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Die Ärztliche Begutachtung
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Publiziert am: 15.11.2022

Venenkrankheiten – Begutachtung

Verfasst von: Matthias Knittel
Die Gesamtprävalenz der Varikosis liegt in Deutschland für isolierte Krampfadern bei 14,3 %, bei Männern 5–15 %, bei Frauen 15–30 %. Die Häufigkeit des floriden oder abgeheilten Ulcus cruris liegt bei 0,7 %. Besenreiser und Teleangiektasien sind mit einer Prävalenz von 59 % häufig (Rabe et al. 2003).

Primäre Varikosis

Epidemiologie

Die Gesamtprävalenz der Varikosis liegt in Deutschland für isolierte Krampfadern bei 14,3 %, bei Männern 5–15 %, bei Frauen 15–30 %. Die Häufigkeit des floriden oder abgeheilten Ulcus cruris liegt bei 0,7 %. Besenreiser und Teleangiektasien sind mit einer Prävalenz von 59 % häufig (Rabe et al. 2003).

Kernsymptome

Die Varikosis kann mit oder ohne Beschwerden vorkommen. Typische Symptome sind Ödeme und/oder Hautveränderungen, die im Rahmen der chronisch venösen Insuffizienz auftreten. Unbehandelt führt die medizinisch bedeutsame Varikosis – insbesondere mit Stammvenen- und Perforansinsuffizienz – häufig zu Komplikationen (Pannier et al. 2019).
Die subjektiven Beschwerden korrelieren nicht immer mit dem klinischen Befund. So kann schon bei leichten Ödemen ein erhebliches Spannungs- und Schweregefühl vorhanden sein, während bei schweren Ödemen manchmal kaum Beschwerden vorgetragen werden. Als Folge der chronischen Stauungsödeme können im Laufe der Zeit schwere trophische Hautstörungen bis hin zum Ulcus cruris venosum entstehen. Als sekundäre Komplikationen der Varikosis können Thrombophlebitiden auftreten, welche wiederum als Komplikation tiefe Beinvenenthrombosen nach sich ziehen können.
Venektasien ohne Thromboseanamnese bei familiärer Belastung weisen auf eine primäre Varikosis hin.
Zur Charakterisierung der Varikosis und ihrer Auswirkungen sollte im Zusammenhang mit der Diagnosestellung eine Stadienangabe unter Verwendung des CEAP-Systems, einem anerkannten Klassifikations-System erfolgen (Pannier et al. 2019; Eklöf et al. 2004). Wichtig zur Beurteilung sind die Anamnese, der klinische Befund und die Farbduplexsonografie. Das funktionelle Ausmaß wird mit Funktionsprüfungen wie beispielsweise der Lichtreflexionsrheografie (LLR) oder der Venenverschlussplethysmographie(VVP) beurteilt.
Zur Ermittlung der zugrunde liegenden Hämodynamik der Varikosis sollte die Farbduplexsonografie am stehenden Patienten durchgeführt werden. Hier kann dann auch differenziert werden, ob es sich um eine primäre oder sekundäre Varikosis, die zum Beispiel auf dem Boden eines postthrombotischen Syndroms entstanden ist, handelt.
Die phlebographische Darstellung der Beinvenen sollte nach den aktuellen Leitlinienempfehlungen in der Diagnostik der Varikosis nicht mehr angewendet werden (Pannier et al. 2019).

Ätiopathogenese

Ätiologisch entscheidend ist die genetische Disposition. Bei der primären Varikosis lässt sich zwischen der Stamm- und Seitastvarikosis, Perforansvarikosis und der kutanen- sowie Besenreiservarikosis unterscheiden. Besenreiservarizen betreffen kleine, oberflächliche dilatierte Venen und haben im Regelfall klinisch keine Relevanz.
Auslösend ist eine Druckerhöhung in den Venen, die bei der primären Varikosis in der Regel durch eine Klappeninsuffizienz bedingt ist. Bei den sekundären Varizen tritt die Druckerhöhung durch venöse Abflusshindernisse in der tiefen Abstrombahn auf. Alleinige Stauung ohne Disposition führt nicht zur Varikosis. Die Häufigkeit und Ausdehnung der Varikosis steigt mit dem Lebensalter, der Zahl der Schwangerschaften und der Stehbelastung. Unklar ist die Bedeutung einer Adipositas für die Entstehung einer Varikosis.

