Einleitung
Die weltweit verbreitete Gattung
Mycobacterium besteht aus etwa 170 Arten nicht Sporen bildender, unbeweglicher und obligat aerober Stäbchenbakterien. Sie wachsen meist langsam. Obwohl der Aufbau ihrer Zellwand weitgehend derjenigen Gram-positiver
Bakterien entspricht, sind Mykobakterien in der Gramfärbung kaum anzufärben. In der
Ziehl-Neelsen-Färbung erscheinen sie säurefest (unter Hitzeeinwirkung in die Zellwand aufgenommenes Phenolfuchsin wird durch anschließende Salzsäurebehandlung nicht wieder herausgelöst). Die meisten Mykobakterien sind apathogen. Andere sind als opportunistische Erreger fakultativ humanpathogen. Die klassischen Mykobakteriosen
Tuberkulose und Lepra sind zwar seit der Antike bekannt, dennoch stellen sie Dermatologen und andere Ärzte weiterhin vor komplexe diagnostische und therapeutische Herausforderungen. Die wichtigsten nichttuberkulösen (atypischen) Mykobakteriosen
sind das Schwimmbadgranulom und das Buruli-Ulkus.
Hauttuberkulose
Für die Behandlung einer isolierten Hauttuberkulose bieten die mikrobiologischen und apparativen Kontrollen bei Lungentuberkulose eine Orientierung, jedoch muss hier aufgrund des Mangels an evidenzbasierten Empfehlungen das Vorgehen individuell festgelegt werden.
Eine Herausforderung stellt die seit den 1980er-Jahren zunehmende Zahl der gegenüber Antituberkulotika resistenten Erreger dar, da durch diese die Behandlung der Erkrankten schwieriger wird und die Infektiosität länger bestehen bleibt. Besonders kritisch ist das Auftreten der multiresistenten Tuberkulose (MDR-TB), denn hier liegt eine gleichzeitige Resistenz gegenüber den beiden wichtigsten Erstrangmedikamenten INH und RMP vor. Die MDR-TB liegt bei den in Deutschland geborenen Patienten auf konstant niedrigem Niveau (<1 %), während die Resistenzsituation im Ausland geborener Patienten die Häufigkeit in ihren jeweiligen Heimatländern widerspiegelt. Zur Therapie der MDR-TB werden nach der Resistenztestung individuelle Zweitrang-Antituberkulotika ausgewählt und die Therapiedauer in der Regel auf 12–24 Monate verlängert.
Multibazilläre Formen der Hauttuberkulose
Die rein deskriptive und komplexe Terminologie verschiedener Formen der Hauttuberkulose, häufig erschwert durch mehrere Synonyme, erscheint unnötig. Hier sollten eine logische und einheitliche Nomenklatur und Klassifizierung angestrebt werden, die leider bisher nicht in Sicht sind. Einige Autoren trennen primäre und postprimäre Formen und unterscheiden bei den postprimären Formen aufgrund der Infektionswege exogene Re-Infektion, Autoinokulation sowie endogene Ausbreitung.
Andere Systematiken stellen die Immunitätslage des infizierten Patienten ins Zentrum und konzentrieren sich auf die klinische Beschreibung der Hauttuberkulose bei
Hypoergie, Anergie,
Normergie sowie
Hyperergie. Hier wird die
Tuberkulose ausgehend von der Erregeranzahl (
multibazilläre oder
paucibazilläre Hauttuberkulose) klassifiziert, wobei der Immunitätslage des Patienten, aber auch dem Infektionsweg und den Umweltfaktoren große Bedeutung zukommen. Aus unserer Sicht sind dadurch auch Kontagiosität, diagnostische Herausforderungen, Therapie sowie Prognose für den Infizierten am übersichtlichsten zu klassifizieren.
Im Anschluss daran werden die am ehesten durch überschießende Immunreaktionen vermittelten Symptome, die Tuberkulide, besprochen.
