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Open Access 13.09.2023 | Pflege | Originalien

Pädiatrische Notfallpatienten in den Notaufnahmen einer deutschen Metropolregion

Eine retrospektive Querschnittsstudie über einen 1-Jahres-Zeitraum

verfasst von: Alexander Althammer, Heiko Trentzsch, Stephan Prückner, Christian Gehring, Prof. Dr. Florian Hoffmann

Erschienen in: Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin

Zusammenfassung

Hintergrund

Bisher existiert keine detaillierte Analyse von pädiatrischen Notfällen, die in Notaufnahmen versorgt werden. Im Rahmen der Kapazitätsplanung und anstehenden Reform der Notfallversorgung werden diese Daten aber dringend benötigt.

Methode

Retrospektive multizentrische Querschnittsstudie für den Zeitraum vom 01.07.2013 bis zum 01.06.2014 der pädiatrischen Fälle in den Notaufnahmen Münchens.

Ergebnisse

Es wurden insgesamt 103.830 Fälle analysiert (Alter: 6,9 ± 5,4 Jahre, Jungen/Mädchen 55 %/45 %). Es konnten 85,9 % der Fälle ambulant versorgt werden, 12,4 % (9,6 pro 100.000 Kinder) wurden auf die Normal- und 1,7 % (1,0 pro 100.000 Kinder) auf die Intensivstation aufgenommen. Der real benötigte Bettenbedarf überstieg jedoch diese Richtzahlen mit absolut benötigten 4,9 Intensiv- und 35,1 Normalstationsbetten pro Tag. Es zeigten sich Belastungsspitzen an den Nachmittagen des Mittwochs und des Freitags sowie an den Wochenenden. Jeder 8. Patient, der in einer Notaufnahme als Selbstzuweiser vorgestellt wurde, wurde stationär behandelt.

Schlussfolgerung

Für die Kapazitätsplanung der stationären Notfallversorgung pädiatrischer Patienten müssen mehr Betten eingeplant werden als bevölkerungsbezogen zu erwarten sind. Die Verfügbarkeit der kassenärztlichen Versorgung beeinflusst das Patientenaufkommen in den Notaufnahmen (NA). Zur Verteilung der Patienten werden Instrumente zur medizinischen Ersteinschätzung des Behandlungsbedarfs und der Behandlungsdringlichkeit benötigt. Die im Rahmen der aktuellen Reform der Notfallversorgung geplanten Kindernotfallzentren müssen personell und finanziell angemessen ausgestattet werden, um – in enger Zusammenarbeit mit der kassenärztlichen Versorgung – den zu erwartenden Versorgungsbedarf bewältigen zu können.
Die Epidemiologie des pädiatrischen Notfalls in Notaufnahmen in Deutschland ist bisher kaum untersucht. Gerade im Hinblick auf das bevorstehende Reformkonzept für die Notfallversorgung ist eine Kenntnis darüber jedoch von großer Bedeutung. Valide Planungsgrößen zu Bedarfen der pädiatrischen Notaufnahmen in Abhängigkeit der Bevölkerungsgröße, Auslastungsspitzen im Tages- und Wochenverlauf und Zusammenhänge in der Versorgungsstruktur zwischen dem niedergelassenen Sektor und der Inanspruchnahme klinischer Leistungen sind dabei von zentraler Bedeutung.

