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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 06.08.2022

Habituelle Schulterluxationen

Verfasst von: Verena Rentschler und Frieder Mauch
Unter einer habituellen Schulterluxation wird die Dislokation des Humeruskopfes aus der Gelenkpfanne nach ventral, dorsal, kaudal oder multidirektional verstanden, die bei physiologischen Bewegungen ohne zusätzlichen Gewaltaufwand immer wieder auftritt. Eine eindeutige Klassifikation der unterschiedlichen Luxationsformen ist aufgrund der vielen Mischbilder schwierig. Die gebräuchlichsten Einteilungen sind die Klassifikation nach Matsen, nach Gerber sowie nach Bayley (Polar-Typ 1: traumatisch struktuell, Typ 2: atraumatisch strukturell, Typ 3: habituell nichtstrukturell). In der Anamnese sollte vor allem der Luxationsmechanismus, die jeweilige Reposition sowie Reluxationen bzw. Subluxationen und ein subjektives Instabilitätsgefühl erfragt werden. Bei der klinischen Untersuchung liegt der Schwerpunkt auf den Instabilitätstest wie dem Apprehension-Zeichen oder dem Jerk-Test. Die bildgebende Diagnostik umfasst das konventionelle Röntgenbild sowie eine MRT bei der Frage nach einem knöchernen Defekt, einer Labrumläsion sowie Sehnen- oder Knorpelverletzungen. Bei knöchernen Defekten kann dann noch eine CT sinnvoll sein. Bezüglich der jeweiligen Therapie kann man sich gut an der Klassifikation nach Bayley orientieren. Eine eindeutige Domäne der konservativen Therapie ist die nichtstrukturelle Schulterinstabilität vom Polar-Typ 3. Die Therapie sollte in einem multidisziplinären Team und individuell angepasst für mindestens 6 Monate erfolgen. Es stehen dabei verschiedene Rehabilitationsprogramme, als Grundlage zur Verfügung. Die Schulterinstabilität vom Polar-Typ 2 sollte primär konservativ mit Behebung der muskulären Bewegungsstörung erfolgen. Bei anhaltender Instabilität kommt eine arthroskopische Therapie mit Stabilisierung der Weichteile in der Hauptluxationsrichtung infrage.

Einleitung

Definition

Bei der habituellen Schulterluxation handelt es sich um eine Dislokation des Humeruskopfes aus der Gelenkpfanne nach ventral, dorsal, kaudal oder multidirektional, die bei physiologischen Bewegungen ohne zusätzlichen Gewaltaufwand immer wieder auftritt.
Eine Hyperlaxität bezeichnet eine über das physiologische Maß gesteigerte Translation eines Gelenks. Diese hat per se keinen Krankheitswert und besteht meist konstitutionell. Eine Instabilität besteht, wenn der Gelenkkopf nicht adäquat in der Gelenkpfanne zentriert werden kann; sie führt zu Schmerzen, Subluxationen oder Luxationen (Lewis et al. 2004).
Bezüglich der Epidemiologie haben männliche Patienten unter 20 Jahren das höchste Risiko, eine Schulterluxation zu erleiden und im Verlauf eine Schulterinstabilität zu entwickeln (Leraux et al. 2014; Shields et al. 2018). Betrachtet man die Altersgruppe zwischen 10–16 Jahren, haben 14- bis 16-Jährige männlichen Geschlechts ein vergleichbares Risiko für eine primäre Schulterluxation und eine rezidivierende Instabilität wie die Altersgruppe der 17- bis 20-Jährigen. In der Altersgruppe der 10- bis 12-Jährigen traten nur 5,9 % der Luxationen auf. Zu rezidivierenden Schulterluxationen kam es bei 38,2 % der Patienten mit einem mittleren Zeitabstand von 0,8 Jahren (Leraux et al. 2015).
Epidemiologische Daten zur habituellen Schulterluxation sind rar – auch aufgrund der unterschiedlichen Klassifikationen und Mischbilder. In einer retrospektiven Studie bei Kindern unter 16 Jahren waren 86 % der Schulterinstabilitäten traumatisch bedingt (Lawton et al. 2002). Daher gibt folgender Abschnitt einen Überblick über die verschiedenen Luxationsformen mit dem speziellen Augenmerk auf die habituelle Schulterluxation.