Therapieoptionen

Die Behandlung der Varikosis hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt. Früher war der Goldstandard der Behandlung die chirurgische Behandlung mit Entfernen oder Ligatur der erkrankten Venen (beispielsweise mittels Crossektomie und Stripping der Stammvenen in Kombination mit Seitastexhairese). Zwischenzeitlich werden immer mehr Behandlungen der Varikosis endovenös durchgeführt. Hierbei ist das Ziel, einen Verschluss der erkrankten Stammvenen (beispielsweise mittels endovenöser Laser- oder Radiowellentherapie) in Kombination mit Sklerosierungsbehandlung der abgehenden Seitastvarizen oder Seitastexhairese, zu erzielen. Im Bereich der konservativen Therapie steht die Kompressionstherapie an erster Stelle. Supportiv können auch bestimmte Medikamente (zum Beispiel Rosskastanien- oder Rotes-Weinlaub-Präparate) die Symptomatik bessern.

Gutachtliche Bewertung

Varikosis als mögliche Schädigungsfolge nach dem sozialen Entschädigungsrecht (Grad der Schädigungsfolge GdB) bzw. der gesetzlichen Unfallversicherung (Minderung der Erwerbsfähigkeit MdE) ist nur beim traumatisch bedingten postthrombotischen Syndrom als Folge einer tiefen Beinvenenthrombose und somit im Sinne einer sekundären Varikosis denkbar. Darüberhinaus ist die Varkosis auch für den Grad der Behinderung (GdB) im rein final zu betrachtenden Schwerbehindertenrecht relevant.
In leichten Fällen liegt kein Schaden im Sinne der VersMedV und der „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ vor (GdS/GdB 0–10 %). Auch die Erwerbsfähigkeit bleibt grds uneingeschränkt erhalten. Arbeiten, die überwiegend im Stehen und somit unter Orthostasebedingungen oder in Wärme ausgeführt werden müssen, sind jedoch nicht zu empfehlen. Bei erheblicher Ödembildung und häufig rezidivierenden Entzündungen steigt der GdS/GdB auf ca. 20–30 % an. Bei der Bewertung der MdE muss auch der Grad der Umsetzung therapeutischer Maßnahmen (Mitwirkungspflicht), insbesondere der Kompressionstherapie, Berücksichtigung finden.
In schweren Fällen, die einer konservativen oder operativen Therapie nicht zugänglich sind und zu ulzerösen Hautveränderungen führen, kann es erforderlich sein, das betroffene Bein regelmäßig hochzulagern. Es können dann nur noch leichte Arbeiten in zeitlich eingeschränktem Rahmen durchgeführt werden (GdS/GdB 30–50 %). In der Rentenversicherung kann dies zur teilweisen Erwerbsminderung, in einzelnen schweren Fällen der chronisch-venösen Insuffizienz sogar zur vollen Erwerbsminderung führen. In der gesetzlichen Unfallversicherung kann sich dies entsprechend auf die MdE auswirken.
Akute oberflächliche Venenthrombosen (Varikothrombophlebitiden) können eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung bedingen.

Phlebothrombose

Epidemiologie

In der Allgemeinbevölkerung liegt die Inzidenz der tiefen Venenthrombose (TVT) im Mittel bei ca. 1–2 Fälle pro 1000 Einwohner pro Jahr (Hach-Wunderle et al. 2015). Mit steigendem Alter kommt es zu einem exponentiellen Anstieg der Thrombosehäufigkeit von 1:10.000 bei 20- bis 30-Jährigen auf 1:1000 bis 1:100 bei über 50- bis 90-Jährigen (Ludwig 2019)
Knapp ein Drittel der Patienten zeigen primär die Symptome einer Lungenembolie (White 2003).

