Prüfungssimulation
Fallschilderung
Prüfungsfragen
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Welche Ursachen auffälliger Sprachentwicklung kennen Sie?
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Welche Schritte zur Klärung der Diagnose sind notwendig?
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Wie ist die vorliegende Erkrankung definiert?
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Nennen Sie die wichtigsten Frühsymptome der Erkrankung („red flags“).
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Welche Differenzialdiagnosen und Komorbiditäten sind zu bedenken?
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Welche weiteren Schritte zur Klärung der Ätiologie sind zu bedenken?
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Welche therapeutischen Implikationen ergeben sich aus der Diagnose?
Antworten
Welche Ursachen auffälliger Sprachentwicklung kennen Sie?
Sprache | Sprechen | ||
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Primäre Störungen | Sekundäre Störungen | Primäre Störungen | Sekundäre Störungen |
Rezeptive Sprachentwicklungsstörung | Audiogene Sprachentwicklungsstörung | Kindliche Sprechapraxie | Zentral-motorisch (zentrale Dysarthrien, motorische Aphasie) |
Expressive Sprachentwicklungsstörung | Sekundäre neurologisch bedingte Sprachentwicklungsstörung (epileptisch, entzündlich, metabolisch, kardiovaskulär, traumatisch) | Phonematisch-phonologische Aussprachstörung | Peripher-motorisch (periphere Dysarthrien, Rekurrensparese etc.) |
Psychoreaktiv (Mutismus) | Anatomisch bedingt (nasolaryngopharyngeale Raumforderungen, Spaltbildungen z. B. LKGS, Gaumensegelinsuffizienz, sehr kurzes Frenulum linguae) | ||
Autismus-Spektrum-Störungen | |||
Allgemeine zerebrale Funktionsstörung (z. B. Intelligenzminderung) | |||
Kommunikative Deprivation |
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Die Komplexität der möglichen Differenzialdiagnosen macht eine enge multiprofessionelle Zusammenarbeit notwendig.
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Für die Früherkennung spielt der aufmerksame Pädiater eine entscheidende Rolle.
Welche Schritte zur Klärung der Diagnose sind notwendig?
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Sprache: rezeptiv, expressiv, Pragmatik, Interaktion,
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nonverbale Kognition,
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adaptive Fertigkeiten,
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motorische Fertigkeiten.
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Wenn der Arzt/die Ärztin sich nur auf den klinischen Eindruck verlässt, werden drei Viertel der betroffenen Kinder nicht rechtzeitig erkannt.
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Der Einsatz von standardisierten Screeninginstrumenten ist sinnvoll.
Wie ist die vorliegende Erkrankung definiert?
ICD-10 | DSM‑5 | |
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Kategorien | F84.0 Frühkindlicher Autismus | 299.00 Autismus-Spektrum-Störung |
F84.1 Atypischer Autismus | ||
F84.2 Rett-Syndrom | ||
F84.3 Desintegrative Störung des Kindesalters | ||
F84.4 Überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien | ||
F84.5 Asperger-Syndrom | ||
F84.8 Sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörungen | ||
F84.9 Tiefgreifende Entwicklungsstörung nicht näher bezeichnet | ||
Kerndomänen | 1) Wechselseitige soziale Interaktion | A) Defizite der sozialen Kommunikation und Interaktion |
2) Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation | B) Restriktive, repetitive Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten | |
3) Stereotype Verhaltensweisen und Sonderinteressen | ||
Kriterien der Domänen | Domäne 1 (≥ 2 der folgenden 4 Kriterien treffen zu) | Domäne A (alle 3 Kriterien treffen zu) |
a) Zur sozialen Interaktion eingesetzte/eingesetzter Blickkontakt, Mimik, Körperhaltung und Gestik sind beeinträchtigt | a) Defizite der sozial-emotionalen Reziprozität | |
b) Unfähigkeit, altersgemäße Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzunehmen | b) Defizite der nonverbalen Kommunikation | |
c) Mangel an sozioemotionaler Gegenseitigkeit | c) Defizite in Entwicklung, Erhalt und Verständnis von Freundschaften | |
d) Mangel, spontan Freude, Interessen oder Tätigkeiten zu teilen | ||
