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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 17.03.2021

Kinderorthopädische Untersuchung: Schulter und obere Extremität

Verfasst von: Sebastian Farr
Die kinderorthopädische Untersuchung der oberen Extremität erfordert nicht nur Geduld und eine ruhige Umgebung, sondern ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen mit den Kindern und auch deren Eltern. Es gilt gerade bei kleinen Kindern durch spielerische Weise eine Inspektion, Palpation und standardisierte Untersuchung der Extremitäten einzuhalten. Es ist auf Länge und Symmetrie der Gliedmaßen im Seitenvergleich zu achten. Sowohl die Gelenksbeweglichkeit als auch die Bandstabilität, Achsen und Greifmuster der Hände sind zu evaluieren. Einige besonders wichtige Funktionen wie Spitz-, Pinzett- und Schlüsselgriff sollten ab einem gewissen Alter möglich sein und mitberücksichtigt werden. Eine radiologische Darstellung erfordert eine genaue Kenntnis über die Reifungsstadien der Knochenkerne besonders im Ellbogen- und Handwurzelbereich. Eine seitenvergleichende Röntgendarstellung in 2 Ebenen ist bei vielen Fragestellungen Standard und kann durch ergänzende Methoden wie CT, MRT, Ultraschall oder Arthrografie ergänzt werden.

Allgemeine Aspekte

Die orthopädische Untersuchung eines Kindes unterscheidet sich maßgeblich von jener eines Erwachsenen. Zunächst muss das Vertrauen eines Kindes gewonnen werden, um eine aussagekräftige, sinnvolle Untersuchung der betroffenen Extremität zu gewährleisten. Zu diesem Zweck ist eine ruhige Untersuchungsatmosphäre wichtig, da z. B. Umgebungslärm oder viele unbekannte Beobachter die ohnehin für die meisten Kinder relativ unangenehme Situation verschärfen können. Im klinischen Alltag ist es leider manchmal schwierig, eine stressfreie Untersuchungssituation einzuhalten. Trotzdem sollte den Kindern möglichst viel Zeit zur Eingewöhnung an die jeweilige Untersuchung gegeben werden.
Gerade bei Kleinkindern ist es nach einer gewissen Eingewöhnungsphase empfehlenswert, eine entsprechende Erlaubnis zur Untersuchung einzuholen. Ein forsches „Hin- und Angreifen“ der Hand bzw. Armes führt rasch zum Abblocken und kann eine Untersuchung erschweren oder gar unmöglich machen. Erfahrungsgemäß gelingt es am besten, das Vertrauen bzw. die Erlaubnis mit spielerischen Mitteln einzuholen. Als untersuchender Arzt sollte man die notwendige Empathie aufweisen, um sich in die Lage des Kindes (und deren Eltern!) hinein zu versetzen und dadurch die oft durch Ängste und Befürchtungen angespannte Situation zu lockern. Die Untersuchung der kindlichen oberen Extremität gelingt gerade im Kleinkind- bis Vorschulalter auf spielerische Weise. Dem Faktor Inspektion kann in diesem Zusammenhang ein besonders hoher Stellenwert zugemessen werden, da durch Beobachtung und spielerische Untersuchung üblicherweise ein hoher Informationsgewinn möglich ist. Da auch bei Kindern septische Geschehen an der oberen Extremität auftreten können, sollte das gesamte Wohlbefinden und der kindliche Allgemeinzustand mitberücksichtigt werden.
Auch die Eltern dürfen in der komplexen Situation der Untersuchung nicht außer Acht gelassen werden. Insbesondere Eltern von Kindern mit angeborenen Fehlbildungen der oberen Extremität sind nach der Geburt oft mit der unerwarteten Situation überfordert und durch Bekannte, Verwandte oder Medien beeinflusst. Es gilt daher, ein möglichst vertrauensvolles Verhältnis im Rahmen der Untersuchung des Kindes herzustellen.
Da sich die klinische Untersuchung in verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich darstellt, wird im Folgenden eine spezifische Unterteilung nach Alter vorgenommen.

