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Erschienen in: Die Ophthalmologie 4/2024

Open Access 10.01.2024 | Netzhautablösung | Kasuistiken

Nekrotisierende herpetische Retinopathie

verfasst von: Christian Luber, Maria-Andreea Gamulescu, Horst Helbig

Erschienen in: Die Ophthalmologie | Ausgabe 4/2024

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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Falldarstellungen

Wir berichten über 3 Patienten, die sich mit herpesassoziierten Nekrosen der peripheren Retina notfallmäßig in unserer Klinik vorstellten. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf (Differenzial‑)Diagnostik und Therapie, welche aufgrund der oft schweren Komplikationen unverzüglich durchgeführt werden sollte.

Patient 1

Patient 1 war ein 55-jähriger Mann, der notfallmäßig von seinem Augenarzt bei Tensiodekompensation am einzigen rechten Auge überwiesen wurde. Er habe seit 3 Tagen einen Grauschleier und Schmerzen bemerkt. Das linke Auge sei bereits seit dem 16. Lebensjahr nach einer schweren Uveitis und damals durchgeführten Netzhautoperationen erblindet.
An relevanten internistischen Diagnosen war neben einer Polioerkrankung ein Morbus Crohn bekannt, der mit Prednisolon 5 mg täglich therapiert wurde.
Fundoskopisch zeigten sich am rechten Auge multiple retinale Infiltrate und Blutungen in der Peripherie (Abb. 1).
Aufgrund des klinischen Bildes stellten wir die Verdachtsdiagnose „akute Retinanekrose“. Der Patient erhielt eine intravenöse Aciclovir-Therapie sowie eine orale Prednisolon-Therapie. Eine diagnostische Vorderkammerpunktion erbrachte den Nachweis von Herpes-simplex-Virus 2 (HSV-2). Während des stationären Aufenthalts wurden insgesamt 7 intravitreale Eingaben des Virostatikums Foscarnet durchgeführt. Im Verlauf entwickelte sich eine Ablatio retinae, welche operativ mittel Pars-plana-Vitrektomie (ppV) mit Silikontamponade versorgt wurde. Unter Silikon führten wir keine weiteren Foscarnet-Eingaben mehr durch. Bei den folgenden ambulanten Verlaufskontrollen zeigten sich subretinale Narbenstränge und traktive Membranen. Da der Patient subjektiv zufrieden war, wurde auf weitere operative Interventionen verzichtet und regelmäßige Kontrollen empfohlen.

Patientin 2

Bei Patientin 2 handelte es sich um eine 63-jährige Patientin, die sich notfallmäßig mit der Überweisung „retinale Nekrose“ am rechten Auge vorstellte. Sie habe bereits seit etwa zwei Wochen das Gefühl gehabt, dass mit dem Auge etwas nicht stimme.
Aus der Vorgeschichte war ein Mammakarzinom bekannt, das mittels Chemotherapie und anschließender Tamoxifen-Therapie behandelt worden war.
Fundoskopisch zeigten sich am rechten Auge ausgeprägte chorioretinale Infiltrate, Blutungen und Vaskulitis. Auch die Makula war beteiligt (Abb. 2 und 3).
Bei der Verdachtsdiagnose „nekrotisierende herpetische Retinopathie“ erfolgte die stationäre Aufnahme, und die intravenöse Aciclovir-Therapie wurde unverzüglich begonnen. Mittels Kammerwasserpunktion und Polymerase Chain Reaction (PCR) wurde Varicella-Zoster-Virus (VZV) nachgewiesen. Während des ca. zweiwöchigen stationären Aufenthalts wurden insgesamt 8 intravitreale Foscarnet-Eingaben verabreicht. Wenige Tage nach Entlassung wurde die Patientin mit Ablatio am rechten Auge erneut notfallmäßig überwiesen. Die operative Versorgung erfolgte mit ppV und Silikontamponade. Unter Öl zeigten sich auch hier im Verlauf narbige Netzhautspangen, sodass eine erneute Vitrektomie mit Membranpeeling und Silikonölwechsel durchgeführt wurde. Bei im Verlauf stabilen Befunden wurde auch mit dieser Patientin ein Verzicht auf weitere operative Eingriffe besprochen.

