Akuttherapie der Hochrisiko-Lungenembolie
Bei Patienten mit bestätigter Lungenarterienembolie (LAE) und hämodynamischer Instabilität (Hochrisiko-Kategorie) besteht eine Assoziation zu einer hohen und frühen Letalitätsrate. Daher sind in solchen Situationen unter Fortführung von kreislauf- und atmungsunterstützenden Maßnahmen der sofortige Beginn einer therapeutischen Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin (UFH), i. d. R. noch vor Diagnosesicherung, sowie eine unverzügliche Reperfusionstherapie in Form einer systemischen Thrombolyse notwendig.
Als unterstützendes Verfahren kann die
extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) eine Option zur Stabilisierung der Hämodynamik bis zur Wirkung der Reperfusionstherapie darstellen (Meneveau et al.
2018) (Hobohm et al.
2021a). Eine systemische (intravenöse) Thrombolyse ermöglicht eine rasche
Auflösung von Thromben, die Wiedereröffnung der pulmonalarteriellen Strombahn und somit eine schnelle Entlastung des rechten Ventrikels durch Reduktion des pulmonalarteriellen Widerstands und Drucks. Somit ist
die systemische Thrombolyse die (potenziell lebensrettende) Therapie der Wahl bei Patienten mit hämodynamischer Instabilität. Diese Patienten profitieren durch eine rasche Verbesserung der klinischen und echokardiografischen Befunde. Epidemiologische Daten aus den USA und Deutschland zeigen, dass eine thrombolytische Therapie bei Patienten mit LAE und Schock mit einer beachtenswerten Reduktion der Letalität assoziiert ist (Keller et al.
2020). Allerdings zeigen diese epidemiologischen Daten auch, dass in Deutschland nur 23,1 % und in den USA nur 30 % der Hochrisiko-Patienten eine thrombolytische Therapie erhalten (Stein und Matta
2012). Der größte Nutzen wird beobachtet, wenn die Behandlung binnen 48 h nach Auftreten der Symptome begonnen wird. Eine systemische Thrombolyse kann jedoch auch bei Patienten mit seit zwischen 6 bis 14 Tagen bestehenden Symptomen noch nützlich sein. In Deutschland sind derzeit zur systemischen (intravenösen) Thrombolyse bei Patienten mit akuter LAE folgende Medikamente zugelassen: Alteplase (rt-PA, Dosierung: 10 mg Bolus gefolgt von 90 mg über 2 h; akzeleriertes Regime: 0,6 mg pro kg über 15 min) sowie ältere und nur noch selten eingesetzten Substanzen (Tab.
1; siehe Kap. „Thrombolytika“).
Tab. 1
Zugelassene und in Studien erprobte thrombolytische Behandlungsschemata für Patienten mit LAE. (Modifiziert nach Hobohm und Lankeit
2019)
Streptokinase | 250.000 IE als Initialdosis über 30 min, gefolgt von 100.000 IE/h über 12–24 h |
Beschleunigtes Regime: 1,5 Mio. IE über 2 h (empfohlen) |
(noch erhältlich in einigen europäischen Ländern) | 4400 IE/kg als Initialdosis über 10 min, gefolgt von 4400 IE/kg pro Stunde über 12–24 h |
Beschleunigtes Regime: 3 Mio. IE über 2 h (empfohlen) |
Alteplase | 100 mg über 2 h |
Beschleunigtes Regime: 0,6 mg/kg über 15 min (maximale Dosis 50 mg) |
Reteplase (nicht zugelassen) | 2 Bolus-Injektionen von je 10 IE im Abstand von 30 min |
Tenecteplase (nicht zugelassen) | Entsprechend dem Körpergewicht Bolus von 30 bis 50 mg über 5–10 s: |
| < 60 kg: ≥ 60 bis < 70 kg: ≥ 70 bis < 80 kg: ≥ 80 bis < 90 kg: ≥ 90 kg: | 30 mg 35 mg 40 mg 45 mg 50 mg |
Bei Vorliegen von absoluten oder relativen Kontraindikationen (Tab.