Klinische Untersuchung im Säuglings- bis Kleinkindalter

Die physikalische Begutachtung des Säuglings (<1. Lebensjahr) sollte stets am vollständig entkleideten kleinen Patienten stattfinden. Da viele Fehlbildungen und Pathologien im Rahmen von Syndromen bzw. mit assoziierten Deformitäten der Wirbelsäule oder unteren Extremität vorkommen, ist eine vollständige Inspektion unerlässlich.
Die Untersuchung sollte standardisiert nach einem systematischen Schema durchgeführt werden. Zunächst sollte die genaue Inspektion auf Länge, Symmetrie, Form und Umfang des Schultergürtels und der gesamten oberen Extremitäten abzielen. Hier gilt es, insbesondere den Schulterstand – sowohl in Bauch- als auch Rückenlage – zu berücksichtigen, um Deformitäten wie z. B. den Morbus Sprengel ausschließen zu können. Länge und Symmetrie müssen für den gesamten Arm sowie Ober- und Unterarm, Hand und Langfinger getrennt berücksichtigt werden. Die Gesamtlänge kann z. B. im Rahmen von longitudinalen Reduktionsdefekten, Hemihypo-/-hypertrophien, Symbrachydaktylie oder auch Brachydaktylie an gesonderten Skelettabschnitten verändert sein. Eine Hilfestellung zur Bestimmung einer Abnormalität von Armumfang und -länge gibt Tab. 1 (Edmond et al. 2019).
Tab. 1
Bestimmung von Armlänge und Armumfang nach Edmond (2019). Gewicht in kg, Größe in cm, Alter in Jahren, männlich = 0, weiblich = 1
Parameter
Körperseite
Formel
Armlänge
Rechts
Y = 0,14 ∙ (Größe) + 0,28 ∙ (Alter) + 0,41 ∙ (Geschlecht)
Links
Y = 0,14 ∙ (Größe) + 0,28 ∙ (Alter) + 0,41 ∙ (Geschlecht)
Armumfang
Rechts
Y = 12,11 + 0,05 ∙ (Gewicht) + 0,52 ∙ (Geschlecht) – 0,07 ∙ (Alter)
Links
Y = 12,10 + 0,05 ∙ (Gewicht) + 0,50 ∙ (Geschlecht)
Unterarmlänge
Rechts
Y = 0,12 ∙ (Größe) + 0,01 ∙ (Gewicht) + 0,25 ∙ (Alter)
Links
Y = 0,12 ∙ (Größe) + 0,01 ∙ (Gewicht) + 0,27 ∙ (Alter)
Unterarmumfang
Rechts
Y = 11,86 + 0,03 ∙ (Gewicht)
Links
Y = 11,90 + 0,03 ∙ (Gewicht)
Auch Form und Ausbildung des Thorax sind in die Untersuchung mit einzubeziehen, da eine Syndaktylie im Rahmen eines Poland-Syndroms kombiniert mit einer Pectoralisaplasie auftreten kann. Nach Inspektion von Form und Länge hat eine Begutachtung der Spontanmotorik und aktiven Bewegung der Extremitäten zu erfolgen. Obwohl eine genaue motorische Untersuchung (nach MRC-Graden; Tab. 2) beim Säugling in den meisten Fällen nicht zielführend ist, sollten aktive Bewegungen von Hand und Arm überprüft werden. Nicht zuletzt bei Fällen mit geburtstraumatischer Plexus-brachialis-Parese kommt es hier zu fehlender Spontanmotorik. Eine sogenannte Pseudoparalyse des Arms kann differenzialdiagnostisch auch ein Hinweis auf ein septisches Geschehen im Schultergelenk bedeuten (QV >septische Arthritis).
Tab. 2
Kraftgrade nach Medical Research Council (MRC)
Grad
Beschreibung
0
Keine muskuläre Aktivität erkennbar
1
Erkennbare Kontraktionen ohne Bewegung
2
Aktive Bewegung unter Ausschaltung der Schwerkraft vorhanden
3
Aktive Bewegung gegen Schwerkraft vorhanden
4
Aktive Bewegung gegen leichten Widerstand
5
Aktive Bewegung gegen vollen Widerstand
Nach eingehender Inspektion erfolgt eine schrittweise Palpation und Untersuchung der Extremitäten und Gelenke. Die Neutral-Null-Methode ist in diesem Alter aufgrund der relativ kleinen Strukturen schwerer zu erheben. Jedenfalls hat die passive Untersuchung auch hier eine klare Systematik einzuhalten. Erst im Alter von 3 Monaten zeigen Säuglinge dasselbe Bewegungsausmaß (in allen Gelenken außer der Hüfte) wie Erwachsene (Hoffer 1980).

