Erschienen in:
10.03.2023 | Fall und Kommentare
Kommentar I zum Fall: „Seelische Notlage und später Schwangerschaftsabbruch“
verfasst von:
Dr. med. Anna Lisa Westermair, Dr. iur. Charlotte Wetterauer, Dr. sc. med. Jan Schürmann, PD Dr. med. Dr. phil. Manuel Trachsel
Erschienen in:
Ethik in der Medizin
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Ausgabe 2/2023
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Auszug
Ein Schwangerschaftsabbruch (SSA) nach der 12. Schwangerschaftswoche (sogenannter Spätabbruch) bleibt in Deutschland straflos, wenn er „nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann“ (§ 218a Strafgesetzbuch (StGB)). Dabei geht der Begriff des Gesundheitszustands über medizinisch fest umschriebene Krankheitsbilder hinaus und umfasst beispielsweise auch anhaltende Erschöpfung (Eschelbach
2007, Rn. 19–23). Würde der Fall sich in der Schweiz zutragen, wäre das analoge Kriterium der „Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage“ anzuwenden (Art. 119 Abs. 1 StGB). Beide Gesetzgeber ermöglichen damit, die Abwendung einer Notlage der Schwangeren nach dem ethischen Prinzip des Wohltuns höher zu gewichten als den Schutz des potenziellen Kindes. Die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften wird in der medizinischen Praxis allerdings durch die Unklarheit erschwert, ob mit „Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustands“ resp. „seelischer Notlage“ ein intrapsychischer Zustand oder allgemeiner eine belastende Lebenslage gemeint ist und nach welchen Kriterien die Schwere einer solchen Notlage zu bestimmen ist. …