalten (z. B. Charach et al.
2013; Daley et al.
2014). Hanisch et al. (
2014) konnten zudem im Rahmen eines Präventionsprogrammes zeigen, dass diese Veränderungen im Erziehungsverhalten der Eltern tatsächlich die Symptomminderungen mediieren.
Wenige Studien liegen zur Wirksamkeit von Elterntrainings bei Adoleszenten mit
ADHS vor. Ein Problemlöse- und Kommunikationstraining für Familien mit Jugendlichen mit ADHS erwies sich als ebenso wirkungsvoll wie ein traditionelles Elterntraining (Barkley et al.
2001; Barkley
2004). In einer von Sibley et al. (
2014) durchgeführten Meta-Analyse zur Wirksamkeit von Elterntrainings und anderer verhaltenstherapeutischer Interventionen ließen sich geringe bis mittlere Effektstärken für die Verminderung von ADHS-Symptomen und von oppositionellem Verhalten nachweisen. Ein auf die spezifischen Bedürfnisse von Familien mit Jugendlichen mit ADHS abgestimmtes Elterntraining unter Einschluss von motivationaler Gesprächsführung (Sibley
2017) hat sich ebenfalls als erfolgreich erwiesen (Sibley et al.
2016). Im deutschen Sprachraum wurde auf der Basis dieser Trainings das Modul Familienprobleme aus dem Therapieprogramm für Jugendliche mit Selbstwert-, Leistungs- und Beziehungsstörungen (SELBST-Familienprobleme; Rademacher und Döpfner
2024) entwickelt. Elterntrainings, die emotionale Kommunikationsfertigkeiten und konsistentes Erziehungsverhalten vermitteln und die Auszeit einsetzen, sind Elterntrainings, die diese Komponenten nicht enthalten, bei der Therapie externale Verhaltensstörungen eher überlegen (Kaminski et al.
2008).
Elterntrainings wurden überwiegend im Gruppenformat
evaluiert (Daley et al.
2018), sie haben sich aber auch im Einzelformat
als wirkungsvoll erwiesen (Van den Hoofdakker et al.
2007) und auch bei der Durchführung im häuslichen Umfeld (Thompson et al.
2009) oder auf einer Eltern-Kind-Station (Ise et al.
2015a). Außerdem haben sich auch angeleitete Selbsthilfe-Interventionen für Eltern, die über Bücher, Fernsehen oder das Internet durchgeführt wurden, als wirkungsvoll erwiesen (Tarver et al.
2014; Ise et al.
2015b; Kierfeld et al.
2013; Hautmann et al.
2018b; Dose et al.
2017; Döpfner et al.
2021).
Differenzielle Effekte von Merkmalen der Eltern oder der Patienten auf den Behandlungserfolg sind bislang wenig untersucht. Es gibt Studien, die einen geringeren Effekt von Elterntrainings bei Eltern mit einer eigenen
ADHS-Symptomatik belegen (Sonuga-Barke et al.
2002), aber auch Studien, die diesen Effekt nicht nachweisen konnten (Hautmann et al. 2018). Andere Studien haben einen negativen Einfluss komorbider Störungen der Patienten auf den Behandlungserfolg gefunden (van den Hoofdakker et al.
2010), während andere Studien bei komorbider Angstsymptomatik der Patienten (Owens et al.
2003) und – in einer Präventionsstudie – bei stärkerer ADHS-Symptomatik höhere Effekte fanden.
Die Stabilität der Effekte von Elterntrainings (teilweise in Kombination mit anderen verhaltenstherapeutischen Interventionen über den Zeitraum von mehreren Monaten bis zu mehreren Jahren) wurde in der Mehrzahl der Studien belegt (Molina et al.
2009; Döpfner et al.
2015b,
2016; Sibley et al.
2016), wobei Meta-Analysen auch eine gewisse Verminderung der Therapieeffekte über die Zeit belegen (Lee et al.