Klinische Untersuchung des Kindes und Jugendlichen

Schulter und Schultergürtel

Die Untersuchung des Schultergürtels beginnt mit einer genauen Inspektion des Schulterstands, des Reliefs, deren Symmetrie und Form sowohl von vorne als auch von hinten. Dies beinhaltet auch die Inspektion der Klavikulae und etwaiger Prominenzen in diesem Bereich. Bereits durch eine sorgfältige Inspektion ist es möglich, manche Pathologien zu erkennen, die z. B. eine Asymmetrie des Schultergürtels mit knöcherner Prominenz im Bereich der Klavikula (angeborene Klavikulapseudarthrose) oder einen Schulterhochstand (Morbus Sprengel) aufweisen können. Auch eine Scapula alata („scapular winging“), gekennzeichnet durch einen vom Thorax abgehobenen medialen Anteil sowie Angulus inferior („medial winging“; Ursache unter anderem Serratusparese), ist durch Inspektion zu erkennen (Abb. 1). Das klinische Bild lässt sich in diesem Fall durch Abstützen der Arme an einer Wand deutlich verstärken. Eine seltenere Form der Scapula alata ist die laterale Abweichung der Skapula („lateral winging“), die üblicherweise durch eine Trapeziusparese entsteht.
Zur Inspektion gehört in diesem Zusammenhang auch die gleichzeitige Begutachtung der gesamten Wirbelsäule inklusive Nackenbereich. Es sollte unter anderem auf eine Abweichung der Wirbelsäule vom Lot, Asymmetrie der Taillendreiecke, Lendenwulste oder Rippenbuckel, oder zervikale Fehlhaltungen geachtet werden. Nach der Inspektion erfolgt eine systematische Untersuchung der Schulter. Üblicherweise sollte sowohl das aktive als auch passive Bewegungsausmaß geprüft werden, auch wenn dies besonders bei Kleinkindern im klinischen, stressigen Alltag oftmals schwierig ist.
Generell ist bekannt, dass jüngere Kinder (5–7 Jahre) noch andere Bewegungsmuster (mehr Skapulaprotraktion und mediolateral Bewegung) als ältere zeigen; erst mit dem 12. Lebensjahr enden diese Veränderungen (Simon-Martinez et al. 2018). Einen groben ersten Überblick bietet der Nacken- und Schürzengriff, der Hinweise auf eine defizitäre Abduktion, Außen- oder Innenrotation geben kann. Danach erfolgt eine Prüfung des Bewegungsausmaßes der Schulter durch Abduktion bzw. Elevation, Ante- und Retroflexion des Armes. Da die Abduktion ab ca. 20° zu einem Drittel durch die skapulothorakale Mitbewegung stattfindet (zwei Drittel glenohumeral), sollte auf eine symmetrische Bewegung der Skapula von dorsal geachtet werden (Freedman und Munro 