2) zur systemischen Thrombolyse
können interventionelle, kathetergestützte Verfahren (wie Thrombusdefragmentation, rheolytische Thrombektomie, Aspirationsthrombektomie oder eine Rotationsthrombektomie), aber auch kombinierte pharmakomechanische Verfahren mit lokaler Thrombolyse mit und ohne Ultraschallunterstützung angewendet werden. Die Durchführung einer lokalen Thrombolyse basiert auf der Annahme, durch eine deutliche Verringerung der applizierten Gesamtdosis des thrombolytischen Agens das assoziierte Blutungsrisiko im Vergleich zur systemischen Thrombolyse vermindern zu können. Die Ergebnisse von 2 randomisierten und 1 prospektiven Kohortenstudie sowie von kürzlich publizierten Registerdaten deuten darauf hin, dass die ultraschallverstärkte, katheterassistierte, niedrig-dosierte lokale Thrombolyse (10 bis 24 mg rtPA) eine effektive Behandlungsoption (Reduktion des echokardiografischen RV/LV-Verhältnisses nach 24 h/48 h) mit niedrigem Blutungsrisiko darstellen könnte (Kucher et al.
2014; Piazza et al.
2015; Tapson et al.
2018). Darüber hinaus zeigten epidemiologische Daten aus Deutschland eine sichere und effektive Behandlung mit katheterges
tützter Thrombolyse bei Patienten mit hämodynamischer Instabilität im Vergleich zur Behandlung mit systemischer Thrombolyse – ein prospektiver, randomisierter Vergleich ist jedoch noch ausstehend (Hobohm et al.
2021b). Auch die chirurgische Embolektomie stellt eine Alternative zur systemischen Thrombolyse oder Katheterintervention dar. Darüber hinaus kann die chirurgische Embolektomie bei Patienten mit offenem Foramen ovale und drohender paradoxer Embolie die Therapie der Wahl sein.
Tab. 2
Kontraindikationen für eine systemische Thrombolyse. (Aus Martin et al.
2016)
Absolut • Hämorrhagischer Schlaganfall oder Schlaganfall unbekannter Ursache zu irgendeinem Zeitpunkt • Ischämischer Schlaganfall in den vergangenen 6 Monaten • Schädigung oder Neoplasien des zentralen Nervensystems • Schweres Trauma/Operation/Kopfverletzung in den vergangenen 3 Wochen • Gastrointestinale Blutung innerhalb des vergangenen Monats • Bekanntes Blutungsrisiko | Relativ • Transiente ischämische Attacke in den vergangenen 6 Monaten • Therapie mit oralen Antikoagulanzien • Schwangerschaft oder 1. postpartale Woche • Nicht-komprimierbare Punktionsstelle • Traumatische Reanimation • Fortgeschrittene Lebererkrankung • Aktives Magenulkus |
Zur Optimierung und Beschleunigung des therapeutischen Managements von hämodynamisch beeinträchtigten Patienten mit akuter LAE werden in US-amerikanischen Krankenhäusern, aber auch zunehmend in Europa, interdisziplinäre „Pulmonary Embolism Response Teams“ (PERT)
eingerichtet. Durch eine zeitnahe Aktivierung dieser multidisziplinären Expertenteams kann im Konsens ein individualisiertes therapeutisches Vorgehen unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen festgelegt werden. Erste Erfahrungen unter Anwendung moderner Web-basierter Systeme sind vielversprechend, sodass die Etablierung solcher Expertenteams mit Rufbereitschaft nach Überwindung logistischer Herausforderung auch in Deutschland eine Bereicherung für die individualisierte Therapie von Patienten mit hohem oder intermediär-hohem Risiko darstellen kann (Kabrhel et al.
2016).
Akuttherapie der Nicht-Hochrisiko-Lungenembolie
Bei
hämodynamisch stabilen (Nicht-Hochrisiko-) Patienten mit akuter LAE wird initial eine parenterale Therapie mit niedermolekularem Heparin oder Fondaparinux bzw. alternativ eine orale Antikoagulation mit Apixaban oder Rivaroxaban eingeleitet (Tab.