2012).
Intervention im Kindergarten und in der Schule
Die Hauptkomponenten von Intervention
en im Kindergarten und in der Schule sind weitgehend vergleichbar mit den Komponenten von Elterntrainings, wobei zusätzlich zu den Interventionen, die auf das einzelne Kind zielen, auch Interventionen auf Klassen- oder Schulebene (z. B. Sitzordnung, Regeln für die gesamte Klasse oder Schule) erfolgen können. Mehrere Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen belegen die Wirksamkeit von Interventionen im Klassenzimmer (DuPaul et al.
2012). Die Mehrzahl der Studien können Effekte sowohl auf das Verhalten im Klassenzimmer als auch die soziale Anpassung belegen, während Effekte auf die schulischen Leistungen weniger eindeutig sind. Viele Studien verwenden Einzelfallanalysen und Eigenkontrollgruppen-Designs und wenige wenden randomisierte Kontrollgruppenstudien an. DuPaul et al. (
2012) fanden in ihrer Meta-Analyse insgesamt signifikante Effekte auf das Verhalten der Schüler für diese Interventionen, wobei die Kontrollgruppenstudien keine Effekte belegen konnten. Plück und Mitarbeiter (
2015) konnten für Interventionen im Kindergarten (Erziehertrainings) Effekte auf das externale Problemverhalten (einschließlich ADHS-Symptomen) im Kindergarten nachweisen. Mikami et al. (
2012) belegen Effekte von Interventionen zur Verbesserung der Integration der Kinder mit
ADHS in der Schulklasse. Häufig wurden schulbasierte Interventionen auch im Rahmen von multimodalen kognitiv-behavioralen Interventionen eingesetzt, die patienten-, eltern- und schulzentrierte Verfahren kombinieren.
Patientenzentrierte kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen
Die aktuellen Leitlinien (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und
Psychotherapie et al.
2018) empfehlen patientenzentrierte kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen nur sehr zurückhaltend als Ergänzung zu den familien- und umfeldzentrierten Verfahren, weil die Evidenzbasis dieser Methoden noch relativ gering ist. Die Wirksamkeit von klassischen Konzentrations- und Selbstinstruktionstrainings konnte in internationalen Studien nicht überzeugend nachgewiesen werden (Pelham und Fabiano
2008). Computergestützte neuropsychologische Trainings zur Verbesserung einzelner neuropsychologscher Fähigkeiten, wie z. B. Kurzzeitgedächtnis, können zwar die entsprechende neuropsychologische Funktion verbessern, sie haben sich jedoch zur Verminderung von ADHS-Symptomen im Alltag nicht bewährt (Cortese et al.
2015). Im Vorschulalter empfehlen die aktuellen Leitlinien (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie et al.
2018) kindzentrierte Interventionen zur Verbesserung von Spiel- und Beschäftigungsintensität und -ausdauer oder zur Einübung von Handlungsabläufen im Alltag als ergänzende Maßnahme. Sie werden jedoch als in der Regel nicht alleine ausreichend eingeschätzt. Ein evidenzbasierter Ansatz ist das Spieltraining im Rahmen des Therapieprogrammes THOP (Döpfner et al.
2019).
Insgesamt wurden erst in den letzten Jahren Untersuchungen zur Wirksamkeit von Selbstmanagementmethoden durchgeführt. So belegen neuere Studien die Wirksamkeit von Trainings zur Verbesserung von Organisationsfertigkeiten (Übersicht: Chan et al.
2016) bei Kindern (Abikoff et al.
2013) und bei Jugendlichen mit ADHS – teilweise in Verbindung mit umfassenderen Interventionen (z. B. Langberg et al.
2012,
2016). So konnten Abikoff et al. (
2013) die Wirksamkeit eines Trainings (20 Sitzungen) belegen, in dem die Kinder Strategien und Hilfsmittel zur Organisation von Schulmaterialien und zur Planung von schulischen Aufgaben einübten (siehe auch Braun und Döpfner
2023).