Einleitung

Die Krankenhausnotaufnahmen verzeichnen seit Jahren eine steigende Inanspruchnahme durch hilfesuchende Erwachsene, aber auch durch Kinder und Jugendliche.
In der „Vierten Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission zur Reform der Notfall- und Akutversorgung in Deutschland“ werden daher eine Anpassung der Versorgungsstrukturen und eine bessere Steuerung von Patienten in die geeigneten Behandlungsebenen unter Berücksichtigung der Dringlichkeit gefordert. Für eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den kassenärztlichen Vereinigungen und den Notaufnahmen (NA) sollen an Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin, die die Voraussetzungen des Moduls Notfallversorgung Kinder erfüllen, integrierte Notfallzentren für Kinder und Jugendliche (KINZ) entstehen [1].
Eine bedarfsgerechte Kapazitätsplanung sollte den Anforderungen der Versorgungsrealität gerecht werden. Das Patientenaufkommen für NA, die primär erwachsene Patienten behandeln, ist bereits untersucht [2, 3]. Überraschenderweise existieren für die Versorgung von pädiatrischen Patienten in deutschen NA keine vergleichbaren Daten.
Im Rahmen einer Studie an 524.717 Fällen aus den Münchener NA wurde das Notfallaufkommen in einer deutschen Metropolregion beschrieben und Richtzahlen für die Kapazitätsplanung errechnet [2]. Diese Arbeit unterteilte die Patienten ungeachtet des Alters nach der Art der Versorgungseinrichtung in NA für Erwachsene und NA für Kinder und Jugendliche. Damit wurden Patienten unter 18 Jahren, die nicht in rein pädiatrischen Versorgungseinrichtungen gesehen wurden, der Gruppe der Erwachsenen zugeschlagen [2].
Ziel dieser Arbeit ist es, auf der Basis der Münchener Daten eine Gesamtbeschreibung aller Patienten unter 18 Jahren unabhängig von der Versorgungseinrichtung vorzunehmen, um epidemiologisch belastbare Daten für die bedarfsgerechte Kapazitätsplanung der KINZ in bundesdeutschen Ballungsgebieten zu erhalten.

Methode

Im Rahmen einer retrospektiven multizentrischen Querschnittsstudie wurden die Behandlungsfälle in den NA von 14 Münchner Krankenhäusern im Zeitraum vom 01.07.2013 bis zum 30.06.2014 ausgewertet. Das umfasste 4 rein pädiatrische NA an Kinderkliniken (NA Kinder) und 10 weitere Krankenhausnotaufnahmen (NA Erwachsene). Manche Häuser führten eigenständige Notfallversorgungseinrichtungen für spezielle Versorgungsangebote (z. B. Augenklinik oder HNO; NA-Spezial). Methodik und Ergebnisse sind andernorts publiziert [2].
In diese Analyse wurden alle pädiatrischen Notfälle, definiert durch das Alter bei Vorstellung von unter 18 Jahren, eingeschlossen. Diese Gruppe wird im Folgenden als „Kinder“ bezeichnet und umfasst je nach Alter die Subgruppen: Neonaten und Säuglinge (< 1. Lebensjahr), Kleinkinder (1–2 Jahre), frühe Kindheit (3–5 Jahre), späte Kindheit (6–11 Jahre) und Adoleszente (12–17 Jahre).
Die Einwohnerzahl der Stadt München betrug im Beobachtungszeitraum durchschnittlich 1.465.307 Einwohner, davon durchschnittlich 209.863 (14,3 %) Kinder.
Rettungsdiensteinsätze waren definiert als jeder Transport zu einer Krankenhausnotaufnahme mit Krankentransportwagen (KTW), Rettungstransportwagen (RTW), Notarztwagen (NAW) oder Notarzteinsatzfahrzeug (NEF). Bei Fällen, die nicht mit den Leitstellendaten verknüpft werden konnten, wurde eine Vorstellung ohne Inanspruchnahme des Rettungsdienstes angenommen (Selbstzuweiser).
Die Planungsgröße „Aufwand“ wurde anhand der codierten diagnostischen und therapeutischen Prozeduren (z. B. anhand des Operationen- und Prozedurenschlüssels [OPS] Version 2015 oder des einheitlichen Bewertungsmaßstabs [EBM] nach der Methodik für den Münchener Notfallscore) bestimmt [2]. In dem 4‑stufigen Modell steht die Stufe 1 für den geringsten und die Stufe 4 für den höchsten Aufwand.
Es wurden die Versorgungstypen „ambulant“ und „stationär“ unterschieden. Als ambulant galten alle Fälle, die nicht stationär aufgenommen wurden. Als stationär galten Fälle, die auf eine Normal- oder Intensivstation aufgenommen wurden. Diese Gruppen wurden getrennt untersucht. Die Unterscheidung der High-care-Betten in Intensiv- oder Überwachungsbett erfolgte nicht.
Zur Charakterisierung des ambulanten Patientenanteils wurden diese Fälle mit den stationären Fällen verglichen, wobei Normal- und Intensivstationsfälle zusammengefasst wurden. Für diesen Teil der Auswertung wurden Fälle aus NA-Spezial ausgeschlossen, weil die speziellen Angebote dieser Einrichtungen nur lokal angeboten werden und für die ambulante Versorgung nicht relevant erscheinen.
Die Krankenhaushauptdiagnosen war nach ICD-10 codiert und die Art der Diagnose nach ICD-10-Kapiteln kategorisiert in „Trauma“ (Kapitel „Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen“) und Non-Trauma (alle anderen Kapitel).
Das Studienprotokoll sowie das Datenschutzkonzept wurden der Ethikkommission am Klinikum der Universität München vorgelegt, die die Beratungspflicht nach Fakultätsrecht aussetzte (Projekt-Nr. 17–530 UE).