3 und
4; siehe Kap. „Vitamin-K-unabhängige orale Antikoagulantien“ und „Heparine und andere parenterale Antikoagulantien“). Auch bei Patienten mit „
intermediär hohem Risiko“ ist eine Antikoagulationstherapie ausreichend. Trotz des Vorliegens einer RV-Dysfunktion wird in dieser Risikokategorie eine Reperfusionstherapie mit systemischer Thrombolyse nic
ht empfohlen, da die Risiken von lebensbedrohlichen Blutungskomplikationen gegenüber dem Nutzen der Behandlung unverhältnismäßig hoch sind (Meyer et al.
2014). Bei Anzeichen einer drohenden hämodynamischen Dekompensation muss jedoch die Notwendigkeit einer Reperfusionstherapie reevaluiert werden.
Tab. 3
Dosierungsschemata von parenteralen Antikoagulanzien für die Therapie der LAE. (Modifiziert nach Hobohm und Lankeit
2019)
UFH | Unfraktioniertes Heparin (UFH) | Bolus 80 IE/kg KG i. v. und folgend kontinuierlich 18 IE/kg KG/h | Ziel: 1,5- bis 2-fache Verlängerung der aPTT |
Niedermolekulare Heparine (s. c.) | |
Dalteparin | Fragmin® | 100 IE/kg 2-mal täglich 200 IE/kg 1-mal täglich: < 57 kg 10.000 IE 1-mal täglich 57–68 kg 12.500 IE 1-mal täglich 69–83 kg 15.000 IE 1-mal täglich > 83 kg 18.000 IE 1-mal täglich | |
Enoxaparin | Clexane® | 1 mg/kg 2-mal täglich bei GFR < 30 ml/min: 1 mg/kg 1-mal täglich | |
Tinzaparin | Innohep® | 175 IE/kg 1-mal täglich | Maximal 20.000 IE pro Tag; Vorsicht bei Patienten mit Asthma |
Fondaparinux | Arixtra® | < 50 kg 5 mg 1-mal täglich 50–100 kg 7,5 mg 1-mal täglich > 100 kg 10 mg 1-mal täglich | Kontraindiziert bei GFR < 30 ml/min |
Tab. 4
DOAKs zur Antikoagulation b
ei LAE (Modifiziert nach Hobohm und Lankeit
2019)
Apixaban | Eliquis® | 10 mg 2-mal täglich (7 Tage) | 5 mg 2-mal täglich | 2,5 mg 2-mal täglich (nach frühestens 6 Monaten) |
Edoxaban | Lixiana® | Parenterale Antikoagulation (5–10 Tage) | 60 mg 1-mal täglich (30 mg 1-mal täglich bei ausgewählten Patienten) | |
Rivaroxaban | Xarelto® | 15 mg 2-mal täglich (21 Tage) | 20 mg 1-mal täglich (15 mg 1-mal täglich bei ausgewählten Patienten) | 10 mg 1-mal täglich (nach frühestens 6 Monaten) |
Dabigatran etexilate | Pradaxa® | Parenterale Antikoagulation (5–10 Tage) | 150 mg 2-mal täglich (110 mg 2-mal täglich bei ausgewählten Patienten) | |
Hämodynamisch stabile Nicht-Hochrisiko-Patienten und Patienten mit intermediär hohem Risiko werden unverzüglich therapeutisch antikoaguliert, profitieren aber nicht von zusätzlichen Thrombolytika.