Klassifikationen

Es gibt verschiedene Ätiologien und Klassifikationen der Schulterluxation, die sich nicht immer eindeutig trennen lassen. Bei den meisten Formen spielen prädisponierende Faktoren eine Rolle.
Folgende Ätiologien lassen sich unterscheiden:
  • Kongenital: Eine sehr seltene Form, bei welcher der Humeruskopf bereits bei der Geburt permanent nach vorne luxiert ist und eine Reposition meist nicht gelingt.
  • Geburtstraumatisch: Auch diese Form wird aufgrund der heutigen Geburtsvorbereitungen und der Anzahl an Kaiserschnitten bei Steißlage nur sehr selten beobachtet.
  • Neurogen: Luxationen, die aufgrund einer abnormen Muskelaktivität bei einer spastischen Hemi-/Tetraparese oder einer Plexusparese auftreten.
  • Iatrogen.
  • Habituell: Atraumatische rezidivierende Luxation (willkürlich oder unwillkürlich), die häufig mit repetitiven Mikrotraumata oder prädisponierenden Faktoren (siehe unter „traumatisch“) einhergeht.
  • Traumatisch: In den meisten Fällen liegt beim ersten Instabilitätsereignis ein Trauma vor. Oft besteht aber auch bei einem vorliegenden Trauma eine Prädisposition für ein instabiles Schultergelenk. In der Anamnese muss geklärt werden, ob ein adäquates Trauma bestand. Prädisponierende Faktoren können sein:
    • Laxität der Gelenkkapsel: allgemeine Bandlaxität (Quantifizierung mit dem Beighton-Score möglich) oder systemische Bindegewebserkrankungen wie beispielweise beim Ehlers-Danlos-Syndrom oder dem Marfan-Syndrom
    • Ungünstige Kopf-Pfannen-Relation: großer Humeruskopf mit relativ zu kleiner Gelenkpfanne
    • Torsionsfehler des Humerus und der Gelenkpfanne
    • Gestörte Propriozeption/muskuläre Dysbalance (funktionelle Instabilität)
    Folgende prädisponierenden Verletzungen für weitere Luxationen können nach einer adäquaten traumatischen Luxation auftreten:
    • Impressionen am Humeruskopf (sog. „engaging“ Hill-Sachs-Defekte)
    • Verletzungen des Labrums und der Gelenkpfanne
    • Rotatorenmanschettenläsionen
Die verschiedenen Klassifikationen basieren häufig auf der Luxationsursache und -richtung. Aufgrund der meist vorliegenden Mischbilder gestaltet sich die Eingruppierung schwierig.
Auch wird häufig vernachlässigt, dass die Schulterinstabilität einer Dynamik unterliegen kann und sich die Pathologien und Eingruppierungen im Laufe der Zeit ändern können (Lewis et al. 2004). Vor allem atraumatische Fälle sind schwer zu diagnostizieren und klassifizieren. Teilweise ist es den Patienten auch nicht möglich, eine eindeutige Ursache oder ein Trauma für die Schulterbeschwerden anzugeben. Schwierig gestaltet sich auch die genaue Definition und das notwendige Ausmaß eines „Traumas“.
Aktuell sind folgende Klassifikationen am gebräuchlichsten:
  • Matsen-Klassifikation, die bereits Therapieempfehlungen enthält (Tab. 1; Matsen et al. 1994)
  • Gerber-Klassifikation (Tab. 2; Gerber und Nyffeler 2002)
  • Bayley-Klassifikation (Abb. 1; Lewis et al. 2004)
    Tab. 1
    Schulterinstabilitätsformen nach Matsen
    Bezeichnung
    Eigenschaften
    AMBRII
    Atraumatisch
    Multidirektional
    Bilateral
    Rehabilitation
    Intervallverschluss
    Inferiorer Kapselshift
    TUBS
    Traumatisch
    Unidirektional
    Bankart-Läsion
    Surgery
    Tab. 2
    Klassifikation der Schulterinstabilität nach Gerber
    Typ
    Merkmal
    Untertyp
    Beschreibung
    A
    Statische Instabilität
    A1
    Statische superiore Instabilität
    A2
    Statische anteriore Instabilität
    A3
    Statische posteriore Instabilität
    A4
    Statische inferiore Instabilität
    B
    Dynamische Instabilität
    B1
    Chronisch verhakte Luxation
    B2
    Unidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxität
    B3
    Unidirektionale Instabilität mit Hyperlaxität
    B4
    Multidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxität
    B5
    Multidirektionale Instabilität mit Hyperlaxität
    B6
    Willkürliche Instabilität
    C
    Willkürliche Luxation
      