Gemeinsames Merkmal der
multibazillären Hauttuberkulosen (tuberkulöser Primärkomplex der Haut, Tuberculosis cutis colliquativa, Tuberculosis ulcerosa mucosae et cutis, Tuberculosis cutis miliaris disseminata, metastasierte tuberkulöse
Abszesse) ist, dass der Erregernachweis wegen der hohen Bakterienzahl meist gelingt. Wegen der damit einhergehenden Kontagiosität müssen infizierte Patienten sofort
konsequent isoliert werden.
Oft besteht bei den infizierten Patienten eine zumindest partielle
Immundefizienz, wodurch die Infektion nur unzureichend abgewehrt oder kontrolliert werden kann (beispielsweise bei Koinfektion mit
HIV). Häufig ist bereits die
Ziehl-Neelsen-Färbung eines Ausstrichpräparats oder einer Hautbiopsie positiv, sodass die Verdachtsdiagnose rasch erhärtet werden kann. Dennoch muss die Bestimmung der Resistenz gegenüber den Antituberkulotika weiterhin in der Kultur erfolgen. Aufgrund der oft neben der Hauttuberkulose bestehenden Immundefizienz ist der früher verwendete Tuberkulin-Test bei multibazillären Formen häufig negativ, während die neueren IFN-γ-Tests erheblich sensitiver und spezifischer die Infektion anzeigen und daher zum Standard der serologischen Diagnostik wurden.
Histologisch findet sich bei der multibazillären Hauttuberkulose im frühen Stadium eine unspezifische, abszedierende Entzündung mit zahlreichen neutrophilen Granulozyten. Später erfolgt die Umwandlung in tuberkuloides Granulationsgewebe. Es kann zur Ulkusbildung mit nekrotisierender Entzündung kommen. Die häufigsten und wichtigsten multibazillären Formen der Hauttuberkulose sind der
tuberkulöse Primärkomplex der Haut und die
Tuberculosis cutis colliquativa. Nur sehr selten und in der Regel erst bei langer Infektionsdauer und/oder reduzierter zellulärer Immunität kommt es zum Auftreten von Tuberculosis ulcerosa mucosae et cutis, Tuberculosis cutis miliaris disseminata oder metastatischen tuberkulösen
Abszessen.
Tuberkulöser Primärkomplex der Haut
Tuberculosis cutis colliquativa
Tuberculosis ulcerosa mucosae et cutis
Tuberculosis cutis miliaris disseminata
Metastasierte tuberkulöse Abszesse
Paucibazilläre Formen der Hauttuberkulose
Zu den Tuberkuloseformen mit erregerarmen und wenig kontagiösen Hautläsionen gehören Tuberculosis cutis verrucosa und Lupus vulgaris.
Patienten mit paucibazillären Hauttuberkulosen haben gegenüber Tuberkelbakterien eine spezifische Immunantwort aufgebaut und bereits einen tuberkulösen Primärkomplex durchgemacht. Deshalb wird auch von postprimärer Hauttuberkulose gesprochen. Die zelluläre Immunitätslage ist bei diesen Patienten in der Regel kaum oder gar nicht eingeschränkt. Durch die geringe Erregerlast und die ungleiche Verteilung der Mykobakterien in der Haut wird die Diagnose der paucibazillären Hauttuberkulose allerdings wesentlich erschwert. Deshalb kann eine paucibazilläre Hauttuberkulose weder durch negative Resultate bei der Färbung säurefester Stäbchen noch durch fehlenden PCR- oder kulturellen Erregernachweis ausgeschlossen werden. Bei entsprechendem klinischem Verdacht muss die Diagnostik eventuell mehrfach wiederholt werden; empfehlenswert ist auch die gleichzeitige Probenentnahme von verschiedenen Stellen.
