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Prävention der Harnsäurenephropathie

Verfasst von: Winfried Alsdorf, Martin Sökler und Carsten Bokemeyer
Im Zuge der Therapieeinleitung bei Neoplasien mit hoher Tumorlast und Proliferationsrate kann ein Tumorlysesyndrom mit konsekutiver Uratnephropathie auftreten. Dieses Krankheitsbild wird typischerweise bei akuten Leukämien, aggressiven Lymphomen und bei einigen soliden Tumoren (z. B. kleinzelligen Bronchialkarzinomen oder ausgedehnt metastasierten Keimzelltumoren) beobachtet. Wird ein Tumorlysesyndrom nicht ausreichend früh erkannt und behandelt, kann im Rahmen der Uratnephropathie ein dialysepflichtiges Nierenversagen auftreten. Zur Vermeidung der Uratnephropathie sind die präemptive Gabe von Allopurinol und Rasburicase sowie eine ausreichende intravenöse Volumenzufuhr geeignet. Durch Einsatz von Rasburicase können auch erhebliche erhöhte Harnsäurespiegel im Serum zügig und anhaltend gesenkt werden. Eine weitere wirksame Maßnahme zur Prävention einer Hyperurikämie ist der Einsatz von Vorphasetherapien, insbesondere bei Vorliegen einer hohen Tumorlast.

Einleitung

Bei hochproliferativen Tumorerkrankungen (z. B. Burkitt-Lymphom, akute Leukämien, kleinzelliges Bronchialkarzinom) kann es zu einer massiven Freisetzung von Purinen und dadurch zu einem erhöhten Anfall von Harnsäure kommen. Harnsäure wird renal eliminiert. Hierbei besteht die höchste Harnsäurekonzentration im distalen Nierentubulus. Übersteigt die Harnsäurekonzentration das Löslichkeitsprodukt, kommt es zur Ausfällung der Harnsäure mit Bildung von Uratkristallen, wodurch eine Niereninsuffizienz verursacht werden kann. Begünstigend für die Uratkristallbildung ist ein niedriger Urin-pH-Wert.
Ein Tumorlysesyndrom (s. auch Kap. „Tumorlysesyndrom“) mit Uratnephropathie kann sowohl spontan als auch nach Einleitung einer onkologischen Therapie auftreten. Auch unter neuen zielgerichteten Substanzen wie beispielsweise Venetoclax kann ein Tumorlysesyndrom auftreten (Howard et al. 2016).
Risikofaktoren für eine Uratnephropathie sind
Weitere prädisponierende Faktoren sind:
  • eine vorbestehende Nierenfunktionsstörung,
  • eine Medikation, welche die Harnsäureausscheidung im distalen Tubulus erhöht (z. B. Thiazide) sowie
  • nephrotoxische Medikamente (z. B. Aminoglykoside, Cisplatin, Vancomycin, iodhaltiges Kontrastmittel sowie NSAR).

Klinische Präsentation und Diagnose

Das klinische Bild der Uratnephropathie ist unspezifisch, Frühsymptome fehlen meist oder sind auf die zugrunde liegende Tumorerkrankung zurückzuführen. Bei ausgeprägter Nierenfunktionsstörung sind Zeichen der Urämie möglich. Zur Diagnosestellung sollten alternative Ursachen des Nierenversagens, insbesondere postrenal bedingte Funktionsstörungen, ausgeschlossen werden.
Entscheidend ist ein engmaschiges Monitoring insbesondere der Harnsäure und anderer Tumorlyseparameter (LDH, Kalium, Kalzium, Phosphat, Kreatinin) bei Risikopatienten, um einer klinisch manifesten Uratnephropathie möglichst zuvorzukommen. Dabei ist der Harnsäurewert alleine ähnlich prädiktiv wie aufwendigere Prognosemodelle (Ejaz et al. 2012; Cairo et al. 2010).