Die Verwendung von
Vena-cava-Filtern ist nur im Ausnahmefall bei wenigen Patienten eine Therapieoption. Hierzu zählen Patienten mit einer absoluten Kontraindikation gegen eine therapeutische Antikoagulation, Patienten mit objektiv gesichertem Rezidiv einer
Venösen Thromboembolie (
VTE) unter adäquater Antikoagulation oder zeitlich begrenzte Umstände, z. B. eine unaufschiebbare Operation, die ein Pausieren der Antikoagulation erfordert. Auch bei Patienten mit einer aktiven Krebserkrankung kann die
Insertion von
Filtern erwogen werden, sofern es unter adäquat dosierter Antikoagulation zum Rezidiv einer VTE oder zu einer schweren Blutung
gekommen ist. Die flächendeckende Verwendung von
Vena-cava-Filtern wird u. a. aufgrund häufiger Komplikationen nicht empfohlen. Grundsätzlich sollten Vena-cava-Filter so zeitnah wie möglich bei vorliegender Option auf adäquate Antikoagulation wieder entfernt werden.
Antikoagulationskonzept bei einer Lungenembolie
Alle Patienten mit LAE
benötigen eine therapeutische Antikoagulation über mindestens 3–6 Monate.
Initial sollte eine Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin (NMH), Fondaparinux oder alternativ mit einem direkten oralen Antikoagulanz (DOAK) eingeleitet werden (Linnemann et al.
2023). Sobald der Patient aus dem Krankenhaus entlassen werden kann, ist zur ambulanten Therapie eine orale Antikoagulation mit einem DOAK (Apixaban, Dabigatran, Edoxaban oder Rivaroxaban) der Behandlung mit einem Vitamin-K-Antagonist (VKA) generell vorzuziehen (Tab.
4). Die Anwendung von VKAs ist vor allem durch ihr enges therapeutisches Fenster, Medikamenten- und Nahrungsmittelinteraktionen, inter- und intraindividuelle Wirkungsunterschiede sowie die variable
Pharmakokinetik und -dynamik und der damit verbundenen Notwendigkeit der Dosisanpassung inklusive Monitoring (INR-Messung) limitiert (siehe Kap. „Vitamin-K-Antagonisten“). Bei schwangeren Patientinnen sowie bei Patienten mit schwerer
Niereninsuffizienz sind beide, DOAKs und VKAs, hingegen in den allermeisten Fällen kontraindiziert. Bei schwangeren Patientinnen wird eine auf das Körpergewicht abgestimmte feste Dosierung der NMH zur Behandlung der LAE empfohlen (siehe Kap. „Schwangerschaftsassoziierte venöse Thromboembolie“). Nur Patienten mit einem nachgewiesenen Antiphospholipid-Syndrom (APS) und venöser Thrombose mit Nachweis von ACL und/oder b2GPL können mit einem DOAK behandelt werden. Alle anderen APS-Konstellationen (arterielle Thrombosen, Tripel-Positivität [Lupus-Antikoagulans plus Antikardiolipin-Antikörper plus Beta2-Glykoprotein-I-Antikörper] oder APS mit CTEPH) sollten grundsätzlich mit einem VKA behandelt werden, da in diesem Fall eine Therapie mit DOAKs unzureichend ist (Linnemann et al.
2023). Eine Testung auf das Vorliegen eines APS wird allerdings nur bei konkretem klinischem Verdacht und nicht routinemäßig empfohlen (Bauersachs et al.
2019).