Statistische Analyse

Die Daten wurden deskriptiv ausgewertet. Soweit nicht anders angeben handelt es sich um Absolutwerte, Mittelwerte ± Standardabweichung oder den Anteil von 100 (%).
Um das Risiko einer stationären Aufnahme gegenüber der ambulanten Behandlung in Abhängigkeit des Zubringers zu schätzen, wurde eine logistische Regression durchgeführt. Das Risiko der abhängigen Variable „Versorgungstyp“ (stationär vs. ambulant) wurde dabei durch die unabhängigen Variablen „Alter“, „Geschlecht“, „Art des Zubringers“, „Art der Notaufnahme“, „Art der Diagnose“ und der „Wochentage“ geschätzt. Zur Interpretation der Ergebnisse wurden die Odds-Ratio (OR) mit zugehörigem 95 %-Konfidenzintervall (95 %-KI) angegeben. Die statistische Auswertung wurde mit R Development Core Team (2008; „R: A language and environment for statistical computing. R Foundation for Statistical Computing“, Wien Österreich) durchgeführt.

Ergebnisse

Im Beobachtungszeitraum wurden 103.830 Kinder versorgt (mittleres Alter: 6,9 ± 5,4 Jahre; 55,0 % Jungen, 45 % Mädchen). Davon lebten 69.982 (67,4 %) im Stadtgebiet München. Abb. 1 stellt die Anzahl der Notfälle der jeweiligen Bevölkerungsanzahl gegenüber. Die übrigen Fälle kamen aus dem Landkreis München oder anderen geografischen Regionen.
NA-Kinder versorgten 81.185 Fälle (78,2 %); in NA-Erwachsene und NA-Spezial stellten sich 17.023 (16,4 %) bzw. 5622 (5,4 %) Fälle vor. Die Inzidenz beträgt somit 32.239 Notfallzuweisungen pro 100.000 Kinder.
Die häufigsten Diagnosegruppen nach ICD-10 für die jeweilige Altersgruppe und den Versorgungstyp sind im zusätzlichen Onlinematerial der Tabelle Z1 (Non-Trauma) und der Tabelle Z2 (Trauma) zu entnehmen.
Knapp 50 % der Fälle sind unter 6 Jahre alt. Die meisten Fälle konnten ambulant versorgt werden (85,9 %). Stationär wurden 12,4 % auf die Normalstation und 1,7 % auf die Intensivstation aufgenommen (Tab. 1). Relativ gesehen zeigte sich mit 5,4 % ein hoher Bedarf an intensivmedizinischen Ressourcen für die Altersgruppe Neonaten und Säuglinge (528/9731) im Gegensatz zu 1,2 % (251/20.121) für Kleinkinder, 1,2 % für frühe Kindheit (220/19661), 1,1 % für späte Kindheit (311/28.559) und 1,8 % für Adoleszente (473/25.758). Abb. 2 stellt den Anteil der ambulanten Fälle in Abhängigkeit des Patientenalters dar. Auch hier hatten Neonaten und Säuglinge einen hohen Anteil stationär versorgter Fälle.
Tab. 1
Aufteilung der Kinder (n = 103.830) auf die verschiedenen Versorgungstypen, wobei zwischen Normalstation und Intensivstation unterscheiden wurde
 