Die habituelle Schulterluxation lässt sich in den jeweiligen Klassifikationen am ehesten wie folgt zuordnen:
  • Nach Matsen: AMBRII
  • Nach Gerber: B3–B6
  • Nach Bayley: Polar-Typ 2 und -Typ 3

Diagnostik

Anamnese und klinische Untersuchung

Auf folgende Punkte sollte in der Anamnese speziell eingegangen werden:
  • Bestand ein Trauma oder bei welcher Bewegung trat die Luxation auf?
  • War es die erste Luxation und in welche Richtung trat sie auf?
  • Wie erfolgte die Reposition (spontan, Selbstreposition, Fremdreposition, unter Narkose)?
  • Bestanden neurologische Ausfälle?
  • Trat bereits eine Luxation an der anderen Schulter oder an einem anderen Gelenk auf?
  • Und wenn ja, in welchen zeitlichen Abständen traten die Luxation auf?
Wenn die Erstluxation bei einer Alltagsbewegung, wie beispielsweise bei einer Außenrotations-Abduktionsbewegung, aufgetreten ist und im Anschluss spontan reponiert werden konnte, muss davon ausgegangen werden, dass prädisponierende Faktoren vorliegen.
Bezüglich der aktuellen Beschwerdesymptomatik sind folgende Punkte zu erheben:
  • Besteht ein Instabilitätsgefühl bei Alltagsbewegungen?
  • Liegt ein Funktionsdefizit vor (bzgl. Kraft, Beweglichkeit)?
  • Können einzelne Bewegungen oder Sportarten nicht ausgeführt werden?
  • Bestehen Schmerzen?
  • Wie oft tritt eine Luxation auf?
Die akute Schulterluxation in der Notaufnahme stellt sich als relativ eindeutig da. Es bestehen starke Schmerzen bei einer Bewegungsunfähigkeit und Schonhaltung des betroffenen Armes. Inspektorisch zeigt sich eine abnorme Kontur des Schultergürtels. Zwingend sollte vor einer Reposition der neurologische Status – und hier insbesondere der des N. axillaris – erhoben und dokumentiert werden. In der Röntgendiagnostik („true a.-p.“- und Y-Aufnahme) zeigt sich die Dislokationsrichtung. In der Y-Aufnahme weist das sog. Mercedes-Stern-Zeichen auf ein zentriertes Schultergelenk hin (Abb. 2). Das sog. Glühbirnenzeichen gibt einen Hinweis auf eine oft übersehene dorsale Schulterluxation. Es entsteht durch die Innenrotation des Humerus und eine damit einhergehende Überlagerung des Tuberculum majus in den Humeruskopf.
Bei der habituellen Schulterluxation können die Anamnese und die Beschreibung der aktuellen Beschwerden diffus sein. Es gibt eine große Variation an klinischen Beschwerden bis hin zu unspezifischen dumpfen Schulterschmerzen.
Folgende Punkte können aber wegweisend für eine habituelle Luxation sein:
  • Bagatelltrauma oder kein Trauma
  • Selbstständige Reposition
  • Reluxation
  • Subjektives Instabilitätsgefühl
Aufgrund der teilweise nicht eindeutigen Anamnese sollte eine sorgfältige klinische Untersuchung mit folgenden Schwerpunkten und Instabilitätstests durchgeführt werden (Greiner et al. 2009):
  • Beweglichkeit (siehe auch Kap. „Kinderorthopädische Untersuchung: Schulter und obere Extremität“).
  • Sulkuszeichen: Hierbei wird die Laxizität in kaudaler Richtung getestet. Dazu wird ein axialer Zug am hängenden Arm beim stehenden oder sitzenden Patienten aufgebracht. Liegt eine Instabilität vor, ist eine Einziehung lateral des Akromions zu sehen (Abb. 3).
  • Schubladentest: Eine Instabilität in a.p.-Richtung wird getestet, indem am Oberarm – vergleichbar mit dem Lachman-Test am Kniegelenk – eine anteriore bzw. posteriore Translation aufgebracht wird (Abb. 4).
  • Apprehensionzeichen: Es wird bei einer vorderen Instabilität das Abwehrverhalten in der Wurfarmposition getestet und ist sowohl im Sitzen als auch im Liegen beschrieben (Rowe und Zarins 1981). Der Untersucher bringt mit dem Daumen Druck von dorsal auf den Humeruskopf. Bei vorliegender Instabilität kommt es zu einem reflektorischen Anspannen des M. pectoralis.
  • Relokationstest: Die Stabilisierung der Skapula erfolgt durch das Liegen am Rande einer Trage. Der Arm wird in Abduktion bis zur Toleranzgrenze nach außen rotiert. Wenn sich ein flächiger Druck von ventral auf den Humeruskopf im Sinne einer Stabilisierung/Reposition positiv auswirkt, gilt dies als Zeichen einer ventralen Schulterinstabilität (Jobe et al. 1990).
  • Hyperabduktionstest nach Gagey: Hiermit wird die Hyperlaxität der inferioren Kapsel-Band-Strukturen getestet. Der Patient befindet sich in sitzender Position. Die eine Hand des Untersuchers fixiert die Skapula, während die andere Hand den im Ellenbogen um 90° flektierten Arm langsam in Abduktion bringt. Der Test wird ab einer Abduktion >105° als positiv gewertet (Gagey und Gagey 2000).
  • Jerk-Test: Dieser Test dient der dorsalen Stabilitätsprüfung. Hierbei wird im Sitzen oder Stehen der Arm in 90°-Abduktion und Innenrotation sowie 90°-Beugung des Ellenbogens gehalten. Mit der einen Hand fixiert der Untersucher die Skapula, mit der anderen Hand wird ein nach dorsal gerichteter Druck auf den Ellenbogen bei zunehmender Adduktion durchgeführt. Die Angabe eines Instabilitätsgefühls oder Schmerzen werden als positiv gewertet (Hawkins und Bokor 1990).
  • Skapulothorakaler Rhythmus: Durch muskuläre Dysbalancen kann es zu einer Fehlstellung der Skapula und einer hiermit einhergehenden Instabilität kommen. Kibler et al. (2002) teilen die Instabilität in 3 Typen ein (Tab. 3; Abb. 5).
    Tab. 3
    Einteilung der Skapuladyskinesie nach Kibler
    Typ
    Merkmal
    1
    Prominenter Angulus inferior in Ruhe, der bei Bewegung um eine horizontale Achse rotiert
    2
    Prominenter Margo medialis in Ruhe, der bei Bewegung um eine vertikale Achse rotiert und einen dorsalen Tilt aufweist
    3
    Prominenter Angulus superior in Ruhe ohne wesentliches „scapular winging“ bei Bewegung