Patient 3

Der 68-jährige Patient stellte sich mit der Überweisung „Verdacht auf Virusretinitis mit akuter Retinanekrose“ notfallmäßig vor. Seit einer Woche habe er am rechten Auge eine Visusminderung bemerkt.
Bei ihm sei seit 2004 eine granulomatöse Polyangiitis bekannt, und es bestünde ein Zustand nach Nierentransplantation (Mai 2018) mit aktuell immunsuppressiver Therapie mit Tacrolimus.
Fundoskopisch waren ausgeprägte, konfluierende Nekroseareale mit Blutung vor allem in der nasalen Hälfte zu sehen. Auch kleinere Herde oberhalb der Makula waren auffällig (Abb. 4).
Bei der Verdachtsdiagnose „nekrotisierende herpetische Retinopathie“ erfolgte die nieren- und gewichtsadaptierte intravenöse Therapie mit Aciclovir. Mittels Vorderkammerpunktion wurde VZV nachgewiesen. Während des stationären Aufenthalts wurden insgesamt 6 intravitreale Foscarnet-Eingaben durchgeführt. Der Patient erhielt ambulant weitere 5 Injektionen. Im Verlauf zeigte sich eine Ablatio retinae, die operativ mit ppV und Silikontamponade versorgt wurde. Auch bei diesem Patienten wurde in Anbetracht der stabilen Befunde von weiteren Eingriffen abgesehen.

Hintergrund und Diskussion

Bei allen 3 Patienten stellten wir die Verdachtsdiagnose „nekrotisierende herpetische Retinopathie“. Es handelt sich um diffuse nekrotisierende Retinitiden, die einen fulminanten Verlauf nehmen können und eine stark reduzierte Visusprognose aufweisen. Man unterscheidet die akute Retinanekrose (ARN) und die „progressive outer retinal necrosis“ (PORN). Da sich diese Krankheitsbilder jedoch in vielerlei Hinsicht ähneln und überschneiden, kann klinisch nicht immer eine klare Unterscheidung getroffen werden.
Nekrotisierende herpetische Retinopathien zeichnen sich durch periphere nekrotisierende Retinitis aufgrund einer Infektion mit Herpesviren aus. Sie können uni- oder bilateral auftreten. Im Jahr 1971 wurde erstmalig ein Krankheitsbild beschrieben, das aus Panuveitis mit Vitritis, Periarteriitis, konfluierenden retinalen Nekrosen und Netzhautablösung bestand [7].
Die genaue Häufigkeit des Auftretens nekrotisierender herpetischer Retinitiden ist noch unklar. Eine britische Studie schätzte die Inzidenz auf 1,6 bis 2 Fälle pro 1 Mio. Einwohner pro Jahr [5].
Die Viren vermehren sich in der Retina und führen zu Nekrose. Die körpereigene Immunantwort führt zu einer arteriellen Vasookklusion, die das großflächige Absterben der Netzhaut weiter fördert. Im Grenzbereich von gesunder zu nekrotischer Netzhaut bilden sich häufig große Risse, die wiederum – je nach Studie – bei 20 bis 73 % zur Entstehung von Netzhautablösungen führen können [2].
Am häufigsten kann mittels PCR (meist aus dem Kammerwasser) VZV nachgewiesen werden, gefolgt von HSV‑1 und 2. Nekrotisierende herpetische Retinopathien können bei immunkompetenten Menschen auftreten, sind jedoch auch mit verschiedenen Formen der Immunsuppression (z. B. medikamentös oder im Rahmen von AIDS) assoziiert [5].
Die Diagnosestellung basiert vor allem auf der typischen klinischen Präsentation. Neben einem variablen Vorderkammer- und Glaskörperreiz zeigen sich – meist in der Peripherie beginnend – flächige, gelblich erscheinende retinale Infiltrate und Nekrosen in Kombination mit Netzhautblutungen und Periarteriitis. Ebenso können sich Uveitis anterior oder Panuveitis, Skleritis, okklusive Vaskulitis oder Papillenödem präsentieren. Man sollte bedenken, dass bei immunsupprimierten Patienten die körpereigene Begleitentzündungsreaktion deutlich milder verlaufen kann [2].
Zur Behandlung kommt meist eine Kombination aus systemischer und intravitrealer antiviraler Therapie zum Einsatz. Durch die systemische Therapie wird auch das Risiko der Erkrankung des Partnerauges reduziert, das sonst bei 70 bis 90 % liegt [2]. Hierfür kommen zum Beispiel Aciclovir intravenös oder orales Valaciclovir infrage, die beide ausreichende Wirkspiegel im Glaskörper erreichen und ein vergleichbares Outcome hinsichtlich Visus und Komplikationen erreichen [3, 6]. Zudem können die antiviralen Wirkstoffe Foscarnet und Ganciclovir intravitreal verabreicht werden, um lokal hohe Wirkstoffspiegel zu erreichen.
Bei starken intraokularen Entzündungsreiz können systemische Steroide erwogen werden. Diese sollten jedoch aufgrund ihrer immunsupprimierenden Wirkung erst 24 bis 48 h nach Beginn der antiviralen Therapie verabreicht werden, um eine Exazerbation der nekrotisierenden herpetischen Retinopathie zu vermeiden.
Die Rolle der prophylaktischen Laser-Retinopexie bleibt ebenso wie die frühe Vitrektomie aufgrund unterschiedlicher Studienergebnisse unklar. Beim Auftreten von Netzhautablösungen muss häufig eine ppV mit Endolaser und Silikontamponade durchgeführt werden. Das Risiko für eine rezidivierende Netzhautablösung liegt bei ca. 50 % [2, 4].
Auch bei optimaler Therapie und anatomisch vollständiger Netzhautanlage bleibt die Visusprognose bei nekrotisierender herpetischer Retinitis insgesamt stark limitiert. Gründe hierfür sind die teils großflächigen Netzhautnekrosen, (rezidivierende) Netzhautablösungen, zentrale Netzhautischämie und Optikusneuritis [1].