Kernsymptome

Die Symptome einer tiefen Venenthrombose (Ödem, Schmerz, Spannungsgefühl, Zyanose, verstärkte Venenzeichnung) und die klassischen klinischen Zeichen der TVT (Homans, Sigg, Payr, Bisgaard und andere) haben zwar bei ambulanten Patienten eine Sensitivität von 60 bis 90 %, sind jedoch unspezifisch und führen somit zu vielen falsch-positiven Befunden (Goodacre et al. 2005; Hach-Wunderle et al. 2015).
Der diagnostische Prozess sollte mit einer Einschätzung der sogenannten klinischen Wahrscheinlichkeit beginnen. Hierzu eignen sich validierte Scores, insbesondere der Wells-Score (Wells et al. 1995; Hach-Wunderle et al. 2015). → Tab. 1
Tab. 1
Wells Score-zur Einschätzung der der klinischen Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer tiefen Venenthrombose
Klinische Charakteristik
Score
Aktive Tumorerkrankung
1
Lähmung oder kürzliche Immobilisation der Beine
1
Bettruhe (> 3 Tage); große Chirurgie (<12 Wochen)
1
Schmerz/Verhärtung entlang der tiefen Venen
1
Schwellung ganzes Bein
1
Unterschenkelschwellung > 3 cm gegenüber Gegenseite
1
Eindrückbares Ödem am symptomatischen Bein
1
Kollateralvenen
1
Frühere dokumentierte TVT
1
Alternative Diagnose mindestens ebenso wahrscheinlich wie Venenthrombose
−2
Score ≥ 2: Wahrscheinlichkeit für TVT hoch;
Score < 2: Wahrscheinlichkeit für TVT nicht hoch
Zeigt sich ein erhöhter Wells-Score, sollte unmittelbar eine Kompressionssonografie als weitere Diagnostik durchgeführt werden. Bei klinisch geringer Thrombose-Wahrscheinlichkeit erfolgt die D-Dimer-Bestimmung (ggf. auch altersadjustiert). Bei positivem D-Dimer erfolgt ebenfalls eine Kompressionssonografie, bei negativem D-Dimer-Wert ist keine weitere Diagnostik erforderlich.
Der Ablauf nach den aktuellen Leitlinien ist in Abb. 1 zusammengefasst:
Im Rahmen der klinischen Untersuchung zur Erfassung einer Thrombose fällt neben klinischen Zeichen und Tests zudem in der Regel eine ödematöse, asymmetrische Schwellung der betroffenen Extremität auf. Diese klinischen Zeichen sind jedoch nicht sehr zuverlässig. So bleibt die Thrombose besonders bei bis zu einem Drittel bettlägeriger Patienten klinisch stumm und eine Lungenembolie ist nicht selten das erste Symptom der Krankheit.
Mit zunehmendem Thrombuswachstum kommt es vor allem über eine Verlegung der Kollateralvenen zu einer mehr oder weniger schmerzhaften venösen Stauung, bis hin zur sehr selten vorkommenden Phlegmasia coerulea dolens (totale Thrombose aller venösen Gefäße der Extremität mit schwerer Ischämie und Schock). In der Folge einer Thrombose kann bei Zerstörung der Venenklappen eine chronisch-venöse Insuffizienz mit postthrombotischem Syndrom auftreten.