Domäne 2 (≥ 1 der folgenden 4 Kriterien treffen zu) | Domäne B (≥ 2 der folgenden 4 Kriterien treffen zu) | |
a) Entwicklungsstörung der gesprochenen Sprache ohne Kompensation durch Gestik/Mimik | a) Stereotype Verhaltensweisen (motorisch, sprachlich, spielerisch) | |
b) Relative Unfähigkeit, eine Konversation zu beginnen/erhalten | b) Beharren auf Routinen | |
c) Stereotype, repetitive oder eigentümliche Verwendung von Sprache | c) Eingeschränkte/intensive Interessen | |
d) Mangel an spontanem „Als-ob-Spiel“ bzw. Interaktionsspielen | d) Hyper‑/Hyporeaktivität auf sensorische Reize; sensorische Interessen | |
Domäne 3 (≥ 1 der folgenden 4 Kriterien treffen zu) | Zusätzliche Forderungen (alle 3 treffen zu) | |
a) Intensive Beschäftigung mit stereotypen/begrenzten Interessen | Domäne C: Symptome müssen in früher Kindheit vorhanden sein. Sie können sich erst bei entsprechend hohen sozialen Anforderungen manifestieren | |
b) Spezifische, nichtfunktionale Handlungen oder Rituale | Domäne D: Symptome müssen zu klinisch bedeutsamer Behinderung im Alltag führen (sozial, schulisch, beruflich) | |
c) Stereotype und repetitive motorische Manierismen | Domäne E: Symptome lassen sich nicht durch intellektuelle Behinderung oder globale Entwicklungsstörung erklären | |
d) Durchgängige Beschäftigung mit Teilaspekten bzw. nichtfunktionalen Elementen von Gegenständen | ||
Domäne 1 + 2 + 3: In Summe müssen ≥ 6 Kriterien erfüllt sein | ||
Symptombeginn | Vor dem Alter von 3 Jahren | Symptome sind in der frühen Kindheit vorhanden, können sich aber auch erst dann voll manifestieren, wenn die sozialen Anforderungen steigen |
Schweregrade | Indirekt über die Kategorien | Je 3 Schweregrade für Domänen A und B – Grad 1: benötigt Unterstützung – Grad 2: benötigt beträchtliche Unterstützung – Grad 3: benötigt sehr beträchtliche Unterstützung |
Kognition | Über Achsenkodierung (Achse III) | Angabe mit/ohne geistige Beeinträchtigung |
Sprache | Über Achsenkodierung (Achse II) | Angabe mit/ohne Sprachstörung |
Ätiologie | Über Achsenkodierung (Achsen IV, V); Rett-Syndrom unter F84.2 als eigenständige psychiatrische Diagnose | Zusätzliche Kodierung medizinischer oder genetischer Erkrankungen (Rett-Syndrom als genetische Kategorie); Angabe möglicher Umweltfaktoren |
Komorbiditäten | Kodierung auf der entsprechenden Achse (gewisse Entitäten aber als Ausschlussdiagnose z. B.: ADHS) | Zusätzliche Kodierung von anderen neurogenen Entwicklungsstörungen, psychischen Erkrankungen oder Verhaltensstörungen z. B. auch von ADHS |
Nennen Sie die wichtigsten Frühsymptome der Erkrankung („red flags“).
Frühsymptome („red flags“) der ASS | |
Kein/seltenes soziales Lächeln | Ab 9 LM |
Kein/seltenes Folgen des Blicks eines Gegenübers und Reagieren auf Zeigegesten | Ab 12 LM |
Keine/seltene Aufnahme des Blickkontakts (über 1 s) | Ab 12 LM |
Kein spontanes Teilen von Gefühlen oder keine Mitteilung von Affekten | Ab 12 LM |
Keine/seltene Reaktion auf den eigenen Namen | Ab 12 LM |
Stereotype Verhaltensweisen (z. B. Jaktationen, Manierismen, Drehen von Gegenständen) | Ab 12 LM |
Sensorische Auffälligkeiten (auditive, visuelle, olfaktorische, taktile Hypersensitivität) | Ab 12 LM |
Kein/seltenes protodeklaratives Zeigen mit dem Zeigfinger (um auf etwas hinzuweisen und Interesse zu teilen) | Ab 14 LM |
Kein/wenig Interesse an anderen Kindern | Ab 14 LM |
Jeglicher Verlust von Sprache! | Ab 14 LM |
Fehlendes Rollenspiel (Füttern von Stofftier, Puppe zu Bett bringen, Spielfigur in Spielauto setzen) | Ab 18 LM |
Frühsymptome einer ASS mit normaler formaler Sprache und Kognition (z. B. Asperger-Syndrom) | |
Kein, wenig oder inadäquater Kontakt (spielt bevorzugt allein) | Zunehmend erkennbar ab dem dritten Lebensjahr bzw. mit Eintritt in Kinderbetreuungseinrichtungen |
Stereotype Verhaltensweisen und Sprachgebrauch | |
Veränderungsängste sowie zwanghafte und ritualisierte Verhaltensweisen | |
Sensorische Auffälligkeiten | |
Auffällige Reaktion auf Annäherung anderer Kinder | |
Eingeschränktes Fantasiespiel | |
Eingeschränktes Teilen | |
Eingeschränkte Koordination von Zeigegeste und Blickkontakt | |
Sprachliches Mitteilen v. a. überwiegend im Kontext von Bedürfnissen und Information |
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„Red flags“ allein begründen ungeachtet ihrer Anzahl keinesfalls eine ASS.