1966). Die Untersuchung sollte sowohl mit als auch ohne manuelle Stabilisierung der Skapula durch den Untersucher durchgeführt werden. Nicht selten kann es im Kindes- oder vor allem Jugendalter zu einer Dyskinesie der Skapula kommen, die sich durch veränderte bis eingeschränkte Bewegungsmuster im skapulothorakalen Gelenksanteil zeigt. Die Schulterinnen- und -außenrotation wird in 90°-Ellbogenflexion mit am Körper angelegten Ellbogen geprüft; die Prüfung kann auch gegen Widerstand erfolgen. Gerade bei Kindern nach erlittener geburtstraumatischer Plexus-brachialis-Parese kann es bei den zuvor genannten Untersuchungsschritten zu Auffälligkeiten durch Innenrotationskontraktur der Schulter (mit limitierter Außenrotation), Einschränkungen in der Durchführbarkeit des Schulter-Nacken-Griffs oder auch Schürzengriffs kommen (Abb. 2 und 3).
Die schulterspezifische Untersuchung beinhaltet des Weiteren die Prüfung der Rotatorenmanschette (QV; Abb. 4) sowie Stabilität dieses muskelgeführten Gelenks. Eine Reihe an spezifischen Tests wurde beschrieben, die eine klinische Instabilität bzw. habituelle Schulterluxation bestätigen können (Abb. 4). Im Kindesalter sind ebensolche Tests selten notwendig, da stabilitätsassoziierte Probleme üblicherweise erst bei über 10-Jährigen beginnen und erst in der Adoleszenz ihren Höhepunkt finden.
Im Vergleich zu Erwachsenen sind Kinder in der klinischen Untersuchung noch relativ hypermobil. Es gilt grundsätzlich, eine reine Hypermobilität dieses Kugelgelenks von einer echten Instabilität, die potenziell zu einer Luxation führen kann, zu unterscheiden. Hierzu bedarf es oft zusätzlicher radiologischer Bildgebung mittels Röntgen und/oder Schnittbildern (CT bzw. MRT) sowie einer ausführlichen Anamnese. Patienten mit vorbekannter Bindegewebserkrankung (Ehlers-Danlos, Marfan-Syndrom) weisen eine generelle Hyperlaxizität des Bandapparats auf, die leichter zu einer habituellen Schulterluxation führen kann. Die gängigsten Tests sind das Sulcuszeichen, Apprehension-Test, vorderes und hinteres Schubladenzeichen („drawer test“) sowie Relokationstest. Abschließend erfolgt die Untersuchung des Akromioklavikular-(AC-) und Sternoklavikulargelenks (Abb. 5). Hier ist vor allem auf Stufenbildungen, dynamische Luxationszeichen bei kreisenden Bewegungen in der Schulter, Klickphänomene und Schmerzen auf Druck zu achten. Der Hyperadduktionstest kann eine selten vorkommende AC-Pathologie bestätigen.