Ätiopathogenese

Die wichtigsten pathogenetischen Faktoren einer Phlebothrombose erklären sich mit der sogenannten Virchowschen Trias. Es sind dies Gefäßwandläsionen, verlangsamte Blutströmung und erhöhte Gerinnungsneigung des Blutes. Stark wirkende Risikofaktoren sind große chirurgische Eingriffe, insbesondere Hüft- oder Knieendoprothetik oder erhebliche Traumata, wie insbesondere Becken- und Beinbrüche sowie Rückenmarksverletzungen (Anderson und Spencer 2003). Schwächere Risikofaktoren sind Malignome, frühere Thrombose, Herzinsuffizienz, Ateminsuffizienz, längere Immobilität, Gravidität, Östrogentherapie und Übergewicht.
Traumata führen lokal über den Endothelschaden, aber auch traumafern durch die Einschwemmung von Thromboplastinen zu einer erhöhten Gerinnungsneigung. Inaktivität (Bettruhe, Gipsverband, Lähmung) ist ein wichtiges auslösendes Moment. Als weitere Ursachen sind Strömungshindernisse anerkannt – etwa Tumoren, Lymphome – oder einschnürende Maßnahmen wie Verbände oder Gipsmanschetten. Zu beachten sind auch hereditäre Gerinnungsstörungen, welche in unterschiedlichem Ausmaß das Thromboserisiko steigern können. Des Weiteren stellt auch eine durchgemachte Thrombose/Lungenembolie wiederum ein erhöhtes Thromboserisiko dar.
Gegenüber den häufigen Becken-/Beinvenenthrombosen nehmen die mit 2 % seltenen Schulter-/Armvenenthrombosen (Effort-Syndrom, Paget-von-Schroetter-Syndrom) eine Sonderstellung ein. Sie treten oft ohne erkennbare Ursache bei jungen Menschen nach sportlicher Betätigung („par effort“) auf. Angeschuldigt wird eine kostoklavikuläre oder auch tendinomuskuläre Kompression. Auch Tumoren, Strahlenschäden oder Operationsnarben kommen als Ursache in Frage. Häufigste Ursachen für Thrombosen der Vena subclavia sind in den letzten Jahren aber die zentralen Venenkatheter (inkl. Port-Systemen) geworden.

Therapieoptionen

Das Ziel der Akutbehandlung der tiefen Venenthrombose besteht vordringlich darin, zum einen das Risiko einer Embolisierung in die Lungenarterienstrombahn zu minimieren. Zum anderen gilt es, das Wachstum des Thrombus zu stoppen und die Voraussetzungen für eine Thrombusauflösung durch körpereigene Fibrinolyse zu verbessern, um das Auftreten und den Schweregrad eines postthrombotischen Syndroms zu vermindern (Hach-Wunderle et al. 2015). Als Grundlage der Therapie eine tiefen Venenthrombose werden die Antikoagulation, Kompressionstherapie und ggf. bei iliacalen Thrombosen auch rekanalisierende Maßnahmen gesehen. Sofort nach Diagnosestellung sollte eine therapeutische Antikoagulation begonnen werden. Hierfür stehen unterschiedliche Präparate zur Verfügung (unkfraktioniertes Heparin, niedermolekulare Heparine, Fondaparinux, Vitamin-K-Antagonisten und die „Nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulantien“ (NOAK) wie Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban und Dabigatran) zur Verfügung. Die Antikoagulationsdauer richtet sich nach unterschiedlichen Faktoren wie beispielsweise Lokalisation der Thrombose (proximal/distal), Genese (idiopathisch/provoziert), Rezidivereignis oder Blutungsrisiko.
Patienten mit einer Venenthrombose jedweder Lokalisation und Morphologie sollen nicht immobilisiert werden, es sei denn in Einzelfällen zur Linderung starker Schmerzen. Die erhaltene Mobilität des Patienten ist eine Grundvoraussetzung für die Thrombosebehandlung unter ambulanten Bedingungen. Eine Hospitalisierung ist nur bei schweren Be-gleiterkrankungen erforderlich, die aber bei Patienten mit Venenthrombosen häufig nicht vorliegen (Hach-Wunderle et al. 2015).
Um die Häufigkeit und Schwere des postthrombotischen Syndroms zu reduzieren, sollte frühzeitig mit einer Kompressionstherapie begonnen werden. Diese ist lediglich am betroffenen Bein erforderlich. Einerseits kann die Kompressionstherapie mittels Kurzzugbinden oder andererseits mit einem angepassten Kompressionsstrumpf der Klasse 2 erfolgen.
In den aktuellen Leitlinien werden erstmals auch rekanalisierende Maßnahmen bei iliofemoraler Thrombose empfohlen, wenn diese indiziert sind. Hierbei können kathetergestützte Rekanalisierungsmaßnahemn oder eine chirurgische Thrombektomie durchgeführt werden.

