Erschienen in:
20.06.2016 | Epilepsie | Leitthema
Neurologie und Neurologen in der NS-Zeit: Das Beispiel der Epilepsieforschung
verfasst von:
M. Martin, H. Fangerau, Prof. Dr. A. Karenberg
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Sonderheft 1/2016
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Zusammenfassung
Bislang existieren nur wenige Studien, welche die Auswirkungen rassenhygienischer und erbbiologischer Theorien und Praktiken auf die Forschung zu neurologischen Krankheiten im „Dritten Reich“ untersucht haben. Dieser Beitrag zur „NS-Neurologie“ fokussiert daher beispielhaft auf die Epilepsieforschung zwischen 1933 und 1945 und rekonstruiert auf der Basis von Primärquellen und Sekundärliteratur den wissenschaftlichen Diskurs der Zeit mitsamt seinen Folgen für Patientinnen und Patienten.
Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde die Eugenik als politisches Staatsziel propagiert und als biopolitische Soziotechnik umgesetzt. Unmittelbaren Ausdruck fand diese Politik im 1933 verabschiedeten „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das neben anderen neurologisch-psychiatrischen Störungen die „erbliche Fallsucht“ als Indikation zur Zwangssterilisation anführte. In der Folgezeit wurden epileptologische Untersuchungen, z. B. an der Deutschen Forschungsanstalt in München und dem Rheinischen Provinzial-Institut in Bonn, massiv gefördert und ausgeweitet. Oft stand die Idee im Mittelpunkt, idiopathische Krankheitsformen als grundsätzlich erblich bedingt anzusehen und Kranke entsprechend durch Sterilisation zu „behandeln“. Auch auf den Jahresversammlungen der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater rückte die Epilepsie in den Fokus. Dabei reichten die Diskussionsbeiträge von einer weiten Auslegung der „Endogenität“ und damit einer Ausweitung der Sterilisationspraxis bis hin zu einer stärkeren Differenzierung und Zurückhaltung bei der Beurteilung der Erblichkeit. Für einzelne neurologische Forscher kann eine Selbstmobilisierung im Sinne der neuen Machthaber konstatiert werden.