Oberarm, Ellbogen und Unterarm

Die Untersuchung der oberen Extremität unterhalb der Schulter beginnt ebenfalls mit einem Vergleich von Symmetrie, Länge und Form der Oberarme und Ellbogen. Jungen zeigen – außer im Alter von 11–13 Jahren – üblicherweise eine größere Gesamtlänge der oberen Extremität als gleichaltrige Mädchen (Reinken et al. 1981). Einige Pathologien, wie z. B. Infektionen, können zu Wachstumsstörungen des Humerus mit konsekutivem Längendefizit führen. Eine diesbezügliche Längenprognose kann mithilfe der Multipliermethode erstellt werden (Paley et al. 2008). Der kindliche Ellbogen wird zunächst auf seine physiologische Achse in ausgestreckter Stellung und im Seitenvergleich überprüft; so lassen sich bereits etwaige Kontrakturen erkennen (Abb. 6). Ein milder Cubitus valgus von 5–10° gilt als physiologisch, wenngleich sämtliche Fehlstellungen immer in Relation zur Gegenseite berücksichtigt werden müssen. Etwaige Gelenksergüsse erkennt man am besten im Bereich des sogenannten Soft-Spots posterolateral. Danach wird das Bewegungsausmaß dieses Scharniergelenks, sofern es das Alter des Kindes zulässt, in einer am Thorax angelegten Position aktiverweise geprüft, gefolgt von einer passiven Prüfung. Eine Überstreckung von 5–10° ist bei vielen Kindern vorhanden und unbedenklich (Cheng et al. 1991). Kindliche Normwerte wurden von Nunes Da Paz et al. (2016) veröffentlicht. Im selben Untersuchungsschritt bietet sich die aktive und passive Prüfung der Unterarmbeweglichkeit an (Salter und Darcus 1953). Hierzu werden vom Patienten die Handflächen aus einer Neutralstellung nach unten, dann nach oben gedreht. Auch hier gilt es, durch Anlegen des Ellbogens an den Thorax etwaige Ausweichbewegungen durch die Schulter zu vermeiden (Abb. 7). Zur Bestimmung der Pro- und Supination werden bei der passiven Prüfung Radius- und Ulnastyloid während der Umwendbewegungen palpiert. Auch kann das Halten eines Stifts eine gute Orientierung des Ausmaßes geben. Die Ellbogenstabilität wird in 30°-Beugung geprüft. Zwecks ausreichender Aussagekraft müssen zur Außenbandprüfung die Bänder durch gleichzeitige Pronationsstellung des Unterarms gespannt sein (Abb. 8). Das Innenband kann hingegen in Supination getestet werden. Im Fall einer Instabilität lässt sich ein Aufklappen des Unterarms spüren, wenngleich bei Kindern eine leichte Laxizität physiologisch ist. Das Radiusköpfchen sollte in sämtlichen Ellbogen- und Unterarmpositionen stabil und zentriert stehen und nicht druckdolent sein. Ein gängiger Test zur Bestimmung einer Radiusköpfcheninstabilität ist der Relokationstest.