Bildgebung

Im konventionellen Röntgenbild („true a.-p.“-, Y- und axiale Aufnahme) können folgende Pathologien beurteilt werden:
  • A.-p.-Aufnahme: Position Kopf-Pfanne, ggf. fehlende Skleroselinie bei knöchernem Pfannenranddefekt
  • Y-Aufnahme: knöcherne Verletzung des Proc. coracoideus
  • Axiale Aufnahme: Hill-Sachs-Defekt bzw. „reversed“ Hill-Sachs-Defekt
Aufgrund der heutigen Möglichkeiten der Schnittbildgebung treten Röntgenspezialaufnahmen, wie die Profilaufnahme nach Bernageau zur Beurteilung des vorderen Glenoidrandes oder die Velpeau-Aufnahme, immer mehr in den Hintergrund.
Eine weiterführende zeitnahe MRT-Diagnostik ist bei Verdacht auf einen knöchernen Defekt im Röntgen, bei traumatischer Schulterluxation sowie bei folgenden Fragestellungen empfohlen:
  • Labrumläsion
  • Sehnenverletzung
  • Knorpelavulsionsverletzung
Auf eine intraartikuläre Kontrastmittelgabe kann 10–14 Tage nach dem Trauma aufgrund des intraartikulären Hämatoms als natürliches Kontrastmittel verzichtet werden.
Die Stärke der Sonografie liegt in der Diagnostik von Begleitverletzungen wie beispielsweise Rotatorenmanschettenläsionen oder Luxationen/Instabilitäten der langen Bizepssehne. Da diese Verletzungen bei der habituellen Luxation und bei Luxationen im Kindes- und Jugendalter eine Rarität darstellen, spielt die Sonografie eine untergeordnete Rolle.
Wie die Sonografie stellt die Computertomografie (CT) eine Sekundärdiagnostik dar. Sie ist zur Darstellung der Größe eines knöchernen Glenoiddefekts und bei Verdacht auf einen relevanten Hill-Sachs-Defekt indiziert. Weiterhin kann es hilfreich sein, die Lage und Orientierung des Glenoids zu verifizieren und eine Dysplasie auszuschließen (Cole et al. 2004).
Bei der habituellen Schulterinstabilität gilt es, durch die einzelnen klinischen Tests die Instabilität zu verifizieren und ggf. eine Hauptluxationsrichtung festzulegen. Im Einzelfall muss dann über eine weiterführende Diagnostik mittels Röntgen oder einem Schnittbildgebungsverfahren entschieden werden.