Gutachtliche Bewertung

Die Phlebothrombose hat eine erhebliche sozialmedizinische Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf die Häufigkeit und die weitreichenden Folgen wie Lungenarterienembolie oder postthrombotisches Syndrom. Bei dem Stellenwert der lokalen Traumata und der Ruhigstellung wird ein unmittelbarer oder auch mittelbarer Zusammenhang zu Unfällen in der Regel angenommen werden müssen, es sei denn, dass gleichzeitig noch andere Risikofaktoren wie zum Beispiel Tumoren, eine Schwangerschaft oder eine genetische Disposition bestehen.
Bei einer venösen Thrombose mit vorbestehendem postthrombotischem Syndrom sollte immer geklärt werden, inwiefern eine thromboembolische Prädisposition, beispielsweise im Sinne einer hereditären Gerinnungsstörung, vorliegt. In der Regel wird man von einer richtunggebenden Verschlimmerung ausgehen müssen. Die Abschätzung von GdS, GdB bzw. MdE erfordert eine differenzierte phlebologische Untersuchung. Ein häufig subklinischer Verlauf von Thrombosen ist bei Zusammenhangsfragen von Lungenembolien mit Wochen zurückliegenden Traumata oder Ruhigstellung zu berücksichtigen.
In der akuten Phase der tiefen Beinvenenthrombose kann – je nach Lokalisation, Symptomatik und beruflicher Tätigkeit – Arbeitsunfähigkeit bestehen. Während der nachfolgenden Antikoagulanzientherapie kann wegen der verstärkten Blutungsgefahr eine vorübergehende Berufsunfähigkeit (private Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, BUZ) bzw. Erwerbsminderung für verletzungsgefährdende Tätigkeiten bestehen. Bei rezidivierenden Thromboembolien ist (je nach Lokalisation) eine langfristige Antikoagulation empfohlen, sofern keine Kontraindikationen bestehen. Im Verlauf kommt es bei 20–50 % der Patienten nach stattgehabter tiefer Beinvenenthrombose zum Auftreten eines postthrombotischen Syndroms. Hierdurch ergeben sich weitere Einschränkungen (→ Abschn. 4). Bewegungsarme Tätigkeiten in Zwangshaltungen sind im Sinne der Rethrombose-Prophylaxe zu vermeiden. Der Ablauf der Begutachtung und der zu erwartende GdB/MdE-Grad zu den verschiedenen Phasen der Krankheit sind in Abb. 2 skizziert.
Bisweilen hat der Gutachter bei einer Antikoagulation zur Rezidivprophylaxe nach einer Thrombose zu entscheiden, ob eine Blutung z. B. als Folge eines Arbeitsunfalls anzusehen ist oder ob die Antikoagulation die eigentliche Blutungsursache ist. Grundsätzlich gilt der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auch für Versicherte mit medikamentös bewirkter Blutungsbereitschaft, die aber keine unfallträchtigen Tätigkeiten ausüben dürfen.