Ambulant
Normalstation
Intensivstation
Gesamt
 
Anzahl
%
Anzahl
%
Anzahl
%
Anzahl
%
Neonaten und Säuglinge
7024
7,9
2179
17,0
528
29,6
9731
9,4
Kleinkinder
17.459
19,6
2411
18,8
251
14,1
20.121
19,4
Frühe Kindheit
17.549
19,7
1892
14,8
220
12,3
19.661
18,9
Späte Kindheit
25.537
28,6
2711
21,1
311
17,4
28.559
27,5
Adoleszenz
21.660
24,3
3625
28,3
473
26,5
25.758
24,8
Summe
89.229
100
12.818
100,0
1783
100,0
103.830
100,0
Davon aus dem Stadtgebiet „München“
61.829
7384
769
69.982

Richtzahlen für Kapazitätsplanung

Der Gesamtbedarf von 1783 Kindern, die im einjährigen Beobachtungszeitraum über die Notaufnahmen auf Intensivstationen aufgenommen wurden, ergibt eine durchschnittliche Neuaufnahme von 4,9 Fällen pro Tag auf den Intensivstationen bzw. von 1 Neuaufnahme pro 100.000 Kinder (bezogen auf die 209.863 Kinder und vorliegenden Daten aus dem Stadtgebiet München). Die entsprechenden Werte für die Normalstationen betrugen durchschnittlich 35,1 stationäre Aufnahmen pro Tag bzw. 9,6 stationäre Fälle pro 100.000 Kinder und pro Tag. Die ambulante Versorgung in den klinischen Notaufnahmen umfasste durchschnittlich 244,5 Fälle pro Tag (80,7 pro 100.000 Kinder).

Subanalyse und logistische Regression zur Beschreibung des hohen Anteils der ambulanten Patienten

Tab. 2 zeigt die Daten der Subanalyse und Tab. 3 zeigt die Ergebnisse der logistischen Regression.
Tab. 2
Charakterisierung der Fälle nach Versorgungstyp ohne Spezialkliniken
 
Ambulante Behandlung
%
Stationäre Aufnahme
%
Gesamt
%
Gesamt
84.950
13.258
98.208
Geschlecht
m
47.206
56,8
7139
54,4
54.345
56,4
w
35.964
43,2
5995
45,6
41.959
43,6
Alter (Jahre)
6,9 ± 5,2
7,0 ± 5,8
6,9 ± 5,3
Aufwand
Gering
22.787
26,8
622
4,7
23.409
23,8
Mittel
55.675
65,5
6369
48,0
62.044
63,2
Hoch
6248
7,4
5421
40,9
11.669
11,9
Sehr hoch
240
0,3
846
6,4
1086
1,1
Art der Notaufnahme
NA-Erwachsene
15.426
18,2
1597
12,0
17.023
17,3
NA-Kinder
69.524
81,8
11.661
88,0
81.185
82,7
Zubringer
Selbstzuweiser
79.905
94,1
11.091
83,7
90.996
92,7
KTW
525
0,6
316
2,4
841
0,9
RTW
3464
4,1
869
6,6
4333
4,4
Notarzt
1056
1,2
982
7,4
2038
2,1
Art der Diagnosea (Top 3)
Trauma insgesamt
49.401
58,2
9105
68,7
58.506
59,6
Verletzungen des Kopfes
9864
61,8
2227
78,3
12.091
64,3
Verletzungen des Ellenbogens und des Unterarmes
4497
28,2
390
13,7
4887
26,0
Verletzungen der Schulter und des Oberarmes
1594
10,0
226
7,9
1820
9,7
Non-Trauma insgesamt
35.549
41,8
4153
31,3
39.702
40,4
Akute Infektionen der oberen Atemwege
6369
51,2
561
28,2
6930
48,1
Infektiöse Darmkrankheiten
4205
33,8
1026
51,7
5231
36,3
Symptome, die das Verdauungssystem und das Abdomen betreffen
1855
14,9
399
20,1
2254
15,6
Wochentag
Montag
11.905
14,0
2084
15,7
13.989
14,2
Dienstag
10.846
12,8
1979
14,9
12.825
13,1
Mittwoch
12.228
14,4
1985
15,0
14.213
14,5
Donnerstag
11.103
13,1
1852
14,0
12.955
13,2
Freitag
12.980
15,3
2007
15,1
14.987
15,3
Samstag
13.075
15,4
1687
12,7
14.762
15,0
Sonntag
12.813
15,1
1664
12,6
14.477
14,7
aDetaillierte Beschreibung der Diagnosen siehe Anhang
NA Notaufnahme, KTW Krankentransportwagen, RTW Rettungswagen
Tab. 3
Risikofaktoren für eine stationäre Behandlung: Daten der logistischen Regression
Variable
Kategorie
 