Fazit für die Praxis

  • Nekrotisierende herpetische Retinopathien sind seltene Krankheitsbilder, die aber mit einer schlechten Visusprognose einhergehen können.
  • Die Diagnosestellung sollte zügig erfolgen, damit keine Zeit bis zum Therapiebeginn verloren geht.
  • Wichtig ist neben der intravitrealen antiviralen Therapie vor allem die intravenöse antivirale Therapie, die auch das Partnerauge vor Ausbruch der Erkrankung schützt.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

C. Luber, M.-A. Gamulescu und H. Helbig geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

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Literatur
1.
Zurück zum Zitat Almeida DR (2015) Long-term outcomes in patients undergoing vitrectomy for retinal detachment due to viral retinitis. Clin Ophthalmol Almeida DR (2015) Long-term outcomes in patients undergoing vitrectomy for retinal detachment due to viral retinitis. Clin Ophthalmol
2.
Zurück zum Zitat Anthony CL (2020) Advances in the diagnosis and management of acute retinal necrosis. Ann Eye Sci Anthony CL (2020) Advances in the diagnosis and management of acute retinal necrosis. Ann Eye Sci
3.
Zurück zum Zitat Baltinas J (2018) Comparing treatment of acute retinal necrosis with either oral valacyclovir or intravenous acyclovir. Am J Ophthalmol Baltinas J (2018) Comparing treatment of acute retinal necrosis with either oral valacyclovir or intravenous acyclovir. Am J Ophthalmol
4.
Zurück zum Zitat Hillenkamp J (2009) Acute retinal necrosis: clinical features, early vitrectomy, and outcomes. Ophthalmology Hillenkamp J (2009) Acute retinal necrosis: clinical features, early vitrectomy, and outcomes. Ophthalmology
5.
Zurück zum Zitat Muthiah MN (2007) Acute retinal necrosis: a national population-based study to assess the incidence, methods of diagnosis, treatment strategies and outcomes in the UK. Br J Ophthalmol Muthiah MN (2007) Acute retinal necrosis: a national population-based study to assess the incidence, methods of diagnosis, treatment strategies and outcomes in the UK. Br J Ophthalmol
6.
Zurück zum Zitat Scott D, Schoenberger SJ (2017) Diagnosis and treatment of acute retinal necrosis: a report by the American Academy of Ophthalmology. Ophthalmology Scott D, Schoenberger SJ (2017) Diagnosis and treatment of acute retinal necrosis: a report by the American Academy of Ophthalmology. Ophthalmology
7.
Zurück zum Zitat Urayama A (1971) Unilateral acute uveitis with retinal periarteriitis and detachment. Jpn J Clin Ophthalmol Urayama A (1971) Unilateral acute uveitis with retinal periarteriitis and detachment. Jpn J Clin Ophthalmol
Metadaten
Titel
Nekrotisierende herpetische Retinopathie
verfasst von
Christian Luber
Maria-Andreea Gamulescu
Horst Helbig
Publikationsdatum
10.01.2024
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Ophthalmologie / Ausgabe 4/2024
Print ISSN: 2731-720X
Elektronische ISSN: 2731-7218
DOI
https://doi.org/10.1007/s00347-023-01964-9

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