Venenverletzung

Kernsymptome

Die Klinik der traumatischen Venenverletzung ist entweder durch eine starke, nicht spritzende Blutung, durch die Ausbildung eines Hämatoms oder durch eine akute Thrombose charakterisiert. In der Diagnostik der traumatischen Venenläsion haben sich die Sonografie (Hämatom, Thrombose) und die Farb-Duplexsonografie (Thrombose, Blutungsquelle) bewährt. Falls erforderlich, kann auch eine weiterführende Diagnostik mittels Schnittbilddiagnostik (Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT)) erfolgen.
Traumatische arteriovenöse Fisteln können meistens mittels Farb-Duplexsonografie erkannt werden. Gelegentlich kann aber auch eine arterielle Angiografie oder Schnittbilddiagnostik erforderlich sein, um die genaue Morphologie einer arteriovenösen Fistel darzustellen.
Verletzungen der großen stammnahen Venen sind regelmäßig mit schwersten Blutungen verbunden, da die Venenwand – anders als die Arterienwand – sich nicht spontan retrahiert und daher auch nicht zu einer selbst induzierten Blutstillung in der Lage ist. Die Versorgung ist oftmals schwieriger als bei arteriellen Verletzungen, da der Blutverlust massiv bis bedrohlich sein kann. Die Lokalisation der Blutungsquelle ist im Gegensatz zur arteriell spritzenden Blutung ebenfalls erschwert. Die Letalität ist bei Verletzungen der oberen oder unteren Hohlvene höher als bei Verletzungen der Aorta (Luther 2011).

Ätiopathogenese

Venenverletzungen haben oft die gleichen Ursachen wie die arteriellen Traumata und treten nicht selten parallel mit diesen auf. Die gleichzeitige Verletzung von Arterie und Vene kann bei enger lokaler Beziehung beider Gefäße leicht zur Ausbildung einer arteriovenösen Fistel führen. Man unterscheidet zwischen scharfen Gefäßverletzungen wie Schnittwunden, stumpfen Gefäßverletzungen wie Quetschwunden oder Überdehnung sowie Gewebezerreißjungen wie bei Belastungsverletzungen oder endoluminalen Therapien (Luther 2011).

Therapieoptionen

Stammnahe Venen sind durch direkte Naht oder Einsatz eines Veneninterponates zu rekonstruieren. Venen distal der Kniekehle müssen nur bei Amputationsverletzungen rekonstruiert werden. An der oberen Extremität sind außer bei Verletzungen an der Vena axillaris nur selten Wiederherstellungsoperationen erforderlich. Nach Wiederherstellung der Venenstrombahn kann es zur Ausbildung einer sekundären Venenthrombose mit allen ihren akuten und chronischen Komplikationen kommen.
Bei Verletzungen größerer Venen unabhängig von der Lokalisation sollte vorübergehend eine Antikoagulation erfolgen, aus Gründen der Praktikabilität meist NOAK oder Vitamin-K-Antagonisten. Zur Verhinderung postthrombotischer Veränderungen sollte nach Venenverletzungen an den Extremitäten regelmäßig auch eine Kompressionsbehandlung erfolgen.

Gutachtliche Bewertung

Die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen einem Trauma und der Venenverletzung samt ihren Folgen erfolgt nach den gleichen Kriterien wie für die Arterienverletzungen. Erwerbsminderung resultiert in der Regel aus einer Venenverletzung nicht. In Einzelfällen kann sie aber doch aus sekundären Schäden nach Thrombosen, Embolien, Hämatomen oder Blutungsschock resultieren.
Hier müssen die Gesamtumstände und die individuelle posttraumatische Leistungseinschränkung berücksichtigt werden. Die zurückbleibenden Funktionsstörungen bedingen die MdE bzw. den GdB/GdS, wobei auch zusätzliche Aspekte wie z. B. Nervenläsionen, Lymphödeme, längerfristige Antikoagulation u. a. mitzuberücksichtigen sind.
Dem funktionsbeeinträchtigenden Entschädigungscharakter der Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung folgend (Änderung der MdE ist bei späterer Besserung oder Verschlimmerung der Funktionsbeeinträchtigung möglich), muss bei der Begutachtung durch Einsatz standardisierter und reproduzierbares Funktionstests Rechnung getragen werden, da sich im Laufe der folgenden Jahre eventuell noch ein postthrombotisches Syndrom als Folge des Traumas entwickeln kann. Die Höhe der MdE orientiert sich an den in → Abschn. 4 dargestellten Kriterien.