Stationäre Aufnahme
  
Koeffizient
z‑Value
OR
95 %-KI
Geschlecht
m (Ref)
1
w
0,1
4,4
1,1*
1,0–1,1
Alter
0,0
7,8
1,0*
1,0–1,0
Neonaten und Säuglinge (Ref)
1
Kleinkinder
−0,5
−15
0,6*
0,6–0,6
Frühe Kindheit
−0,7
−19,3
0,5*
0,5–0,5
Späte Kindheit
−0,7
−19,2
0,5*
0,5–0,6
Adoleszent
−0,2
−5
0,8*
0,8–0,9
Art der Notaufnahme
NA-Kinder (Ref)
1
NA-Erwachsene
−0,4
−12,2
0,7*
0,6–0,7
Zubringer
Selbstzuweiser (Ref)
1
KTW
1,4
19,6
3,6*
3,1–4,1
RTW
0,8
21,0
2,3*
2,1–2,4
Notarzt
1,8
38,2
6,3*
5,7–6,9
Art der Diagnose
Non-Trauma (Ref)
1
Trauma
−0,5
−26,0
0,6*
0,6–0,6
Wochentag
Montag (Ref)
1
Dienstag
0,0
1,3
1,0
1,0–1,1
Mittwoch
−0,1
−2,6
0,9
0,9–1,0
Donnerstag
0,0
−1,2
1,0
0,9–1,0
Freitag
−0,1
−3,7
0,9*
0,8–0,9
Samstag
−0,3
−8,3
0,7*
0,7–0,8
Sonntag
−0,3
−8,2
0,7*
0,7–0,8
Signifikanz: *p = ≤ 0,001
Ref Referenz, KTW Krankentransportwagen, RTW Rettungswagen

Zubringer

92,7 % der Fälle stellen sich selbstständig in den NA vor. Der Anteil der Fälle, die mit dem Rettungsdienst kamen, macht nur 7,4 % aus, die meisten davon mit dem RTW (4,4 %). Es zeigte sich, dass das Risiko der stationären Aufnahme bei Selbstzuweisern am niedrigsten und beim Zubringer Notarzt am höchsten war (siehe Onlinematerial Abbildung Z3).

Art der Diagnose

59,6 % der Fälle konnten der Gruppe „Trauma“ und 40,4 % der Gruppe „Non-Trauma“ zugewiesen werden. Die meisten Traumafälle kamen als Selbstzuweiser (94,3 %).

Wochentage

Es wurden 70,2 % der Fälle unter der Woche und 29,8 % am Wochenende (Samstag und Sonntag) versorgt. Dabei war der Anteil an ambulant behandelten Fällen an Samstagen und Sonntagen mit 88,6 % bzw. 88,5 % am höchsten. An den restlichen Tagen wurden durchschnittlich 85,6 % ambulant behandelt.
Abb. 3 zeigt die durchschnittliche Anzahl an Fällen, die pro Tag und Stunde behandelt wurden. Im Durchschnitt wurden pro Stunde 12,1 Fälle behandelt. Auffällig ist das hohe Patientenaufkommen mittwochs und freitags von 14.00 Uhr bis 20.00 Uhr sowie am Wochenende.