In mehreren Studien wurde die Wirksamkeit von sozialen Kompetenztrainings untersucht, die darauf abzielen, die sozialen Probleme zu verbessern, welche häufig als Folge der ADHS-Problematik entstehen. Die Effekte von Interventionen auf das Sozialverhalten der Kinder wurden in Studien belegt, welche diese Interventionen in Summer-camp-Programmen mit umfassenden Verstärkersystemen integrierten, wie Meta-Analysen zeigen (Pelham und Fabiano
2008; Evans et al.
2018) oder mit Unterstützung von Eltern einsetzten (Mikami et al.
2012).
Kombinierte kognitiv-behaviorale Interventionen und Kombination mit Pharmakotherapie
Aufgrund der vielfältigen Lebens- und Funktionsbereiche, die bei Kindern und Jugendlichen mit
ADHS beeinträchtigt sind, verwundert es nicht, dass mit einem isolierten Behandlungsansatz häufig nicht die gewünschten Effekte erzielt werden können, sondern dass für die Behandlung oft mehrere Therapieformen miteinander kombiniert werden müssen. So lassen sich patienten-, familien- sowie kindergarten- und schulzentrierte kognitiv-behaviorale Interventionen miteinander kombinieren (multimodale
Verhaltenstherapie) und diese Verfahren lassen sich zudem mit Pharmakotherapie verbinden (multimodale Therapie
). Die aktuellen deutschen Leitlinien (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und
Psychotherapie et al.
2018) und auch europäische Leitlinien (Taylor et al.
2004) empfehlen generell eine multimodale Verhaltenstherapie (zumindest
Psychoedukation und familien- und umfeldzentrierte Interventionen, gegebenenfalls ergänzt durch patientenzentrierte Interventionen) als auch die Kombination mit Pharmakotherapie (zumindest Psychoedukation plus Pharmakotherapie, gegebenenfalls ergänzt durch familien- und umfeld- und patientenzentrierte kognitiv-behaviorale Interventionen). Bei der Kombination von Verhaltens- und Pharmakotherapie wird eine stufenweise Therapie empfohlen, bei der zunächst die Wirksamkeit einer Behandlungsform überprüft (z. B. Pharmakotherapie) wird und in Abhängigkeit davon entweder zur zweiten Therapieform gewechselt (z. B. bei fehlender Wirksamkeit der Pharmakotherapie) oder diese ergänzend durchgeführt wird (z. B. bei Teileffekten von Pharmakotherapie). Mitunter kann jedoch auch von Anfang an eine parallele Durchführung von Pharmako- und Verhaltenstherapie sinnvoll sein.
In einigen Studien zur Wirksamkeit von multimodaler Therapie wurden über die medikamentöse Therapie hinaus zusätzliche Effekte von Elterntrainings oder multimodaler
Verhaltenstherapie nachgewiesen (Pelham et al.
2016; Swanson et al.
2001; Van den Hoofdakker et al.,
2007; Döpfner et al.
2004), jedoch nicht in allen Studien (Van der Oord et al.
2008). Diese divergenten Befunde können zumindest teilweise von der Abfolge von Behandlungsschritten und der Art der durchgeführten Pharmakotherapie beeinflusst worden sein. In Studien ohne zusätzliche Behandlungseffekte wurde die Pharmakotherapie in optimaler Dosierung vor oder zeitgleich mit Verhaltenstherapie durchgeführt, wodurch – aufgrund hoher Normalisierungsraten durch Pharmakotherapie – nur noch wenig Raum für zusätzliche Behandlungseffekte durch Verhaltenstherapie bestand. Demgegenüber wurden
additive Effekte von Elterntrainings (und anderer verhaltenstherapeutischer Interventionen) in Studien belegt, die keine medikamentöse Dosisoptimierung durchführten, wie in der klinischen Praxis üblich (Van den Hoofdakker et al.