Chronisch-venöse Insuffizienz

Kernsymptome

Die Patienten klagen subjektiv über Schweregefühl und Müdigkeit in den Beinen, desweitern können Ödeme, insbesondere im Bereich der Knöchel, Füße und distalen Unterschenkel auftreten. Die Stadieneinteilung erfolgt nach der aktuellen CEAP-Klassifikation (Lurie et al. 2020). In fortgeschrittenen Stadien kommt es zum Auftreten von Hautveränderungen, beginnend mit Hyperpigmentierungen bis schließlich zum floriden oder abgeheilten Ulcus cruris venosum. Auch kann es selten zum Auftreten von belastungsabhängigen Beinschmerzen im Sinne einer Claudicatio venosum kommen. Im Rahmen eines posthrombotischen Syndroms kann es zum Auftreten von Kollateralen im Sinne einer sekundären Varikosis kommen.
Die nichtinvasive Diagnostik erfolgt mittels Farbduplexsonografie, ggf. ergänzt durch eine Venenverschlussplethysmographie (VVP) und Lichtreflexionsrheografie (LRR).

Ätiopathogenese

Nach den Ergebnissen der Bonner-Venenstudie liegt bei etwa 25 % der deutschen Bevölkerung (18–79 Jahre) eine Varikosis vor, hierbei haben 17 % klinische Zeichen einer chronisch-venösen Insuffizienz. (Rabe et al. 2003)
Nach einer tiefen Beinvenenthrombose kommt es in 50–70 % der Fälle im Mittel nach fünf Jahren zur Ausbildung einer sekundären chronisch-venösen Insuffizienz im Sinne eines postthrombotischen Syndroms, einerseits durch insuffiziente Venenklappen, andererseits auch durch ein Abstromhindernis bei okkludierten tiefen Venen (Rabe et al. 2003; Ludwig 2019).
Über eine konstante venöse Hypertonie entwickelt sich ein Ödem (Stauungsödem), das sekundär dann eine nutritive Störung des Gewebes mit Ausbildung von Hautveränderungen bis zum Ulcus cruris nach sich ziehen kann. Durch einen vermehrten Flüssigkeitsrückstrom über das Lymphgefäßsystem wird auch dieses mit der Zeit insuffizient, und das Stauungsödem verstärkt sich.
Im Rahmen der Begutachtung von Unfällen ist wegen der Frage nach der Ursache der chronisch venösen Insuffizienz eine Differenzierung zwischen Varikosis und postthrombotischem Syndrom erforderlich. Dies kann im Regelfall mittels Farbduplexsonografie erfolgen. Eine Phlebografie hat nahezu keinen Stellenwert mehr. Zur weiteren Funktionsdiagnostik kann ergänzend auch eine Venenverschlussplethysmographie herangezogen werden.

Therapieoptionen

Die Grundlage der Therapie der chronisch-venösen Insuffizienz ist die konsequente Kompressionstherapie. Diese kann entweder mittels Kurzzugbinden oder mit Kompressionsstrümpfen der Klasse 2–3 erfolgen. Ziel der Behandlung ist eine Ödemreduktion. Ergänzend kann eine Lymphdrainagebehandlung durchgeführt werden. In schweren Fällen kann ergänzend auch eine apparative intermittierende Kompression (AIK) erwogen werden.
Des Weiteren gibt es auch operative Verfahren zur Behandlung der venösen Insuffizienz, insbesondere rekanalisierende Verfahren bei thrombotischem Verschluss der Beckenvenen. Bei Vorliegen einer Varikosis kann diese mittels endovenösen Therapieverfahren oder der klassischen Varizenchirurgie behandelt werden.
Bei Vorliegen eines Ulcus cruris venosum im Rahmen der chronisch-venösen Insuffizienz sind zusätzliche Lokalmaßnahmen mittels Wundbehandlung im Bereich der Wunde erforderlich. Auch hier stellt die Kompressionstherapie einen wesentlichen Pfeiler der Behandlung dar.