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Umgekehrt kann man nur auf Basis des Fehlens keine ASS ausschließen.
Welche Differenzialdiagnosen und Komorbiditäten sind zu bedenken?
Komorbiditäten | Differenzialdiagnosen |
---|---|
Entwicklungsstörungen | Entwicklungsstörungen |
Globale Entwicklungsverzögerung/Intelligenzminderung | Globale Entwicklungsverzögerung/Intelligenzminderung |
Sprachstörungen | Sprachstörungen |
Lernstörungen | Lernstörungen |
Umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktion | – |
Psychische oder Verhaltensprobleme oder Störungen | Psychische oder Verhaltensprobleme oder Störungen |
ADHS | ADHS |
Angststörungen/Phobien (inkl. sozialer Phobie) | Angststörungen/Phobien (inkl. sozialer Phobie) |
Affektive Störungen | Affektive Störungen |
Zwangsstörungen | Zwangsstörungen |
Bindungsstörungen | Bindungsstörungen |
Schlafstörungen | Psychosen |
Essstörungen (Pica-Syndrom, Adipositas, vermeidend/restriktiv [ARFID]) | Mutismus |
Körperlich-neurologische Störungen | Körperlich-neurologische Störungen |
Epilepsie | Enzephalopathien (v. a. auch epileptisch) |
Enzephalopathien | Genetische Syndrome |
Genetische Syndrome | Sinnesbeeinträchtigungen |
Sinnesbeeinträchtigungen | Stoffwechselstörungen |
Funktionelle Probleme und Störungen | – |
Harninkontinenz/Enuresis | |
Obstipation | |
Stuhlinkontinenz/Enkopresis | |
Schlafstörungen |
Welche weiteren Schritte zur Klärung der Ätiologie sind zu bedenken?
Welche therapeutischen Implikationen ergeben sich aus der Diagnose?
Substanzgruppe (Beispiele) | Zielsymptome | Anmerkungen |
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Stimulanzien (Methylphenidat, Amphetaminsulfat, Lisdexamfetamin) NARI (Atomoxetin) α2-Agonisten (Guanfacin, Clonidin) | Hyperaktivität Impulsivität Unaufmerksamkeit Ablenkbarkeit | Klare Definition des Therapieziels |
Vorsichtige Aufdosierung | ||
Regelmäßige Überprüfung auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen | ||
Atypische Neuroleptika (Aripiprazol, Risperidon) | Irritabilität Aggressivität | Verhaltensintervention (ABC-Analyse) und Umfeldgestaltung (z. B. TEACCH) ausgeschöpft? |
Klare Definition des Therapieziels und der Therapiedauer | ||
Wenn möglich, vorsichtige Aufdosierung | ||
Regelmäßige Überprüfung auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen | ||
Cave: Gewichtszunahme, extrapyramidale Nebenwirkungen, Sedierung | ||
SSRI (Fluoxetin, Sertralin) | Ängstlichkeit Depression Zwänge | V. a. in Bezug auf Ängstlichkeit genaue Analyse notwendig |
Regelmäßige Überprüfung auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen | ||
Melatonin Niedrigpotente Neuroleptika (Chlorprothixen, Melperon, Pipamperon) Antihistaminika (Doxylamin) | Schlafstörungen | Primäre Bausteine: Maßnahmen der Psychoedukation, der Schlafhygiene sowie verhaltenstherapeutische Maßnahmen |
Häufig bei Kindern nicht zugelassen (individueller Heilversuch!) | ||
Wahl der Substanz richtet sich nach der Form der Schlafstörung | ||
Bei Einschlafstörungen und Tag-Nacht-Rhythmusstörungen stellt Melatonin eine gut verträgliche Option dar | ||
Führen eines Schlafprotokolls | ||
Regelmäßige Überprüfung auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen |
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Ein Kind mit Autismus prägt die Entwicklung einer gesamten Familie.
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Eltern berichten von höherer Stressbelastung und wirtschaftlichen Herausforderungen.
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Es ist von großer Bedeutung, dass Kinderärzte diesen Familien eine sozial-medizinische „Heimat“ bieten.