Bei psychisch Kranken mit Darmkrebs dauert es in Großbritannien in der Regel knapp ein Jahr von den ersten Warnzeichen bis zur Diagnose. Ohne psychische Störungen erfolgt die Diagnose hingegen schon nach vier Monaten.
Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.
Psychisch Kranke haben in der Regel eine deutlich reduzierte Lebenserwartung, was zum großen Teil an den Begleiterkrankungen liegt: So ist zum einen etwa das kardiovaskuläre Risiko deutlich erhöht, auf der anderen Seite leidet oft die medizinische Versorgung, was auch daher rührt, dass psychisch Kranke oft nicht compliant sind und mit körperlichen Beschwerden nicht rechtzeitig zum Arzt gehen. Doch damit lässt sich das erhöhte Sterberisiko nicht vollständig erklären. Ein Team um Dr. Sara Benitez Majano von der London School of Hygiene and Tropical Medicine hat sich genauer dafür interessiert, weshalb psychisch Kranke mit Darmkrebs viel früher sterben als psychisch gesunde Darmkrebskranke. Bekannt ist, dass psychisch Kranke bei der Krebsdiagnose oft fortgeschrittenere Tumoren haben, was ihre Prognose beeinträchtigt. Dies scheint jedoch nicht nur daran zu liegen, dass sie nicht rechtzeitig zu einem Arzt gehen, sondern auch, dass vor allem Hausärzte Warnzeichen für einen Tumor bei psychisch Kranken falsch interpretieren und die Diagnose dadurch erheblich verzögern.
Verzögerung ist klinisch relevant
Zu diesem Schluss kommen Benitez Majano und Mitarbeiter nach der Analyse der britischen Hausarztdatenbank CPRD (Clinical Practice Research Datalink), einer Klinikdatenbank sowie dem nationalen Krebsregister. Sie schauten zum einen in CPRD nach Personen, bei denen in den zwei Jahren vor einer Darmkrebsdiagnose Warnzeichen wie rektale Blutungen, eine laborbestätigte Anämie oder Veränderungen der Darmtätigkeit registriert worden waren. Dann berechneten sie anhand des Klinik- und Krebsregisters, wie lange es von den ersten Warnzeichen bis zur Diagnose dauerte und über welchen Weg die Diagnose erfolgte – in der Notaufnahme einer Klinik oder über das Fast-Track-Überweisungssystem, das bei Krebsverdacht eine Untersuchung bei einem Spezialisten innerhalb von zwei Wochen ermöglichen soll.
Insgesamt fanden sie knapp 3800 Personen aus der CPRD-Datenbank, bei denen zwischen 2011 und 2015 Darmkrebs festgestellt worden war, 623 von ihnen (17%) hatten auch eine psychische Erkrankung, 562 davon eine Depression oder Angststörung (15%).
Bei etwa der Hälfte der psychisch Kranken waren zuvor Warnzeichen (red flags) für Darmkrebs von den Hausärzten dokumentiert worden, der Anteil lag mit 57% bei psychisch unauffälligen Personen etwas höher. Ein Drittel der Personen ohne psychische Störung kam über den Fast-Track-Pfad zur Diagnose, bei solchen mit psychischen Problemen waren es nur 23%. Dafür kamen Letztere deutlich häufiger notfallmäßig in eine Klinik zur Diagnose (37% versus 27%). Die restlichen Diagnosen erfolgten nach einer normalen Überweisung oder als Befund bei einer anderen Untersuchung. Nur 5% der Tumoren bei psychisch Unauffälligen sowie 1% bei psychisch Kranken wurden über das Screening entdeckt.
Berücksichtigte das Team um Benitez Majano nur Personen mit Warnzeichen, so blieben die Unterschiede bestehen: 30% versus 18% mit und ohne psychische Probleme kamen notfallmäßig zur Diagnose, 31% versus 42% über das Fast-Track-Verfahren. Von den ersten erfassten Beschwerden bis zur Diagnose dauerte es mit psychischer Erkrankung 350 Tage, ohne 186, von den ersten Warnzeichen bis zur Diagnose jeweils 326 und 133 Tage – ein erheblicher Unterschied, der nach Angaben der Forschenden um Benitez Majano auch klinisch relevant ist und die Darmkrebsprognose bei psychisch Kranken deutlich verschlechtern dürfte.
Ein Teil der Differenzen lässt sich offenbar durch Faktoren wie niedrigerer sozioökonomischer Status, mehr Begleitkrankheiten und auch häufiger auftretende entzündliche Darmerkrankungen unter psychisch Kranken erklären. Doch auch unter Berücksichtigung solcher Einflüsse war eine psychische Störung noch immer mit einer um knapp 30% geringeren Wahrscheinlichkeit für eine Fast-Track-Überweisung und einer etwa doppelt so langen Zeit von den ersten Symptomen bis zur Diagnose verbunden, die Darmkrebsdiagnose erfolgte zu etwa 60% häufiger notfallmäßig.
Das Team um Benitez Majano vermutet, dass Hausärzte erste Symptome eines Kolorektalkarzinoms oft auf die psychische Störung oder die damit verbundene Medikation zurückführen. Dafür könnte auch der erhöhte Anteil an Reizdarm-Neudiagnosen in den zwei Jahren vor einer Darmkrebserkrankung sprechen.
Das Wichtigste in Kürze |
Frage: Gibt es Verzögerungen bei der Darmkrebsdiagnose von psychisch Kranken, welche die erhöhte Krebsmortalität erklären können? Antwort: Von den ersten Warnzeichen für Darmkrebs dauerte es bei psychisch Kranken im Mittel 326 Tage bis zur Diagnose, bei Personen ohne psychische Probleme 133 Tage. Bedeutung: Menschen mit psychischen Problemen werden seltener und später zur Abklärung an Spezialisten überwiesen als psychisch unauffällige Personen. Dafür kommen sie häufiger notfallmäßig mit Darmkrebssymptomen in eine Klinik. Einschränkung: Vermutlich nicht alle psychischen Diagnosen in der Hausarztdatenbank erfasst. |