2007) oder die im Rahmen von sequenziellen Behandlungskonzepten nur dann Verhaltenstherapie einführten, wenn die Medikation keine optimalen Erfolge erbrachte (Pelham et al.
2016).
In der bislang größten Studie, der MTA-Study
, in der über 14 Monate hinweg multimodale
Verhaltenstherapie (familien-, schul-, und patientenzentriert) mit Pharmakotherapie (Methylphenidat) und der Kombination mit beiden Behandlungen durchgeführt und diese mit der alltagsüblichen Therapie (68 % davon mit Pharmakotherapie) verglichen wurden, zeigte sich die Kombinationstherapie mit einem kombinierten Maß der ADHS- und oppositionellen Symptomatik im Eltern- und im Lehrerurteil mit einer Normalisierungsrate von 68 % der Pharmakotherapie (Normalisierungsrate 56 %) und der multimodalen Verhaltenstherapie (Normalisierungsrate 34 %) als überlegen. Letztere war ähnlich effektiv wie die alltagsübliche Therapie (68 % davon mit Pharmakotherapie) (Swanson et al.
2001). Beim psychosozialen Funktionsniveau zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Behandlungsbedingungen und der Behandlungszufriedenheit der Eltern. Die von den Eltern wahrgenommene Verbesserung der Probleme, die zur Vorstellung des Patienten geführt hatten, waren bei multimodaler Verhaltenstherapie höher als bei Pharmakotherapie. Die Ergebnisse der 36-Monate-Nachuntersuchung und auch der nachfolgenden Katamnesestudien (Molina et al.
2009) zeigen generell eine Stabilisierung der Therapieeffekte, wobei die bei der Prüfung der Kurzzeiteffekte gefundenen Unterschiede zwischen den Gruppen zunehmend verschwinden. Die zum Nachuntersuchungszeitpunkt noch pharmakologisch behandelten Kinder unterscheiden sich auch nicht mehr von den zu diesem Zeitpunkt nicht pharmakologisch Behandelten.
Die Langzeitverläufe
nach adaptiver multimodaler Therapie aus der Kölner Adaptiven Mulitmodalen Therapiestudie (KAMT; Döpfner et al.
2004) zeigen ebenfalls 1,5 Jahre nach Therapieende (Döpfner et al.
2015a) eine weitgehende Stabilisierung der Therapieeffekte im Eltern- und im Lehrerurteil sowohl bei Kindern, die pharmakologisch weiterbehandelt wurden, als auch bei Kindern, die ausschließlich
Verhaltenstherapie erhalten hatten. In einer weiteren Nachuntersuchung, 8 Jahre nach Behandlungsende, zeichnete sich sowohl hinsichtlich der weiteren Verminderung der Verhaltensauffälligkeiten als auch hinsichtlich globaler Maße der schulischen und der beruflichen Karriere und der Delinquenzrate ein überwiegend positives Bild ab.
Ein weiteres multimodales Verhaltenstherapie-Programm ist das Challenging Horizons Program, das schulbasierte Interventionen für Kinder und Jugendliche der weiterführenden Schulen mit patienten- und elternzentrierten Interventionen verbindet und in verschiedenen Anwendungsformen in mehreren Studien untersucht wurde (z. B. Evans et al.
2011,
2016). Über alle Studien hinweg konnten bedeutsame Verbesserungen auf dem sozialen, schulischen und familiären Funktionsniveau nachgewiesen werden. Die meisten der bislang diskutierten Studien wurden mehrheitlich mit Patienten vom kombinierten Erscheinungsbild der
ADHS untersucht. In zwei Studien belegen Pfiffner und Mitarbeiter (
2007,
2014) die Wirksamkeit kombinierter eltern-, lehrer- und patientenzentrierter Interventionen bei der Verminderung von Unaufmerksamkeit und der Verbesserung organisatorischer und sozialer Fertigkeiten. Diese Kombinationsbehandlung war auch einem isoliert durchgeführten Elterntraining überlegen, womit die Notwendigkeit multimodaler
Verhaltenstherapie belegt wird.
