Aufgaben der Krisenkommunikation
Der radiologische Notfallschutz stellt die Kommunikation über Strahlenrisiken vor besondere Herausforderungen: Die ohnehin komplexe wissenschaftlich-technische Sachlage der Strahlenrisiken wird in eine Krisensituation versetzt, in der die Aufnahme von Sachinformationen zunächst hinter die Bewältigung der Krisensituation tritt.
Die Ziele und Aufgaben der Krisenkommunikation sind vielfältig. Krisenkommunikation ist ein Teil des Schutzkonzeptes zur Bewältigung von Notfalllagen und soll dazu beitragen, dass die betroffene Bevölkerung empfohlene Schutz- und Verhaltensmaßnahmen umsetzt und damit die physische Gesundheit geschützt wird. Aufgabe der Krisenkommunikation ist es aber auch, psychosoziale Konsequenzen von Notfallsituationen zu verringern und so die psychische Gesundheit zu erhalten [
11]. Dafür soll Krisenkommunikation die Sorgen der Bevölkerung adressieren, das Informationsbedürfnis von Menschen in einer Krise befriedigen und übermäßiger Angst vorbeugen. Mithilfe einer guten Krisenkommunikation erhalten Betroffene Hilfestellung, die Krisensituation besser zu bewältigen und die eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Kommunikation soll zudem der Stigmatisierung von Personen und Gruppen in einem radiologischen Notfall entgegenwirken, aber auch die Krisenkommunikation selbst ist es, die Stigmatisierung in der Kommunikation vermeiden muss. Letztlich ist es auch Aufgabe der Krisenkommunikation, Fehlinformationen und Gerüchten entgegenzutreten [
12].
Eigenschaften guter Krisenkommunikation
Eine gute Krisenkommunikation muss zeitlich angemessen sein, Transparenz herstellen und die Zielgruppen erreichen. Dazu muss eine verständliche Sprache verwendet werden, die Kommunikation muss sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren und respektvoll gegenüber deren Situation sein. Zudem trägt das Prinzip „eine Botschaft – viele Stimmen“ („one message – many voices“) dazu bei, Informationen und Botschaften zwischen verschiedenen kommunizierenden Akteuren abzustimmen und dadurch das Vertrauen zu stärken. Denn Krisenkommunikation kann ihre Ziele nur erreichen, wenn die (betroffene) Bevölkerung Vertrauen in die zuständige(n) Behörde(n) hat. Vertrauen, dass Katastrophenschutzmaßnahmen sinnvoll sind, obwohl sie das soziale und ökonomische Leben der Betroffenen in diesem Moment auf den Kopf stellen. Vertrauen darauf, dass Entscheidungen unter Hinzuziehung allen verfügbaren Wissens getroffen werden. Vertrauen schafft Sicherheit und Schutzgefühl. Mangelndes Vertrauen trägt dazu bei, dass Gerüchte ihren Lauf nehmen und Fehlinformationen verbreitet werden. Vertrauen wird in Situationen mit hohem Stressfaktor eher davon beeinflusst, ob das Gegenüber zuhört, sich kümmert und Anteilnahme zeigt. Erst in zweiter Linie beeinflussen Kompetenz, Ehrlichkeit, Offenheit und weitere Faktoren (transparente, schnelle, klare und eindeutige Informationen) das Vertrauen in Institutionen und Behörden [
13].
Eine besondere Herausforderung für die Krisenkommunikation stellt das geänderte Kommunikationsverhalten der Bevölkerung dar, das in den letzten Jahren zu beobachten ist. Für die öffentliche Meinungsbildung stehen schon längst nicht mehr hauptsächlich offizielle und über die klassischen Medien vermittelte Informationen zur Verfügung. Informationen finden ihre Verbreitung, Kommentierung, Abschwächung und Veränderung über soziale Medien. Die Nutzung von sozialen Medien durch die kommunizierenden Behörden selbst ist daher die logische Konsequenz, der seit einiger Zeit gefolgt wird. Allerdings bergen die unterschiedlichen Logiken einer Behördenkommunikation (u. a. sachlich, faktenorientiert, strukturiert) und der Social-Media-Kommunikation (z. B. emotional, einzelfallbezogen, kritisch und differenzierend) große Herausforderungen dafür, effizient an der Kommunikation über soziale Medien mitwirken zu können [
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15].