Tuberculosis cutis verrucosa
Lupus vulgaris
(Robert Willan (1757–1812))
Tuberkulide
Der Terminus Tuberkulid
wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts geprägt, zeitgleich mit dem heute veralteten Begriff der
Id-Reaktion, der überschießende und dystope Immunreaktionen an der Haut bei Infektionen durch Viren,
Bakterien oder Pilze beschreiben soll (wie beim
Mykid oder
Trichophytid). Beim Tuberkulid handelt es sich nach heutiger Auffassung wahrscheinlich überwiegend um Reaktionen vom Typ-III-Immunkomplextyp oder Typ-IV-Spättyp nach Coombs und Gell (Kap. „Grundlagen der Allergie- und Intoleranzreaktionen“). Dabei sollen
Immunkomplexe oder aktivierte T-Zellen durch hämatogen gestreute
Antigene der Mykobakterien zur Entzündung in der Haut führen. Häufig findet sich daher bei Patienten mit Tuberkulid eine aktive Organtuberkulose ohne anatomische Nähe zu den symptomatischen Hautregionen. Da noch erheblicher Forschungsbedarf zur Pathophysiologie besteht, ist auch heute noch keine präzisere Definition möglich. Theoretisch könnten die immunologischen Prozesse der Tuberkulide auch durch andere Pathogene ausgelöst werden, weshalb ihr ausschließlicher Zusammenhang mit Infektionen durch Erreger des
Mycobacterium-tuberculosis-Komplexes kritisch diskutiert werden kann.
Versuche der kulturellen Anzucht von Mykobakterien aus Gewebeproben eines Tuberkulids verlaufen regelmäßig erfolglos, weil diese Läsionen keine lebensfähigen
Bakterien enthalten. Allerdings liefern PCR-Analysen häufig positive Ergebnisse, da mykobakterielle DNA-Fragmente in Tuberkuliden vorhanden sein können. Der IFN-γ-Test oder Tuberkulintest ist meist hoch positiv. Außerdem können Tuberkulide durch antituberkulöse Mehrfach-Chemotherapie häufig erfolgreich behandelt werden. Dies legt einen Zusammenhang mit Erregern, die durch Antituberkulotika eliminiert werden, zumindest nahe. Allerdings können auch unspezifische antientzündliche Effekte der Chemotherapie nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Eine Kontagiösität der Haut besteht bei Tuberkuliden nicht, was aber zumindest bei einer häufig zugrunde liegenden Organtuberkulose von nachrangiger Bedeutung sein dürfte.
Für die verschiedenen Formen der Tuberkulide sind die deskriptiven, historisch gewachsenen Bezeichnungen weiterhin gebräuchlich. Eine klare Systematik besteht nicht. Zu den Tuberkuliden gehören lichenoides Hauttuberkulid, papulonekrotisches Tuberkulid und Erythema induratum. Obwohl das Erythema nodosum bei bis zu 10 % der exsudativen Tuberkulose-Infektionen auftritt, wird es nicht zu den Tuberkuliden gezählt.
Lichenoides Hauttuberkulid
Papulonekrotisches Tuberkulid
Nichttuberkulöse (atypische) Mykobakteriosen
Die traditionell gebräuchliche Bezeichnung typische Mykobakteriosen
(
Tuberkulose und Lepra) in Abgrenzung zu
atypischen Mykobakteriosen ist unbefriedigend, weil die Unterscheidung nicht auf biologischen Eigenschaften der auslösenden Mykobakterien beruht. Im angelsächsischen Sprachraum hat sich der passendere Begriff der nichttuberkulösen (atypischen) Mykobakterien durchgesetzt, den wir hier aufgreifen.
Nichttuberkulöse Mykobakterien wurden 1931 erstmals von Max Pinner isoliert, auf den ebenfalls die Beobachtungen zurückgehen, dass sie sich von
M. tuberculosis unterscheiden und nur schlecht auf spezifische Therapeutika gegen
Tuberkulose ansprechen. Erst in den 1950er-Jahren wurde ihre Relevanz als humane Pathogene erkannt.