Im deutschen Sprachraum liegen mehrere Therapieprogramm
e zu familienzentrierten Interventionen (Elterntrainings) und zu kindergarten-/schulzentrierten Interventionen (Erzieher-/Lehrertrainings) vor. Nach den Kriterien der deutschen Leitlinien (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und
Psychotherapie et al.
2018) werden danach – neben dem für die universelle Prävention entwickelten Elterntraining Triple P (Sanders et al.
2006) – das für Vorschulkinder entwickelte Präventionsprogramm für Expansives Problemverhalten (PEP) und das für Vorschul- und Schulkinder entwickelte Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten (THOP
; Döpfner et al.
2019), für das auch ein Manual zur Anwendung in Elterngruppen vorliegt. Beide Therapieprogramme kombinieren familien- und umfeldzentrierte verhaltenstherapeutische Interventionen und integrieren auch kindzentrierte Therapieansätze. Beide Therapieprogramme sind auch für Kinder mit oppositionellem Verhalten (auch ohne
ADHS-Symptomatik) konzipiert. Für das Präventionsprogramm PEP liegen sowohl für das Elterntraining als auch das Erziehertraining umfangreiche Studien vor, welche die kurzfristigen und die langfristigen Effekte auf das Erziehungsverhalten und die expansive Symptomatik (einschließlich der ADHS-Symptomatik) und das psychosoziale Funktionsniveau der Kinder sowohl in der der Kombination beider Trainings (Hanisch et al.
2010; Eichelberger et al.
2016) als auch bei getrennter Durchführung der Trainings in der Routineversorgung belegen (z. B. Hautmann et al.
2008,
2009; Plück et al.
2015).
Das Therapieprogramm THOP wurde im deutschen Sprachraum in mehreren Studien auch von unabhängigen Forschergruppen intensiv untersucht. Die Ergebnisse fassen Döpfner und Mitarbeiter (
2019) zusammen. Danach konnten im Rahmen eine Studie zur adaptiven multimodalen Therapie von Kindern mit hyperkinetischen Störungen im Verlaufe der verhaltenstherapeutischen Interventionen nach dem Therapieprogramm THOP Verhaltensauffälligkeiten in der Familie und in der Schule deutlich reduziert werden. 50–60 % der Kinder, die ausschließlich mit dem Therapieprogramm THOP behandelt wurden und bei denen keine medikamentöse Behandlung durchgeführt wurde, zeigten nach dem Urteil der Eltern bei Behandlungsende nur noch geringe Auffälligkeiten. Im Urteil der Lehrer lag diese Normalisierungsrate bei 35–40 %. 28 % der Kinder, die initial mit
Verhaltenstherapie behandelt wurden, mussten aufgrund klinischer Kriterien ergänzend mit
Stimulanzien behandelt werden. In dieser Gruppe der kombiniert behandelten Kinder zeigten sich noch deutlich stärkere Effekte (Döpfner et al.
2004). Diese Effekte stabilisieren sich weitgehend in den folgenden Jahren (Döpfner et al.
2015b). Auch bei Kindern mit
ADHS, deren Müttern ebenfalls an ADHS leiden, lassen sich im Verlauf von THOP deutliche Verminderungen der ADHS-Symptome nachweisen, wie eine multizentrische Studie zeigt (Jans et al.
2015; Hautmann et al.
2018a).
Die Wirksamkeit von Eltern-Selbsthilfe-Intervention
en mit dem auf der Basis von THOP entwickelten Elternbuch „Wackelpeter & Trotzkopf“ (Döpfner und Schürmann
2023) und den daraus weiterentwickelten Eltern-Selbsthilfe-Programmen (Döpfner et al.