Patienten mit aktiver Krebserkrankung waren bisher ausschließlich für eine therapeutische Antikoagulation mit NMH vorgesehen. Mehrere randomisiert-kontrollierte Studien lassen jedoch annehmen, dass auch der Einsatz von
Faktor-Xa-Inhibitoren bei Patienten mit aktiver Krebserkrankung effektiv und sicher ist. So zeigte eine Therapie mit Edoxaban (60 mg 1-mal täglich nach 5-tägiger parenteralen Antikoagulation) in der Hokusai-VTE-Cancer-Studie bei 1046 Patienten eine vergleichbare Wirksamkeit (Hazard Ratio [HR] 0,97 für VTE-Rezidive; 95 % KI 0,70–1,36) bei gleichzeitig etwas höherer Rate an
schweren Blutungen (6,9 % versus 4,0 %; HR 1,77; 95 % KI 1,0–3,04) im Vergleich zu einer Therapie mit Dalteparin. Auch eine Therapie mit Rivaroxaban war im Vergleich zu Dalteparin bei 406 Patienten mit Krebs und
VTE mit einer besseren Effektivität (erneute VTE: HR 0,43; 95 % KI 0,19–0,99), aber höherem Blutungsrisiko (klinisch relevante Blutungen: HR 3,76; 95 % KI 1,63–8,69) assoziiert. Vergleichsweise niedrig waren die Blutungsraten dagegen in der Caravaggio-Studie mit Apixaban. Im 6-monatigen Studienverlauf kam es in der Apixaban-Gruppe bei 5,6 % der Patienten zu einem erneuten VTE-Ereignis versus 7,9 % in der Dalteparin-Gruppe (HR 0,63; 95 % KI 0,37–1,07). Schwere Blutungen traten in beiden Gruppen vergleichbar oft auf (schwere Blutungen: HR 0,82; 95 % KI 0,40–1,69). Die Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass die Anwendung von Faktor-Xa-Inhibitoren zur therapeutischen Antikoagulation bei VTE-Patienten eine effektive und meist sichere Alternative zur Therapie mit NMH darstellen kann. Allerdings ist bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren Vorsicht geboten, da bei ihnen unter Edoxaban oder Rivaroxaban vermehrt Blutungen auftraten (siehe Kap. „Malignom-assoziierte venöse Thromboembolie“).
Prinzipiell gilt, dass nach 3–6 Monaten die Antikoagulation beendet werden kann, insofern die LAE durch einen starken temporären/reversiblen Thromboserisikofaktor ausgelöst wurde. Dazu gehören:
Seit der Beschreibung der Trias zur Entstehung einer venösen Thrombose (Endothelalteration, Stase und Hyperviskosität des Blutes) im Jahr 1856 durch Rudolf Virchow ist bekannt, dass eine Vielzahl von Faktoren zur Entstehung einer Thrombose beitragen, sodass auch das Risiko für ein Rezidiv als Konsequenz aus dem Zusammenwirken von verschiedenen situations- und patientenbezogenen Risikofaktoren verstanden werden muss. Als situationsbezogene Risikofaktoren gelten reversible oder temporär begrenzte Umstände (wie z. B. eine Hüft- oder Kniegelenksersatzoperation oder ein schweres Trauma), während patientenbezogene Risikofaktoren Grunderkrankungen und permanente Zustände (wie z. B. eine Hemiparese nach Apoplex oder eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung) beinhalten (siehe Kap. „Epidemiologie, Risikofaktoren und spezielle Pathophysiologie bei Lungenembolie“ und „Risikofaktoren für Rezidive venöser Thromboembolien“). In einer Kohortenstudie mit 1626 Patienten mit proximaler
Beinvenenthrombose oder LAE betrug die kumulative Inzidenz für ein Rezidiv 11 % nach 1 Jahr, 20 % nach 3 Jahren, 29 % nach 5 Jahren und 40 % nach 10 Jahren (Prandoni et al.
2007). Patienten mit LAE ohne starken temporären/reversiblen Thromboserisikofaktor sind prinzipiell durch ein relativ hohes Risiko für LAE- (und Venenthrombose-) Rezidive und der damit assoziierten Morbidität und Mortalität gefährdet. Daher ist bei Patienten mit schwachen temporären/reversiblen Thromboserisikofaktors (z. B. eine lange Reise als möglicher Auslöser) oder bei denen kein Risikofaktor identifiziert werden kann, eine
verlängerte medikamentöse Sekundärprophylaxe zu erwägen. Dabei wird die Weiterführung versus Beendigung der therapeutischen Antikoagulation in regelmäßigen (z. B. jährlichen) Verlaufskontrollen überprüft und richtet sich nach dem individuellen Risikoprofil des Patienten für das Auftreten eines Rezidivs (Tab.
5) sowie nach dem Risiko für Blutungskomplikationen (Tab.