Stationäre Aufnahmen

Von insgesamt 90.996 Patienten, die als Selbstzuweiser die Klinik aufsuchten, wurden 11.091 stationär behandelt. Im Schnitt wurde somit jeder 8. Selbstzuweiser zur stationären Behandlung aufgenommen. Demgegenüber war das Risiko für eine stationäre Aufnahme bei Fällen, die mit dem Rettungsdienst kamen, erhöht. Beim Zubringer Notarzt zeigte sich das höchste Risiko und war 6,3-mal höher als bei Fällen, die ohne Rettungsdienst kamen. Vorstellungen am Mittwoch, Freitag sowie am Wochenende hatten ein geringeres Risiko für eine stationäre Aufnahme. Für Fälle, die in einer NA-Erwachsene behandelt wurden, sank das Risiko für eine stationäre Behandlung (OR: 0,7; 95 %-KI: 0,6–0,7). Für die Diagnoseart „Trauma“ verringerte sich das Risiko auf knapp die Hälfte.

Limitationen

Folgenden Limitationen sind zu berücksichtigen:
  • Eine zentrale Limitation dieser Arbeit stellt die fehlende Information zur Behandlungsdringlichkeit dar. Die vorhandene Triagedaten wurden mit unterschiedlichen Systemen dokumentiert und waren damit nicht vergleichbar. In den meisten Fällen fehlten Triagedaten komplett.
  • Vor allem bei den ambulanten Fällen fehlten häufig Daten zu diagnostischen und therapeutischen Prozeduren, um den Behandlungsaufwand zu quantifizieren. Triage, Bett und Zubringer dienten als weitere Größen, um den Aufwand zu modellieren, weshalb die Kategorisierung nur eine sehr grobe Annäherung für den realen Behandlungsaufwand darstellt. Es lässt sich daher nicht abschätzen, ob die Behandlung der ambulanten Fälle nicht auch in der Vertragsarztpraxis hätten erbracht werden können oder ob es sich um krankenhausspezifische Leistungen handelte.
  • Auch ist unbekannt, ob Selbsteinweiser vom niedergelassenen Arzt gezielt eingewiesen oder aus Eigeninitiative vorstellig wurden.
  • Durch die Anonymisierung der Patientendaten ist es unmöglich zu sagen, wie viele individuelle Patienten sich vorstellten und bei wieviel Fällen es sich um Mehrfachvorstellungen handelte.