Therapie der Uratnephropathie

Prophylaxe

Bei Patienten mit erhöhtem Risiko für eine Uratnephropathie (Burkitt-Lymphom, akute Leukämien, kleinzelliges Bronchialkarzinom mit hoher Tumorlast, ausgedehnt metastasierte Keimzelltumoren) sollten vorbeugend folgende Maßnahmen insbesondere bei erstmaliger Einleitung einer Tumortherapie durchgeführt werden:
  • Hyperhydratation, Urinvolumen > 3 l pro Tag
  • Allopurinol, z. B. 2 × 300 mg täglich p.o. Cave: Die Dosierung der Thiopurin-Antimetaboliten 6-Mercaptopurin sowie Azathioprin muss unter Allopurinol auf ein Drittel bis ein Viertel der üblichen Dosis reduziert werden, da Allopurinol deren Abbau hemmt. Alternativ kann insbesondere bei Niereninsuffizienz oder Allopurinol-Unverträglichkeit Febuxostat (120 mg/Tag) eingesetzt werden, das nach randomisierten Studien mindestens vergleichbar effektiv die Harnsäure absenkt (Spina et al. 2015; Tamura et al. 2016)
  • Bei Hochrisikopatienten mit hoher Tumorlast, bereits erhöhter Harnsäure vor Therapiebeginn oder weiteren Risikofaktoren präemptive Gabe von Rasburicase (Fasturtec®). Dosierung: bis zu 0,2 mg/kg KG i.v. Es stehen zur Applikation Ampullen von 1,5 mg bzw. 7,5 mg zur Verfügung. Rasburicase führt zur raschen enzymatischen Spaltung von Harnsäure und ist in der Prophylaxe dem Allopurinol überlegen, da dieses lediglich die Neusynthese von Harnsäure hemmt, aber nicht zur Senkung bereits erhöhter Harnsäurespiegel führt (Cortes et al. 2010)
  • Absetzen von Medikamenten, welche die Harnsäureabsorption hemmen: ASS, Probenecid, Thiaziddiuretika
  • Eine Harnalkalisierung wird nicht mehr empfohlen. Zwar verbessert eine Harnalkalisierung die Uratelimination, jedoch steigt bei alkalischem Urin das Risiko für die Akkumulation von Kalziumphosphat, das ebenfalls eine Nephropathie auslösen kann (Howard et al. 2011)
  • Je nach Art der Tumorerkrankung und Höhe der Tumorlast sollte bei erhöhtem Risiko für eine therapieinduzierte Hyperurikämie eine Vorphasentherapie erfolgen. Hierdurch kann das Risiko für eine Harnsäurenephropathie deutlich reduziert werden. Dieses Vorgehen stellt einen Standard bei Neoplasien wie der akuten lymphatischen Leukämie oder aggressiven Lymphomen dar, kann jedoch auch im Einzelfall bei Erkrankungen wie Keimzelltumoren oder dem multiplen Myelom indiziert sein

Therapie der manifesten Uratnephropathie

Bei mäßiger Hyperurikämie bis 12 mg/dl sollte die antineoplastische Therapie unter konsequenter Durchführung der unten genannten Maßnahmen fortgeführt werden. Im Falle eines Anstiegs der Harnsäure über 12 mg/dl trotz prophylaktischer Maßnahmen sollte, wenn klinisch möglich, die Tumortherapie pausiert werden und folgende Therapie durchgeführt werden:
  • Rasburicase 0,2 mg/kg KG i.v. 1× täglich, ggf. mehrmalige Gabe bei sehr hoher Tumorlast und persistierend hohen Harnsäurewerten. Sehr häufig ist die Einmalgabe ausreichend (Vadhan-Raj et al. 2012; Boutin et al. 2018). Auch eine gewichtsunabhängige Dosierung mit 3 mg bzw. 7,5 mg (bevorzugte Dosierung) ist möglich (Jones et al. 2015; Alakel et al. 2017). Selten tritt eine Allergie gegen Rasburicase auf, oder das Medikament ist nach mehrfacher Anwendung durch das Auftreten von inaktivierenden Antikörpern unwirksam. Cave: Zur korrekten Bestimmung der Harnsäurekonzentration nach Gabe von Rasburicase ist die entnommene Blutprobe auf Eis zu entnehmen und zu transportieren, da sonst falsch niedrige Harnsäurewerte durch die Aktivität der Rasburicase in der Probe auftreten
  • Bei fehlender Verfügbarkeit/Unwirksamkeit von Rasburicase: Allopurinol bis zu 900 mg p.o.
  • Hyperhydratation mit 2–3 l/m2
  • Ggf. intravenöse Therapie mit Furosemid bei Oligurie/Volumenüberladung
Wenn auch unter diesen Maßnahmen eine Besserung ausbleibt bzw. ein progredientes Nierenversagen auftritt, ist eine Hämodialyse indiziert. Durch diese gelingen üblicherweise ein deutlicher Abfall der Harnsäure und eine Besserung der Nierenfunktion.
Grundsätzlich ist die Uratnephropathie reversibel und hat unter Beachtung der genannten Maßnahmen nur eine geringe Morbidität und Mortalität.
Literatur
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