Handgelenk und Hand

Die Untersuchung der Hand beginnt mit einer generellen Inspektion. Neben angeborenen Fehlbildungen sind vor allem Form, Trophik, Nagelveränderungen, Finger- und Handgelenksverformungen sowie Achsfehler zu erkennen. Es ist auf Muskelatrophien (unter anderem Thenar, Hypothenar), die angeboren oder erworben sein können, zu achten. Sämtliche Fingerkommissuren müssen sorgfältig inspiziert und auf etwaige (partielle) Syndaktylien untersucht werden.
Die allgemeine Funktionsdiagnostik beinhaltet das Testen von Grob-, Spitz-, Schlüssel-, Pinzett- und Dreipunktgriff (Abb. 9). Diese Griffarten können und müssen teilweise auf spielerische Weise getestet werden.
Der Bewegungsumfang des Handgelenks wird in der Sagittal- und Frontalebene geprüft. Danach erfolgt eine zielorientierte, systematische Untersuchung der radiocarpalen, ulnocarpalen und midcarpalen Gelenksanteile. Die meisten der bei Erwachsenen beschriebenen Funktionstests für Bandstabilität etc. wurden bei Kindern und Jugendlichen bisher nur unzureichend beschrieben. Trotzdem können diese ab einem gewissen Entwicklungsstand (>10 Jahre) ebenso zur Diagnosefindung angewendet werden. Einige in der Praxis wichtige Tests sind der Tab. 3 zu entnehmen.
Tab. 3
Auswahl an Funktionstests des Handgelenkes bei Jugendlichen
Gelenksanteil
Test
Radiocarpal
Watson-Test
SL/LT-Shift-Test
Fingerextensionstest
Ulnocarpal
Fovea-Zeichen
DRUG-Shift-Test
Stauchungstest
Kompressionstest
Midcarpal
Shift-Test
Nach der Prüfung des Handgelenksumfangs erfolgt jene des Daumens und der Langfinger. Beim Durchführen des Faustschlusses können Flexionseinschränkungen erkannt werden, die durch den Fingerkuppen-Hohlhand-Abstand quantifizierbar sind. Das passive Bewegungsausmaß der Fingergelenke (MCP, PIP, DIP) wird nach der Neutral-Null-Methode beurteilt. Das Gesamtbewegungsausmaß nimmt grundsätzlich vom Zeige- zum Kleinfinger hin zu und ist bei Mädchen etwas größer als bei Jungen (Mallon et al. 1991). Da der Daumen eine besonders wichtige Funktion einnimmt, ist jenem besonderes Augenmerk bei der klinischen Untersuchung zu widmen. Neben dem Muskelbesatz sind Abduktion, Adduktion, Extension, Flexion und vor allem Opposition zu dokumentieren. Es sollte problemlos möglich sein, das MCP5-Gelenk palmarseitig mit dem Daumen zu berühren (Kapandji-Klassifikation, Abb. 9; Kapandji 1986). Sehr häufig findet sich bei Kindern eine Hyperextension im Daumengrundgelenk, die, sofern sie nicht schmerzhaft, posttraumatisch oder mit Subluxationen verbunden ist, unbedenklich ist. Ebenso muss im Rahmen der Stabilitätsprüfung das Daumen-CMC-Gelenk passiv überprüft werden (Abb. 10). Nicht selten findet sich hier vor allem bei weiblichen Adoleszenten eine schmerzhafte Instabilität. Auch die übrigen Langfinger sind auf etwaige Hyperextension und Instabilitäten zu überprüfen. Die Beighton-Klassifikation kann in diesem Zusammenhang Hinweise für eine Bindegewebserkrankung durch generalisierte Hypermobilität des Skelettapparats liefern (Tab. 4; Beighton et al. 1973). Auf eine ausführliche Aufstellung kindlicher Normwerte des Bewegungsausmaßes wird an dieser Stelle verzichtet und auf Nunes Da Paz et al. (2016) verwiesen.
Tab. 4
Beighton-Score zur Feststellung generalisierter Hypermobilität
Parameter
Punkte
Handflächen können bei gestreckten Knien auf den Boden aufgelegt werden
1
Überstreckbarkeit der Ellbogen um ≥10°, jeweils rechts und links
1 je Seite
Daumen berührt den Unterarm ventral
1 je Seite
Überstreckung des Grundgelenks des kleinen Fingers auf 90°
1 je Seite
Überstreckbarkeit der Kniegelenke um ≥10°
1 je Seite
Bewertung:
0–2 Punkte = keine Hypermobilität
3–4 Punkte = moderate Hypermobilität
≥5 Punkte = generalisierte Hypermobilität
Abschließend sei noch auf die neurologische Überprüfung des Kindes und Jugendlichen hingewiesen. Während diese normalerweise nicht im Detail durchgeführt werden muss, kann jedoch eine grobe motorische Untersuchung durch folgende Manöver erfolgen: Überprüfung des
  • N. radialis durch Daumen-, Handgelenks- und Langfinger-MCP-Streckung
  • N. medianus durch Daumenflexion (FPL) und -opposition
  • N. ulnaris durch Kleinfingerbeugung (FDP) und Interosseusfunktionstest (Überkreuzen von Mittel- und Zeigefinger, Fingerspreizen)
Verletzungen der peripheren Nerven im Fingerbereich lassen sich insbesondere bei Kleinkindern durch den Knittertest („wrinkle test“; fehlende Hautfältelung der Fingerbeere nach Wasserbad) diagnostizieren (Rubin et al. 2020).