Veränderung der Krisenkommunikation im Verlauf der Phasen einer Krise
Ebenso, wie die Risikokommunikation die Brücke schlagen muss zwischen wissenschaftlicher Evidenz, der Risikowahrnehmung und dem Verhalten der Bevölkerung (siehe Abschnitt „Diversität der Risikokommunikation im Strahlenschutz“), ist es Aufgabe der Krisenkommunikation – unter höherem Zeitdruck und mit stärkerer Dringlichkeit – sich sowohl an den Ereignissen und den zu kommunizierenden Inhalten zu orientieren als auch die Situation der Betroffenen und ihre Reaktionen auf den Notfall, auf Informationen, Verhaltensempfehlungen und Einschränkungen zu berücksichtigen und die Kommunikation daran anzupassen.
Ein radiologischer Notfall wird in Phasen unterteilt, die sich unter anderem nach dem Status der Aktivitätsfreisetzung und der Art und Dringlichkeit der Maßnahmen richten [
16]. Die Dringlichkeitsphase wird unterteilt in eine Vorfreisetzungsphase und eine Freisetzungsphase. Die Nachunfallphase wird unterteilt in eine Übergangsphase und eine langfristige Nachunfallphase.
Je nach Notfallphase ändern sich Inhalte, Zielgruppen, Botschaften und Kommunikationsformen der Krisenkommunikation und ebenso ändern sich der Anteil der Risiko- an der Krisenkommunikation und die Art der Risikokommunikation.
In der Dringlichkeitsphase steht die Bevölkerung unter Stress und ist zunächst nicht in der Lage, komplexe Informationen zu verarbeiten. In dieser Frühphase eines Ereignisses herrschen Schutzreaktionen sowie das Bedürfnis nach grober Einordnung der Ereignisse und der Bewertung der persönlichen Betroffenheit (inkl. nahestehender Personen) vor. Das vorrangige Bedürfnis der Menschen ist, den Schutz der eigenen Gesundheit und der Angehörigen sicherzustellen. Der Erhalt sozialer Bindungen und persönlicher Beziehungen ist für die meisten Menschen die wichtigste Grundlage für das persönliche Wohlbefinden und für den Umgang mit Stresssituationen. Je größer die wahrgenommene Betroffenheit, umso weniger prägt die bewusste (analysierende und abwägende) Auseinandersetzung mit den Ereignissen diese frühe Phase. Das Interesse an „Zahlen – Daten – Fakten“ ist zu diesem Zeitpunkt noch sehr gering. Die Menschen benötigen besonders in dieser Phase von Anfang an die Gewissheit, dass sich jemand engagiert und kompetent um die Eindämmung der Katastrophe kümmert und die Sorgen und Bedürfnisse der Bevölkerung ernst nimmt. Für die Kommunikation bedeutet dies vor allem in der Frühphase eines Ereignisses, Verhaltensempfehlungen und Handlungsanweisungen klar und eindeutig zu formulieren, sodass sie von der Bevölkerung leicht zu befolgen sind.
Erst in der Nachunfallphase eines radiologischen Notfalls, wenn sich die Ereignisse nicht mehr überschlagen, erhält die bewusste und kognitive Verarbeitung der Daten und Fakten einen höheren Stellenwert. Diese Phase kann einen langen Zeitraum umfassen, von der Übergangsphase, die je nach Unfallhergang bereits nach einigen Tagen eintreten kann, bis zur langfristigen Nachunfallphase, die bis zu Jahre und Jahrzehnte anhalten kann, wie man an den Beispielen der Reaktorunglücke von Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 sieht.
2 In dieser Phase werden Informationen abgewogen, Zahlen und Daten werden wichtiger für die wahrgenommene Kontrolle der Situation. Die akute Krise ist vorbei, die Risikokommunikation erhält ein größeres Gewicht. Zudem spielen partizipative und dialogorientierte Formate der Kommunikation im Verlauf der Phasen eines Notfalls eine immer größere Rolle, da sie dazu beitragen, die Betroffenen im Umgang mit der Situation zu unterstützen.
Zu beachten ist, dass die Art der Informationsverarbeitung in Notfällen individuell unterschiedlich ist und eine genaue Zuordnung zu den Notfallphasen daher nicht möglich ist.
Einen wichtigen Einfluss auf die Informations- und Unterstützungsbedürfnisse haben die jeweilige Lebenssituation sowie Art und Ausmaß der Betroffenheit durch das Ereignis. So wurden zum Beispiel als besonders vulnerable Gruppen für psychische Beeinträchtigungen nach den Reaktorunfällen von Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 Mütter kleiner Kinder und die Aufräumarbeiter identifiziert [
1]. In wirtschaftlicher Hinsicht betroffene Personen haben wiederum ein sehr spezifisches Bedürfnis nach Existenzsicherung.