2021a,
b) wurde in mehreren Studien untersucht. Dabei konnten stabile Effekte in randomisierten Kontrollgruppenstudien mit Vorschulkindern bestätigt werden (Kierfeld et al.
2013; Ise et al. 2015). Auch bei Kindern, die pharmakologisch behandelt wurden und weiterhin deutliche psychosoziale Funktionsbeeinträchtigungen aufwiesen, konnten zusätzliche Effekte durch eine telefongestützte angeleitete Selbsthilfe nachgewiesen werden (Dose et al.
2017). Im Vergleich zu angeleiteter Eltern-Selbsthilfe auf der Basis eines humanistisch-nondirektiven Ansatzes zeigte sich das behaviorale Eltern-Selbsthilfeprogramm tendenziell überlegen, wobei diese Vorteile in der Nachuntersuchung verschwanden (Hautmann et al.
2018b). Der Einsatz des behavioralen Eltern-Selbsthilfeprogramms in der Routineversorgung erbrachte stabile Effekte (Döpfner et al.
2021). Mittlerweile sind auch eine Smartphone App (ADHS-Kids; Döpfner
2016) und ein internetbasiertes Elterntraining (ADHS-Elterntrainier; Döpfner und Schürmann
2017) entwickelt worden, deren Wirksamkeit aktuell untersucht wird (Döpfner et al.
2020a,
b).
Für die Arbeit mit Familien mit Jugendlichen, die an
ADHS leiden, kann das Modul Familienprobleme aus dem Therapieprogramm für Jugendliche mit Selbstwert-, Leistungs- und Beziehungsstörungen (SELBST-Familienprobleme; Rademacher und Döpfner
2024) eingesetzt werden, das auf international evaluierten Therapieprogrammen basiert, dessen Wirksamkeit im deutschen Sprachraum allerdings aber erst in Ansätzen evaluiert ist (Rademacher et al.
2017). Das modular aufgebaute schulbasierte Coaching bei Kindern mit expansivem Problemverhalten (SCEP, Hanisch et al.
2018) umfasst eine Gruppen-Schulung und ein Einzelcoaching von Lehrpersonal mit dem Ziel, expansives Problemverhalten (einschließlich ADHS-Symptomen) von Schülern zu vermindern. Eine Eigen-Kontrollgruppenstudie belegt die Wirksamkeit bei der Verminderung von Unaufmerksamkeit und oppositionellem Verhalten im Unterricht (Hanisch et al.
2020).
Von den im deutschen Sprachraum vorliegenden Therapieprogrammen mit primär patientenzentrierten Interventionen kann nach den Kriterien der deutschen Leitlinien (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und
Psychotherapie et al.
2018) keinem Programm eine gute empirische Evidenz bescheinigt werden. Drei Therapieprogramme erreichen eine moderate empirische Evidenz, d. h. es liegt mindestens eine in einer Zeitschrift mit Peer-review-System publizierten kontrollierten Studie (z. B. nicht randomisierte Kontrollgruppenstudie, Eigenkontrollgruppenstudie) mit signifikanten Effekten bezüglich ADHS-Symptomen vor. Danach werden dem Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern (Lauth und Schlottke
2009), dem Lerntraining LeJA für Jugendliche (Linderkamp et al.
2011) und dem Modul Leistungsprobleme (SELBST-Leistungsprobleme; Walter und Döpfner
2009) aus dem Therapieprogramm für Jugendliche mit Selbstwert-, Leistungs- und Beziehungsstörungen eine moderate Evidenz bescheinigt. Das Training zur Steigerung von Organisationsfähigkeit, Konzentration und Impulskontrolle bei Kindern mit
ADHS (THOKI) wurde auf der Grundlage der angloamerikanischen Trainings zur Verbesserung der Organisationsfähigkeit (z. B. Abikoff et al.
2013) entwickelt.