Therapie

Therapieziel

Ziel der Therapie muss es sein, willkürliche als auch unwillkürliche Schulterluxationen zu vermeiden. Wenn man sich an der Klassifikation nach Bayley orientiert, lassen sich folgende Therapieprinzipien festlegen (Lewis et al. 2004):
  • Eine konservative Therapie ist indiziert bei nichtstruktureller Instabilität (anterior, posterior oder multidirektional). Ein Misserfolg in der konservativen Therapie stellt keine Indikation zur operativen Therapie dar.
  • Eine operative Therapie ist bei einer rein strukturellen Instabilität, egal ob traumatisch oder atraumatisch, indiziert, wenn trotz Physiotherapie eine anhaltende Instabilität besteht.
  • Eine operative Therapie der Gruppe Polar-Typ 2 ist nur zulässig, wenn das pathologische Bewegungsmuster mittels konservativer Therapie behoben wurde und der strukturelle Schaden anhaltend zur Instabilität führt.

Konservative Therapie

Im Rahmen der akuten Therapie nach einer Schulterluxation führte eine posttraumatische Immobilisierung nicht zu einer Verbesserung der Redislokationsrate. Daher kann eine beschwerde- und schmerzadaptierte Ruhigstellungszeit mit dem Patienten vereinbart werden (Hovelius et al. 2008; Hovelius und Rahme 2016). Bezüglich der Position der Ruhigstellung konnte kein eindeutiger Effekt für ein besseres Outcome bei Lagerung des Armes in Außenrotation und Abduktion nachgewiesen werden (Vavken et al. 2014; Whelan et al. 2016; Kavaja et al. 2018).
Eine eindeutige Domäne der konservativen Therapie ist die nichtstrukturelle Schulterinstabilität (Polar-Typ 3).
Die Therapie der nichtstrukturellen Schulterinstabilität vom Polar-Typ 3 ist komplex, muss individuell angepasst werden und sollte in einem multidisziplinären Team erfolgen. Die verschiedenen Untergruppen und Mischformen machen es schwierig, einen standardisierten Therapieplan zu erstellen und die Therapieergebnisse zu vergleichen.
Essenziell für eine erfolgreiche konservative Therapie ist jedoch ein gut aufgeklärter und informierter Patient, da unter anderem auch eine Behandlungsdauer von mindestens 6 Monaten und länger empfohlen wird.
Die Therapie umfasst:
  • Muskuläre Stärkung der Rotatorenmanschettenmuskulatur
  • Verbesserung des Muskeltonus der Antagonisten
  • Verbesserung der Koordination mit Bewegungsübungen humeroglenoidal sowie thorakoskapulär
  • Kräftigung der Skapula
  • Rumpfstabilisierungsübungen
  • Ggf. EMG-kontrollierte Bewegungsschulung
  • Ggf. Biofeedbacktherapie
Verschiedene Rehabilitationsprogramme, wie beispielsweise das Watson-Programm oder das San-Antonio-Trainingsprogramm (Abb. 6), stehen als Grundlage zur Verfügung (Burkhead und Rockwood 1992; Jaggi und Lambert 2010; Lawton et al. 2002; Lewis et al. 2004; Watson et al. 2016, 2017, 2018; Warby et al. 2018; Burkhead Jr und Rockwood Jr 1992).
Burkhead und Rockwood (1992) konnten zeigen, dass 83 % der Patienten mit atraumatischer Schulterinstabilität nach konservativer Therapie ein gutes bis exzellentes Ergebnis aufweisen. Auch Huber und Gerber (1994) folgerten aus einer Langzeitstudie bei 25 Kindern mit habitueller Schultersubluxation, dass keine Indikation zu einer operativen Therapie gestellt werden sollte.
Zur Schulterinstabilität der Gruppe Polar-Typ 3 kann auch die funktionelle Schulterinstabilität gezählt werden (Danzinger et al. 2019), die ebenso rein konservativ therapiert werden sollte. Hier kann zusätzlich zu einer intensiven Physiotherapie ein neues Therapiekonzept – das Schrittmacher-Trainingskonzept – angewendet werden. Mithilfe einer transdermalen elektrischen Muskelstimulation soll das abnorme Aktivierungsmuster der schulterstabilisierenden und periskapulären Muskulatur verbessert werden (Moroder et al. 2017).
Auch bei der Schulterinstabilität vom Polar-Typ 2 mit einer muskulären Bewegungsstörung wird zwingend empfohlen, bestehende Defizite mit einer konservativen Therapie aufzuheben. Hier ist in der Diagnostik ggf. eine EMG-Untersuchung zielführend (Lewis et al. 2004; Lawton et al. 2002). Eine operative Therapie kann dann nach erfolgreicher konservativer Therapie und bei einer anhaltenden Instabilität aufgrund der noch bestehenden strukturellen Ursache erfolgen.