Radiologische Basisdiagnostik im Kindesalter

Schulter, Schultergürtel und Oberarm

Im Fall einer suspizierten Pathologie des Schultergürtels empfiehlt es sich, eine anterioposteriore (a.p.) Vergleichsaufnahme anzufertigen. Mit dieser lässt sich einerseits die Schultergürtelbreite und -symmetrie sowie vor allem Höhe, Stand und Symmetrie der Oberarmköpfe bzw. des Schulterblatts verifizieren. Anwendungsbeispiele sind der Morbus Sprengel (Abb. 11), die angeborene Klavikulapseudarthrose oder auch rezidivierende SC-Gelenksluxationen. Letztere erfordern oftmals auch eine tangentiale Zusatzprojektion, um eine Verschiebung des medialen Klavikulaendes zu sehen.
Die radiologische Basisdiagnostik des Schultergelenks im engeren Sinn umfasst eine a.p. und axiale Aufnahme. Proximal lässt sich dadurch in der a.p. Ebene unter anderem eine Varus- oder Valgusfehlstellung des Oberarmkopfes diagnostizieren. In seltenen Fällen kann auch ein „outlet-view“ (Y-Aufnahme) angezeigt sein, auch wenn dies deutlich seltener als bei Erwachsenen notwendig ist.
Kinder mit obstetrischen Plexus-brachialis-Läsionen können relativ rasch Deformierungen des Glenoids (Dysplasie) entwickeln, die allerdings im Nativröntgen nur unzureichend beurteilt werden können. In diesen Fällen ist eine seitenvergleichende CT- oder MRT-Diagnostik hilfreich, um eine etwaige Glenoidretroversion bestimmen zu können (Abb. 12; Chagas-Neto et al. 2016). Auch in Fällen mit habitueller Schulterinstabilität und/oder Rezidivluxationen ist eine MRT-Diagnostik (ggf. mit Kontrastmittel) notwendig, um intraartikuläre Schäden und eine etwaige begleitende Glenoiddysplasie ausschließen zu können. Im Oberarmbereich ist eine Bildgebung in 2 Ebenen (a.p. und seitlich) in Fällen mit z. B. cartilaginären Exostosen, Längendifferenzen oder posttraumatischen Deformitäten angezeigt. MRT-Bildgebung ist meistens nur bei Exostosen zur Verifizierung der Dignität, Abszess oder anderweitigen entzündlichen Pathologien wie Osteomyelitis angezeigt.

Ellbogen und Unterarm

Am distalen Humerus zeigen sich oft nach suprakondylären Humerusfrakturen, Frakturen des radialen Kondylus oder medialen Kondylus(abriss)frakturen Auffälligkeiten bzw. Achsabweichungen in der frontalen (Abb. 13) oder auch sagittalen Ebene (Abb. 14). Es ist bei der Anfertigung der Bilder auf eine streng seitliche Position zu achten. Im Ellbogenbereich sind ebenfalls Nativröntgen in 2 Ebenen Standard, um intra- oder extraartikuläre Pathologien beurteilen zu können.
Sofern eine Osteochondrosis dissecans vermutet oder beurteilt werden soll, ist eine zusätzliche a.p.-Aufnahme in 45°-Beugung zielführend (Abb. 15). Gehaltene Stressaufnahmen (unter Durchleuchtung) können den klinischen Verdacht einer medialen oder lateralen Seitenbandinstabilität bestätigen. In seltenen Fällen können seitliche Ellbogenröntgen in maximaler Beugung oder maximaler Streckung zur Dokumentation von (endlagigen) Defiziten sinnvoll sein. Aufgrund der Komplexität vieler Ellbogenpathologien während des frühen Wachstumsalters sowie der erschwerten Beurteilungsmöglichkeit durch noch nicht abgeschlossene Ossifikation der Knochenkerne kann eine MRT-Diagnostik zur genaueren Beurteilung intraartikulärer Strukturen notwendig werden. So lassen sich auch sogenannte TRASH-Läsionen („the radiographic appearance seemed harmless“) leichter diagnostizieren (s. Übersicht; Waters et al. 2010).
TRASH-Läsionen des kindlichen Ellbogens
  • Transphyseale Humerusfrakturen vor sekundärer Ossifikation
  • Mediale Kondylusfrakturen vor sekundärer Ossifikation
  • Dislozierte mediale Epikondylusfrakturen
  • Laterale Kondylus-/Epikondylusavulsionsfrakturen
  • Monteggia-Dislokationsfrakturen
  • Anteriore Kompressionsfraktur des Radiusköpfchens mit Subluxation
  • Osteochondrale Frakturen mit Gelenksinkongruität
  • Komplexe Ellbogenluxationsfrakturen bei Kindern unter <10 Jahren
Auch die CT-Bildgebung hat in vielen Fällen eine Berechtigung, vor allem dann, wenn eine genaue präoperative Beurteilung aufgrund einer Knochen-/Gelenksdeformierung notwendig ist (z. B. 3D-CT; Abb. 16). Weitere diagnostische Maßnahmen im Ellbogenbereich umfassen die Ultraschalldiagnostik (Abb. 17) und Arthrografie. Auch im Unterarmbereich ist eine a.p. und seitliche Bildgebung Standard in der Diagnostik von angeborenen und erworbenen Deformitäten. Zusätzlich empfiehlt es sich, bei Verdacht auf dynamische ulnocarpale Impaktionssymptomatiken eine a.p. Unterarmdrehaufnahme in Pro- und Supination anfertigen zu lassen. Da es bei Pronation zu einer Proximalisation des Radius kommt, lässt sich so ein dynamischer Ulnavorschub feststellen (Epner et al. 1982; Farr 2019).