6). Für weitere detaillierte Ausführungen wird auf das Kap. „Verlängerte medikamentöse Sekundärprophylaxe venöser Thromboembolien“ verwiesen.
Niedriges Rezidivrisiko (< 3 % pro Jahr) | Starke temporäre/reversible Thromboserisikofaktoren (OR > 10) | • Schweres Trauma mit Knochenfrakturen • Operationen mit einer Narkosedauer von > 30 min • Bettlägerigkeit über ≥ 3 Tage wegen akuter Erkrankung oder akuter Exazerbation einer chronischen Erkrankung |
Intermediäres Rezidivrisiko (3–8 % pro Jahr) | Schwache temporäre/reversible Thromboserisikofaktoren | • Kleine Operation (Vollnarkose für < 30 min) • Stationäre Aufnahme für < 3 Tage mit akuter Erkrankung • Östrogentherapie/Kontrazeption • Außerhalb des Krankenhauses für ≥ 3 Tage mit akuter Erkrankung bettlägerig • Beinverletzung (ohne Fraktur) verbunden mit eingeschränkter Beweglichkeit für ≥ 3 Tage • Langstreckenflug • Entzündliche Darmerkrankung • Aktive Autoimmunerkrankung |
Kein Risikofaktor | |
Hohes Rezidivrisiko (> 8 % pro Jahr) | | • Aktive Krebserkrankung • Eine oder mehrere frühere VTE-Episoden ohne Vorliegen eines wichtigen vorübergehenden oder reversiblen Faktors • Antiphospholipid-Syndrom |
Tab. 6
VTE-BLEED-Score z
ur Abschätzung des Blutungsrisikos. (Modifiziert nach Hobohm und Lankeit
2019)
Aktive Krebserkrankung | 2 |
Männer mit systolischem Blutdruck > 140 mmHg | 1 |
| 1,5 |
Z. n. Blutung | 1,5 |
Alter ≥ 60 Jahre | 1,5 |
| 1,5 |
Risikoklassen |
Niedriges Risiko | < 2 |
Hohes Risiko | ≥ 2 |
Alle Patienten mit LAE sollten für mindestens 3–6 Monate eine orale Antikoagulation erhalten. Danach sollte eine verlängerte medikamentöse Sekundärprophylaxe in Erwägung gezogen werden, wenn die LAE nicht durch einen starken reversiblen/temporären Risikofaktor (große Operation, schwere Verletzung – insbesondere der unteren Extremitäten – mit Immobilisation) ausgelöst wurde.
Neben dem Risiko für ein VTE-Rezidiv sollten immer auch die möglichen Nebenwirkungen einer verlängerten Antikoagulation
beachtet werden. Die häufigste und schwerwiegendste Komplikation einer therapeutischen Antikoagulation ist das Auftreten von schweren Blutungen (2,4 bis 7,7 pro 100 Patientenjahre). In einer
Metaanalyse von 10 Studien mit 35.029 Patienten mit
VTE betrug die Rate an schweren
Blutungen 0,58 % pro 100 Patientenjahre für Patienten, die mit einem DOAK behandelt wurden (verglichen mit 1,6 % für Patienten, die mit VKA behandelt wurden) (Sharma et al.
2015). Während für Patienten mit
Vorhofflimmern zahlreiche Scores zur Abschätzung des Blutungsrisikos zur Verfügung stehen und die Anwendung durch aktuelle Leitlinien empfohlen wird, ist nur in wenigen Studien evaluiert, welche Kriterien zur Abschätzung des individuellen Blutungsrisikos bei Patienten mit einer LAE angewendet werden sollten (Klok et al.
2015). Der sog. VTE-BLEED-Score wurde entwickelt, um eine Abschätzung des Blutungsrisikos für Patienten mit einer LE sowohl unter stabiler Antikoagulation mit einem VKA als auch mit DOAKs zu ermöglichen (Klok et al.
2017). Hierbei sind verschiedene gewichtete Parameter, die eine Blutung begünstigen, als zu berechnender Score aufgeführt (Tab.