Gutachtliche Bewertung

In einem regelhaften Krankheitsablauf (Trauma – Thrombose – Schwellung – Ulcus) ist die chronisch-venöse Insuffizienz als mittelbare (spätere) Unfallfolge zu diskutieren (sog. Haftungsausfüllende Kausalität). Die Zusammenhangsfrage mit einem vorausgegangenen Trauma kann problematisch sein, denn die traumatisch bedingte Thrombose kann im Gipsverband oder bei längerer Bettruhe klinisch unbemerkt verlaufen, und das postthrombotische Syndrom kann je nachdem auch erst nach einem symptomarmen Intervall von vielen Monaten bis Jahre folgen. Deshalb wird man auch leichtgradige Brückensymptome bei der Zusammenhangsfrage berücksichtigen müssen.
Hilfreich zur Beurteilung ist die Farbduplexsonografie (Vorhandensein einer Insuffizienz des tiefen Venensystems mit Reflux, Briden als Hinweis für stattgehabte Thrombose). Nur noch in sehr seltenen Fällen (z. B. bei unklarem Farbduplexbefund) hat die Phlebografie noch eine Indikation, für die allerdings keine Duldungspflicht besteht.
Bei Verletzung eines postthrombotisch vorgeschädigten Beins muss eine einmalige (vorübergehende) Verschlimmerung angenommen werden, wenn es unmittelbar mit dem Unfall zu einer erheblichen venösen Dekompensation kommt. Die Verschlimmerung kann sogar richtunggebend sein, wenn sich über Brückensymptome ein Ulcus ausbildet.
In der gesetzlichen Rentenversicherung sind bei schwerer chronisch-venöser Insuffizienz Tätigkeiten mit längerem Stehen nicht zumutbar, weshalb bei Tätigkeiten in überwiegend stehender Ausübung in schweren Fällen auch einmal eine Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung diskutiert werden kann. Im Ulcus-Stadium sind zudem keine schmutzigen und verletzungsgefährdenden Arbeiten in Nässe oder bei hohen Außentemperaturen möglich. Arbeitsunfähigkeit kann vorübergehend bei großem therapierefraktären Ulcus eintreten, das stationär behandelt werden muss.
Entsprechend den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätzen im Sozialen Entschädiungrecht/Schwerbehindertenrecht sowie den Erfahrungswerten für die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in der gesetzlichen Unfallversicherung sind GdS/GdB bzw. MdE in Abhängigkeit vom Schweregrad der Krankheit zu bemessen (→ Tab. 2, → Abb. 2). Der Zusammenhang mit einem Trauma kann anerkannt werden, wenn eine Kausalitätskette vom Trauma über eine Thrombose zum postthrombotischen Syndrom gegeben ist. Wenn keine initiale Thrombose eruierbar ist, müssen Brückensymptome oder zumindest ein signifikanter zeitlicher Zusammenhang erkennbar sein. Ein zeitlicher Zusammenhang kann bei Mehretagenthrombosen schon nach wenigen Jahren (oft unter 5 Jahren) gegeben sein, bei kleineren Unterschenkelvenenthrombosen jedoch meist erst in wesentlich längeren Zeiträumen. Eine teilweise oder volle Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit ergibt sich aber nur in besonderen, seltenen Fällen.
Tab. 2
Grad der Schädigung (GdS) in Abhängigkeit vom klinischen Krankheitsbild (BMAS 2020)
Schweregrad der chronisch-venösen Insuffizienz
GdS
Unkomplizierte Krampfadern
0
Chronisch-venöse Insuffizienz (z. B. bei Krampfadern), postthrombotisches Syndrom ein- oder beidseitig
 
 mit geringem belastungsabhängigem Ödem, nicht ulzerösenHautveränderungen, ohne wesentliche Stauungsbeschwerden
0–10
 mit erheblicher Ödembildung, häufig (mehrmals im Jahr) rezidivierenden Entzündungen
20–30
 mit chronischen rezidivierenden Geschwüren, je nach Ausdehnung und Häufigkeit (einschließlich arthrogenes Stauungssyndrom)
30–50
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