Diskussion

Durch die flächendeckende Erfassung über ein Jahr lässt diese Studie Rückschlüsse auf die Epidemiologie des pädiatrischen Notfalls in einer deutschen Metropolregion schließen und liefert wichtige Richtzahlen für die Planung der notwendigen Behandlungskapazitäten für pädiatrische Notfallpatienten. Anders als in der Vorstudie [2] wurden hier alle Fälle unter 18 Jahre eingeschlossen. Dadurch ergibt sich ein epidemiologisch vollständiges Bild, bei dem 16,2 % der Fälle aus NA-Erwachsene und 5,4 % aus NA-Spezial eingeschlossen wurden. Die Verteilung auf ambulante und stationäre Fälle wurde dadurch allerdings kaum verändert.
Der in dieser Studie ermittelten Bedarf an Normal- und Intensivstationsbetten beträgt 9,6 bzw. 1,0 Betten/100.000 Kindern und Tag. Der tatsächlich beobachtete Bedarf lag aber mit 4,9 Intensiv- und 35,1 Normalstationsbetten pro Tag, die ausschließlich über die NA aufgenommen wurden, deutlich höher. Wahrscheinlichster Grund dafür könnte der große Einzugsbereich der Münchner Kinderkliniken sein. Wegen der insgesamt geringen Zahl von Kinderkliniken könnten solche Effekte auch in anderen Regionen zum Tragen kommen. Bedenken muss man, dass zu den Fällen aus der NA noch elektive Aufnahmen und direkte Einweisungen, die nicht über die NA laufen, hinzukommen. Für die Kalkulation von Kinderintensivbetten müssen zusätzlich innerklinische Notfälle aus dem eigenen Haus und aus peripheren Kinderkliniken, die direkt von Intensiv- zu Intensivstation verlegt wurden, berücksichtigt werden. Der reale Bettenbedarf einer Kinderklinik liegt also vermutlich deutlich höher. Ein internationaler Vergleich für die Planung der intensivmedizinischen Versorgungskapazitäten zeigt, dass der Bedarf pädiatrischer Intensivbetten aufgrund zunehmender medizinischer Komplexität zwischen 2001 und 2016 um 42 % von 5,7 pro 100.000 Kindern auf 8 pro 100.000 zugenommen hat [4].
Von besonderem Interesse für die Planung der zukünftigen Notfallversorgung pädiatrischer Patienten sind die ambulanten Fälle. Der bereits in der Voranalyse festgestellte höhere Anteil ambulanter Fälle in Kinder-NA von 85,3 % im Vergleich zu 60,2 % bei den Erwachsenen [2] war mit 86 % sogar noch geringfügig höher.
Hegenberg et al. konnten bereits zeigen, dass das Alter einen unabhängigen Risikofaktor für ambulante Behandlung bei Notaufnahmepatienten darstellt. Sie zeigten, dass ein Patientenalter kleiner 15 Jahre den stärksten Einflussfaktor für eine ambulante Behandlung ergab [5]. Für die USA wurde ein ähnlicher Zusammenhang beobachtet [6]. Mögliche Erklärungen dafür könnten eine geringe Krankheitsschwere, hoher emotionaler Druck, geringe Erfahrung im Umgang mit kranken Kindern bzw. fehlende Versorgungskapazitäten im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung sein. Riva et al. werteten für das Jahr 2012 insgesamt 1.640.713 pädiatrische Fälle aus NA in Italien aus [7]. 59 % hiervon suchten die NA aus nichtdringlichen Gründen auf. Besonders hervorzuheben ist, dass speziell für diese Gruppe ein Zusammenhang zwischen einer schlechten niedergelassenen Versorgung und dem hohen Aufkommen in der NA gezeigt werden konnte [7]. In einer Studie von Löber et al. [8] konnte gezeigt werden, dass es sich bei mehr als der Hälfte der behandelten Patienten nach objektiver Dringlichkeitseinschätzung der Eltern nicht um einen akuten Notfall handelte. Eine Querschnittsstudie aus Deutschland zeigte, dass insbesondere junge Patienten die bessere Verfügbarkeit der NA im Vergleich zur Verfügbarkeit von niedergelassenen Ärzten als Motivation zur Inanspruchnahme der NA angeben [9, 10]. Zudem war ein besonders hoher Anteil der nichtdringlichen Patienten im Kindesalter [11].
Unsere Arbeit zeigt ein erhöhtes Patientenaufkommen in der NA im Zusammenhang zu den Öffnungszeiten der vertragsärztlichen Versorgung an den Nachmittagen des Mittwochs und des Freitags sowie an den Wochenenden. In diesen Zeiten sind Kinderarztpraxen meistens geschlossen. Am Wochenende ist das Risiko für eine stationäre Aufnahme über die NA besonders niedrig. Dies kann als Hinweis für den systemrelevanten Einfluss der niedergelassenen Ärzte auf die Auslastung der pädiatrischen NA gewertet werden. Wenn die Auslastung der NA derart von der Verfügbarkeit der kassenärztlichen Versorgung beeinflusst wird, muss man die Frage stellen, ob die Behandlungskapazitäten im niedergelassenen Bereich ausreichend bemessen sind.
Der festgestellte Aufwand war in 65,5 % mittel und in 26,8 % gering. Jedoch wurde jeder 8. Fall der Kategorie Selbstzuweiser stationär behandelt. Dies deckt sich mit Daten aus der Erwachsenenmedizin, wo bei jedem 6. Patienten eine stationäre Weiterbehandlung notwendig wurde [3], und zeigt gleichzeitig, dass in dieser Patientengruppe Fälle enthalten sind, deren Krankheitsschwere eine stationäre Aufnahme erfordert. Es scheint also nicht so zu sein, dass die ambulanten Fälle generell in den Bereich der Niedergelassenenversorgung verwiesen werden können. Um diese Fälle zeitnah und adäquat dem richtigen Versorgungssektor zuzuleiten, werden validierte Instrumente zur medizinischen Ersteinschätzung des Behandlungsbedarfs und der Behandlungsdringlichkeit benötigt, die derzeit weder für Erwachsene noch für Kinder zur Verfügung stehen und die für die Reformierung der Notfallversorgung dringend so schnell wie möglich benötigt werden. Hier besteht dringend weiterer Forschungsbedarf und die Notwendigkeit, aussagekräftige Daten bereitzustellen.