Operative Therapie

Bezüglich der Therapie nach erstmaliger traumatischer Schulterluxation sollte eine detaillierte individuelle Analyse der Risikofaktoren (männliches Geschlecht, Alter <30 Jahren, hohe Aktivität, Glenoiddefekt >20 %) erfolgen.
In einer prospektiven Studie wurde eine Instabilität nach primär traumatischer Schulterluxation in 66,8% (Altersgruppe 15–35 Jahre) nach fünf Jahren nachgewiesen. In der Altersgruppe der 15–20 jährigen lag diese sogar bei 86,6% (Robinson et al 2006).
Der Goldstandard für eine traumatische Schulterluxation (Polar-Typ 1) ist die arthroskopische Bankart-Stabilisierung. Bei erhaltener Glenoidfläche und einer guten Gewebequalität kann die Refixation des ventralen Kapsel-Labrum-Komplexes mit Fadenankern erfolgen (Abb. 7).
Bezüglich der habituellen Schulterinstabilitäten ist die operative Therapie dann indiziert, wenn bei nachgewiesenem strukturellem Schaden (Polar-Typ 2) in der konservativen Therapie die muskulären Bewegungsstörungen beseitigt werden konnten (Lewis et al. 2004). Bei verbleibender Instabilität kann dann, je nach vorliegender Pathologie, eine operative Therapie erfolgen. Die Schwierigkeit besteht darin, die vermehrte Translation im Gelenk zu reduzieren und trotzdem eine ausreichende Beweglichkeit des Gelenks zu erhalten.
Neer und Foster beschrieben 1980 einen offenen Kapseltransfer zur Therapie der inferioren sowie der multidirektionalen Instabilität. Hierzu erfolgt nach Absetzen der Sehne des M. subscapularis eine T-förmige horizontale Inzision der ventralen Kapsel mit nachfolgendem Shift des inferioren Kapselanteils nach kranial (Neer und Foster 1980). Die initial sehr hohen Rezidivraten konnten im weiteren Verlauf durch zahlreiche Modifikationen gesenkt werden. Mittlerweile haben sich die arthroskopische Kapselshift-Techniken mit Stabilisierung der Weichteile in der Hauptluxationsrichtung durchgesetzt. Als obsolet gelten inzwischen die Kapselshrinking-Verfahren aufgrund der hohen Rezidivraten und Chondrolysefälle (Cole et al. 2004; Lewis et al. 2004; Marquardt und Loew 2010).
Als Zusatzeingriffe sind noch die dorsale Remplissage bzw. ventral die Operation nach McLaughlin sowie ein Intervallverschluss bei weiter bestehender Instabilität zu nennen. Bei der dorsalen Remplissage wird arthroskopisch der dorsale Kapselapparat sowie der M. infraspinatus in den Hill-Sachs-Defekt über arthroskopische Anker genäht (Cole et al. 2004; Leraux et al. 2013; Schliemann et al. 2010). Weiterhin können Defekte am Humeruskopf sowohl dorsal als auch ventral mit auto- sowie allogenem Knochenmaterial aufgefüllt werden.
Bei relevanten knöchernen Defekten am Glenoid müssen andere operative Therapiemaßnahmen in Betracht gezogen werden. Hier sind prinzipiell reine glenoidale Pfannenrandplastiken von Coracoidtransfertechniken zu unterscheiden. Ziel ist es jeweils, die Gelenkfläche der Pfanne zu vergrößern.
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