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27.12.2022 | Kardiologie | Nachrichten

17-Jährige mit Kammertachykardie – explizites Nachfragen offenbart Ursache

verfasst von: Veronika Schlimpert

Eine 17-jährige stellt sich mit gastrointestinalen Beschwerden in der Notaufnahme vor. Sie leidet an wiederkehrenden Kammertachykardien und zunehmender Muskelschwäche. Die Ursache bleibt zunächst unklar, bis die Ärzte nachdrücklich nachfragen.

Wenn sich der Gesundheitszustand eines jungen Menschen plötzlich verschlechtert, kann ein intensives Nachforschen in der Vorgeschichte weiterhelfen. So jedenfalls konnte ein Ärzteteam um Dr. Nan Zhang einen ungewöhnlichen Fall aufklären, über den sie im „American Journal of Medicine“ berichten.

Eine 17-jährige Jugendliche kommt mit seit einer Stunde anhaltenden Bauchschmerzen in die Notaufnahme in die Tianjin Universitätsklinik in Tianjin/China, sie leidet an Übelkeit, Erbrechen und Schwäche. Die körperliche Erstuntersuchung ergibt eine Herzfrequenz von 106 Schlägen/Minute, einen Blutdruck von 136/88 mmHg und eine Atemfrequenz von 25 Atemzügen/Minute. Die junge Frau hat keinerlei Vorerkrankungen. Sie habe auch keine rezeptfreien Medikamente zu sich genommen, berichtet sie.

Im EKG stellen die Ärzte eine ventrikuläre Tachykardie fest. Die Troponin I-Werte der Patientin sind normal, allerdings weist sie erhöhte NT-proBNP-Konzentrationen von 439,2 ng/L auf (normal ˂ 300 ng/L). Das Serumkalium liegt mit 4,0 mmol/L im Normbereich (3,5–5,3 mmol/L).

Junge Frau entwickelt Paralyse und Hypokaliämien

In den kommenden Stunden verschlechtert sich der Zustand der jungen Patientin zunehmend: Ihre Atmung wird flach und sie entwickelt eine Muskelschwäche in allen vier Gliedmaßen, die sich rasch verschlechtert. Zudem können die Mediziner eine schwere Azidose (pH: 7,178) und Hypoxämie (PaO2: 65,8 mmHg) feststellen. In einer erneuten Blutuntersuchung lässt sich eine ausgeprägte Hypokaliämie (1,9 mmol/L) nachweisen.

Die Ärzte können zunächst keine organische Ursache feststellen, die den Zustand der jungen Frau erklären könnte. Die Untersuchungen der Nieren- und Schilddrüsenfunktion ergaben keine Auffälligkeiten. Die Patientin erscheint völlig gesund.

Ärzte gehen von einer Vergiftung aus

Trotzdem leidet die junge Frau an wiederkehrenden ventrikulären Tachykardien, und das obwohl sie mit Lidocain und Verapamil i.v. behandelt wird. Auch die Hypokaliämie verschlechtert sich trotz einer kontinuierlichen intravenösen Kaliumsubstitution weiter, die Werte liegen inzwischen bei 1,5 mmol/L.

Eine verminderte Kaliumaufnahme oder ein übermäßiger Kaliumverlust über die Niere oder den Magen-Darm-Trakt als Ursache für die Hypokaliämie können die Ärzte ausschließen. Weil sie keine andere Erklärung für die Elektrolytstörung mehr haben, gehen Zhang und ihr Team von einer Vergiftung aus. Sie fragen das Mädchen nochmal nachdrücklich nach ihrer Vorgeschichte, bis sie zugibt, dass sie eine Stunde vor der Klinikaufnahme 20 Gramm Bariumchlorid zu sich genommen hat, um sich das Leben zu nehmen.

Ausgeprägte Hypokaliämie als typisches Anzeichen einer Vergiftung

Für die verantwortlichen Kardiologen ist die Ursache damit eindeutig: Alle Beschwerden der Patientin lassen sich durch die Bariumvergiftung erklären. Die häufigsten Gründe für eine akute Bariumvergiftung seien mit bariumhaltigen Rattengift oder Insektiziden verunreinigte Nahrungsmittel, versehentliche Inhalation von Barium in der Industrie oder die Einnahme von Barium als Suizidversuch wie in dem folgenden Fall, erörtern sie die Hintergründe. Solche Vergiftungen äußerten sich für gewöhnlich durch gastrointestinale Beschwerden, gefolgt von kardialen und skelettomuskulären Symptomen wie Herzrhythmusstörungen und einer generellen Paralyse. 

Wie Zhang und Kollegen ausführen, kann die fortschreitende Muskelschwäche auf die Atemmuskulatur übergreifen und dadurch zum Tode führen. „Der entscheidende Laborparameter einer Bariumintoxikation ist eine schwere und schnell fortschreitende Hypokaliämie“, erläutern die Kardiologen den Weg zur Diagnosestellung.

Junge Frau überlebt ohne weitere Komplikationen

Die 17-jährige Patientin wird nach der Diagnosestellung intubiert und auf Intensivstation gebracht. Sie wird dort sofort an eine kontinuierliche venovenöse Hämofiltration angeschlossen und mit Natriumthiosulfat i.v. sowie Kalium behandelt und rehydriert. Trotz der Sofortmaßnahmen entwickelt das Mädchen Kammerflimmern. Sie wird reanimiert und überlebt. Trotz der Kaliumsubstitution hat die Patientin wiederkehrende Hypokaliämie-Zustände, bis sich die Werte am vierten Tag der Klinikaufnahme normalisieren. Auch die EKG-Befunde sind nun unauffällig. Der Bariumspiegel im Blut ist auf 35 ng/ml zurückgegangen (am 2. Tag lag er noch bei 1.363 ng/ml). Die junge Frau kann daraufhin ohne weitere Komplikationen entlassen werden (zum psychologischen Management werden in dem Fallbericht keine Angaben gemacht).


Fazit für die Praxis:

  • Eine ausgeprägte, schnell fortschreitende Hypokaliämie kann auch durch eine Bariumvergiftung verursacht werden.
  • Eine Bariumvergiftung äußert sich durch gastrointestinale Beschwerden, eine progressive Muskelschwäche und Herzrhythmusstörungen (häufig sind Kammertachykardien, ventrikuläre Extrasystolen, ST-T-Streckenveränderungen, U-Wellen und QT-Verlängerungen, weniger häufig sind Vorhofflimmern, AV-Blockierungen und Kammerflimmern).
  • Wichtig für die Diagnosestellung ist, sich der Möglichkeit einer solchen Vergiftung bewusst zu sein sowie eine detaillierte Anamnese. 
  • Liegt eine Bariumvergiftung vor, sollten sofort Maßnahmen ergriffen werden, um die Barium-Aufnahme zu reduzieren und die Ausscheidung zu steigern, ebenso sollte sofort eine Kaliumsupplementierung erfolgen.



Literatur

Zhang N et al. The Heavy Heart: An Unusual Cause of Ventricular Tachycardia. The American Journal of Medicine 2022; https://doi.org/10.1016/j.amjmed.2022.10.022

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