Handgelenk und Hand

Handgelenksröntgen bei Kindern werden ebenfalls üblicherweise in 2 Ebenen und stets im Seitenvergleich angefertigt. Hier muss insbesondere aufgrund des jeweiligen Alters der Reifungszustand der Carpalia mitberücksichtigt werden, um eine Fehldiagnostik zu vermeiden (Abb. 18). So zeigen Kinder etwa eine physiologische Erweiterung des skapholunären (SL-)Spalts, die mit zunehmendem Alter abnimmt (Kaawach et al. 2001). Bei Jugendlichen kann im Verdachtsfall eine zusätzliche Faustschlussaufnahme (immer beidseits!) eine dynamische SL-Bandläsion bzw. auch einen dynamischen Ulnavorschub (wie auch die o. g. Unterarmpronationsaufnahme) bestätigen (Farr 2019). Auch weiter distal auftretende Pathologien der Metacarpalia, MP- und IP-Gelenke sowie Phalangen werden durch eine a.p. und seitliche, ggf. Zitheraufnahme dargestellt.
Neben dem Nativröntgen hat das MRT einen hohen Stellenwert in der Diagnostik von posttraumatischen intraartikulären Bandläsionen (unter anderem SL-Band, TFCC [triangulärer fibrokartilaginärer Komplex]; Abb. 19), Knorpelschäden, rheumatischen Affektionen oder Ganglien bzw. tumorösen Raumforderungen. In manchen Fällen (unter anderem extraartikuläre Weichteilläsionen) ist allerdings auch eine weniger aufwendige hochauflösende Ultraschalldiagnostik bereits ausreichend, vor allem wenn dadurch eine Sedierung des Kindes vermieden werden kann.
Aufgrund der Strahlenbelastung werden CT-Aufnahmen bei Kindern und Jugendlichen deutlich seltener angewendet. Trotzdem hat auch diese bildgebende Maßnahme in manchen Fällen ihre Berechtigung. So kann z. B. bei Verdacht auf eine vorliegende distale Radioulnargelenksinstabilität ein Rotations-CT (in Pronation, Neutralstellung, Supination) den (Sub-)Luxationsmechanismus genauer veranschaulichen und bei der operativen Indikationsstellung helfen (Abb. 20). Des Weiteren kann in manchen Fällen eine Handgelenkskinematografie zur dynamischen Untersuchung der Carpalia, z. B. bei habitueller radiocarpaler oder midcarpaler Instabilität, indiziert sein (Abb. 21).
Literatur
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