Die heterogene Gruppe der nichttuberkulösen Mykobakterien umfasst bisher etwa 170 Arten, wobei viele als apathogene Prokaryonten im Erdboden oder im Wasser leben. Andere sind fakultativ humanpathogen, wodurch sie als opportunistische Erreger relevant sind. Der Nachweis nichttuberkulöser Mykobakterien in menschlichen Proben muss daher nicht notwendigerweise eine relevante Infektion anzeigen; vielmehr sind Kontaminationen der Proben mit derartigen Keimen häufig.
Die Übertragung von Mensch zu Mensch wird zwar diskutiert, ist jedoch nicht gesichert. Meist kommt es durch Verletzungen zur Infektion, da die Erreger die intakte Haut normalerweise nicht penetrieren können.
Die klinischen Symptome hängen – wie bei
Tuberkulose und Lepra – wesentlich von der Immunitätslage des infizierten Patienten ab. Bei
intaktem Immunsystem entstehen am Ort der Inokulation umschriebene Hautveränderungen, beispielsweise nach (Mikro-)Traumen, aber auch nach medizinischen oder kosmetischen Eingriffen (auch
Tätowierungen). Typischerweise treten erythematöse Papeln auf, deren Oberfläche im Verlauf verrukös wird und zur Ulzeration neigt.
Abszesse, Pannikulitiden und Ausbreitung entlang der regionalen Lymphabflusswege (
sporotrichoides Ausbreitungsmuster) sind möglich. Tuberkulid-ähnliche Reaktionen (wie papulonekrotisches Tuberkulid) oder Erythema nodosum können ebenfalls auftreten.
Bei Patienten mit intrinsischer oder iatrogener
Immunsuppression kann es nach Infektion mit nichttuberkulösen Mykobakterien zu generalisierten Streureaktionen kommen, die einer disseminierten Hauttuberkulose (Tuberculosis cutis miliaris disseminata) ähneln können. Die Symptome an der Haut sind polymorph und uncharakteristisch. Sie umfassen Erytheme, Papeln, Pusteln,
Abszesse, ulzerierende Knoten und Pannikulitiden. Darüber hinaus können
Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Diarrhoe und manchmal
Anämie auftreten. Bei immunsupprimierten Patienten sollten differenzialdiagnostisch opportunistische Infektionen mit nichttuberkulösen Mykobakterien bedacht werden. Patienten mit
AIDS infizierten sich vor Einführung der antiretroviralen Therapie häufig mit diesen Erregern. Derartige Infektionen sind heute seltener geworden. Dafür kann es nun bei HIV-infizierten Patienten nach Therapieeinleitung mit antiretroviralen Medikamenten zu einem durch Mykobakterien induzierten Immunrekonstitutionssyndrom kommen, dessen Immunpathogenese im Abschnitt Leprareaktionen (Abschn.
3.1.5) erläutert wurde. Symptome sind schmerzhafte generalisierte Lymphknotenschwellungen mit Abszedierung und manchmal Fistelbildung.
Die enge und frühzeitige Kooperation mit Mikrobiologen sichert die korrekte Diagnostik der Mykobakteriosen. Da die Hautläsionen bei
nichttuberkulösen Mykobakteriosen eher erregerarm (paucibazillär) sind, ist der direkte Erregernachweis oftmals nicht möglich. Das Buruli-Ulkus ist im fortgeschrittenen Stadium allerdings multibazillär, hier gelingt der Erregernachweis regelmäßig. Am häufigsten werden
atypische Mykobakteriosen der Haut durch
M. marinum,
M. ulcerans oder die im
Mycobacterium-fortuitum-Komplex zusammengefassten Erreger (wichtigste Vertreter sind
M. abscessus,
M. fortuitum,
M. chelonae) verursacht. Daneben können selten auch andere Erreger (wie
M. avium intracellulare,
M. kansasii und
M. gordonae) für Hautinfektionen verantwortlich sein, dies allerdings fast ausschließlich bei Immunsupprimierten.
Infektionen mit Mycobacterium marinum
Infektionen mit Mycobacterium ulcerans
Infektionen mit Erregern des Mycobacterium-fortuitum-Komplexes