6).
Therapie der inzidentellen Lungenembolie oder der isolierten subsegmentalen Lungenembolie
In etwa 1–2 % aller CT-Thorax-Untersuchungen kann eine inzidentelle „zufällige“
Lungenembolie (LAE)
ohne Vorliegen eines klinischen Verdachts bzw. von Symptomen nachgewiesen werden. Diese Zufallsbefunde werden vor allem bei Patienten mit Tumorerkrankungen, aber auch Patienten mit
Herzinsuffizienz oder
Vorhofflimmern diagnostiziert (Farrell et al.
2010). Bei Patienten mit einer Krebserkrankung ohne klinischen Verdacht auf eine LAE wird diese oft bei einer Routine-CT-Untersuchung zufällig nachgewiesen. Da Patienten mit einer
venösen Thromboembolie bei aktiver Krebserkrankung eine LE-Rezidivrate bis zu 20 % in den ersten 12 Monaten aufweisen (Hutten et al.
2000), sollte eine zufällig erkannte (inzidentelle) LAE in diesen Fällen wie eine symptomatische LAE behandelt werden (Linnemann et al.
2023). Darüber hinaus gilt im Hinblick auf die Therapiedauer, dass bei Patienten mit einer aktiven Krebserkrankung und inzidenteller Lungenembolie eine verlängerte medikamentöse Sekundärprophylaxe in Erwägung gezogen werden sollte (siehe Kap. „Verlängerte medikamentöse Sekundärprophylaxe venöser Thromboembolien“). Die Datenlage zum therapeutischen Vorgehen bei inzidenteller Lungenembolie ist derzeit allerdings unbefriedigend.
Eine zufällig erkannte (inzidentelle) LAE bei Patienten mit Krebserkrankung sollte wie eine symptomatische LAE behandelt werden.
Neben der inzidentellen LAE ist auch die klinische Bedeutung einer isolierten subsegmentalen LAE bei der CT-Pulmonalisangiografie umstritten. Isolierte subsegmentale LAEs wurden mittels CT-Angiografie der 1. Generation (Einzeldetektor) bei 4,7 % (95 % KI 2,5–7,6 %) der Patienten mit Verdacht auf eine LAE diagnostiziert. Bereits vor 10 Jahren stieg die Rate auf 9,4 % (95 % KI 5,5–14,2 %) in der Ära der Multidetektor-CT-Pulmonalisangiografie an (Carrier et al.
2010). Der positiv-prädiktive Wert und die Übereinstimmung der Untersucher bei der Diagnose einer subsegmentalen LAE sind bei solchen distalen Befunden niedrig (Stein et al.
2012).
Bei fehlender oder untypischer klinischer Symptomatik sollte daher beim CT-Angiografiebefund einer isolierten, subsegmentalen LAE an die Möglichkeit eines falsch-positiven Befundes gedacht werden (Linnemann et al.
2023)
Eine Kompressionsultrasonografie (KUS) der Beinvenen kann sowohl bei einer isolierten subsegmentalen LAE als auch der inzidentellen LAE im Hinblick auf die therapeutische Entscheidung Hilfe leisten. Bei einem positiven Befund (Thrombusnachweis in den tiefen Beinvenen) unterstützt die KUS die Entscheidung für eine therapeutische Antikoagulation. Bei Patienten mit einer aktiven Krebserkrankung sollte eine therapeutische Antikoagulation sowohl bei der inzidentellen als auch der isolierten subsegmentalen LAE unter Berücksichtigung des individuellen Blutungsrisikos erwogen werden. Eine Indikation zur therapeutischen Antikoagulation besteht bei einer inzidentellen LAE, wenn zusätzlich lobäre oder noch zentralere Lokalisationen von
Thromboembolien vorliegen. Die Art der therapeutischen Antikoagulation richtet sich im Endeffekt nach der vorliegenden Grunderkrankung und den Risikofaktoren für die Entstehung der LAE als auch nach dem individuellen Blutungsrisiko.