Erschienen in:
01.10.2020 | Außer der Reihe
Erwin Reichenbach (1897–1973)
Leben und Werk unter besonderer Berücksichtigung seiner politischen Rolle im „Dritten Reich“ und in der Deutschen Demokratischen Republik
verfasst von:
Prof. Dr. Dr. Dr. D. Groß
Erschienen in:
Die MKG-Chirurgie
|
Ausgabe 4/2020
Einloggen, um Zugang zu erhalten
Zusammenfassung
Erwin Reichenbach zählt zu den prägendsten deutschsprachigen Hochschullehrern des 20. Jhds. Er galt als „Universalist“ und lieferte dementsprechend zentrale Beiträge zur Kieferchirurgie, zur chirurgischen Prothetik und zur Kieferorthopädie. Auch gehörte er zu den wenigen Fachvertretern, die sowohl im „Dritten Reich“ als auch in der DDR eine ordentliche Professur erlangten. Überdies war er langjähriger Vizepräsident der Leopoldina – und damit ein exponierter Repräsentant der ostdeutschen Gelehrtengesellschaft. Doch während Reichenbachs Bedeutung als Wissenschaftler unbestritten ist, wird sein Verhältnis zum Nationalsozialismus, aber auch seine politische Rolle in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) höchst uneinheitlich beurteilt. Ebendiese Fragestellung – Reichenbachs konkrete politische Verortung in beiden Systemen – steht daher im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags. Methodische Grundlage der Studie sind Primärquellen aus zahlreichen deutschen Archiven sowie eine kritische Reanalyse der verfügbaren einschlägigen Sekundärliteratur. Die Quellenanalyse zeigt, dass Reichenbach sich dem nationalsozialistischen Regime andiente – nicht nur durch parteipolitische Bekenntnisse und Mitgliedschaften, sondern auch durch die Mitarbeit in politiknahen Ämtern und Positionen. Zudem demonstrierte er in verschiedenen Kontexten politische Loyalität und Regimetreue. Gleiches gilt für die erste Phase seiner Tätigkeit in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR. Dementsprechend ist das weit verbreitete Diktum, wonach Reichenbach in beiden Gesellschaftssystemen eine politisch „unbeugsame Haltung“ eingenommen habe, bei kritischer Betrachtung nicht aufrechtzuerhalten.