Fazit für die Praxis

  • Trotz eines hohen Anteils an ambulanten Fällen werden zur Versorgung pädiatrischer Notfälle in München mehr Betten benötigt, als dies bevölkerungsbezogen zu erwarten ist. Dies könnte am Einzugsbereich der Kliniken und an der Verfügbarkeit stationärer Behandlungseinrichtungen in der Fläche liegen.
  • Wegen der vermehrten Inanspruchnahme der Notaufnahme (NA) zu Zeiten, in denen Kinderarztpraxen oft geschlossen sind, ist zu vermuten, dass die Kapazitäten der vertragsärztlichen Versorgung nicht ausreichen, um dem Bedarf gerecht zu werden.
  • Perspektivisch müssen dringend Instrumente zur medizinischen Ersteinschätzung des Behandlungsbedarfs und der Behandlungsdringlichkeit für den pädiatrischen Bereich entwickelt und validiert werden, um die Patienten dem richtigen Versorgungssektor zuordnen zu können.
  • Die im Rahmen der aktuellen Reform der Notfallversorgung geplanten Kindernotfallzentren müssen personell und finanziell angemessen ausgestattet werden, um – in enger Zusammenarbeit mit der kassenärztlichen Versorgung – den zu erwartenden Versorgungsbedarf bewältigen zu können.

Danksagung

Wir danken allen Kolleginnen und Kollegen der Münchner Kliniken für die Bereitstellung der Daten.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

A. Althammer, H. Trentzsch, S. Prückner, C. Gehring und F. Hoffmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Die Untersuchung wurde durch das Städtische Klinikum München beauftragt und finanziert. Gelder wurden über Drittmittelkonto des Instituts für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM) angenommen.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Literatur
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Zurück zum Zitat Trentzsch H, Dodt C, Gehring C, Veser A, Jauch K‑W, Prückner S (2019) Analyse der Behandlungszahlen in den Münchener Notaufnahmen des Jahres 2013/2014 (Analysis of Treatment Figures in the Munich Emergency Rooms 2013–2014). Gesundheitswesen. https://doi.org/10.1055/a-0925-8989CrossRefPubMed Trentzsch H, Dodt C, Gehring C, Veser A, Jauch K‑W, Prückner S (2019) Analyse der Behandlungszahlen in den Münchener Notaufnahmen des Jahres 2013/2014 (Analysis of Treatment Figures in the Munich Emergency Rooms 2013–2014). Gesundheitswesen. https://​doi.​org/​10.​1055/​a-0925-8989CrossRefPubMed
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Metadaten
Titel
Pädiatrische Notfallpatienten in den Notaufnahmen einer deutschen Metropolregion
Eine retrospektive Querschnittsstudie über einen 1-Jahres-Zeitraum
verfasst von
Alexander Althammer
Heiko Trentzsch
Stephan Prückner
Christian Gehring
Prof. Dr. Florian Hoffmann
Publikationsdatum
13.09.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Print ISSN: 2193-6218
Elektronische ISSN: 2193-6226
DOI
https://doi.org/10.1007/s00063-023-01064-1

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